„Eine Unterredung?“ Er schnaubte bloß verächtlich und schüttelte den Kopf. Ausgerechnet jetzt, wo doch endlich alles bereit war, wollte jener Mann den er am meisten verachtete mit ihm sprechen? Mit ihm, der doch dabei war sein herrliches Reich in Schutt und Asche zu legen? Unwirsch schritt er mit großen Schritten voran, dass es dem Boten schwer fiel, mit ihm mitzuhalten. Außer Atem hetzte er neben seinem Herrn her, der wie ein zum Leben erwachter Schatten durch die Gänge lief, dabei eine kalte Aura mit sich zog die jegliche so schon anherrschende
Finsternis nur noch dunkler und boshafter werden ließ. Schwarz wie die Nacht umhüllten die Schatten seine schöne, hochgewachsene Gestalt als wären sie Kleider aus feinstem Samt eines edlen Herren. Sie bedeckten seine Haut vollständig, ließen keinen Fetzen des marmorfarbenen Weiß durchdringen. Gleich zu jenem ungewöhnlichen Gewand, gewoben aus feinster Magie, wehten dunkel Haarsträhnen um sein vor Wut verzerrtes Gesicht. Doch eben jenes weich scheinende Haar blieb nicht vollends von Farben verschont, die Spitzen gingen in ein sanftes Gold über, welches wie goldene Flammen hinter seiner Gestalt her wehten. Seine Hände,
gehüllt in dunkle Handschuhe dessen Knöchel mit Dornen versehen waren, die einem das Blut aus den Poren treiben könnten, öffnete er schwungvoll die zweiflügelige Tür zu einer mächtigen Halle. Sie war leer bis auf zwei Seelen, die zu ihm gehörten und jenem mächtigen Thron, den er sein Eigen nennen konnte. Gleich einem dunklen Nebel wurde dieser in einen sanften, unscharfen Schleier getaucht, den er mit seinen ungeduldigen Schritten zerschnitt. Sich auf dem kalten, tiefrot glühenden Stein niederlassend blickte er mit sonderbaren Augen auf jene hinab, die sich seine Fürsten nannten. Zwei waren es an der Zahl, zwei von insgesamt
sieben Fürsten der Höllenkreise. Noch immer verzerrte Ärger und Verachtung die markanten und doch anmutigen Züge des Mannes und die blassen Lippen kräuselten sich zu einem freudlosen Lächeln.
„Mein Herr…“, begann der Bote auf ein Neues, buckelte demütig von ihm dass er sich einen herablassenden Blick nicht vergönnen konnte. Das Farbenspiel seiner Augen lag auf jenem niederen Wesen, welches wagte diese schlechte und höchst nervtötenden Kunde zu bringen. Rot durchzog die Iris des Mannes, doch wurde es von einem goldfarbenen, sternförmigen Muster
unterbrochen welches sich um die schmale Pupille wandte. Umgeben von einem Vorhang dichter Wimpern sahen diese glühenden Augen auf den Dämon herab als er seinen Mund öffnete, dessen Lippen nicht anders als sinnlich zu beschreiben sind. „Schweig, du hast genug gesagt.“, unterbrach er seinen Boten kalt und seine tiefe Stimme hallte in jedem Anwesenden wieder, brachte ihn förmlich zum Beben- obgleich der samtigen Weiche oder der dunklen Schärfe seines Tones konnte keiner bestimmen. Schwarz wie seidiger Samt war seine Stimme und doch von deutlichem Hass durchzogen, der gleich Eis durch die Adern der Zuhörer
rann. „Wie ärgerlich, die Legionen sind bereit doch er will wieder vor dem unausweichlichen fliehen. Wann beginnt dieser Narr endlich die Sache ernst zu nehmen, anstatt eines Kinderspieles?!“, letzteres glitt als wütendes Grollen über seine Lippen. „Werdet Ihr zu der Unterredung gehen?“, fragte einer seiner Fürsten von großer, stattlicher Statur. Eine Hüne mochte man sagen, war er doch um einiges größer als der Schwarzhaarige selbst und der Körperbau glich mehr einem starken Bären als einem Menschen. Die passende Sturmmähne eines Löwen besaß er allemal, wenngleich sie grau war und wie
vom Alter gezeichnet wirkte. Doch strahlten die gleichfarbigen Augen seines Fürsten doch die Frische eines jugendhaften Lebens aus. Genervt stöhnte der Angesprochene auf. „Bleibt mir etwas anderes übrig? Nach den Gesetzen darf ich eine solche Unterredung nicht absagen, schon vergessen?“, fuhr er die Löwenmähne gereizt an und bettete seine Stirn in seiner Hand. Und wieder durfte er den Ruf in die Schlacht hinauszögern! Elender… Er atmete durch, beherrschte den Zorn in sich der ein fester Bestandteil seines Wesens war. Sicher war, dass die Legionen von Bestien und Dämonen unruhig wurden und selbst ihm
fiel es langsam schwer, ihren Blutdurst zurückzuhalten. Die Generäle drängten jetzt schon auf den Angriff, doch er hielt sie noch zurück. Lange würde er das jedoch nicht mehr können und auch er verlor langsam aber sicher die Geduld! „Mein Herr, wenn ich etwas vorschlagen dürfte?“, begann sein zweiter Fürst. Dieser wirkte neben dem Hünen wie ein Zwerg, war er doch von kleiner Statur, schmächtig könnte man sagen, mit dem Gesicht eines jungen Burschen. Langes, rotes Haar war zu einem Zopf gebunden, doch widerspenstig fielen viele Strähnen über seine Schultern und Rücken die von einer ledernen, ärmellosen Montur bedeckt waren. Sein Lächeln besaß jedes
Mal etwas Schalkhaftes und man wusste, wenn er ansetzte zu sprechen würde er alles zu seinem Vorteil drehen. Seine Zunge war genauso gespalten wie sein Ruf, doch war er ein wertvoller und machtvoller Dämon, der seine Treue oft bewiesen hatte. Gelangweilt blickte der Herr beider auf sie herab. „Kommt denn bei dir etwas Vernünftiges heraus, Astaroth?“, gab er arrogant von sich und erniedrigte den Mann namens Astaroth allein mit seinem Blick. Dieser setzte jedoch ein strahlendes Lächeln auf, ließ sich nicht beirren von dem schroffen Ton seines Meisters. „Nun, würde es nicht besser für die Legionen und auch für euch, wenn wir
dennoch unseren bevorstehenden Sieg feiern würden? Immerhin steigt der Unmut der Bestien langsam, sie sind hungrig auf frisches Fleisch was Euer…Feind jetzt wieder aufschieben will. Lasst wenigstens die Generäle der Armeen etwas feiern, sie sollten sich amüsieren ehe ihr Unmut in Aufständen enden würde.“ Seine Worte waren freundlich, als würde er einem langjährigen Freund einen Rat geben, doch sein Grinsen war boshaft. „Es wäre zum…steigern der Moral könnte man sagen.“, lachte Astaroth vergnügt während weder der Sturmgraue noch der Dunkle wirklich begeistert wirkten und letzterer schnaubte bloß.
„Und du schlägst es nicht nur vor um dich mit einigen Succubus zu vergnügen und Trinken zu können?“ Fragend zog der Schwarzhaarige seine Brauen hoch und erntete einen ertappten Blick seitens Astaroth. Seufzend wedelte er jedoch bloß mit seiner behandschuhten Hand. „Aber von mir aus. Mach wie du willst.“, gab er gelangweilt seine Einverständnis. Warum nicht etwas Vergnügen wenn er schon seinem verdammten Feind gegenüberstehen musste und nicht einmal einen Finger rühren durfte? „Ich werde morgen zum Treffen mit meinem Bruder aufbrechen, geht jetzt.“, befahl der Schwarzhaarige sichtlich
genervt, während er sich im rotglühenden Stein zurücklehnte. Zu seinem Missfallen fand das Treffen auf dem einzigen neutralen Ort statt. Der Menschenwelt. Er seufzte lautlos und lehnte seinen Kopf an den kalten Stein. Damit versank seine ganze Gestalt im Schatten und lediglich das Glimmen seiner Augen blieb übrig. „Wie Ihr wünscht, Lucifer.“ Mit einer tiefen Verneigung verließen der Hüne und Astaroth den Saal, ebenso der Bote der es kaum erwarten konnte, hinauszukommen. Das unheilvolle Flackern in den Augen des rothaarigen Schlangendämons blieb jedoch ungesehen.
