gERNOT UND tANTE mASTHA
Als meine Enkelkinder erfuhren, dass ich damit begonnen habe, aus den Geschichten vom kleinen Geist ein richtiges Buch zu machen, wurde ich buchstäblich gedrängt, mich an den PC zu setzten und die nächste Folge zu schreiben.
Bild und Text von Marle
Tante Mastha trat aus dem Gedränge und rettet sich auf einen freien Platz an einer schützenden Häuserwand und atmete erst einmal ganz tief durch. 'Geschafft', dachte sie. 'Ich bleibe hier stehen, bis die Schieberei aufgehört hat, bevor mir noch einer auf die Füße tritt.' Sie hatte im Gedränge des Altstadtfestes in ihrer
kleinen alten Stadt, nichts sehen können,
zu viele Menschen waren unterwegs. Aber da, wo sie jetzt stand, konnte sie alles überblicken. Sie sah die Sänger auf der Bühne, die lustigen Tänzer, den Stand mit den vielen Süßigkeiten und die Karussells. Dann sah sie den geschäftigen Verkäufer mit den Luftballons.
Sie schaute nach oben, weil sie sehen wollte, welche Figuren die Luftballons hatten. Da waren Herzen und Bälle zu sehen, Mond und Sterne, kleine Puppen - sogar ein Pferdchen war dabei. Viele
Figuren bunt durcheinander, wie man sie sich nur denken konnte.
Da entdeckte Tante Mastha auch den
kleinen Geist. Sie glaubte, er wäre ein Luftballon, der an einer Leine festgebunden war. Für sie sah es von unten aus, als würde er lustig im Winde tanzen. Nun winkte er ihr auch noch zu und einen Moment lang glaubte sie, er würde sogar etwas sagen. Weil Tante Mastha den kleinen Geist so niedlich fand, beschloss sie den Luftballon zu kaufen. Sie ging zum Verkäufer, bezahlte das Geld, was der Luftballon kosten sollte und verlangte den kleinen Geist. Der Verkäufer suchte die Leine heraus und gab sie ihr, ohne darüber nachzudenken, woher der Geisterluftballon denn kam.
Tante Mastha wollte nun nach Hause
gehen. Sie hatte genug gesehen und war müde vom langen Laufen. So spät war sie sonst nie unterwegs. Sie ging in eine Nebenstraße, wo nicht so viele Menschen waren, damit sie besser ausschreiten konnte. Hier war es für den Luftballon auch sicherer. Je länger sie die Straße hinunter liefen, umso leiser wurde die Musik und schließlich war sie ganz verstummt. Trotzdem war es der Tante Mastha, als hörte sie immer noch leise Stimmen. Ein Gemurmel, das sie nicht verstand. Sie blickte sich immer wieder um, konnte aber niemanden entdecken. Die anderen waren noch auf dem Fest.
Schnell bog sie um eine Häuserecke, überquerte die Straße und konnte ihr
Haus schon von Weitem sehen, als sie plötzlich eine laute Stimme vernahm: “Hier geht es aber nicht zum Kirchturm!“ Der kleine Geist ruckte dabei so heftig am Seil, dass Tante Mastha, ganz erschrocken, es beinahe losgelassen hätte.
„Halt mich fest. Ich darf jetzt nicht fliegen!“, hörte sie die Stimme erneut.
Ein Luftballon der sprechen kann? Das gibt es doch gar nicht.
Tante Mastha erholte sich schnell von ihrem Schreck, packte die Leine fester an und sagte: „Du bist ja gar kein Luftballon!“
„Nein! Ich bin ein Geist. Das erkläre ich dir schon die ganze Zeit, aber du hörst
mir ja nicht zu.“ Tante Mastha schaute ihn verwundert an. Ein bisschen wusste sie ja über Geister Bescheid, aber was sie jetzt erlebte, hätte sie nie zu träumen gewagt.
