Das Schlagen von mächtigen Flügeln durchdrang die klare, kühle Luft. Vereinzelte weiße Federn glitten schwerelos hinab zu dem kristallenen Boden, welcher sich viele Meter unterhalb des Besitzers der Flügel befand. Keineswegs gehörten diese großen Federflügel, denen eines Adlers gleich, einem Vogel. Im Gegenteil. Diese Flügel endeten an den Schulterblättern eines Mannes, der ein anziehendes und schönes Antlitz besaß. Seine blonden, in alle Himmelsrichtung wehenden Haare kitzelten sein makelloses Gesicht, dessen tiefblauen Augen ernst und voller Sorge seinem Ziel entgegenblickten. Der Engel, gekleidet in ein edles und dennoch in schlichtem Weiß gehaltenem Gewand, flog mit schnellen Flügelschlägen auf das Heiligtum der hohen Himmel zu. Das Heiligtum, in dem das Wesen, welches die Menschen als Gott bezeichnen, hauste.
~*~ Ein hohes Bauwerk, geschaffen durch die Hand Gottes selbst, ragte in den tiefblauen Himmel empor und strahlte in dem Licht der ewigen Sonne in all möglichen Farben. Man könnte meinen, es wurde aus reinem Glas oder Kristall erbaut. Die Außenfassade war so schön und sah zugleich so zerbrechlich aus, dass man Angst haben musste, die Wände auch nur zu berühren. Wortlos wurde das zweiflügelige, eisblaue Tor von den Wachen, in dessen Hände Speere mit Silber funkelnden Spitzen lagen, geöffnet. Ohne den Wachen auch nur eines Blickes zu würdigen flog der Engel durch das hohe Tor und landete sachte auf dem weißen Marmorboden. Die großen Flügel falteten sich wie bei einem Vogel zusammen. Mit schnellen Schritten lief er durch die große, reich verzierte Halle. Aber für
jeglichen Schmuck und anderen wertvollen Verzierungsgegenstände hatte der Engel keine Zeit. Am Ende der großen Halle stand ein Thron. Beim ersten Hinsehen glich er einem Thron bestehend aus Eis, da er in einem hellen Blau strahlte. Aber wenn man genauer hinsah, widerlegte sich diese Annahme ganz schnell wieder. Etwa einen halben Meter über den Boden wurde der weiße Thron mit verschlungen Ornamenten von einen kristallartigen Gebilde eingeschlossen, zu dem gläserne Stufen emporführten. Der Engel schluckte schwer und atmete tief durch. Viel imposanter als dieser stattliche Thron wirkte die Gestalt darauf. Unmittelbar vor dem kostbaren Gebilde ging der Engel demütig in die Knie und neigte sein Haupt ehrerbietend.
„Mein Herr…“ Seine Stimme klang bebend und angespannt. Das Zittern seines himmlischen Körpers verriet seine Furcht und seine Sorge vor dem, was er zu
berichten hatte. „Raphael. Dein Gemüt ist aufgewühlt, fragt sich nur warum.“ Die tiefe und doch so sanfte Stimme ließ den Engel angenehm erzittern. Die Stimme von Gott selbst sprach zu ihm. Selbst für ihn, als Erzengel, war dies eine unsagbare Ehre. Der Engel wagte es, seinen Blick zu heben und wurde gleich von den goldfarbenen Augen seines Herrn gefesselt. Mächtige Wogen aus reinem, goldfarbenem Licht formten sich zu seinen Flügeln, welche nicht aus Federn wie die eines normalen Engels bestanden. Seine Augen glichen der Farbe des hellen Lichtes der Sonne, seine langen Haare dem reinen weiß einer makellosen Seele. Jeder, der dieses erhabene Wesen auch nur zu Gesicht bekam, erlag der Ausstrahlung von Macht, Wärme und Weisheit. Auch Raphael wurde sogleich beruhigt und vergaß für einen Moment seine innere Aufruhr. „Es geht um das Mädchen, Eure Hoheit…“, begann der Erzengel und spürte erneut, wie
Sorge gemischt mit Furcht in ihm aufstieg. „Wie befohlen haben wir dieses Mädchen, reiner als das Licht selbst, in der Menschenwelt bewacht. Unsere Männer haben alles getan, was in ihrer Macht stand, aber… Dieses Mädchen, welches Eure Gemahlin werden sollte…“ Raphael’s Stimme versagte kurz ihren Dienst. Er rang mit sich selbst, fürchtete sich vor dem Zorn seines Herrn und der Engel wusste selbst nicht, was zu tun war. Demütig senkte er erneut sein Haupt und verkrampfte etwas in seiner knienden Stellung. Sein Herrscher erhob sich anmutig von seinem Thron und trat mit langsamen Schritten die gläsernen Stufen hinab, bis er vor seinem erschaffenen Geschöpf zum Stehen kam. Sanft legte er seine behandschuhten Hände auf die bebenden Schultern des Engels. „Zweifel und Angst sind Gefühle, die hier in mein Reich nicht gehören. Sag, was geschehen ist.“, befahl er. Innerlich
verspürte er jedoch eine leise Unruhe, ausgelöst durch die Worte seines Engels.
Was war mit dem Menschenmädchen, welche er als seine Herrscherin im Himmel ausgewählt hat, geschehen?
Raphael atmete tief durch und sah erneut zu Gott auf. Selbst dessen schönes Antlitz konnte die Furcht vor den bevorstehenden Worten nicht mindern. Raphael‘s Stimme zitterte während er die verdammten Worte aussprach.
„Euer Bruder hat das Mädchen gefunden. Sie… man hat sie entführt! Sie ist in der Unterwelt bei…bei Eurem Bruder. Bei..L-Lucifer!“
Duriel verspürte seit Beginn des Tages en merkwürdiges Gefühl; ausgelöst durch die ungute Vorahnung dass dieser wunderbare Tag zunichte gemacht werden sollte. Seine grauen Augen blickten voller Sorge zu dem reinen Geschöpf, welches er unter allen Umständen beschützen musste. Die weißen, hüftlangen Haare des Mädchens erinnerten ihn an frischgefallenen Schnee. Der zierliche Körper, verhüllt durch ein ebenso weißes Kleid, ließ sie so unschuldig und zerbrechlich aussehen, dass man Angst haben könnte, sie mit jeder Berührung zu zerbrechen oder gar
zu verderben. Die mitternachtsblauen Augen blickten freudestrahlen zu ihm herüber und lächelnd winkte sie ihm zu. Duriel konnte nicht anders, als dieses herzensgute Lächeln zu erwidern. Diese gleißend helle Aura, die dieses Mädchen umgab, machte ihm mehr als einmal die unglaubliche Stärke ihrer reinen Seele klar. Und genau wegen dieser Seele wurde Duriel hierhergeschickt. Sein Herr verlangte von ihm, einem Geschöpf der erhabenen Himmel, dass er alles daran setzte dieses wehrlose Mädchen zu beschützen. Duriel war ein Engel, man könnte ihn als einen Schutzengel beschreiben, der im Auftrag Gottes die zukünftige Herrscherin des Himmels vor
allen Schäden bewahrte. In der Menschenwelt war er jedoch lediglich als Daniel, ein guter Freund der Familie, bekannt. Sein Äußeres ließ nicht darauf schließen, dass sich ein Engel unter den Menschen befand. Hellrote Haare sind am Rücken zu einem Pferdeschwanz gebunden und umgeben ein makelloses Gesicht, dessen grauen Augen eine Weisheit ausstrahlten, die man selten in den Augen eines Menschen erblicken konnte. Gedankenverloren und mit sorgevollem Gesicht sah der Engel permanent aus dem Fenster durch das warme Strahlen der Sonne hineinschienen. Diese dunkle Vorahnung eines Unglücks beschlich ihn
immer wieder aufs Neue und dennoch vermochte er nichts Bedrohliches zu erkennen. Das Haus der Familie Lumen war gefüllt mit Freunden und Verwandten des Mädchens, niemand der eine Gefahr darstellen könnte. Unbeschwertes Gelächter und vergnügte Gespräche erfüllten die Luft; soweit eigentlich alles friedlich. Duriel legte seine Hand an seine Schläfe und versuchte, dieses beklemmende Gefühl loszuwerden. Diese dunkle Aura machte ihm zu schaffen, dabei war sein Misstrauen doch völlig unbegründet! Immerhin war doch dieser Tag ein Tag der Feier und der Freude. Die zukünftige Gemahlin des Herrn feierte immerhin
ihren siebzehnten Geburtstag. „Daniel? Alles in Ordnung?“ Etwas erschrocken fuhr der Angesprochene aus seinen Gedanken hoch und widmete seine Aufmerksamkeit dem Mädchen zu. Das sanftmütige Lächeln auf ihren Lippen und der warme Blick aus diesen tiefblauen Augen beruhigten den Engel merkwürdigerweise. Sein Herr hatte eine gute Wahl getroffen. Dieses Mädchen war wirklich so rein wie das Licht selbst. Ironie, dass ihr Nachname eben dies bedeutete. Lumen, das lateinische Wort für Licht. „Mir geht es gut. Ich war nur in Gedanken, lass dir von mir nicht die Feierlaune verderben, Serah.“, wank er
ab und setzte eine fröhliche Miene auf. Gelogen waren seine Worte nicht. Sie verschleierten nur die wahren Gründe seiner Besorgnis. Erleichtert lächelte das Wesen vor ihm. „Ich möchte aber, dass du ebenso glücklich bist. So ein ernstes Gesicht passt doch gar nicht zu dir! Na komm, vergiss deine Sorgen und Feier mit Eric und mir.“, sagte die Weißhaarige feinfühlig und zog Duriel ohne eine Antwort abzuwarten mit sich. Dieser schüttelte nur den Kopf über sich selbst. Sie hatte recht. Es brachte ihm nichts außer Kopfschmerzen, sollte er sich noch weiter Gedanken über ein unbegründetes Gefühl der Sorge machen. Das Mädchen
zog den Engel in Menschengestalt mit sich bis sie vor ihrem Bruder Eric zum stehen kam. Die Geschwister unterschieden sich wie die Nacht vom Tag voneinander. Während Serah so hell und strahlend wie der Tag selbst war, so unterschied sich Eric so dunkel wie die Nacht selbst von ihr. Seine schwarzgefärbten Haare hingen etwas verstrubbelt in sein Gesicht während die braunen Augen wachsam und doch so freundlich den Ankommenden entgegenblickten. Auch wenn Eric äußerlich dem dunkleren Typen glich, so war er doch ein herzensguter Mensch. Und nebenbeigesagt der Einzige, der über Duriel’s wahre Identität wusste.