Ein dunkles Lachen durchbrach die Stille des kleinen Raumes, der fernab jeglicher neugieriger Augen war. Nicht mehr als eine Kammer, leer bis auf wenige, merkwürdige schwarze Ranken die sich an der Wand nach oben schlängelten als würden sie leben, diente als sein Versteck. Er befand sich im äußersten Ring, wo nicht mehr als ehemalige Menschen umherstreiften auf der Suche nach frischen Seelen. Dieses Ungeziefer hatte sowieso nicht alle beisammen und da würde niemand wagen, dem Fürsten auch nur einen Schritt zu nahe zu kommen wenn es nicht elendig verrecken
wollte. Nicht mehr lange und die Rangordnungen würden durcheinandergeraten. Der Krieg der unmittelbar vor der Tür stand würde nicht stattfinden, zumindest nicht so wie Lucifer es sich dachte. Die Schlacht würde erst geführt werden, wenn die Hölle einen neuen Herrscher hatte: Ihn. Wieder lachte er, getränkt vom Wahnsinn hallte seine Stimme an den engen Wänden wieder. Nur wenig bis zu den Stufen seines neuen Platzes fehlte noch. Wenn der gefallene Engel endgültig zu Boden fallen würde, in den dunklen Abgrund des Todes, so wäre das Chaos in der Hölle perfekt. Es gäbe niemanden, der sie noch kontrollieren könnte, der die
Ordnung aufrechterhält. Und wenn er ehrlich war, so unterdrückte Lucifer nur das Potenzial ihrer Macht. Sie waren zu mehr bestimmt! Die Erde sollte ihnen gehören und nicht den Menschen! Viel zu lange hielt sich der Morgenstern an alberne Gesetze, hielt sich zurück seine Horden über die Felder, Dörfer und Städte der Welt loszulassen. Was wollten sie mit diesem Schandfleck von einem Himmel? Viel zu holen gab es nicht und das Licht war unerträglich für Wesen, dessen Augen nichts als Schatten kannten. Weitaus ertragreicher und wertvoller war die Welt, die Gott und Lucifer vor sehr langer Zeit schufen, eine Welt voller Kreaturen die sich
durchaus als Sklaven oder wahlweise auch Mahlzeit eigneten. Und es gab reichlich davon. Er grinste breit, dass die Schlangenfänge unter seiner Oberlippe hervorlugten. Bald schon wäre die Ära der Menschen vorüber. Die Ära der alte Herrscher der beiden Dimensionen neigte sich dem Ende, es wurde Zeit eine neue Welt zu erschaffen. Eine Welt, die er beherrschen würde. Der Grundstein eines neuen Zeitalters würde vor seinen Füßen liegen. Größenwahn glitzerte in seinen vor Freude geweiteten Augen, als er die kleine Phiole aus violettem Kristall anhob. „Nur wenig davon würde ausreichen, um einen Engel in den ewigen Schlaf zu
schicken. Nehmen wir doch bei unserem werten Morgenstern etwas mehr.“, sagte er leise und seine Stimme zitterte vor Erregung. In seiner anderen Hand hielt er einen kunstvoll verzierten Kelch, dessen Glas rot schimmerte wie die Abendsonne über dem weiten Ozeanen der irdischen Welt. Schlangenartige Drachen wandten sich um das Glas, die Köpfe endeten am Rande und die Flügel schienen den Kelch zu halten, während die Schweife der Drachen zu einem Griff verschlungen waren und lediglich die Spitzen in verschiedene Richtung kreisförmig abstanden. Es war der Kelch, den einzig Lucifer an die Lippen führen durfte. Ein Kelch, der heute Abend mit Engelsblut
gefüllt wurde. Etwas altmodisch, doch es kam ihm zugute, wenngleich er diese alten Traditionen verabscheute. Mochte sein, dass auf der Erde gerade die Zeit des späten Mittelalters vergangen war und sie noch immer in ihren kleinen Bauerndörfern lebten, aber mussten auch sie, die Dämonen der Hölle, diesem Muster alter Traditionen folgen? Warum nicht nach vorne schreiten? Sich lösen von allem Alt und dem Neuen entgegentreten? Er seufzte, während er den Deckel der kleinen Phiole mit seinem Daumen öffnete. Behutsam kippte er den Kristall, das eine leicht bräunliche Flüssigkeit, die von der Konsistenz an dunklen Honig erinnerte, langsam in den
Kelch tropfte. Braun, wie abgestorbenes Laub breitete sich die zähflüssige Masse im Kelch aus. Nur wenige Tropfen würden genügen, es war ein äußerst seltenes und kostbares Gift. Er wollte lieber nicht daran denken was er tun musste, um es zu erhalten. Kein leichtes Unterfangen, dieses Gebräu welches kaum bekannt war, in die Finger zu bekommen- zumal es nur wenige Phiolen ab. Er klappte den Deckel wieder zu und ließ die Phiole in den tiefen seines Gewandes verschwinden, welches er über seiner dunkleren, leicht geschuppten Haut trug. Zufrieden betrachtet er die Masse, flüstert wenige Worte sodass ein grüner Hauch aus seiner Kehle trat.
Kaum traf eben dieser auf das Elixier des Todes von Lucifer, glomm es kurz in den Farben seiner Schlange auf ehe der Kelch wie leer schien. Eine einfache Illusion, die dem Diener der den Kelch füllen würde nicht auffallen könnte. Ein magisches Netzt welches den Tod trügerisch verschleierte. Zufrieden lächelnd strich er sein rotes Haar zurück und Astaroth blickte auf sein Werk hinab, stahl sich aus der Kammer und huschte als Schatten zurück in die inneren Kreise der Hölle. Kein leichtes Unterfangen, ungesehen zum inneren Kreis der Unterwelt zu gelangen. Die Festung Lucifers war in Ringe unterteilt, welche als Kreise bezeichnet wurden. Im
äußersten und niedrigliegenden Ring befanden sich die schwächsten seiner Sippe und je höher und enger der Kreis wurde, desto mächtiger die Dämonen im Inneren. Jeder Fürst herrschte über einen der Kreise, das Herz der Festung oblag Lucifer und ragte als großes, hohes Monument auf dessen Spitze im schwarzen Obsidian funkelte. Nur wenige Meter oberhalb flossen die Ströme der schwarzen Magie als schwarze, violette und rote Schatten zusammen, bildeten einen tosenden Sturm in dessen Auge sich der innere Kreis befand. Dieser Sturm würde sich erst lichten wenn der Herrscher dieser Welt verstarb. Und das würde schon morgen sein. Freude flutete
ihn, während er den Kelch von seinem Diener, welche in dem letzten Kreis eingeschleust wurde, zurück an seinen Platz gebracht wurde. Niemand würde ihn verdächtigen, es war nichts Neues das man versuchte, Lucifer mit allen Erdenklichen zu töten. Doch dieses Gift welches nun in seinem Gewand verborgen war, würde auch ein göttliches Wesen wie ihn in die Knie zwingen. In sich hineingrinsend verschmolz er mit der Dunkelheit und ungesehen von den Wachen die durch die Gänge streiften gelangte er in den dritten Kreis der Festung, jenen den er befehligte.
~*~ Die Fürsten sowie mächtigsten Krieger der jeweiligen Legionen waren vertreten, saßen im dunklen Saal zu Füßen des mächtigen Throngebildes, welches noch leer war. Diener hatten zuvor eine Tafel aufstellen lassen, Speisen, Getränke sowie Frauen wurden gebracht. Manche davon waren menschliche Sklaven die angstvoll die Herren mit ihren Blicken betrachteten. Andere wiederum waren Succubus mit deutlichen, weiblichen Kurven, die sich auf dem einen oder anderen Schoß lüstern räkelten. Doch
statt Musik füllten Stimmen die Stille, Diskussionen über den bevorstehenden Kampf. Angeregt, auch dank der großzügigen Menge des starken Getränkes, wurde geprahlt und gehetzt, gestritten und gelacht im Glauben, die Schlacht die bevorstünde wäre ein leichtes Unterfangen. Einzig die Fürsten schwiegen zum größten Teil, strahlten eine unglaubliche Ruhe und Disziplin aus während sie schweigend die Kraft der frischen Seelen genossen, die sie verschlangen. Einzig Astaroth schien es zu gefallen, er beteiligte sich an den Gesprächen, trank und warf seinen begierigen Blick auf die ein oder andere Frau mit der er sich danach begnügen
wollte. Der Hüne mit der silbernen Mähne schüttelte seinen Kopf. „Warum muss er das immer und immer wieder verlangen? Er weiß doch wie wenig Lucifer sein Vergnügen an diesen menschenähnlichen Feiern hat!“, seufzte er tief. Sein Nachbar nickte knapp. „Er ist seltsam ausgelassen, jedes Mal. Aber unsere Männer wurden bereits unruhig und der größte Teil der Armee ist es noch. Wenn nicht wenigsten die stärksten unserer Soldaten zufrieden sind werden sie im Krieg nur halbherzig kämpfen oder gar fliehen, Baal.“, sagte er und seine rötlichen Augen sahen ruhig zu dem großen Dämon an seiner Seite. Baal strich sich mit seiner großen Hand
durch die Mähne, ließ das graue, störrische Haar durch die großen Finger gleiten, dessen Nägel wolfsähnlichen Krallen glichen. „Ich weiß. Dennoch, ich traue dieser Schlange nicht. Und du eigentlich auch nicht, oder irre ich mich, Beselius?“, raunte er dunkel zu dem Mann namens Beselius. Er trug trotz der Wärme einen Mantel, dessen Kapuze tief in seinem Gesicht hing. Dennoch konnte sie nicht das blaufarbene Haar verbergen, welches in das Gesicht des Dämons hing. Ebenso wenig wie das Tattoo was sein Gesicht zierte; eine Dornenranke unterhalb seines linken Auges die sich über seine Wange zog, bis hinab zu seinem Kinn. Der Rest
wurde vom Schatten verdeckt, doch konnte Baal die schwarzen Blumen erkennen die gerade in leichter Blüte standen. Der sturmgraue Dämon wusste nur zu gut, was geschah wenn sie in voller Blüte standen um ihre wahre Natur zeigten und wandte daher seinen silbernen Blick ab von Beselius, der sich schweigend über seinen Kelch beugte. „Ich traue niemand, nur mir selbst. Das solltest du auch.“, antwortete Beselius nach einer Weile kühl und Baal seufzte. Ein Gefühl in diesem Fürsten zu finden war genauso erfolgreich wie Astaroth von Frauen fernzuhalten. „Ich vertraue meinem Herrn.“, brummte Baal während er einen Schluck nahm.
