Romane & Erzählungen
Der Mann, der nichts tat - Erzählung - 02.: Eine Art Rückkehr

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"Über Werrentheim hinaus ..."
Veröffentlicht am 29. Juni 2016, 10 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Zweifler, Pessimist, Misanthrop ... ... ungefähr so: "Nein, nein, ich habe nicht bewundernswert gesagt, ich sagte, ich bin außergewöhnlich. Das was ich tue, das was dir so viel bedeutet ... du meinst, ich tue es, weil ich ein guter Mensch bin? Ich tue es, weil es zu schmerzhaft wäre, es nicht zu tun. (...) Weißt du, es tut weh (...), alles das! Alles was ich sehe, alles was ich höre, rieche, berühre, die Schlussfolgerungen, die ich ...
Über Werrentheim hinaus ...

Der Mann, der nichts tat - Erzählung - 02.: Eine Art Rückkehr

"Take me home" Nightwish - The poet and the pendulum Als Hajo Gote in seinen Heimatort zurückkehrte, der irgendwo in der Eifel, im Schwarzwald oder im Harz lag, erkannte ihn niemand. Zum einen lag das daran, dass er vor gut zwanzig Jahren fortgegangen war und sich seitdem dort nicht wieder hatte blicken lassen. Er hasst den Ort und die Menschen, die in ihm wohnten. Keiner kannte ihn dort unter dem Namen Hajo. Alle hatten ihn immer nur Jochen gerufen, obwohl er doch Hans-Joachim hieß. Außerdem hatte er in der Ehe, die vor drei Jahren gescheitert war, den Nachnamen seiner Frau angenommen. Vor allem war er aber nicht mehr der knapp 50 Kilogramm leichte Hänfling - er wog mittlerweile fast das doppelte -, als den ihn alle gekannt hatten und sein Haar war

weder blau, noch hatte er einen Irokesenschnitt. Stattdessen fielen sie ihm leicht gewellt fast bis auf die Schultern.

Obwohl er es sich fest vorgenommen hatte, zog ihn nichts an die Stätte seiner Jugend. Die Abscheu war allgegenwärtig. So verließ er die Autobahn schon bei Werrentheim, um sein Ziel nicht zu früh zu erreichen. Langsam fuhr er mit seinem Caterham Seven Roadsport 125 durch die Stadt. Der offene Sportroadster erregte immer Aufsehen, schließlich waren die Leute das vom Windkanal diktierte Einerlei auf den Straßen längst gewöhnt. Vor allem Kinder blieben gerne stehen, zeigten auf den Wagen und lachten vor Vergnügen. Zwar bot der Seven nicht sehr viel Platz und hatte nicht wirklich etwas, das man als Kofferraum hätte bezeichnen können, aber da Gote allein unterwegs war, hatte er Reisetasche und Plastiktüte problemlos auf den Beifahrersitz stellen können.

Mit blubberndem Motor bog er in den größten Kreisverkehr von Werrentheim ein. In dessen Mitte stand ein kahler Obelisk, der irgendetwas symbolisieren sollte Bis ins 17. Jahrhundert hatte hier ein Standbild des Heiligen Mauritius seinen Platz gehabt. Im Dreißigjährigen Krieg war es, als schwedische Truppen die Stadt besetzt hatten, mit protestantischem Eifer geschleift worden. Das jetzige Kunstwerk war mit französischem Geld nach dem Krieg von 1870/71 errichtet worden. Das 'Warum' war in Vergessenheit geraten. Der Obelisk ähnelte einem gigantischen Stück Kreide.