„Scheinst wohl nicht gerade in Feierlaune zu sein, was Daniel?“, fragte Eric leise und nur für den Engel hörbar, als seine Schwester soeben von ihrer Mutter kurzzeitig abgelenkt wurde. Seine Betonung lag besonders auf der Nennung des menschlichen Namens. Duriel seufzte leise und strich sich eine hellrote Haarsträhne aus dem Gesicht. „Tu mir einen Gefallen und achte Heute auf deine kleine Schwester.“, wisperte er zurück. Eric spannte sich leicht bei diesen Worten an. Ein fragender Blick bohrte sich in die grauen Augen des Engels. Duriel erwiderte Nichts weiter, da in diesem Moment Serah
zurückkehrte. „Ich finde es hier ziemlich überfüllt. Wollen wir uns nicht ein bisschen die Beine vertreten?“ Glänzende blaue Augen sahen schon beinahe flehend zu beiden Männern auf. Eric zog fragend eine Braue hoch, dessen Folge lediglich ein helles Lachen von Serah war. „Das Geburtstagskind verlässt seine eigene Feier?“ Skeptisch musterte Eric seine Schwester, die nur lachend mit den Augen rollte. „Ich habe alle Glückwünsche abgefangen und langsam kann ich keine Torte mehr sehen. Bitte!“ Mit einem unwiderstehlichen Lächeln auf den Lippen brachte Serah die beiden Männer
zum schlucken. Sie verfehlte ihre Wirkung nicht. „Ich hasse es, wenn du das machst!“, seufzte Eric resigniert. Duriel schmunzelte nur darüber. Ein triumphierendes Lächeln legte sich auf Serah’s Lippen, wissend, dass sie dieser lauten Feier nun entkommen konnte. Sehr zu Duriel’s Missfallen schlenderten sie kurze Zeit später in einem nicht weit entfernten Park. Eric und Serah unterhielten sich ausgelassen, machten hier und da Späße und wieder konnte Duriel das sanfte Strahlen ihres Körpers vernehmen, wenn Serah lachte. Diese Wärme war es, die Engel zu diesem
Menschenkind geführt hat. Diese Wärme wird es sein, die bald schon den Himmel erfüllen würde. So dachte es Duriel… Wie sehr er sich doch irrte! ~*~ Kühles, klares Wasser umspülte Serah’s nackte Füße, deren Schuhe achtlos neben ihr im Gras lagen. Die warme Sonne strahlte auf die kleine Gruppe am See, den Zentrum des Parks, hinab. Helle Lichtpunkte tanzten über der Wasseroberfläche, die sich in der sanften Brise kräuselte. Serah genoss dieses kleine Naturschauspiel mit einem versonnenen Lächeln. Es tat so unendlich
gut, sich der lärmenden Menge zu entziehen und hier ein paar ruhige Augenblicke mit den ihr lieben Menschen zu verbringen. Daniel sowie Eric waren die Einzigen, die Serah wirklich verstanden. „In genau einem Jahr darf ich dich dann nicht mehr als Kind sehen, was?“, durchbrach Eric’s Stimme die herrliche Stille, welche einzig durch die Laute der Natur ausgefüllt wurde. Serah kicherte hinter vorgehaltener Hand. „Wohl wahr. In einem Jahr bin ich achtzehn. Dann ist deine kleine Schwester offiziell Erwachsen.“, grinste sie vergnügt. Eric gab ein tiefes, beinahe bedauerndes Seufzen wieder.
„Schade, dabei wollte ich dich doch noch länger wie ein kleines Mädchen behandeln.“, meinte er theatralisch und kniff Serah in die Wange als wäre sie eine Zehnjährige. Empört öffnete diese den Mund, während Daniel sich ein Lachen nicht länger verkneifen konnte. „Daniel, hilf mir!“ Serah sah hilflos zu dem lachenden Mann, der für sie eher einem Onkel als einem Familienfreund glich. Daniel grinste nur amüsiert mit unschuldig erhobenen Händen. „Wie soll ich dir helfen, wenn dein Bruder Recht hat?“
~*~
Ihre spaßige Unterhaltung wurde unsanft unterbrochen. Die eben noch so warme Sonne verschwand hinter einem undurchdringbaren Vorhang aus Dunkelheit. Daniel spannte sich augenblicklich an und Eric zog Serah beschützend zu sich. Alle Blicke galten den Himmel, der pechschwarzen Wolken zum Opfer fiel. Mit einem spitzen Schrei riss Serah ihre Füße aus dem Wasser, welches augenblicklich zu Eis gefror. „Was zur Hölle geht hier vor sich?!“, keuchte sie. Eric zog das Mädchen nur stumm nach oben und hielt sie nach wie vor fest. „Hölle ist das richtige Wort
hierfür…Eric, bring Serah hier weg!“ Daniel’s Stimme zitterte förmlich vor unterdrückter Wut. Sein gesamter Körper schien angespannt zu sein. Ängstlich sah Serah abwechselnd zu Eric und Daniel. Sie verstand rein gar nichts mehr, was keinen der beiden Männer zu kümmern schien.
Ehe Eric auch nur einen Fuß setzen konnte, verdichteten sich die wabernden Schatten die über den See auf sie zukamen zu einer Gestalt. Eric’s Griff um die schmalen Schultern der Weißhaarigen verhärtete sich unwillkürlich, als lodernde Flammen aus dieser Schattengestalt herausschlugen.
Flammenzungen leckten nach allen Seiten; versengten alles was sich in ihrem unmittelbaren Umfeld befand. Leblose Asche blieb zurück. Serah’s Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei und mit vor Schreck geweiteten Augen starrte sie der Gestalt entgegen. Aus den Schatten offenbarte sich nun ein Mann, oder etwas, was dem am Nächsten kam. Tiefrote Augen begutachteten die Anwesenden, schmale Lippen verzogen sich zu einem freudlosen Lächeln sodass messerscharfe Reißzähne an den Seiten der Oberlippe hervor lugten und mit raubtierartigen Schritten trat der Schatten auf die kleine Gruppe zu. Der Körper dieses Wesens war nach wie vor
in dunkle Schatten gehüllt, als wären diese eine zweite Haut die sich um ihn legte. „Duriel, lange nicht gesehen.“ So kalt wie das Eis, welches den See bedeckte, sprach die Stimme zu ihnen. Serah erzitterte bei dem schneidenden Klang dieser unmenschlichen Stimme. Daniel unweit neben ihr, blickte mit einer Mischung aus Hass und Zorn zu diesem Geschöpf der Nacht, von dessen Körper eine schier unerträgliche Hitze ausging. „Sieh an, der Abgesandte des größten Abschaums der Welt… Hallo Mephisto.“, sprach Daniel trocken mit hörbarer Abneigung. „So freundlich wie immer, nicht wahr?“,
spottete der Dämon keineswegs beleidigt. Diese Stimme behagte Serah ganz und gar nicht, doch ihre Gedanken kreisten gerade um eine andere Sache. Duriel… Mephisto… Diese Begriffe stammten alle aus der Bibel. Aber das konnte nicht sein, unmöglich! Sie musste Träumen… Das konnte nicht wahr sein! Ungläubig wandten sich diese blauen Augen dem Mann zu, den sie bisher nur als Daniel gekannt hatte. Dieses Wesen, welches unaufhörlich näher kam, bezeichnete Daniel als Duriel? Duriel, dem Schutzengel?! Nein, Serah war sich sicher, dass all dies ein verrückter Traum sein musste, aus dem sie gleich wieder erwachen würde.