Beselius gab nur einen undeutlichen Laut von sich, der mehr wie ein leises Zischen klang. „Apropos wo ist Lucifer eigentlich? Bleibt er wieder in seinem Gemach?“, fragte Astaroth neugierig und löste sich von einem vollbusigen Succubus. Baal fluchte innerlich. Diese Schlange hatte also gelauscht? „Er kommt, wenn er es für richtig hält.“, gab der Sturmdämon kalt zurück und Astaroth verdrehte bloß vergnügt die Augen, widmete sich wieder der schwarzhaarigen Schönheit auf seinem Schoß, doch verstummten die Anwesenden als das Tor aufgestoßen wurde. Augenblicklich wich jegliche
Wärme aus dem Saal und eisige Kälte breitete sich aus, sodass selbst ihr Atem leichte Wolken erzeugte. Zudem wurde das fahle Licht noch dunkler, als würden die Schatten ihren wahren Meister begrüßen wollen. Die Blicke der Dämonen lag auf den Neuankömmling und das Lächeln schwand aus den Gesichtern, machte Furcht und Demut Platz. Lucifer selbst betrat den Saal, schritt an der Tafel vorbei. Kaum lief er an den Soldaten des Heeres vorbei hielten diese den Atem an und folgten mit ihren Blicken der Schönen Gestalt. Selbst jenen, starken Männern raubte es den Atem, wenn dieses Sinnbild von Schönheit und Eleganz an ihnen
vorüberschritt. In voller Montur war er, welche er zum Kampfe trug, und mit ausgebreiteten Schwingen die locker eine Spannweite von zwei Mannesgrößen besaßen, ließ er jegliche Herzen erzittern. Schwarz wie die Nacht zeigten die Flügel ihre Schönheit, schimmerten in einem blauen Schein im schwachen Schein des hier herrschenden Lichtes, welches keine Farbe besaß. Man könnte es grau nennen, mehr ein schwaches Dämmern. Etwas gelangweilt blickten seine roten Augen über die Gemeinschaft, ehe er lediglich mit der Hand ausholte um seine Fürsten und deren stärksten Generäle willkommen zu
heißen. „Es ist eine Freude, dass Ihr persönlich erscheint, mein Herr.“, sagte einer von denen, die Malphas- dem Fürsten der Angst- unterstanden. Lucifer hingegen blieb nur vor seinem dunklen Thron stehen, nickte knapp wenngleich er solche Versammlungen ganz gerne mied. Sie nervten ihn einfach, doch schienen die Krieger seine Erscheinung als gutes Zeichen zu sehen. Dabei könnte man es fast als menschlich betrachten und genau das war es, was ihn störte. Die Generäle und seine Fürsten blickten abwartend zu ihm auf, er konnte die Ungeduld in ihren Blicken erkennen doch wagte es keiner, seine Stimme zu erheben. Nie würde es
jemand wagen, dafür war die Angst vor ihm, Satan selbst, viel zu groß. Die schwarze Drachenhaut, die sich an seinen Körper als Rüstung schmiegte, passte sich jeden seiner Bewegungen an als er sich auf dem Thron niederließ. „Ihr brennt darauf, den Himmel mit tiefrotem Blut dieser geflügelten Insekten zu tränken, das weiß ich. Doch leider werden wir den Angriff verschieben müssen.“ Unruhiges Raunen durchlief die Reihen der Generäle, doch sein Blick ließ sie verstummen als er freudlos lächelte. „Mein Bruder verlangt nach Verhandlungen, welche elendigliches Zeitschinden sind. Ich werde sie daher so
kurz wie möglich halten, um euren Weg durch die Pforten des Himmels freizulegen.“ Seine Stimme hallte verlockend durch den Saal und nicht wenige der weiblichen Wesen hingen an seinen sinnlichen Lippen, als wünschten sie nichts sehnlicher als von diesen geküsst zu werden. Die Dämonen hingegen wirkten etwas enttäuscht, doch nickten einige von ihnen. „Deswegen seid ihr heute hier. Esst, trinkt so viel ihr wollt. Amüsiert euch, während ich mich morgen um den Rest kümmere. Nicht mehr lange und der Himmel wird uns gehören!“, letzteres sagte er in der Stimme des Triumphes und Gier glänzte in den Augen derer, die
zu ihm aufsahen. Zufrieden darüber lächelte der Gefallene, gab der Gemeinschaft einen Wink, dass sie mit ihren Gelüsten fortfuhren, während er sich wieder in seinen Thron zurückzog. Ihn selbst interessierten derlei Gelüste weniger, wenn er Frauen wollte nahm er sie sich wann er wollte, doch das Trinkgelage welches Astaroth anstimmte widerte ihn nur an. Als ihm der kunstvoll verzierte Kelch entgegengehalten wurde- von einem Diener welcher vor Ehrfurcht am ganzen Leib bebte und beinahe das kostbare Gefäß fallen ließ- nahm er ihn in seine Hände und der Duft des reinen Blutes eines Engels liebkoste seine Sinne. Ein
herrlicher Duft, so vielversprechend. Den Diener fortscheuchend blickte er auf die tiefrote Flüssigkeit nieder. Es war allemal besser, als jeglicher Alkohol oder was auch immer sein Gefolge noch in ihren Kelchen hielt. Die Fürsten hoben eben jene mit Ehrerbietung und der schöne Engel führte den Kelch an seine Lippen, ließ das köstliche Blut seine Kehle hinabrinnen. Bald schon würde mehr davon fließen, und allein das ließ ein unheilvolles Lächeln auf seinen Lippen erscheinen, als er den geleerten Kelch abstellte und mit nunmehr ausdruckslosen Zügen den Dämonen bei ihrer Feier zusah. Baal’s Blick lag auf ihm, nickte ihm leicht zu als ihre Augen
sich kreuzten und Lucifer erwiderte den Gruß seines treuesten Begleiters. Er würde ihn morgen zu dem treffen seines Bruders begleiten. Astaroth‘s Blick lag nur flüchtig auf dem noch herrschenden König dieser Welt. Doch bald schon würde er sich unter Qualen winden, das stand fest. Glücklicherweise wirkte das Gift nur sehr langsam und zu seiner Freude hatte Lucifer den ganzen Kelch geleert. Etwas ausgelassener als zuvor feierte er seinen eigenen, persönlichen Sieg den er mit diesem Abend errungen
hatte. ~*~ Als Lucifer vor dem Dimensionsübergang stand seufzte er kurz schwer und fuhr sich mit einer Hand über sein glühendes Gesicht; als würde er an Fieber leiden. Noch dazu gesellten sich pochende Kopfschmerzen, die er partout nicht vertreiben konnte. Er hatte wenig Lust auf eine Unterredung mit seinem Bruder zumal er sich irgendwie…erschöpft fühlte. Ihm war als würde eine bleierne Müdigkeit nach ihm greifen und er fühlte sich daher etwas benommen, doch schritt er aufrecht und ließ sich nach außen hin
nichts anmerken. Es hat ihm viel Kraft gekostet, die dunkle Magie zu verstärken um die Legionen zu rüsten und diese Kraftanstrengung fordert eben ihren Tribut. So dachte er zumindest. Doch wankte leicht sein fester Schritt. Er kämpfte diese Schwäche nieder und schritt durch die wasserähnliche Oberfläche hindurch, spürte wie sein Körper fortgetragen wurde an einen Ort, der ihn sogleich mit grellem Licht begrüßte dass er kurz seine sonderbaren Miasmen hinter seinen Lider verbarg. Warum war es so verdammt hell?! Das Stechen in seinem Kopf wurde stärker. Er war dieses Licht lange nicht mehr gewohnt, doch seine Augen erkannten
