LIEBE KINDER
Wie oft schon hatte sie es ihm gesagt,
hatte ihn gebeten, sich zu benehmen, sein Gemüse zu essen, Ordnung zu halten, den Mädchen nicht an den Zöpfen zu ziehen und die Kleineren nicht immer herum zu schubsen, nur weil er der Größere war. Hatte sie ihm nicht, wie all den anderen Kindern, die sie gefunden und bei sich aufgenommen hatte, ein Bett geboten, mit einem Dach über dem Kopf, dicht und ohne Löcher, durch die der Regen tropfte oder der Wind nachts kalt pfiff, sowie drei üppige Mahlzeiten am Tag, von denen eine sogar warm und mit ihrer Sorgfalt und Liebe gekocht wurde?
So sehr es ihr auch in ihrem Herzen schmerzte, konnte sie nicht anders, als ihn endlich zu bestrafen, denn sie war die leeren Versprechungen und gelogenen Entschuldigungen leid und wer es nicht schaffte, sich an Regeln, an ihre Regeln, zu halten, der verdiente die Strafe, die ihn dann erwartete. Sie packte die stämmigen Beinchen, deren Füße noch kalt und schmutzig aus der Öffnung hervor ragten und stopfte sie zum Rest in den bereits mit knisterndem Feuer erleuchteten Ofen - außerdem hatten sie und ihre übrigen Kinderchen schon lange keinen solch fetten Braten mehr gehabt.
TAG 61, 1.Juli 2016