„Ich bezweifle, dass du hergekommen bist um dich mit mir zu unterhalten, Mephisto.“ Daniel trat einen Schritt vor; positionierte sich somit direkt vor Serah und Eric. „Daniel?!“, rief sie verwirrt, ja beinahe verzweifelt, aus. Daniel ignorierte sie jedoch einfach und widmete seine gesamte Aufmerksamkeit Mephisto. „Ich bin gekommen, um das zu holen was uns gehört!“, säuselte unterdessen der Dämon und streckte symbolisch seine Hand, die wohl eher einer Klaue mit ihren scharfen pechschwarzen Nägeln glich, in Serahs Richtung aus. Daniel ließ ein leises Knurren von sich hören.
„Sie wird sich nicht den Schatten zuwenden, ihr Platz ist neben meinem Herrn!“ Serah verfolgte mit Neugierde und Furcht diese Konversation, auch wenn deren Inhalt sie zunehmend verwirrte. „Da irrst du dich, Duriel. Die reine Seele wird ihren Weg in die Hölle antreten und du wirst nichts dagegen unternehmen können!“ Jedes seiner Worte ließ die Luft erzittern. Eine Hoffnungslosigkeit erfasste das sonst so fröhliche Mädchen; ausgelöst durch die dunkle Stimme des Teufels vor ihnen. Mephisto stieß nach dieser Erwiderung lediglich ein Wort in einer ihr
unbekannten Sprache aus, sodass mehrere glühend heiße Feuerbälle auf Daniel zuschossen. Laut schrie Serah Daniels Namen aus, bevor ihre Stimme entsetzt stockte. Daniel glich nicht mehr dem Mann, der er zuvor gewesen war. Große Federflügel breiteten sich an seinen Schultern beginnend aus. Ein heller Blitz blendete Serah sodass sie die Augen schließen musste. Ein Windhauch war zu spüren ehe sich Duriel mit einem einzigen Flügelschlag in die Luft erhob und die Feuerbälle sich in Nichts auflösten. Serah’s Gesichtszüge entgleisten. Ungläubig blinzelte sie und sah zu dem Mann, der sich vor ihren Augen als Engel offenbart hatte. Sanfte
Wogen aus Licht umgaben ihn wie ein Netzt, welches sich kläglich gegen die aufkommenden Schatten wehren wollte. „Verdammt Eric, nimm Serah und verschwinde von hier!“, rief Duriel erneut mit wachsendem Unmut. Warum tat ihr Bruder nicht, was er von ihm verlangte?! Eric, der Serah noch immer festhielt, kicherte plötzlich dunkel. Serah erstarrte bei dem plötzlichen schmerzhaften Griff um ihre Schultern und riss ihren Kopf ruckartig herum. Die braunen Augen ihres Bruders färbten sich nunmehr blutrot als er grinsend seine Reißzähne offenbarte. Seine Nägel färbten sich so
Schwarz wie eine Mondlose Nacht, spitzten sich und bohrten sich letztendlich in die zarte Haut des Mädchens, dessen Augen sich nun mit Tränen füllten. Schwarze Flammen zügelten an dem Körper von Eric empor, hüllten ihn ein und zogen sich wieder zurück um seine wahre Gestalt zu offenbaren. Seine Haut wirkte um einiges dunkler als zuvor, die lockere Jeans sowie sein Hemd waren nun einem schwarzen, ledernen Gewand gewichen, dessen Schulterblätter sowie Stiefel mit silbernen Dornen versehen waren. Dunkelheit umgab ihn wie ein Umhang, der zugleich eine unmenschliche Kälte ausstrahlte die Serah augenblicklich
lähmte.
„Eric…“ Serah’s Augen weiteten sich und sie fühlte sich der Ohnmacht nahe. Das war nun wirklich zu viel für sie! „Eric hier, Eric da. Dein Bruder existiert schon seit einiger Zeit nicht mehr, Menschenweib!“, säuselte das Wesen bedrohlich sanft. Serah’s Knie gaben nach. Ihre Lippen formten den Namen ihres Bruders. Duriel’s Reaktion war nicht minder anders. Mit blankem Entsetzen starrte er Eric, oder besser gesagt den Dämon, an. Seine Lippen formten stumm das Wort „Unmöglich“, ehe er von einer weiteren Detonation, geschleudert von Mephisto,
direkt ins Herz getroffen wurde. Die Unaufmerksamkeit, ausgelöst durch die Offenbarung des Feindes, brachte ihm den Tod. Seine grauen Augen weiteten sich entsetzt, ehe er in der Luft zusammensackte und das Licht, welches eben noch seinen Körper einhüllte, erlosch. Dumpf prallte der leblose Körper des Engels auf den Erdboden auf. Das einzige, was nun zu hören war, war der langgezogene Schrei der Weißhaarigen, sowie das finstere Lachen von Duriel’s Mörder. „Bring sie zum Schweigen und beeil dich. Unser Herr wartet bereits auf seinen neuen Juwel.“ Mephisto’s unmenschlichen Augen legten sich auf
die Gestalt des geschockten Mädchens. Ein boshaftes Lächeln zierte seine Lippen. Es ist das letzte, was Serah sehen konnte, bevor alles um sie herum in tiefe Finsternis getaucht wurde.
Eisige Kälte. Diese, und nicht mehr, erfüllte diesen Ort der Grausamkeit und des Schmerzes. Von Feuer oder Flammen keine Spur. In Schulen sowie Kirchen wurde die Unterwelt immer als Flammenhölle bezeichnet. Aber wie sollte ein Mensch, dessen Leben in der Menschenwelt beginnt und endet jemals wissen, wie die Hölle wirklich war? Lediglich mutwillige Spekulationen haben ein Bild der Angst erschaffen, die eng mit dem Begriff der Hölle verknüpft ist. Feuer, Lava oder gar Vulkane? Fehlanzeige. Nur wenige Hitzequellen durchzogen die verwüsteten
Landschaften. Der Himmel erstrahlte nicht in einem hellen blau, wie in der Menschenwelt, glich auch nicht dem lichtdurchfluteten Himmel des Gottesreiches. Schwarz war die Farbe der wabernden Schatten, die sich über den gesamten Himmel verbreiteten. Undurchdringbare Dunkelheit die jedoch von einem violetten Schein durchbrochen wurden. Wild umher wirbelnden Schatten mischten sich mit violetten flammenartigen Wogen, die spielerisch durch die Finsternis zuckten. Der Boden war nichts weiter als Obsidian der scharfkantige Felsen offenbarte, an dessen Kanten man sich mit der leisesten
Berührung schneiden konnte. Zwischen diesen scharfkantigen Felsen flossen vereinzelte Ströme aus flüssigem Feuer. Die einzigen Hitzequellen in dieser unmenschlichen Umgebung; strahlten jedoch nicht genügend Hitze aus um die beklemmende Kälte dieser Gegend zu mindern. Dieser Ort, bei dem einen als Hölle, bei einem anderen als Unterwelt bekannt, wurde mit Leben erfüllt. Keineswegs dem frohen Leben der Menschenwelt gleich. Keine Vögel durchzogen den Himmel und erfüllten die Luft mit ihrem lieblichen Gesang. Fliegende Wesen gab es. Mit Schönheit und lieblichen Gesang konnte man sie jedoch nicht verbinden.
Als wären die Albträume der Menschen lebendig geworden, durchzogen monströse Gestalten die unwirklichen Lande und deren Lüfte.