bald schärfere Umrisse, stellten sie sich ziemlich rasch auf die neuen Einflüsse ein. Sie waren auf der Erde, dem einzigen Ort den sie als neutralen Boden bezeichneten. Die Sonne stand hoch am blauen Himmel, doch war es eiskalt und die Lichtung des Waldes auf der sie sich befanden war von einer dichten Schneedecke verhüllt. Die Äste der Bäume bogen sich unter dem Gewicht des erfrorenen Wassers und leichter Wind wirbelte die kunstvollen Schneeflocken wieder auf, als würde es von neuem schneien. Doch durch eben jene weiße Pracht war das Licht der Sonne unnatürlich stark, wurde es doch von dem Schnee reflektiert. Stöhnend vor
diesem ungewohnten Licht hielt sich Lucifer kurz eine Hand vor Gesicht, fühlte wieder die heiße Haut unter seinen Fingern und schluckte den bitteren Geschmack hinunter der sich in seinem Mund ausbreiten wollte. Baal neben ihn blickte etwas sorgevoll auf seinen Herrn, da er spürte dass etwas nicht stimmte. „Lucifer, ist alles in Ordnung mit Euch?“, fragte er kaum hörbar und auch nur an den Morgenstern gerichtet. Er hatte eine ungesunde Blässe angenommen, seine zuvor helle, fast weiße Haut wirkte seltsam fahl, beinahe gräulich. Auch die rotgoldenen Augen wirkten seltsam verschleiert, als würde ein Schatten über ihnen liegen und so
kannte der Fürst des Zorns seinen Herrn nun wirklich nicht. Er war bereits vor dem Aufbruch etwas seltsam, als hätte über den gestrigen Abend etwas seine ganze Kraft aufgezehrt. Doch Lucifer nickte nur knapp und ging durch den knirschenden Schnee auf den ganz in Weiß gekleideten Mann zu, der bereits auf ihn wartete. Er fiel im Winterland gar nicht wirklich auf, könnte leichthin mit den hinter ihm stehenden Tannen Eins werden und verschwinden. Beide göttlichen Wesen sahen sich zum Verwechseln ähnlich, doch unterschieden sie sich wie Tag und Nacht. Weißes, zum Ende hin blau werdendes Haar wurde ebenso lang gehalten wie das Lucifers.
Die Augen schimmerten in einem Ozeanblau was seinesgleichen suchte, so tief und strahlend wie der Himmel nie sein konnte. Ein schöner Mann mit ähnlichen Zügen wie Lucifer, doch steckte er in einem hellen Gewand welches mit Silber geschmückt wurde. Allerdings wurde die Schönheit gar nicht beachtet, nur ein zorniges Zischen kam über die Lippen des leibhaftigen Teufels, welches eine Atemwolke verursachte. „Was willst du?“, knurrte der Dunkle nur verärgert über sein widerwilliges Erscheinen, zudem wollte er sich einfach zurückziehen und ausruhen. Sein Bruder setzte ein gutmütiges Lächeln auf was ihn mehr in Rage
versetzte. „Du bist wie immer ungeduldig, Bruder.“, begrüßte Gott den Teufel und bedachte Baal mit einem kurzen Nicken, welches der Dämon als Gruß erwiderte. „Ich habe keine Zeit, meine Bestien warten darauf dein Reich in Stücke zu reißen!“, fuhr Lucifer ihn ungehalten an, hasste er es doch von diesem Verräter als Bruder bezeichnet zu werden. Noch dazu wagte er es, nicht einmal seine Schwingen zu zeigen die sein göttliches Sein präsentierte. Die Schwingen der Nacht die aus seinem Rücken sprossen schwanden augenblicklich und ließen nichts als einen dunklen Mantel über, der mit einigen schwarzen Federn
geschmückt wurde. Lucifer biss leicht die Zähne zusammen als die Welt um ihn herum sich zu drehen begann und das nur durch das Schwinden seiner verdorbenen Engelsflügel. Verflucht, was war bloß mit ihm los?! Er fühlte sich so schwach, als würden seine Beine jeden Moment nachgeben. Lucifer schloss kurz seine Augen in der Hoffnung, es möge besser werden, doch es wurde eher schlimmer und er begann leicht zu schwanken, was seinem Bruder nicht verborgen blieb. Dieser hatte bereits begonnen, versucht diplomatisch mit dem gefallenen Engel zu sprechen doch merkte er, dass dieser ihm gar nicht zuhörte und stockte. „Lucifer…was hast du?“, fragte er
besorgt und kam etwas näher. Ein schmerzhaftes Keuchen kam über Lucifers Lippen, als er antworten wollte, doch ein Brennen gleich einem Feuer fraß sich durch sein Inneres. Trotz der anherrschenden Kälte begann er zu schwitzen. Ihm war so unsagbar heiß… Er bedeckte seine Augen mit seiner Hand als er nun stärker zu schwanken begann. „Herr?!“ Baal war sichtlich beunruhigt, stützte im letzten Moment Lucifer, als dessen Beine nachgaben und er zusammensackte. Mit geweiteten Irden blickte er in ein gequältes und von Schmerzen gezeichnetes Gesicht, welches er so noch nie bei seinem Herren erblicken konnte. Wenn überhaupt
möglich wurde seine Haut noch fahler und seine Lippen verloren jegliche Farbe, sein gesamter Körper schien von innen heraus zerfressen zu werden. So zumindest hatte es den Anschein, da die Lebensenergie des Morgensternes spürbar seinen Körper verließ, als dieser sich aufbäumte vor Schmerz. Selbst seine dunkle, alles verschlingende Aura wurde schwächer. Auch Gott trat näher auf die Dämonen zu und musterte besorgt das Geschehen, welches gänzlich aus dem Ruder lief. Seinen Bruder hatte er nie so gesehen, nie war Lucifer am Boden, nie so geschwächt oder…krank? Er vergaß dass sie nun Feinde waren, die Sorge des Himmelsherrschers überwog und er eilte
an die Seite, blickte auf den Dämonenherrscher nieder. Doch Lucifer bemerkte es kaum, der Schwindel wurde stärker und Übelkeit stieg in ihm auf. „Was…?“, brachte er bebend über die Lippen und griff sich an die Brust, in der sein Herz nun stark und schnell schlug, so schnell dass es bereits schmerzte und so laut sein musste, dass Baal oder gar Gott es hören müssten. Der Schmerz rann wie flüssiges Feuer durch seine Adern, füllte jeden Winkel seines Körpers und ließ sein Herz verkrampfen. Seine Zähne bohrten sich in seine Lippen sodass er Blut schmeckte und es lediglich seine Übelkeit verstärkte. „Lucifer… was hast du?“ Etwas hilflos
kniete Gott neben ihm, wollte ihn berühren doch seine Hand wurde beiseite geschlagen und die roten Augen funkelten schwach zu ihm auf. Der Atem Lucifers ging schwer und keuchend. „Rühr mich nicht an, Verräter!“, keuchte der Rotäugige und jedes Wort kam schwer über seine Lippen, als würde es Tonnen wiegen. Auf jede Silbe musste er sich höllisch konzentrieren doch verschwammen die Umrisse um ihn herum, als würde sein Körper unter Wasser gedrückt. Selbst das Atmen viel ihm schwer und sichtlich hob sich sein Brustkorb abgehackt und mühsam. Die Stimmen Baals und Gottes waren nunmehr lediglich ein schwaches Raunen
aus weiter Ferne. Schwach… er fühlte sich so schwach und müde, die Stärke verließ seinen Körper und mit ihr noch etwas anderes. Doch ehe er es bestimmen konnte fiel er in eine bodenlose Schwärze. Er war bereits bewusstlos bevor sein Körper unter Baals Armen zusammenbrach und auf dem schneebedeckten Boden aufschlug, und regungslos liegen blieb. Die erschrockenen Rufe der Anderen drangen nicht mehr zu ihm hindurch, nur das Nichts umfing ihn mit den dunklen Schlingen des Vergessens.