„Ich dachte, das kommt vom Krach der Festmeile. Ich habe doch nicht ahnen
können, dass mein Luftballon ein echter Geist ist. Wer hat dich denn da festgebunden und warum darfst du jetzt nicht fliegen?“
„Ich darf nur in der Geisterstunde draußen fliegen und die ist schon längst vorbei. Ich wäre ja schon nach Hause geflogen, aber ich bekomme mein Kleid nicht los.“
Nun erzählte er der Tante Mastha die
ganze Geschichte. Als er fertig war, fragte er erneut: "Bringst du mich nun zur Kirchentür? Ich kann auch von unten hoch in den Turm, aber die Klinke schaffe ich nicht allein. Die Glocken werden sich schon Sorgen machen.“
Weil Tante Mastha dem kleinen Geist helfen wollte, überlegte sie nicht lange, drehte sich um und ging zum Kirchturm. Es war ja nicht weit. Doch die große Kirchentür war schon verschlossen. Das hätte sie sich denken können. Um diese Zeit ging doch keiner mehr in die Kirche. Enttäuscht schaute der kleine Geist Tante Mastha an. „Und was machen wir jetzt?“, fragte er sie. Tante Mastha wusste Rat. „Nun nehme ich dich doch mit nach
Hause und in der nächsten Geisterstunde fliegst du wieder zu deinen Glocken.“ Damit war der kleine Geist zufrieden und stellte gleich die nächste Frage: „Kannst du auch das dicke Seil los machen? Das ist so schwer und hinderlich, damit kann ich bestimmt nicht fliegen.“
„Ich habe Zuhause eine große Schere, die nehme ich und schneide es durch. Dann kannst du dich wieder frei bewegen.“
Es dauerte auch gar nicht lange und sie waren bei Tante Mastha angekommen. Sie holte, wie versprochen, ihre Schere und schnitt das dünne Bändchen durch, das für den kleinen Geist ein dickes Seil war. Sie löste den Knoten aus seinem Kleid und der kleine Geist war wieder
frei.
Doch oh weh, was war das? Das Kleid vom kleinen Geist hatte einen Riss. Genau an der Stelle, wo das Seil geschubbert hatte. Vorn im Rock und er war so lang, wie Tante Masthas kleiner Finger. Jetzt konnte der kleine Geist wirklich nicht mehr fliegen. Traurig
setzte er sich auf die Treppe und begann bitterlich zu weinen.
„Das blöde Seil hat mein Kleid kaputt gemacht, dabei habe ich immer so aufgepasst. Wenn sich mein Rock nicht mehr aufblasen kann, kann ich nicht mehr richtig fliegen. Geister die nicht fliegen können, sterben doch schnell.“, schluchzte er.
„Nein, warte!“, unterbrach ihn Tante Mastha hastig. Sie wollte nichts vom Sterben wissen. „Du stirbst nicht. Ich werde das Loch sofort reparieren.“
Eilig lief sie die Treppe hinauf und kehrte nur wenige Sekunden später mit Nadel und Faden wieder zurück.
Noch ehe der kleine Geist begriffen hatte, was Tante Mastha machen wollte, nähte sie den langen Riss mit kleinen
Stichen wieder zu.
Aus den Fadenenden knüpfte sie, damit die Naht auch richtig hielt, eine feste Schleife. Dann blies sie ein paar Mal kräftig unter den Geisterrock, bis er sich wieder ordentlich blähte. Der kleine
Geist richtete sich auf und begutachtete Tante Masthas Arbeit. Als er die lustige Schleife sah, konnte er sogar wieder lachen.