~*~
Von all dem bekam Serah jedoch nichts mit. Das konnte sie auch nicht. Ihr Körper fand sich nach dem Ereignis im Park in einer dunklen Halle wieder. Violette Flammen tauchte die Halle, deren Wände in unwirklichen Glanz schimmerten, in ein mehr oder minder helles Licht. Direkt vor dem pechschwarzen Thron, ähnlich dem des Himmelherrschers nur durchzogen von
all dem Hass, dem Feuer des Zorns und den gequälten Seelen der Sünder, des Herrschers dieser Welt fand sich die Weißhaarige wieder. Von Mephisto, der sie grob am Arm gepackt hielt, wurde sie durch einen Tritt in ihre Kniekehlen zu einer ungewollten Verbeugung gezwungen. Mit tränengefüllten Augen sah die Weißhaarige am ganzen Leib zitternd zu der Person, welche auf sie herabschaute. Und stutze. Sie hatte eine Bestie erwartet, ein scheußliches Ungetüm zu dessen Leibgarde dieser Dämon neben ihr gehörte. Was sie erblickte, brachte sie kurzzeitig aus dem
Konzept. Glühende Rubine, in denen das Höllenfeuer selbst loderte, betrachteten geringschätzend das kauernde Wesen vor ihnen. Blasse, verführerische Gesichtszüge verzogen keine Miene, sodass er eher einer edlen Statur glich. In einem passenden Kontrast zu der beinahe weißen Haut rahmten tiefschwarze Haare das Gesicht ein, die über die Schultern hinab fielen. Seine Diener und rechte Hand hatte dieses wimmernde Geschöpf soeben vor seinen Füßen abgelegt. Mit einem ungeduldigen Schwenker seiner blassen Hand, dessen Nägel ebenso gespitzt und pechschwarz
waren wie die von seinem Diener, scheuchte der Rotäugige Mephisto hinaus. Er wollte allein mit diesem Menschlein sein. Mit einer tiefen Verbeugung entschwand Mephisto dem Raum und nachdem seine hallenden Schritte verklungen waren, herrschte eisige Stille. Die tiefroten Augen glitten prüfend über die Gestalt des zierlichen Menschenweibes. Dies sollte also die Auserwählte des Himmels sein. Auf den ersten Blick schien sie nichts Besonderes zu sein. Ein Mensch wie jeder andere auch. Er konnte ihre Furcht spüren, ihre grenzenlose Angst vor ihm und den Ort an den er sie hat bringen lassen. Wie sehr er doch diese Furcht, ausgelöst
durch sein Reich und seiner Erscheinung, liebte. Wobei sein äußerliches Erscheinungsbild leider viel zu sehr an sein früheres Selbst erinnerte. Die schmalen Lippen verzogen sich zu einem boshaften Lächeln. Scharfe Reißzähne, Fängen eines Vampires gleich, zeigten sich in ihrer vollen Pracht. Mit Genugtuung vernahm der Dämon das rasende Herz seiner Beute. Wie herrlich, dabei hatte er noch nicht einmal angefangen. Bedächtig erhob er sich von seinem Thron und schritt mit laut hallenden Schritten auf das Menschenweib zu. Die Absätze der Stiefel hinterließen ein klackendes Geräusch, welches in dieser eisigen
Stille beinahe unerträglich laut wirkte. Sein schwarzes, ledernes Gewand passte sich jeder seiner raubtierartigen Schritte an und der gleichfarbige Mantel raschelte leise, als er schlussendlich vor dem kauernden Geschöpf zum stehen kam. Dieser Blick, er war einfach herrlich. Diese Angst gemischt mit Verwirrung und Erstaunen. Was hatte sie erwartet? Einen Höllenhund oder ein feuerspeiendes Ungetüm? Menschen konnten so unsagbar naiv und dumm sein. Konnten? Nein, sie waren es wohl eher. Dennoch konnte der Dämon etwas anderes in diesen tiefblauen Seelenspiegel erkennen, jedoch nicht
genauer sagen, was es wohl war. Stumm bewegten sich die Lippen des weißhaarigen Mädchens, dessen Gestalt sofort verbrennen würde, sollte er Hand an sie legen. Zumindest ließ ihr zierlicher Körper diesen Anschein erwecken. Das Mädchen schien endlich ihre Sprache wiederzufinden. Eine leise, dennoch deutliche Stimme verlässt ihre Lippen. „Wer bist du? Was willst du von mir?“, fragte das Menschenkind ängstlich. Der Dämon gab nur ein dunkles Kichern von sich, was seiner Beute einen sichtbaren Schauer über den Rücken jagte. Sie zitterte, nein, sie bebte förmlich. Kluges Kind, es wäre närrisch gewesen, wenn sie
keine Angst gehabt hätte! Aber wo blieben seine Manieren? Vorstellen sollte er sich seinem „Gast“. „Wer ich bin?“, säuselte der Schwarzhaarige. Seine Stimme klang dunkel und war doch so sanft und seidig, dass man ihr sogleich verfallen könnte. Serah war sich noch nicht sicher, ob sie nicht doch Opfer eines skurrilen Traumes war. Widerlegt wurde diese keimende Hoffnung jedoch permanent von diesem entsetzlich realen Gefühl der Furcht. Serah konnte und wollte nicht verstehen was hier vor sich ging. Sie konnte nur hoffen, dass dieser Herr vor ihr die nötigen Antworten liefert. Vorsichtig
nickte sie auf seine rein rhetorische Frage. Dieser Dämon gab nur ein abfälliges Geräusch von sich. „Nec Deus Nec Arch Angelus.“, sprach er aus, jedoch in einer Sprache die Serah zuvor noch nie vernommen hatte. Trotz dessen verstand sie jedes Wort. Weder Gott noch Erzengel. Ihr Herz schien aussetzen zu wollen. Es konnte sich nicht entscheiden, ob es hart und schnell gegen ihren Brustkorb schlagen oder lieber für immer still stehen sollte. Seine Worte hallten in ihrem Kopf wieder. Als wäre das nicht schon schlimm genug, beugte sich das Wesen mit erstaunlich menschlichen Zügen zu ihr hinab und legte seinen
blassen Finger unter ihr Kinn. „L…Luc…“, stotterte Serah ungläubig. Der Dämon grinste boshaft. „Na los, sag meinen Namen, Menschenweib.“, säuselte diese verführende Stimme leise. Serah schluckte schwer. Jetzt verstand sie warum man sagte, dass man sich den Verführungskünsten eines Teufels nicht entziehen kann. „Du…bist Lucifer…?“ So gut wie es ihr möglich war, versuchte sie das Zittern ihrer Stimme zu verbergen. Der Dämon vor ihr grinste nur eine Spur breiter. Damit hatte Serah Gewissheit. Vor ihr stand Satan persönlich. Das Chaos selbst, die Sünde in Gestalt eines gefallenen
Engels, der Tod und das Verderben jeder reinen Seele. Ein erschrockenes Keuchen flieht von ihren Lippen. Lucifer sah zufrieden zu, wie sich der schmächtige Körper augenblicklich anspannte, ihr jegliche Gesichtszüge entgleisten und eine neue Woge der Furcht sie übermannte. Sein Name allein reichte aus, um selbst die Engel des hohen Himmels vor Furcht erstarren zu lassen. Es war nicht anders von diesem Menschlein zu erwarten, verband man doch alles Übel der Welt mit seinem Namen. „Ganz recht, kleines Mädchen.“ Um seine Worte zu unterstreichen offenbarte
er ihr seine Schwingen der Nacht. Schwarze Federn schwebten zu Boden als sich die mächtigen Flügel auf seinem Rücken ausbreiteten. „Mein Name ist Lucifer.“ Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Diese unendlich blauen Augen sahen ihn beinahe ehrfürchtig an. Ein Blick, des Lucifer sonst nur von seinen Untergebenen zu sehen bekam. „Unmöglich!“, stieß die hohe Stimme des Mädchens aus. Lucifer zog nur verächtlich eine Augenbraue nach oben. Typisch menschlich. Etwas leugnen, was unumstritten war. „Wieso? Wieso hast du mich hergebracht, Teufel?!“ Zugegeben, dieser
neugewonnene Mut des Geschöpfes vor ihm überraschte ihn. Niemand wagte es, so mit Lucifer zu reden. Niemand, außer diesem kleinen Gör vor ihm. Törichtes Mädchen! „Warum? Du glaubst wirklich, ich hätte dich deinetwillen hierhergebracht?“ Lucifers Stimme triefte nur so vor Spott. Serah blinzelte daraufhin verwirrt. Das dumme Ding hatte tatsächlich angenommen, der Höllenherrscher würde sich für einen nichtswürdigen Menschen interessieren. Beinahe hätte Lucifer laut losgelacht über diese absurde Vorstellung. „W-warum sonst…-?“ Serah unterbrach sich selbst und senkte den Blick, sodass