Fassungslos blickte Gott auf den schwer atmenden Teufel hinab, dessen Körper halb im Schnee lag und etwas von Baal gehalten wurde. Das schwarze Haar hing leicht in das fahle Gesicht und breitete sich als schwarze Welle im Schnee aus, während das Gold seiner Spitzen förmlich strahlte im Licht der Wintersonne. Baal kniete neben ihm, rief wieder und wieder den Namen seines Herrn doch dieser rührte sich nicht. Seine Augen blieben geschlossen und würde er nicht so schwer atmen könnte man das Schlimmste befürchten. Verzerrt waren die schönen Züge des
ehemaligen Lichtbringers und rasselnd ging sein Atem, als würden seine Lungen den Sauerstoff nicht bei sich halten können. Was mit ihm geschah konnte Gott nicht sagen, doch beunruhigte es ihn zutiefst. Nie hatte ihn etwas sonderlich schwer verletzen können, doch dies hier war keine Verletzung. Es wirkte wie eine Krankheit, doch Wesen wie er und Lucifer konnten nicht einer banalen Krankheit zum Opfer fallen. Es war schlichtweg unmöglich, wenn nicht jemand nachgeholfen hatte, doch welches Gift oder welcher Zauber würde so stark wirken, dass ausgerechnet Lucifer dem nicht standhalten konnte? Kein Fluch würde wirken, sie waren resistent gegen
jegliche Magie. Seines Wissens nach gab es nichts was ihn in die Knie zwingen würde, doch nun lag er zu seinen Füßen und litt wörtlich Höllenqualen. Und ein zweiter, weitaus beunruhigender Gedanke bannte sich in Gott an. Lucifer mochte von seinem Hass geblendet sein, doch ohne ihn würden die Schattenwesen in einem anarchistischen Wahn tun und lassen was sie wollten und das durfte nicht geschehen. Sein Bruder so schwach zu erleben schockte seinen treusten Fürsten sichtlich, die anderen der Dämonen würden wohl die Gunst der Stunde nutzen. Das traute der Weißhaarige diesem verlogenen Pack wirklich zu und es war so schon schwer
genug, so kurz vor Ausbruch eines Krieges. Seine Hand legte sich vorsichtig auf das Gesicht seines Bruders, Mitleid flutete ihn und kaum berührte er die aschfahle Haut des Schwarzhaarigen zog er sie ruckartig mit einem Laut des Entsetzens zurück. Er glühte wie Feuer! Dabei dürften die niedrigen Temperaturen seine Haut doch herabkühlen! „Ein Fieber?“, murmelte er etwas erstaunt und Unglaube schwang in seiner Stimme mit. Lucifer würde niemals krank werden, nicht ohne dass jemand nachgeholfen hätte. Doch nehmen Gottes Züge einen nachdenklichen Ausdruck an. Jemand hatte ihn etwas verabreicht, das
er nun hier lag und trotz der Bewusstlosigkeit unter Schmerzen leiden musste. Dass Lucifer nichts davon gespürt hatte war etwas wunderlich. Auch er, der Himmelsherrscher, wusste um die Anschläge die immer und immer wieder auf seinen Bruder verübt wurden um ihn zu stürzen, doch er sah sie bereits lange vorher kommen und handelte entsprechend. Die Frage war also: Was genau fehlte ihm und was hätte ein solch starkes Wesen wie Lucifer derart schaden können? Der Himmelsherrscher war sichtlich verwirrt davon, kniete sich neben seinen Bruder und legte beide Hände an die heißen und doch so fahlen Wangen. Er betrachtete die Züge seines
Bruders, der sonst immer so hasserfüllt zu ihm blickte. Doch jetzt, wo er so leiden musste, konnte Gott nicht untätig herumsitzen oder wieder in seinen Palast verschwinden. So blieb er auf der Erde, bei seinem Bruder in diesem trügerisch friedlichen Winterwald. Einmal hatte er ihn im Stich gelassen, noch einmal würde er den Fehler nicht begehen. Zudem würde Lucifer ihm vielleicht endlich verzeihen, wenn er ihm jetzt helfen würde. Die blauen Irden schlossen sich konzentriert und Baal beobachtete den Weißhaarigen genau. Deutlich besorgt und erschrocken war er vom Anblick den sein Herrscher ihm bot, da war es ihm gleich ob es ein Feind war, der ihm half.
Hauptsache der Teufel würde seine Augen wieder aufschlagen! Die Hände Gottes begannen in einem sanften, blauen Licht zu strahlen und erhellten das schmerzverzerrte Gesicht Lucifers, der sich dennoch nicht regte. Mehrere Male wiederholte er den Zauber, konzentrierte sein Licht auf Lucifers Körper, doch es brachte nichts. Keine Regung, nicht einmal ein winziges Zeichen ob es etwas nützen würde. Es wirkte rein gar nichts! Der Himmelsherrscher fluchte ungehalten, stockte jedoch bei den hochgezogenen brauen Baal’s. Unwirsch schüttelte er den Kopf, nahm seine Hände von seinem Bruder und strich sich durch das helle
Haar. „Meine Kräfte wirken nichts. Ich kann ihn nicht heilen wenn ich nicht weiß, was es ist!“, meinte er leise, fast beschämt. Er war eines der machtvollsten Wesen und ihm waren die Hände gebunden. Er fühlte sich unnütz, sein Bruder lag in diesem komaartigen Zustand und es gab nichts, was er tun konnte! Seine Macht genügte nicht um ihm das Leid zu nehmen. „Ich weiß nicht einmal, was mit ihm ist… Ich würde auf ein Gift tippen, da er bemerkt hätte wenn er von einem Fluch belegt worden wäre zudem Magie nichts bei ihm bewirken kann.“ Fragend blickte er auf, direkt in die silbernen Augen des
Dämonenfürsten. Dieser schien kurz zu überlegen ehe sich sein Gesicht verfinsterte und einen bedrohlichen Zug annahm. „Ich habe eine Ahnung…“, knurrte er wie ein gefährliches Raubtier. Abwartend blickten die blauen Miasmen zu Baal, der sichtlich seine Wut beherrschen musste. „Gestern wurde um ein Fest gebeten. Er hatte aus diesem Kelch getrunken, welches mit Blut von deiner Sippe gefüllt war.“, erklärte der Hüne und blickte wieder auf den kranken Morgenstern nieder. Engelsblut? Nein, das konnte es nicht gewesen sein. Es sei denn jemand hätte etwas beigemischt, doch was könnte so stark
sein…? „Oft hatte man schon versucht ihn zu vergiften, doch ich dachte ihr beide besitzt eine Resistenz dagegen!“ Baal blickte auf und er schien deutlich seine Hilflosigkeit zu verfluchen. Gott nickte langsam. „Eigentlich können uns Gifte nichts anhaben, gleich welcher Art. Aber etwas hat ihn in diesen Zustand gebracht… Du solltest ihn zurückbringen und zwar schnell, vielleicht kann jemand in euren Reihen ihn heilen!“ Es war eher ein Flehen, es musste etwas geben was seinen Bruder zurückbrachte. Immerhin wirkte er gerade, als würde er auf der Schwelle des Todes stehen und eines
wussten beide: Wenn Satan sterben würde bräche das Chaos aus und die Ordnung, das Gleichgewicht, wäre dahin. Baal lachte bitter auf. „Zurück in die Hölle? Sobald auch nur einer erfährt wie es um Lucifer steht wird es nicht lange dauern und sein Tod würde kommen. Glaub mir, diese verräterischen Hunde rühren keinen Finger um Lucifer zu helfen. Sie würden ihn eher umbringen, zudem weiß ich nicht, wer ihn vergiften konnte. Die Anzahl jener, die es versuchen wollen, ist groß.“, seufzte der Sturmdämon tief. Gott blickte auf seinen Bruder hinab und fragte sich, wie er es all die Jahre unter Lügnern und Betrügern aushalten konnte.