Die Autos stauten sich in dem Kreisverkehr und Gote kam vor der Goldenen Hischkuh zu stehen, dem ältesten und teuersten Esslokal in ganz Werrentheim. Und dann sah er über den Dächern der Häuser das Schloss, dass auf einem eng bebauten Hügel über der Stadt thronte. Bis 1918 hatten dort die Grafen von Werrentheim residiert. Die letzte gräfliche Familie hatte es in

den Wirren der Zeit vorgezogen nicht zu warten, bis die Revolution zu ihnen kam - was klug gewesen war - um sich am Ende ihrer Flucht bei Bordeaux in Frankreich niederzulassen - was für überzeugt Monarchisten und Feinde von Demokratie und Nationalsozialismus nicht klug gewesen war. Heute saß die Polizei in dem Schloss.

Es dauerte eine Weile, bis Gote die Stadt hinter sich lassen konnte. Er beschleunigte den Seven auf der Landstraße, überholte zwei Lkws, einen Audi und eine Porsche. Endlich hatte er freie Fahrt.

Die Bergkette erhob sich gut 60 Kilometer von Werrentheim entfernt in den Himmel. Es waren keine richtigen Berge, doch da das Land um sie herum flach war, dachten die Menschen, die hier wohnten, es wären welche. Diese Berge waren steinig, grob und abweisend. Es gab viele finstere Schluchten, düstere Wälder und nur wenige helle Flecken. Irgendwelche Schätze

hatte es hier nie gegeben, keine Kohle, kein Gold, kein Silber, keine Erze. Es waren einfach nur große Felsbrocken, die aussahen, als habe ein Riese sie hier vergessen.

Die Landstraße führte natürlich nicht in Gotes Heimatort. Irgendwann bog eine kleine schmale Fahrbahn von ihr nach rechts ab, die in engen Kehren über die Felsbrocken führte. Das Tempo verringerte Gote nicht, denn er kannte jede Kurve und in den letzten zwanzig Jahren hatte sich hier nichts geändert. Warum auch?

Je näher er seinem Ziel kam, desto übler wurde ihm. Das hatte Gote unterschätzt. Aber er wusste, dass kurz vor der letzten Felskuppe ein kleiner Waldparkplatz auf der linken Seite lag. Den steuerte er an. Die Männer, die dort an seinem Ende arbeiteten, fielen ihm zunächst nicht auf, denn er hielt ganz am Anfang. Gote stellte den Motor ab. Die plötzliche Stille war ungewohnt. Er stieg nicht aus. Neben dem Seven, keine drei Meter entfernt, führte ein Weg

zwischen den Bäumen hügelaufwärts. Gote wusste, dass er bei einer Höhle endete, die im Volksmund Jülichs Fall hieß. Warum konnte heute niemand mehr erklären. Früher waren sie oft dort gewesen.

"Coole Kiste", sagte einer der Männer, der, vom anderen Ende des Parkplatzes kommend, an der Wagen getreten war. "Ein Roadsport?", fragte er.

"125", lächelte Gote.

"Man, ich hätte auch gern einen Seven, wirklich!"

Was folgte, war das typische Gespräch zwischen zwei Männern über Autos. Gote machte es nicht aus. Im Gegenteil war er froh, für einen Augenblick abgelenkt und in Gedanken nicht in seinem Heimatort zu sein. Denn er wusste ganz genau, dass ein Teil von ihm das Nest nie verlassen hatte. Das hatte einen Grund, aber den hatte er sich erst vor einem halben Jahr eingestanden.

Es dauerte eine Weile, bis er gewahr wurde, dass der Mann, mit dem er sich unterhielt, einen dunkelblauen Overall mit einem Aufnäher des örtlichen Energieversorgers trug.

"Was machen Sie eigentlich hier?", wollte Gote wissen.

"Wir reparieren eine Transformatorstation", antwortete der andere und zeigte mit dem Daumen grinsend über seine Schulter.

"Aha", antwortete Gote verwirrt. Er blickte zum anderen Ende des Parkplatzes, konnte aber keine Transformatorstation ausmachen, sah stattdessen aber drei Männer, die auf einer Bank im Schatten der Bäume saßen und fröhlich schwatzten.

"Harte Arbeit?" Gote lächelte.