weiße Haarsträhnen einen Schatten über ihre Augen warfen. „Dein ach so treuer Beschützer hat dir nichts gesagt?“ Lucifer konnte sehen, wie sich die zarten Hände zu Fäusten ballten. Der Tod des Schutzengels Duriel hatte ihn äußerst zufriedengestellt. Am liebsten hätte er diesem geflügelten Insekt selbst jegliche Federn ausgerissen, doch dank seines geliebten Bruders war er an diese Welt gefesselt. Lediglich durch seine Diener konnte er in der Menschenwelt agieren. Daher hatte er den einzigen Dämon ausgesandt um Serah zu ihm zu bringen, auf den er sich mit Sicherheit verlassen konnte. Hätte Mephisto versagt wäre er an die
Höllenhunde verfüttert worden. „Deine Reaktion fasse ich mal als nein auf. Wie ärgerlich, dass dich die ganze Zeit ein Engel beschützt hatte ohne dir zu sagen weshalb oder weswegen. So viel zu dem Wörtchen Vertrauen nicht wahr?“ Seine kalte Stimme drang wie Dolchspitzen in das Herz des Mädchens. Lucifer wusste nur zu gut über das Vertrauen, welches sie in den Engel gesetzt hatte, auch wenn sie nichts über sein wahres Wesen wusste. Einer Raubkatze gleich schritt er langsam, beinahe lauernd, um das Mädchen herum. „Was wollen die Engel von mir?“ Erstickt klang ihre Stimme, als wäre sie
den Tränen nahe, sollten diese nicht schon über ihre hellen Wangen fließen. Hach dieser Schmerz war es, den Lucifer so sehr genoss. Sich an den leiden anderer zu erfreuen gehörte schon lange zu seinen liebsten Beschäftigungen. Und dieses Mädchen schien eine Menge Emotionen zu besitzen. Er konnte es an ihrer Aura erkennen. Dem gleißenden Licht, welches ihm zuwider war. Ihm war es, als würden die blauen Flammen ihrer verzweifelten Seele nach ihm greifen, ihn umgarnen wollen. Angewidert schüttelte er hinter dem Rücken des Mädchens seinen Kopf. „Dich!“, raunte er nur in das Ohr der Weißhaarigen. Besagte zuckte heftig
zusammen und fuhr herum, jedoch hatte sich Lucifer bereits wieder aufgerichtet. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Ein Strudel aus Gefühlen tobte in ihnen. Lucifer erwartete, dass sich ihr Blick senkte, sie diesem lodernden Blick seinerseits entzog. Kaum einer hielt den Augen des Fürsten der Finsternis stand. Und doch senkten sich diese Augen nicht. Im Gegenteil, sie sah ihm mutig tief in die Augen. Boshaftigkeit und Kälte schlugen ihr entgegen, als Serah den Blick der tiefroten Augen erwiderte. Dämonisches Rot traf auf unschuldiges Blau. Das Mädchen versuchte irgendeine Regung zu
erkennen. Irgendetwas, was darauf hinwies, dass er einen Funken Gutes in seinem womöglich pechschwarzen Herzen trug. Leider behielt sie mit dieser Hoffnung unrecht. Das Böse selbst sah auf sie herab. Ohne Emotion, nur mit der sadistischen Freude an ihrem Leiden. Serah wurde schlecht. Es war einfach zu viel. Sie war in der Hölle. Der Hölle! Einen Ort, der für sie nicht bestimmt war. Keine Wärme, kein Licht und nichts, was wenigstens einen kleinen Trost spenden würde. Ein weiterer Gedanke keimte in ihr. Eric. Über ihre Entführung hatte sie ganz vergessen, dass ihr Bruder noch irgendwo sein musste. Er durfte nicht tot
sein! „Wo ist mein Bruder?“, fragte Serah gerade heraus und ihre Augen verengten sich leicht. Beinahe sah es so aus, als würde Lucifer siegessicher Lächeln. Die blauen Seelenspiegel nahmen diese flüchtige Geste nur für den Bruchteil einer Sekunde war, sodass es ebenso ein Trugbild hätte sein können. Lucifer hob seine Hand und kleine schwarze Flammen zügelten aus dieser empor; verformten sich zu einem flammenden Ring in dessen Mitte eine Art Spiegel entstand. Serah konnte das Gesicht ihres Bruders in diesem Spiegel erkennen. „Eric!“, schrie sie entsetzt aus. Ihr
Bruder war leichenblass und hatte seine Augen geschlossen. Es wirkte so als würde er nicht länger unter den Lebenden weilen. Sofern Serah es richtig erkennen konnte, lag ihr Bruder in seinem Bett. Würde er nicht so kränklich aussehen könnte man meinen, er würde schlafen. „Was hast du mit ihm gemacht?!“ Wutentbrannt starrte Serah Lucifer an. Erneut vernahm sie ein dunkles Kichern seinerseits. „Seine Seele ist hier in der Hölle und wird es auch bleiben, solltest du es vorziehen zu fliehen. Ein schwaches Wesen der Gattung Mensch wird in der irdischen Welt nicht lange überleben. Ob er stirbt oder nicht obliegt bei dir, kleine
Serah.“ Ein diabolisches Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Serah schluckte schwer. Alles drehte sich, ein Schwindel ergriff sie so plötzlich, dass sie nach vorn über fiel und sich gerade noch so mit ihren Händen abstützen konnte. Keuchend ging ihr Atem und ihr Magen zog sich zusammen. Eric… Eric würde sterben, sollte sie sich nicht entschließen, in der Hölle zu bleiben. „Dein Leben oder das deines Bruders. Was erscheint dir wichtiger?“ Seine Worte waren wie Gift. Serah schüttelte sich, unfähig etwas zu sagen. Lucifer schien allmählich die Geduld zu
verlieren. „Gut, dann werden eure beider Seelen in den Höllenfeuer verbrennen.“, sprach er mit klarer Ungeduld in der Stimme. Serah fasste sich ans Herz. Als Lucifer an ihr vorbeischritt, den Spiegel mit einer einfachen Bewegung verschwinden lassend, griff sie nach seinem Arm. Der Teufel stoppte in seiner Bewegung. „Gib Eric frei. Ich…ich werde bleiben.“, sagte Serah leise. Der Teufel grinste nur spöttisch. „Das Leben eines Anderen ist dir wirklich wichtiger? Kein Wunder, dass du meinem Bruder gefällst.“ Verachtend schüttelte Lucifer den Kopf. Serah sah mit einer Entschlossenheit auf, die sie
selbst überraschte. „Was weißt du schon von Aufopferung?! Eric ist mein Bruder, meine Familie. Und ich beschütze diese. Also gib ihn frei. Ich werde mich nicht wehren, ich werde hier bleiben und nicht versuchen zu entkommen. So wie du es willst. Aber gib ihm seine Seele zurück!“ Ihre klare Stille schien an den Wänden widerzuhallen. Lucifer starrte sie einen Augenblick fassungslos an. Solche Worte aus dem Mund eines kleinen Mädchens… Schnell fasste er sich wieder und setzte eine eher gebieterische Miene auf. „Damit hast du den Teufel geschworen. Du wirst mir nicht mehr entkommen können, kleines Menschenweib.“ Mit
einem triumphierenden Glanz in seinen tiefroten Augen riss er sich ruckartig von dem Menschen los. Ein barscher Ruf seinerseits ertönte und Serah wurde von zwei seiner Diener aus dem Raum geschleppt. Die Blauäugige wehrte sich nicht und sah Lucifer nur an. „Halte dein Versprechen, Lucifer!“
Die Tür zur Thronhalle fiel zu. Serah’s Schicksal war damit besiegelt… doch nicht nur ihres.
Die mitternachtsblauen Seelenspiegel blickten erfüllt von Angst und Traurigkeit durch ein schmales Fenster, welches so gut wie kein Licht in ihren Raum hereinscheinen ließ. Sofern es denn überhaupt so etwas wie Licht in dieser Welt gab. Das weiße Kleid an ihrem Körper konnte sie keinesfalls vor der eisigen Kälte, die von außen sowie innen heraus kam, schützen. Zitternd und am Rande ihrer Verzweiflung suchte sie das Stückchen dunklen Himmels vergebens nach einem Funken Hoffnung oder einem Funken Trost. Mit trockenem Schluchzen drückte sie ihre
angewinkelten Beine noch näher an ihren Körper. Noch konnte sie die Tränen zurückhalten. Aber wie lange noch? Noch immer schwirrten alle Gedanken ungeordnet in ihrem Kopf herum. Lucifer, Satan, wie auch immer man ihn nennen wollte, hatte sie hier in die Hölle gebracht. Und nun konnte sie nicht mal entkommen, selbst wenn sie die Möglichkeit hätte. Lucifer würde dann ihren geliebten Bruder töten. Stöhnend hielt sie sich die Schläfen. Das war eindeutig zu viel. Engel und Dämonen, Gott und Lucifer… worin hatte sie sich hier nur
verwickelt? ~*~ Das Zimmer in dem sich Serah befand glich viel mehr einer Zelle. Die Wände bestanden lediglich aus diesem schwarzen Kristall, der von innen heraus ein schummriges Licht ausstrahlte. Viel Einrichtung hatte man ihr nicht gestattet. Das einzige Möbelstück war lediglich ein einfaches Bett ohne Kissen und lediglich mit einer dünnen Decke versehen. Zudem ab es eine Art kleines Badezimmer, dass durch eine kleine Tür an ihren Raum grenzte.