Und nun hatte es einer dieser geschafft und ihn nahe an den dunklen Abgrund gestoßen, von dem der Gefallene nur wenige Schritte entfernt war. „Dann sollten wir hier warten. Ich kann ihn nicht mit in mein Reich nehmen, das wäre zu riskant. Auch im Himmel würde es einige geben, die entgegen meiner Befehle handeln würde um das Böse zu vernichten.“ Die hellen Finger streichen besorgt das dunkle Haar beiseite und er fühlte die heiße Stirn. „Er glüht… und das trotz dieser Kälte.“, murmelte der Hellhaarige betrübt. Sie konnten rein gar nichts unternehmen. Erst wenn er wusste, um welches Gift es sich handelt, könnte er bestimmen wie es
zu heilen galt. Er suchte also unter all den Verrätern einen, gleich einer Suche von der Nadel in einem ganzen Haufen anderer Nadeln. In Gedanken dachte er an Gifte, die ihnen schaden könnten oder besonders stark wären, doch war die Anzahl gleich null. Es gab nichts was ihnen schaden konnte! Zumindest nichts, was ihnen bekannt wäre. Er schluckte schwer. Sollte es sich um etwa Unbekanntes handeln von denen weder er noch Lucifer wussten, so wäre es sehr schwer eine Lösung zu finden und das rechtzeitig, bevor sich sein Zustand noch weiter verschlechtern könnte. „Wir können nur…warten.“ Verbissen senkte Baal seinen Kopf. Er hatte es
nicht verhindern können, dabei war ihm gestern bei dieser Versammlung wirklich etwas unwohl. Doch er hatte nichts getan… Er hätte ihm den Kelch aus der Hand schlagen müssen! „Wenn wir zu lange wegbleiben werden die Dämonen unruhig. Ich kann den Krieg aufschieben indem ich sage, die Verhandlungen würden dauern. Mehr kann ich jedoch nicht tun, es darf niemand von Lucifers Zustand erfahren!“, raunte er ernst. Der Himmelsherrscher nickte zustimmend. „Ich werde mein Bestes geben, nach einem Gegenmittel zu suchen aber wir können ihn schlecht hierlassen…“ Er blickte sich um. Nichts als Schnee und
dichtstehende Bäume… Keine Menschenseele war zu sehen und die nächsten Dörfer oder Städte wären einige Meilen entfernt. „Wobei man ihn hier sicherlich nicht finden wird… wenn wir nur kurz fortbleiben ehe einer wieder nach ihm sieht…?“ Unsicher war die Stimme Gottes. Er wusste keinen Rat, wusste nicht was zu tun war und das schürte eine leichte Panik in ihm. Doch Baal nickte. „Das wäre das Einzige was wir tun können.“ Der Grauhaarige strich sich ein paar dichte, wilde Strähnen zurück. Der Gott des Himmels lief etwas unruhig auf und ab, hinterließ seine Spuren im sonst
unberührten Schnee und überlegte fieberhaft. Ein Gift welches hohes Fieber bei einem unsterblichen, gottesähnlichen Wesen hervorrufen konnte und diesen in eine Bewusstlosigkeit sinken lässt. Nicht sehr viele Anhaltspunkte, es gab sicher eine Menge Gifte die sowas bewirken doch er kannte keines, welches auch bei ihm Wirkung zeigen könnte. Noch während er überlegt holte Baals Ausruf ihn aus seinen Gedanken. Die Augenlider seines Bruders öffneten sich flatternd, sie hatten gar nicht bemerkt wie die Zeit vergangen war.
~*~ Das erste was er spürte war eisige Kälte, die gleich Dolchspitzen in seinen Körper stach und doch zugleich wohltuend war. Ihm war unsagbar heiß, er fühlte sich als würde er von innen heraus verbrennen und seine Kehle schmerzte. Seine Hand zuckte leicht, doch diese Rührung allein entfachte ein Inferno von Schmerzen in seinem Körper aus. Er stöhnte auf, der Laut kratzte in seinem Hals als wäre seine Kehle rau und ausgedörrt. Warum tat alles nur so weh…? Einzig der Schnee den er unter seinen Fingern erahnen
konnte fühlte sich angenehm an, doch konnte er das kalte Nass nur durch lederne Handschuhe spüren. Blinzelnd öffnete er seine unendlich schweren Lider, welche ihn noch in Dunkelheit hielten. Doch ein schmaler Streifen des Lichtes zeigte sich ihm und langsam öffnete er seine Augen, kniff sie jedoch wieder als grelles Licht ihm begegnete und so unerträglich grell wirkte, was seine stechenden Kopfschmerzen nur stärker werden ließ. Doch er zwang sich, die Augen wieder zaghaft zu öffnen und erblickte endloses Blau über ihn. Der Himmel war klar und ohne Wolken versehen, doch die Luft so klirrend kalt. Dennoch schwitzte er, war ihm doch so
furchtbar heiß. Seichte sah er Äste von Baumwipfeln, die sich im Wind bogen und den Schnee der auf ihnen lag hinabrieseln ließ. Ein friedlicher Anblick. Aber wo genau bin ich eigentlich? Er konnte sich nicht erinnern, weshalb er hier war. Wieder blinzelte er, versuchte gegen den Sog der Müdigkeit anzukämpfen, der nach ihm mit dunklen Armen griff. Was war mit ihm los? Warum fühlte sich sein Kopf so…leer an? Er versuchte sich vor Augen zu führen, was er tun wollte, wo er war und…Er stockte. Wer…bin ich eigentlich? , fragte er sich und seine Augen weiteten sich leicht. Angst schlich
sich in sein Herz welches schneller zu schlagen begann, als wöllte es seinen Brustkorb sprengen. Er…hatte vergessen! Schwer fiel ihm das konzentrieren als er nach einem Namen suchte. Seinem Namen! Doch sein Kopf blieb leer, als würde alles was vor wenigen Augenblicken geschehen war…was bislang sein Leben war herausgerissen. Ächzend versuchte er sich aufzurichten, sackte jedoch mit einem leisen Wimmern auf den Lippen wieder zurück als gefühlte tausend Schwerter seinen Körper durchbohrten. „Herr!“, tönte eine Stimme etwas neben ihm. Herr? Wen meint er damit? Auf jeden Fall klang diese fremde, tiefe
Stimme sehr besorgt, galt diese Sorge ihm? Oder jemand anderen? Ein starker Arm stütze ihn, sodass er halb saß und halb im dichten Schnee lag. Er blinzelte, versuchte den Schleier der über seinen Augen lag zu lüften um den Mann der ihn hielt genauer zu erkennen. Die graue Mähne stach ihm sofort ins Auge, ebenso wie die riesenhafte Gestalt des Mannes, der ihn besorgt musterte. Wer ist er…? Er dachte angestrengt nach, doch weder Gestalt noch Stimme ließen Erinnerungen in ihm wiederkehren. Dieses Gesicht war ihm fremd. Fremd wie alles hier. Er kniff die Augen wieder zusammen und stöhnte leise. Diese verdammten Kopfschmerzen brachten ihn noch um.
„Herr… ist alles in Ordnung?“, fragte der Hüne. Dass Herr schien eine Anrede zu sein, vielleicht kannte der Mann ihn auch gar nicht. Bin ich ihm ebenso fremd, wie er mir? Verwirrt versuchte er, ruhiger zu atmen doch es fiel ihm schwer und tausende Fragen schwirrten in seinem schmerzenden Kopf herum. Angst schnürte seine Kehle zu. Wer war er? Wo war er?! Und was war hier los, verdammt?! „Ich...weiß nicht…“, krächzte er ehrlich und griff sich an die schmerzende Kehle. Jedes Wort brannte wie Feuer in seinen Lungen und er keuchte schwer. „Wenigstens seid Ihr aufgewacht…“,
meinte der Hüne und klang etwas erleichtert. Aufgewacht? Wie lange war ich bewusstlos? , fragte er sich etwas verwirrt. Warum war er zusammengebrochen? „Du solltest noch kurz liegen bleiben!“, sagte eine andere Stimme, die ebenso besorgt klang. Er blickte auf und sah einen weißhaarigen Mann in gleichfarbiger Kleidung. Doch seine Augen waren so blau wie der Himmel über ihnen. Er kniete sich neben ihn. „Geht es wieder?“, fragte der Fremde warm. Nein, es ging eigentlich gar nichts wirklich… Sein Kopf schmerzte so sehr…doch er wusste nicht weshalb. „Nein…“, keuchte er daher als ihm leicht