"Als die Station gebaut wurde, hatte jemand den klugen Einfall, billige Teile aus Indien zu verbauen. Globalisierung, klar? Jetzt ist das Ding kaputt und es gibt keine Ersatzteile. Wir warten auf die."

"Sind nicht irgendwo Menschen stinkig, weil sie keinen Strom haben?"

Der Mann schüttelte den Kopf. "Nicht wirklich. Da, hinter dem Hügel liegt ein Nest an einem See und da gibt es ab und an Probleme. Aber hauptsächlich sind drei Mobilfunkmasten, die da, da und da" - der Mann zeigte in drei Richtungen - "stehen, ausgefallen. Keine Handys, klar?"

Gote verstand. Er verabschiedete sich von dem Mann, startete den Motor und verließ den Waldparkplatz. Das konnte für das, was er plante, von Vorteil sein.




- Fortsetzung folgt -

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Hörbuch

Über den Autor

ArnVonReinhard
Zweifler, Pessimist, Misanthrop ...

... ungefähr so:

"Nein, nein, ich habe nicht bewundernswert gesagt, ich sagte, ich bin außergewöhnlich. Das was ich tue, das was dir so viel bedeutet ... du meinst, ich tue es, weil ich ein guter Mensch bin? Ich tue es, weil es zu schmerzhaft wäre, es nicht zu tun. (...) Weißt du, es tut weh (...), alles das! Alles was ich sehe, alles was ich höre, rieche, berühre, die Schlussfolgerungen, die ich imstande bin zu ziehen, die Dinge, die sich mir offenbaren ... die Hässlichkeit. Meine Arbeit fokussiert mich. Das hilft. Du sagst, ich benutze meine Gaben. Ich sage, ich geh nur mit ihnen um."
(Sherlock Holmes; In: Elemantary)


Fantasy- und Schauergeschichten sind mein Ding, weil sich darin alles Menschliche verarbeiten lässt.
Und ob ich es will oder nicht, auch das Thema "Freundschaft" taucht immer wieder auf.
Aphorismen.
Ein weiterer großer Bereich, mit dem ich mich beschäftige, in Erzählungen und Nonfiction, ist das Thema Krieg.

Arn von Reinhard ist EU-Skeptikerkritiker und Medienkritikerskeptiker.


foto by and with permission of Evelyne Steenberghe from vlien.net

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Rehkitz Habe auch den zweiten Teil gelesen.
Liebe Grüße
Theresia
Vor langer Zeit - Antworten
ArnVonReinhard Dann kann es dich nicht gar nicht interessiert haben. ;-)

LG
AvR
Vor langer Zeit - Antworten
Newcomer Hm, Du hältst geschickt die Spannung aufrecht und ich bin gespannt, was Gote für einen Plan hat...
Herzliche Grüße von Marko
Vor langer Zeit - Antworten
ArnVonReinhard Umsonst geht man nicht dahin, wo man gar nicht hin will.

LG
AvR
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EllaWolke Auf zum nächsten Teil

:-)
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ArnVonReinhard Ich seh' dich dann da.
;-)

LG
AvR
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Willie Lass mich weiter überraschen und denke, dass der hier beschriebene Mann etwas mit der Frau aus dem ersten Teil zu tun haben könnte.
Die eine angenehme Woche und
b.G.
W.
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ArnVonReinhard Ich könnte das jetzt leugnen, aber dann wäre der Prolog ein wenig unsinnig. ;-)

LG
AvR
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Willie Bei Fortsetzungen denkt man ja automatisch- zumindest- wer selbst schreibt- was sich eventuell für Zusammenhänge im Folgeteil ergeben könnten. Zum einen mag ich überaschende, nicht vermutete Wendungen, aber zum anderen- auch klar strukturierte Geschichten.
lg
Willy
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ArnVonReinhard Schön das du mir beides scheinbar zutraust. Aber um alles zu erfassen, musst du noch 23 Teile lang warten. ;-)

LG
AvR
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