„Ich bin bestimmt der einzige Geist, der eine so schöne Schleife hat. Meine Freunde werden Augen machen. wenn sie die sehen. Meinst du, ich kann morgen wie immer fliegen?“
„Na ja!“, gab Tante Mastha zu bedenken. „Ich fürchte, meine Puste reicht nicht aus, dass du so hoch fliegen kannst, um allein in den Kirchturm zu kommen. Ich werde dich morgen wohl hin bringen müssen.“ Der kleine Geist überlegte kurz und meinte dann: „Das brauchst du nicht. Menschen, die den Geistern das Leben retten, haben eine Geisterehre verdient. Als Zeichen meiner Dankbarkeit bleibe ich hier und werde dir als Maskottchen dienen. Ich habe
zwar keine Erfahrung damit, aber ich werde, das ist Geisterehrensache, dir immer ein treuer Begleiter sein.“
Tante Mastha war erstaunt. So also werden Hausgeister gemacht. Damit aber hatte nun sie keine Erfahrung. „Ich habe mir zwar den Luftballon gekauft, weil ich symbolisch einen Hausgeist wollte, aber das daraus ein Echter wird?“, überlegte sie laut. „Ich weiß nicht, mein Haus ist doch kein Geisterschloss.“
„Dein Haus ist für Geister ideal. Ich finde es ganz gemütlich hier und schlafen lässt es sich hier auch wunderbar. Da brauchst du überhaupt keine Angst zu haben, Tante Mastha.“ Jetzt war Tante Mastha noch mehr
erstaunt. „Du kennst mich?“, fragte sie.
Der kleine Geist wurde etwas verlegen, jetzt hatte er sich doch glatt verplappert.
„Ach, das ist ja nicht das erste Mal, dass ich die Geisterstunde verspielt habe und irgendwo musste ich doch bleiben, wenn ich nicht in den Kirchturm kam. Ich kenne alle Häuser der Stadt und bin schon fast überall gewesen. Hier habe ich sogar schon mehrmals geschlafen, wenn du ein Fenster offen gelassen hast.“ Tante Mastha musste schmunzeln.
„Jetzt kann ich mir endlich den Spuk erklären, der hier manchmal statt gefunden hat. Verrätst du mir auch, wie du heißt? Spukgeist kann doch schlecht zu dir sagen, wenn ich dich mal rufen
will.“ „Ich heiße Gernot, weil ich öfter mal in Not gerate.“, gab er zur Antwort.
Da musste Tante Mastha herzhaft lachen: „Wie passend. Wer dir deinen Namen gab, kann bestimmt so einiges von dir berichten.“
„Och!“, wehrte Gernot schelmisch ab. „Die Glocken müssen immer übertreiben. Aber das erzähle ich dir später einmal, jetzt bin ich müde und möchte schlafen.“
„Du hast Recht.“, meinte Tante Mastha. „Gehen wir schlafen. Die Nacht ist bald vorbei und wenn es Tag geworden ist, steige ich den Kirchturm hinauf und sage den Glocken wo du jetzt bist, damit sie sich keine Sorgen machen.“
So kam es, dass Gernot der kleine Geist,
in das alte Haus bei Tante Mastha einzog.
Wer die Geschichte nicht glauben will oder meint, es gäbe keine Geister, der besucht sie doch mal und schaue selbst. Wenn du Glück hast, kannst du ihn in seinem weißen Kleid mit der hübschen Schleife drauf, durchs Haus fliegen sehen.
Übrigens:
Als Tante Mastha am nächsten Tag die Glocken besuchte und ihnen erzählte, was der kleine Geist in jener Nacht erlebt hatte, waren sie froh, dass sein Abenteuer so gut ausgegangen war.
„Pass auf unseren Gernot auf.“, baten sie. „Er ist ein guter Geist, kein bisschen
böse. Nur manchmal ein wenig übermütig und zu jedem Schabernack bereit. Wir können über ihn Geschichten erzählen!“
Na, da dürfen wir ja noch gespannt sein.
Geister können leise schleichen,
machen kein Radau.
Können unsichtbar entweichen,
Geister, die sind schlau!
Geister lieben das Verstecken,
machen sich ganz klein.
Lauern hinter dichten Hecken,
können überall mal sein.
Keine Angst, brauchst dich nicht bangen,
Geister tun dir nichts.
Gelingt es dir einen einzufangen,
ist er ein treuer Freund für dich!
Schlaf gut!