schwindelig wurde, da er sich weiter aufrichten wollte. Doch sein Körper protestierte bei jeder noch so kleinen Bewegung und er sackte leicht wimmernd zurück, wurde von dem Hünen mit der Sturmmähne gehalten. Diese beiden Männer…wer sind sie? Kannte er sie? Er wusste es nicht. „Wer…wer seid ihr?“, brachte er leise und rau über die Lippen, verzog das Gesicht vor Schmerz da seine Kehle ihn strafte für seine Worte. Doch er blickte in zwei entsetzte, fassungslose Gesichter. „W-wie bitte?“, brachte der Weißhaarige ungläubig hervor und seine blauen Augen lagen geweitet auf ihm. Sollte er diese
beiden doch kennen? Der Hüne sah nicht minder geschockt aus. „Ihr…erkennt uns nicht?“ Schwach schüttelte er den Kopf, fühlte wie der Schwindel dadurch stärker wurde und schloss kurz die Augen um sich zu sammeln. Schlafen… dieses Wort klang so unglaublich verlockend in seinem Kopf. Der Hüne keuchte entsetzt. „Das soll ein Scherz sein! Ihr… ich bin Baal, das könnt Ihr doch nicht vergessen!“ Entgeistert blickte der Hüne ihn an. Baal also… Nein, dieser Name war ihm neu. Offenbar schien dies in seinem Gesicht abzulesen zu sein, da die Graumähne keuchte. „Er…hat es vergessen.“ Verständnislos
blickte er die Graumähne an. Was habe ich vergessen? Eigentlich wollte er es fragen, doch seine Stimme versagte ihren Dienst und alles was er hervorbrachte war ein ungesundes Röcheln. Seine Finger bohrten sich leicht in den Schnee unter sich als eine neue Welle des Schmerzes seine Sinne flutete. Der Weißhaarige sah noch immer unfähig sich zu rühren auf ihn hinab. „Du weißt nicht…wer wir sind?“, fragte er noch einmal und er seufzte. „Ich….weiß nicht…wer ihr seid …wer ich…bin…“, krächzte er und jedes Wort kam mühsam über seine sich spröde anfühlenden Lippen. Seine Sicht verschwamm wieder. Er hörte, wie beide
miteinander sprachen doch was es war konnte er nicht mehr richtig verstehen. Er wollte nur schlafen. Nichts anderes… „Luc…“ Mehr hörte er nicht mehr. Wohl wollte der Fremde seinen Namen sagen, doch versank er bereits wieder in der tiefen Schwärze die ihn umfing. ~*~ Entsetzt sah Gott auf seinen Bruder hinab, der schwer atmend wieder in einen Schlaf versunken war. Das Fieber machte ihm zu schaffen doch weitaus schlimmer war etwas anderes. „Er hat vergessen…wer er ist!“, keuchte er und konnte nicht anders, als das
verzerrte Gesicht des Teufels anzustarren. Lucifer, der gefallene Engel und Morgenstern hatte vergessen wer er war…wer sie waren. Er hatte es vergessen, Lucifer hatte vergessen wer er ist. Wieder und wieder hallte dies in dem Kopf des Engels wieder und er konnte es nicht fassen. Er hatte alles erwartet als Lucifer die Augen endlich öffnete, doch nicht das. Eine Amnesie. Der Teufel litt an Erinnerungsverlust, ausgelöst durch das Gift… Er hatte gedacht es sollte ihn umbringen, nicht ihn vergessen lassen! „Ich…kann das nicht glauben. Ich will das nicht glauben. Mein Herr….“ Baal war sichtlich erschrocken. Sein Herr dem er treu ergeben war lag nun in
seinen Armen, nichts wissend von der Unterwelt… Aber wie konnte das geschehen? Keiner der beiden Männer wussten es. „Lasse ihn hier liegen wie besprochen, geh und sage den Dämonen Lucifer und ich würden länger als geplant konferieren. Wir müssen einen Weg finden, ihm zu zeigen wer er ist… Ich werde in den Archiven nachsehen, es muss irgendetwas geben.“, sagte Gott und seine Miene nach wieder die kühle Entschlossenheit an, die man von dem Himmelsherrscher erwartete. Baal jedoch trug Lucifer leichthin unter den Schatten einer großen und alten Eiche und lehnte ihn dort an den mächtigen Stamm. So
würde er wenigstens nicht mitten auf der Lichtung liegen und damit leichtes Ziel für irgendwen abgeben… Baal war nicht wohl dabei, seinen Herrn hier zurückzulassen, doch er musste. „Komm schnellstmöglich wieder und kümmere dich um meinen Bruder. Wenn er wieder aufwacht sage ihm, wer er ist und hoffen wir, es bringt etwas…“ Er seufzte, fuhr sich durch das weiße Haar und Baal nickte zustimmend, ließ Lucifer vorsichtig los und blickte auf seine zusammengesunkene Gestalt die sich einem fiebrigen Schlaf hingab. Als Dämon sollte es ihm herzlich wenig ausmachen in der Kälte ein oder zwei Stunden zu verweilen. Er stand auf,
blickte auf Gott herab ehe er sich knapp verneigte und in seine Welt kehrte. Gott sah ihm nach, warf einen letzten Blick auf Lucifer ehe er mit den leisen Worten verschwand: „Was ist hier bloß los?“. ~*~ Caius mochte den Winter sehr. Er war zwar eine sehr kalte Jahreszeit, doch eine der Schönsten wenn man fernab der Städte wohnte, in denen der weiße Schnee braun und verdreckt in die Ecken getragen wurde und nicht mehr als eine matschige Masse war. Hier wo der Wald unberührt blieb weil kaum jemand sich in das Dickicht wagte, spross die Natur zu
jeder Zeit in ihrer vollen Schönheit. So war es seit er denken konnte und so würde es hoffentlich auch immer bleiben. Die braunen, vom alter gezeichneten Augen blickten friedvoll umher, hier und da duckte er sich um den tiefhängenden Zweigen auszuweichen. Fünfzig Jahre lebte er nun schon in diesem Teil der Welt, besaß ein großes Stück Land und seine Felder trugen jedes Jahr reiche Ernte. Gott hielt seine schützende Hand über ihn und seine Frau Dora, hatten sie doch ein verhältnismäßig hohes Alter erreicht, doch für seinen Sohn hatten die Gebete nicht gereicht. Caius Miene wurde trauriger. Noch so jung war er und verstarb an einem schlimmen Fieber,
welches er über einen besonders harten und kalten Winter bekam. Ein ähnlicher Winter wie dieser, doch ohne das Licht der Sonne. Stürmisch grau war er gewesen und die Ernte schlechter. Der Junge hatte es nicht überlebt und damit wurde ein tiefes Loch in ihrer beider Herzen gerissen. Dora, die zuvor das blühende Leben war, versank in Trauer und nun sah man ihr das Alter in dem sonst immer so jugendlich wirkenden Gesicht an. Caius seufzte, strich sich das dunkle Haar zurück welches jedoch mehr grau als alles andere war. Nur noch wenige schwarze Strähnen bannten sich tapfer ihren Weg auf seinem Schopf. „Ganz ruhig meine Liebe!“, raunte er
liebevoll und klopfte seiner weißen Stute Fortune liebevoll auf den Hals. Sie schnaubte bloß und ihr Kopf ruckte leicht zur Seite, als sie den alten Wagen weiter durch den Schnee zog. Es war mühsam und ging langsam voran, doch seine Stute war stark und jung, zog das Gewicht des Holzes welches er im Wald geschlagen hatte. Der Wagen glich mehr einem Schlitten mit dem Kurven die durch den Schnee glitten, doch war dieser Wagen lediglich aus dem Dorf von einem alten Bekannten geliehen und er müsste ihn in wenigen Tagen wieder zurückbringen. Seine Fracht bestand lediglich aus große Äste, etwas zerkleinert, die er von Laubbäumen
abgeschlagen hatte sowie einigen dünnen Stämmen junger Bäume. Der Winter würde lang währen, sie brauchten es um das Feuer warm zu halten. Wärme… Wehmütig dachte Caius an sein trautes Heim, rieb die kalten Finger aneinander als er kurz die Zügel in seinen Schoß legte. Unbequem kalt war der harte Schlitten auf dem er saß und ein kalter Wind wehte, ließ immer wieder Schneemassen von den Bäumen herabstürzen, die dem schweren Gewicht nicht mehr standhalten konnten. Nicht mehr lange, vielleicht noch eine halbe Stunde, würde er bis zu seinem Hof brauchen und er wusste, dass Dora auf ihn mit einem warmen Essen warten
würde.