Die schwere Tür zu ihrem neuen Heim, Serah vermutete sie wäre aus Metall ,war sich aber in dieser Welt gar nicht mehr so sicher, wurde von außen verschlossen als man sie herbrachte. Von Innen gab es keinen Weg nach draußen. Selbst das Fenster war gerade mal eine schmale Lücke in der Mauer. Nicht mal Serah würde da hindurch passen, und selbst wenn sie es könnte, würde dieses feste, eiskalte Glas nicht nachgeben. Die Weißhaarige war absurder Weise überrascht, keine Folterkammer hier vorzufinden, in der sie an irgendein Monstrum von Folterinstrument gefesselt
werden würde. Hastig verwarf das Mädchen diesen Gedanken und den damit verbundenen aufkommenden Bildern. Das war das letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Mit leisen, schlurfenden Schritten ließ sie sich auf das unbequeme Bett nieder. Wenigstens war sie nicht in einer muffigen Zelle gelandet, wie es sonst nur in Filmen geschah. Serah ließ sich einfach nach hinten fallen, sodass ihre weiße Haarpracht sich wie Wellen auf den dunklen Bezügen ausbreitete. Ihr waren die Blicke der Wächter nicht entgangen. An einem Ort wie diesen musste sie herausstechen wie… Nun ja, wie ein weißes Schaf
inmitten einer Herde von schwarzen Schafen. Ein kurioses Beispiel, aber dennoch passend. Wobei sie eher ein Schaf umgeben von gefräßigen Wölfen war…Stopp! Serah musste sich selbst bremsen. Allein die Gedanken wie es weitergehen würde, ängstigten sie, und das nicht zu wenig! Das Rasseln einer schweren Kette war an ihrer Tür zu vernehmen und geräuschvoll schwang die metallene Tür nach innen auf. Sofort saß Serah kerzengrade in diesem Bett und kauerte sich zusammen. Eigentlich erwartete sie den Höllenherrscher persönlich, was sich im
Nachhinein als äußerst absurder Gedanke herausstellte. Serah entspannte sich leicht als sie eine Frau sah, die lautlos eintrat. Dennoch misstrauisch beäugte das Mädchen diese Frau, die sich ihrem Bett näherte. Hüftlange Haare, die in einem leichten Rot zu schimmern schienen, umgaben ein anmutiges Gesicht mit tiefroten Augen. Ihr schlanker Körper war lediglich in ein schwarzes, kurzes Kleid gehüllt was ihre weiblichen Rundungen besonders betonte und nicht einmal ihre Knie bedeckte. In ihren blassen Händen, dessen Nägel wie die von allen hier Lebenden ebenfalls tiefschwarz und spitz zulaufend waren, hielt sie ein dunkles Bündel.
Mit einem lauten Geräusch verschloss sich die Tür wieder und Serah zuckte über diesen plötzlichen Lärm zusammen. Noch immer misstrauisch starrte sie die Dämonin vor sich an. Deren schwarze Lippen verzogen sich zu einem kühlen Lächeln bei dem Anblick, den das kleine Mädchen ihr bot. „Mein Name ist Keyla. Mein Herr hat mir befohlen, Euch neue Kleider zu besorgen und den Gestank von Euch zu waschen.“, sprach die Frau mit einer hellen Stimme, die kalt wie Eis und dennoch so schön klang, dass Serah
augenblicklich ein Schauer über den Rücken lief. Dieses Wesen sprach mit ausgesuchter Höflichkeit mit ihr, wie es Serah nicht erwartet hatte. „Welchen Gestank?“, fragte Serah mit zittriger, beinahe piepsiger Stimme. Keyla konnte sich ein Kichern nicht verwehren. „Nachdem Ihr so lange von einem dieser geflügelten Scheusale umgeben wart, haftet an Euch sein unverwechselbarer Geruch. Dies behagt weder meinem Herrn noch Unsereins.“, erklärte sie nüchtern. Ihr Blick glitt über Serahs gesamten Körper, was dieser gar nicht behagte. Dennoch blieb die Weißhaarige stumm und nickte bloß langsam.
Geflügelte Scheusale. Allein diese bösartige Beschreibung machte die Verachtung für die Engel deutlich. Daniel, nein Duriel war wie ein Onkel für sie gewesen. Aufkommende Wellen der Trauer erfassten sie, sodass Serah die Zähne zusammenbeißen musste, damit ihr nicht die Tränen über die Wangen liefen. Als würde Keyla ihren Kummer spüren wurden ihre Züge ein wenig sanfter. Zweifellos hatte sie die bereits glasigen Augen des Menschenkindes vor ihr gesehen. „Ihr braucht vor mir keine Angst zu haben. Ich werde fortan für Euch sorgen und Euch kein Leid antun.“ Ihre Stimme
klang nach wie vor kühl. Etwas perplex blinzelte Serah, da das Mädchen ein solches Versprechen nicht erwartet hatte. Diese Freundlichkeit überraschte die Weißhaarige, hatte sie doch angenommen jeder Dämon wäre so bösartig wie Lucifer selbst. Aber dem war nicht so. Keyla schien zwar eine Dämonin, doch Serah konnte nur eine schwache Kälte von ihr ausgehend spüren. Zudem konnte Serah in ihren anmutigen, blassen Gesichtszügen Regungen erkennen, die auf ihre Gedanken oder nächsten Worte schließen ließen. „Ich weiß, für Euch ist es im Moment ziemlich viel auf einmal.“, fuhr die
Dämonin beinahe verständnisvoll fort. Serah unterbrach sie jedoch zu ihrer eigenen Überraschung. „Bitte hör auf mich zu siezen...“ Ihre Bitte, die kaum mehr als einem Flüstern glich, ließ Keyla lächeln. „Ich bin auch kein großer Freund davon, einem Menschen so demütig gegenüberzutreten.“ Etwas erleichtert entspannte sich Keyla’s steife Haltung. Serah brachte ein mattes Lächeln zu Stande. „Du sagtest etwas von waschen… Gibt es hier überhaupt Wasser?“ Keyla starrte das Mädchen einen Moment völlig perplex an, ehe sie in helles Gelächter ausbrach. Serah bemerkte gerade selbst,
wie unsinnig ihre Frage doch war. Hatte sie wirklich angenommen, es gäbe hier nur Feuer so wie man es im Religionsunterricht erzählt hatte? Verlegen biss sich die Blauäugige auf die Unterlippe. Keyla beruhigte sich wieder einigermaßen, wobei ihr das Lachen noch immer ins Gesicht geschrieben stand. „Ihr Menschen seid wirklich zu amüsant. Hast du wirklich eine Feuerhölle erwartet?“ Die belustigte Stimme der Dämonin ließ Serah leicht erröten, ehe sie etwas peinlich berührt wegsah. Kichernd schüttelte die Rothaarige nur ihren Kopf. „Dürfte ich dann
bitten?“ ~*~ Kurze Zeit später war Serah gereinigt. Das warme Wasser hatte ihren Körper erstaunlich gut getan. Zumindest fühlten sich ihre Glieder nicht mehr so steif und kalt an. Keyla war der Weißhaarigen auf eine merkwürdige Art und Weise Sympathisch. Sie konnte es nicht erklären, es tat jedoch gut, dass sie mit jemanden reden konnte. Diese Einsamkeit machte sie verrückt. Die Dämonin verhielt sich nun nicht mehr ganz so steif wie anfangs. Offenbar war ihr diese förmliche Anrede zuwider.
Erleichtert darüber, dass Keyla offenbar ein recht freundliches, wenn auch teilweise ziemlich sadistisches Wesen besaß, konnte sich Serah beinahe zwanglos mit ihr unterhalten. Etwas erschreckend war natürlich die Vorliebe für Blut und Leid der Dämonin. Daran müsste sich das sanftmütige Mädchen erst mal gewöhnen. Natürlich hatte die Weißhaarige viele Fragen. Jedoch konnte die Dämonin ihr nur einen winzigen Bruchteil davon beantworten. Die Gründe, weswegen sie wirklich hier war oder ob Eric schon freigegeben wurde, blieben weiterhin schleierhaft. Jedoch erklärte ihr Keyla, dass sie hier eher als ein Gast gesehen wurde, nicht als
Gefangene. Des Weiteren hatte Lucifer selbst befohlen, dass niemand Hand an sie legen durfte, sollte er es nicht ausdrücklich sagen. Ein Befehl der Serah die Bekanntschaft mit weiteren Dämonen glücklicherweise ersparte. Ob Serah ihm dafür dankbar sein sollte oder nicht, dessen war sie sich nicht sicher. „Äh…Keyla, darf ich dich mal was fragen?“ Unsicherheit spiegelt sich in den tiefen Augen wieder, welche die farbe des Himmels und des Meeres vereinten. Keyla half ihr gerade in ein bodenlanges, tiefschwarzes Kleid, dessen lange Ärmel ihre Hände bis zu den
Knöcheln verdeckten. Einzig die blassen Finger stachen unter dem seidenen Stoff hervor. Serah kam nicht drum herum zu gestehen, dass dieser leichte Stoff sich perfekt ihrem Körper anpasste und sich unglaublich angenehm auf der Haut anfühlte. „Du hast mir schon so viele Fragen gestellt, und jetzt fragst du nach Erlaubnis?“ Keyla’s Lippen verzogen sich zu einem ironischen Lächeln. Serah verfluchte sich selbst. Sie hatte keinerlei Ahnung, wie man mit einem Dämon sprechen, geschweige denn umgehen sollte. Wann galten hier Fragen als anstößig? Serah schüttelte leicht ihren
Kopf um ihre Gedanken neu zu ordnen. „Könntest du mich bitte zu Lucifer bringen? Ich will wissen, ob er sein Versprechen gehalten hat.“ Stille breitete sich im Raum aus. Serah biss sich leicht auf die Lippen und wartete mit steigender Nervosität auf die Antwort der Dämonin. Diese hielt gerade die Schnüren zu dem schwarzen Band, welches die Hüfte des Kleides umschlang, in ihrer Hand. Erschrocken bemerkte Serah den ungläubigen, beinahe fassungslosen Gesichtsausdruck. Hatte sie etwas Falsches gesagt?! „K-Keyla…?“ Nach einigen beinahe
unerträglichen Minuten des Schweigens fasste sich die Angesprochene wieder. Langsam band sie das Band zu einer festen Schleife zusammen, noch immer ohne zu antworten. Als sie sich aufrichtete wurde es Serah beinahe zu viel. Gerade öffnete sie ihre Lippen, da verhinderte es Keyla auch schon indem sie ihre Stimme erhob. „Entweder verlangt der Herr, jemanden zu sehen oder nicht. Sollte man ihn unaufgefordert stören bezahlt man es mit Schmerzen oder seinem Leben.“ Ihre Stimme zitterte hörbar. Serah’s Augen weiteten sich entsetzt. „Sollte ich dich zu Lucifer bringen,
würde er mich zweifellos töten, da ich seine Anweisung missachtet habe. Das ist mir für den Dank eines Menschleins wie dir nicht wert!“ Keyla schüttelte den Kopf und ihre Stimme klang so eisig wie zuvor. Serah ließ ihre Schultern hängen und senkte den Blick. „Verstehe…“, murmelte sie bloß betrübt. Keyla ließ ein abfälliges Geräusch ertönen. „Verstehen? Du bist ein Mensch. Menschen verstehen uns ganz und gar nicht!“ Verbitterung schlug Serah wie eine kalte Welle entgegen. Erstaunt sah sie auf. In Keyla’s Blick schimmerte tatsächlich Verbitterung. Wesen wie sie wurden schon immer verachtet und
gefürchtet. Auch Serah fürchtete sich vor Keyla. Das konnte die Dämonin in ihren Seelenspiegeln erkennen. „Versteht ihr denn uns Menschen?“, fragte Serah leise gegen. Keyla zuckte leicht, ehe sie langsam den Kopf schüttelte. „Das wollen wir gar nicht.“, entgegnete sie nur ehe die Rothaarige sich zur Tür wandte. Serah sah ihr beinahe verzweifelt hinterher. Keyla würde sie alleine lassen… Allein. Dieses Wort machte ihr Angst. Serah wusste nur zu gut, dass mit der Einsamkeit die grauenhaften Bilder ihrer eigenen Fantasie wieder auf sie warteten. Während Keyla bei ihr war, konnte sie
sich ablenken. Nein, wenn Keyla jetzt ging würden diese Albträume wieder erwachen und das wollte Serah nicht. Aus reiner Verzweiflung heraus hielt sie Keyla am Arm fest. Perplex drehte diese sich erneut um und konnte das verlorene Mädchen mit gesenktem Kopf sehen. Der Körper des Mädchens zitterte leicht und Angst lag in der Luft. Ein Geruch, den Dämonen normalerweise liebten. Diesmal verwirrte es die Rothaarige nur. „Bitte…geh nicht weg…“, flüsterte Serah und schloss die Augen, aus denen ein paar Tränen tropften. Keyla erstarrte. Wie festgefroren starrte sie das kleine Menschlein an und konnte nicht fassen,
worum Serah einen Dämon bat. „W-was…-?“ Keyla’s rote Augen glitten über die zusammengesunkene Gestalt vor ihr. Merkwürdiger Weise verspürte sie Mitleid mit diesem Geschöpf. Eine Regung, die sie nicht von sich kannte. Mit einer für sie ungewohnten Sänfte hob sie das tränenverschleierte Gesicht des Mädchens an. Serah war für einen Menschen außergewöhnlich schön. Auch ihre Seele schien stärker zu sein, als die anderer Menschen. Keyla war zwar selbst eine junge Dämonin und hatte keinerlei Erfahrungen mit Menschen oder deren Welt, jedoch war sie ihrer Vermutung sicher, dass Serah nicht nur ein zierliches Mädchen war. War es dieses
sanfte Licht, welches Serah in die Fänge ihres Herrn gebracht hatte? Keyla wusste es nicht. Man hatte ihr tatsächlich nichts gesagt, weshalb das Menschlein hier war. Ihre einzige Aufgabe war die Versorgung des „Gastes“. Von Seiten des Menschleins war ein Schluchzen zu vernehmen. Lag es an diesem unschuldigen, unwissenden Wesen der Weißhaarigen oder an dieser sanften Wärme, die sie umgab? Keyla wusste nicht wieso, jedoch strich sie vorsichtig über den weißen Haarschopf. Ein weiteres Gefühl durchfuhr sie. Nachgiebigkeit. Trotz dessen, dass die Dämonin dieses Menschlein nicht im
Entferntesten kannte, wollte sie keine Tränen in diesen schönen Augen sehen. Ein tiefes Seufzen entglitt ihren Lippen. „Na schön, ich bringe dich zu ihm…“ Resigniert schloss Keyla einen Moment die Augen, riss sie jedoch sofort wieder entsetzt auf, als das Menschlein tatsächlich die zierlichen Ärmchen um ihren Hals legte. Dankbar umarmte Serah Keyla, ließ jedoch augenblicklich ab und wurde noch blasser. Es bedeutete Serah augenscheinlich viel, diese Gewissheit über Eric’s Sicherheit zu erhalten. Keyla, die noch immer etwas überfordert mit dem überschwänglichen Dank war, wandte sich zur Tür. Ihre Hand strich
einmal über ein Symbol, welches Serah zuvor nicht aufgefallen war. Es glich einem einfachen Pentagramm. Kaum berührten Keyla’s Fingerspitzen dieses, so glühte es rot auf und die Tür schwang auf. ~*~ Ungeduldig zog die Dämonin das Menschlein mit sich durch die beinahe ausgestorbenen Flure. Zielsicher bog sie mal hierhin, mal dahin ab. Hier und da begegneten ihnen weitere Diener Lucifers, die ohne groß auf beide zu achten ihren Aufgaben nachgingen. Wer hier zu langsam war oder den Herrscher
nicht zufriedenstellte, starb. Eine einfache Regel, die jeder Dämon in diesem Reich kannte und folgte. Serah wurde ab und an langsamer, wenn sich ihre Augen weiteten und alles in sich aufsog, was sich in ihrem Sichtfeld befand. In diesen Momenten zog Keyla mit Nachdruck an ihrem Arm. Es war nicht ratsam, sie zu Lucifer zu bringen. Dennoch war es jetzt auch zu spät, sich weiterhin Gedanken darüber zu machen. Hoffentlich war ihr Herr gnädig gestimmt. Gnädig? Beinahe hätte Keyla gelacht, wäre es nicht so verflucht ernst. Ihr Herr kannte weder Gnade noch Mitgefühl. Anders als die Dämonin, die sich durch die Verzweiflung des
Menschleins hat erweichen lassen. Keyla verspürte beinahe Abscheu gegenüber sich selbst. Was hatte dieses Menschenmädchen mit ihr gemacht?! Ehe sie sich weiter darüber Gedanken machen konnte, stoppte sie abrupt. Der linke Flur führte geradewegs zu den Gemächern Lucifers. Keyla schluckte. Wenn alles gut ging, würde sie nicht für ihren Frevel bezahlen. „Geh den Gang entlang, am Ende ist sein Gemach.“, erklärte sie hastig und mit gesenkter Stimme. Serah nickte und lunzte in den Flur hinein. „Kommst du nicht mit?“, fragte das