Doch Caius zuckte aus seinen Gedanken als Fortune begann, nervös zu werden und stoppte, mit den Hufen scharrte und ein Wiehern ausstieß. „Was ist, Fortune? Was hast du?“, fragte Caius besorgt. Wölfe und andere wilden Raubtiere gab es hier eigentlich seltener. Es war eine friedliche Gegend, welche von Kriegen und dergleichen verschont geblieben war. Auch der schwarze Tod, wie man in der Stadt flüsterte, erreichte nie diese entlegene Ecke. Alles was es hier gab waren verschlafene Dörfer und Bauernhöfe, Felder wurden jedes Jahr bestellt und die Familien gingen ihrem regen Treiben nach. Es gab alles was
man zum Leben brauchte und der Frieden der ihnen geschenkt wurde war Kostbar, wenn man bedenkt welch Unruhen es in anderen Ländern gab. Doch nun wollte seine Stute keinen Schritt mehr vorwagen und er stieg ab, strich beruhigend über die Nüstern des weißen Pferdes, blickte sich um auf der Suche, was sie so hätte verschrecken können und ein überraschter Laut entkam seinen Lippen. Die kleine Lichtung die sich im Dickicht auftat war weitestgehend von Schnee bedeckt, doch inmitten dessen unter einer alten Eiche…lag ein junger Mann, gänzlich in schwarz und rührte sich nicht. Schnell war Caius an der Seite des Jungen, er schätzte ihn vielleicht Anfang
oder Mitte zwanzig, und blickte besorgt in das schmerzverzerrte Gesicht. Der alte Bauer ignorierte die sonderbare und edel wirkende Kleidung, fühlte die Stirn des Burschen und fluchte derb. Sie glühte. Ein Fieber, ein sehr hohes wie er erschrocken feststellte. Solch ein Fieber hatte seinen Sohn getötet und nun lag ein junger Mann vor ihm, der im selben Alter schien wie sein Sohn jetzt wohl wäre. Sicher war, dass der Junge Hilfe brauchte. Wie lange er hier wohl im Schnee lag? Der Schweiß auf seiner Stirn fühlte sich eiskalt an und abermals entkam den von einem grauen Bart umgebenen Lippen ein Fluchen. Zurück zu seiner Stute führte er sie neben den
Fremden, sodass er ihn etwas umständlich auf seine Kutsche, besser gesagt seinen Schlitten, hieven konnte. Ihn behutsam zwischen dem Holz setzend betrachtet er kurz den jungen Mann genauer. Er hatte ein schönes Antlitz, seine Haare waren besonders auffallend. Erst schwarz wie eine mondlose Nacht und dann so golden wie der Tag. Er sah aus wie aus edlem Hause, doch was machte ein Adliger in einer solchen Gegend? Woher kam er? Aus der Stadt? Nein, dort hatte er nie eine solch dunkle und bedrohliche Kleidung gesehen, es sah beinahe aus wie die Kleidung eines Generals, entdeckte er doch ein Schwert an der Seite des Jungen. Wie dem auch
sei, er brauchte erstmal Hilfe. Raus aus der Kälte, das musste er. Für Fragen blieb später noch genug Zeit! Wieder auf den Schlitten steigend heizte er seine Stute an, schneller durch den Schnee zu traben. Seine Frau würde definitiv Augen machen, so viel stand fest. Er blickte nochmal über die Schulter zu dem Fremden. Gott war ihm gnädig, dass er grade heute Holz schlagen wollte. Sonst hätte ihn niemand gefunden! Ihm schauderte, als er daran dachte was dem Jungen hätte passieren können, zumal er nicht wusste wie lange er dort schon gelegen hatte. Pferdespuren hatte er keine gesehen, nur ein paar wirre Fußspuren die sich im Nichts verliefen.
Lag er vielleicht seit heute Morgen schon dort? Einzig so würde er erklären, wie keine Spuren zu diesem Ort führten, hatte es doch erst geschneit gehabt und auch in wenigen Stunden würde es wieder beginnen, so glaubte Caius zumindest. Lange würde der klare Himmel nicht anhalten und an den sanften Hügelketten bildeten sich bereits wieder dichte Wolken die ein Schneegestöber ankündigten. Tief in den Gedanken versunken ließ er Fortune nach Hause reiten und schon von weitem sah er das Dach seines geliebten Heimes. Es war ein schönes und großes Haus, welches er von seinem Vater erbte. Es lag seit Generationen in seiner Familie
und würde mit ihm zugrunde gehen. Er seufzte, ehe er Fortune durch den Zaun leitete und mitsamt dem Schlitten in den Stall seiner Stute das Zaumzeug abnahm. Liebevoll klopfte er nochmals auf ihren weichen, starken Hals ehe er das Holz zunächst beiseite lassend den jungen Mann mehr schlecht als recht hochhievte und ihn zur hölzernen Tür schleifte.
Dora, die sein Kommen gehört hatte, öffnete die Tür bereits und keuchte erschrocken auf als sie den Burschen in seinen Armen sah, eilte ihm zur Hilfe ohne dass ein Wort nötig war. Das Zimmer ihres Sohnes war frei, unberührt so wie es früher war, doch nun müsste es
herhalten für den Mann der die Hilfe nötiger hatte. Ihn in das Bett legend betrachtet Dora ihn besorgt und strich sich das hellrote Haar zurück. „Er hat hohes Fieber… wo hast du ihn gefunden?“, fragt sie verwundert, eilte aber bereits aus dem Zimmer. Caius folgte seiner Frau. „Im Wald, Fortune wurde auf ihn aufmerksam und ich sah ihm mitten im Schnee liegen.“, erzählte er und sah zu, wie seine Frau ein Stück weichen Stoff in Streifen riss. „Du bist wirklich eine gute Seele, Caius.“, lächelte Dora liebevoll, hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen und eilte nach draußen um Wasser aus ihrem
Brunnen zu schöpfen. Caius kehrte unterdessen zu dem Jungen zurück, der noch immer schwer atmend auf dem Bett lag, in dem er bereits seinen Sohn verlor und sein Herz krampfte, als er nun ein ähnliches Bild hatte. Nein er würde dafür sorgen dass dieser junge Mann wenigstens am Leben blieb! Dora ließ unterdessen den Eimer hinab in den tiefen Brunnen. Ein Wunder, dass das Wasser noch nicht zugefroren war! Mit einem hölzernen Eimer voller eiskaltem Wasser wiederkehrend goss sie einen Teil in die Schale, ließ die Stoffstreifen hineingleiten und kehrte mit dem Wasser zu dem Zimmer ihres Sohnes zurück. Sie presste ihre Lippen zusammen als dieser
schwarzhaarige Mann auf dem Bett mit selbigem zu kämpfen schien wie ihr Junge damals. Sie besaßen sogar eine ähnliche Statur und schienen im selben Alter, würde ihr Junge jetzt noch leben. Sie seufzte, stellte die Schale auf dem hölzernen Schränkchen ab und begann, die Stirn des Fremden abzutupfen. „Er sieht stark aus. Er wird es schaffen.“, sagte Caius leise und begann, seiner Frau dabei zu helfen den Jungen aus den kalten und mittlerweile feuchten Sachen zu befreien. Dora verließ kurz den Raum als er dem Kranken etwas von seinem Sohn anzog. Danach hüllte er ihn in eine warme Decke und breitete das Stofftuch auf seiner heißen Stirn aus.
Wenigstens ging jetzt sein Atem etwas ruhiger. Der Junge sah in seinen Augen ziemlich stark aus, sein Körper war schlichthin perfekt.
Als er die Kleider betrachtete stutze er bei dem dunklen, lederartigen Oberteil welches einem Brustpanzer glich. Dazu der schwarze Mantel, dessen Schultern mit dunklen Federn versetzt waren… Die Stiefel die bis zu den Knien reichten und mit silbernen Spitzen die gefährlich wirkten...und zu guter Letzt das Schwert. Prüfend zog er die Waffe aus der schwarzen Scheide und betrachtete erstaunt die sonderbare, lange und leicht gebogene Klinge. Knapp oberhalb des Griffes gab es Einbuchtungen im
Schwert, ließen sie gewellt scheinen, doch als er genauer hinblickte erkannte er den roten Drachen, der sich um die dunkle Klinge schlang. Seine Flügel bildeten den Griff und aus seinem Maul schoss eine purpurne Flamme die sich bis hin zur Spitze der Schneide erstreckte. Eine wundersame Klinge, wunderschön verziert und doch strahlte sie etwas Gefährliches aus, als würde eine andere Macht in ihr wohnen. Es wieder zurück in die Scheide steckend lehnte er es erst einmal an den hölzernen Schrank in die Ecke des Raumes. Vorerst würde es sein Gast nicht benötigen. Doch lag nahe, dass er ein Soldat oder ähnliches war. Doch welche Armee führte solche
dunklen Krieger? Prüfend blickte er in das schlafende, fiebernde Gesicht des jungen Mannes. Ob er getötet hatte? Und wenn ja auf welchen Seiten kämpfte er? Caius seufzte. Er würde sich gedulden müssen… Er blickte auf als Dora zu ihm kam und sanft ihre Arme um ihn legte. „Er ist so alt wie unser Junge.“, flüsterte sie hörbar traurig. Caius nickte leicht. „Ja, das ist er. Hoffen wir, dass ihm Gott gnädiger ist als unserem Jungen. Lassen wir ihn jetzt schlafen, er braucht viel Ruhe.“ Damit blickte das ältere Ehepaar auf den Schwarzhaarigen, der sich dank der Kühle des Tuchs langsam zu entspannen schien und verließen den Raum. Die Tür ließen sie offen für den
Fall, dass etwas sein sollte oder der Junge erwachte.
gela556 Gift und Fieber waren von je her des Menschens größter Feind gewesen, da brauchte man oft kein Ungetier mehr, um jemanden etwas schlechtes antun zu können. Bei so vielen Seiten, braucht man schon ein wenig Zeit um ganz in Ruhe es lesen zu können. Hat mir sehr gefallen GlG, Gela |
HeavenLumen Huhu Gela :) Nun kurz sind meine Romane auch nicht, doch dafür kann man sie ja in Ruhe genießen und Stück für Stück lesen. Fieber ist der ärgste Verwandte des Todes, und ausgerechnet ein gottesgleiches Wesen fällt dem anheim. Doch welche Auswirkungen das ganze hat, hätte niemand ahnen können. Danke für einen weiteren lieben Kommentar von dir! Liebste Grüße, Heaven |