Mädchen unsicher. Keyla schüttelte bestimmt den Kopf. „Ich hab schon zu viel riskiert. Sag ihm bitte nicht, dass ich es war, die dich hergeführt hat… Ansonsten bekommst du einen Diener, der nicht so nachsichtig mit dir ist!“, warnte Keyla und ihre Augen glühten bedrohlich auf. Serah zuckte zusammen und nickte schnell. Ohne weitere Worte verschwand die Dämonin hastig. ~*~ Serah lief leise durch den ihr gewiesener Flur. Mit jedem Schritt breitete sich das flaue Gefühl in ihrem Magen mehr aus.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich genauso wie ihre Atmung. Was, wenn Lucifer wirklich wütend werden würde? Nein, daran durfte sie jetzt nicht denken. Mutig sah sie zu der zweiflügeligen Tür. Deutlich spürte sie die kalte Aura, die von diesem Raum ausging. Nochmals atmete Serah tief ein, ehe sie die Tür öffnete und eintrat…
Gelangweilt stieß Lucifer die Lustsklavin, die bereits seit einer gefühlten Ewigkeit versuchte ihm Freude zu bereiten, von sich weg. Die entblößte Dämonin sackte auf dem kalten Boden zusammen und stieß einen leisen, klagenden Schrei aus. Die rubinroten Augen des Dämons sahen verachtend auf das wimmernde Etwas hinab. Sowas nannte sich Sukkubus, wie enttäuschend! Sollten diese Geschöpfe, mit den giftgrünen Augen und den geschwungenen samtroten Hörner an ihrem Kopf nicht die Verführung selbst präsentieren? Äußerlich war sie
vielversprechend, sodass sich Lucifer für diese Gespielin entschieden hatte. Die langen ebenholzfarbenen Haare aus denen die geschwungenen Hörner hervorgingen, die vollen roten Lippen deren geschickte Zunge sich verheißungsvoll, um nicht zu sagen hungrig, über die Lippen geleckt hatte und der Körper, dessen Weiblichkeit keinesfalls zu verachten war. Zu schade, dass sie eine solche Stümperin war. Verärgert verengte Lucifer die Augen und zischte. Was für eine lächerliche Zeitverschwendung! Der Sukkubus, dessen nackter Körper unter dem Blick des Herrschers erzitterte,
hatte ihre Hände erhoben. Eine lächerliche Geste. Nahm sie tatsächlich an, eine solch hilflose Geste würde ihn stoppen? Ihn, den grausamsten und zugleich mächtigsten Dämons? Lucifer schritt bedächtig langsam auf das wimmernde Wesen zu. Einzig sein Oberkörper war entblößt, zu mehr war dieser Sukkubus nicht fähig. Die Luft um ihn herum schien stillzustehen, wenn nicht gar zu erfrieren. Die Flammen, die bisher das Gemach mehr oder minder erhellten, erloschen plötzlich. Das Gemach wurde in Dunkelheit getaucht. Erschrocken zuckte die Dämonin
zusammen. Mit vor Schrecken geweiteten Augen starrte sie zu dem bildschönen Engel empor, dessen Federn schwarz wie die Nacht ihr Sichtfeld einnahmen. Einzig seine Gestalt konnte man deutlich in der Dunkelheit des Raumes erkennen. Unmittelbar vor dem Wesen, entstanden durch seine Mächte der Finsternis, ließ er sich leicht auf die Knie nieder um sie anzusehen. Ein grausames Lächeln umspielte die schmalen Lippen des gefallenen Engels, sodass die spitzzulaufenden Zähne in ihrem weiß hervorstachen. „H-Herr…bitte…“ Schwach erklang die Stimme des Sukkubus. Lucifer ließ seine
Hand langsam über die bleiche Haut ihres Körpers streichen; beginnend an ihrer Schulter über ihre Seiten zur Hüfte und wieder zurück. Er bedeutete ihr durch einen einzigen Blick, dass sie den Mund zu halten hatte. Ihr leises Flehen brach abrupt ab und bebend wartete die Dienerin auf das Unvermeidliche. Unsicherheit, gemischt mit Angst erfüllte die Luft. Beinahe genießerisch vernahm Lucifer das pochende Herz in ihrer Brust. Wie sehr er doch diese Angst liebte. Sie erregte ihn mehr als jeder ihrer Versuche, ihn zu verführen. „Fürchtest du dich?“ Die Stimme des schwarzen Engels war leise, beinahe
schon sanft. Seine linke Hand fuhr weiterhin langsam die Konturen ihres weiblichen Körpers nach, sodass dem Sukkubus ein leises Seufzen entfuhr. Niemand konnte ihm, den Meister der Verführung widerstehen. Nicht einmal ein Dämon, der für die Verführung und Sünde geboren wurde. Sein Opfer drängte sich leicht seiner Hand entgegen und flehte förmlich nach mehr. Die schwarzen Nägel des Dämons strichen, im starken Kontrast zu ihrer hellen Haut, über die Wange, an denen Spuren von Tränen der Furcht zu erkennen waren. „Ich habe dich etwas gefragt.“ Seine Stimme blieb weiterhin trügerisch sanft,
jedoch konnte man den scharfen Unterton deutlich heraushören. Der Sukkubus, der sich mittlerweile unter den quälend sanften Berührungen wandte, zuckte leicht zusammen. Die giftgrünen Augen schlossen sich für einen Moment, als müsste sie angestrengt nachdenken. „J-ja…mein Herr…“, keuchte sie leise. Lucifers Lächeln wurde eine Spur breiter. Er beugte sich nach vorne, bis sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt war. Unwillkürlich streckte die Dämonin ihr Gesicht nach vorn. Der Höllenherrscher legte sachte einen Finger unter ihr Kinn und brachte seine Lippen gefährlich nahe an ihre, die
sich zu einem leisen Keuchen öffneten. „Hatte ich dir nicht befohlen, mich zufrieden zu stellen?“ Sein heißer Atem hauchte gegen ihre Lippen, während seine freie Hand an ihrem bebenden Körper entlang strich. Der Atem des Sukkubus ging unweigerlich schneller. Sie nickte nur leicht. Trotz ihrer Furcht glänzte Verlangen in ihren Augen, ein Verlangen, welches Lucifer erst entfacht hatte. Kühle Lippen legten sich auf den Hals des Sukkubus; fuhren die Länge des Halses nach und verweilten schließlich auf der Stelle, unter der die pochende Halsschlagader verlief. Der Fluss ihres
Blutes raste durch ihre Venen, ihr Brustkorb hob und senkte sich rasch während sich ihr Körper sich leicht ihm entgegen bog. „Antworte!“, hauchte der Dämon mit samtener Stimme. Der Sukkubus schluckte schwer, rationales Denken fiel ihr sichtlich schwer. „Ja…Herr…“, keuchte sie atemlos und streckte dabei ihren Hals etwas, um ihren Herrscher mehr Spielfläche zu gönnen. Lucifer grinste diabolisch. Seine spitzen Zähne streiften ihre Haut sodass die Dämonin unter ihm heftig zusammenzuckte, als ihre Haut am Hals leicht aufgerissen wurde. Tropfen von rotem Blut hoben sich von der blassen
Haut hervor. Gierig fing Lucifers Zunge jeden einzelnen Blutstropfen auf. Der herbe Geschmack des dämonischen Lebenssaftes füllte seine Mundhöhle. Er konnte ihr Verlangen, ihre Gier nach seinem Körper und die dennoch vorhandene Furcht förmlich schmecken. Stöhnend wandte sich der Sukkubus unter ihm, deren Blick bereits jetzt schon verschleiert war. „Und wieso hast du meinen Befehl nicht ausgeführt?“ Seine Stimme war leise, dennoch erstarrte die Dämonin unter ihm. Ein Zittern ergriff ihren Körper, diesmal jedoch nicht von ihrer Lust herbeigeführt. Ängstlich sah sie ihren Herrn an, der bereits von ihrem Hals
abgelassen hatte. Seine Hand schloss sich bedächtig langsam um ihren Hals. Mit vollster Genugtuung besah er ihren starren Blick, ihre bebenden Lippen die sich für ein Flehen öffneten. Das Lächeln, welches zuvor noch seine schmalen Lippen umspielt hatte, schwand nun völlig. Stattdessen trat ein mordlustiges Funkeln in seine Augen. Fragend hob er eine Braue, als erwartete er eine Antwort. „H-Herr…ich- Bitte gebt mir…noch eine Chance!“ Ein freudloses, eiskaltes Lachen, welches von Spott nur so triefte, löste sich aus der Kehle des Teufels. „Du willst, dass ich dir deinen Fehler vergebe?“ Allein der Ton seiner
verführenden Stimme ließ auch den letzten Widerstand des Sukkubus verblassen. Ihr Körper erschlaffte. Sie resignierte, wohl wissend, dass er ihr nicht vergeben würde. Plötzlich sah Lucifer auf, sein Griff um den Hals der Dämonin lockerte sich leicht. Hoffnungsvoll schimmerten grüne Augen zu ihrem Herrn empor. Glaubte sie tatsächlich, er würde Gnade walten lassen? Wie naiv. Aber darum konnte sich Lucifer auch später kümmern. Mit einer galanten Bewegung erhob er sich von seinem Opfer. Seine Augen ruhten mit einer Mischung aus Neugierde und
Verärgerung auf der kleinen Gestalt, die es gewagt hatte ihn zu stören. Normalerweise würde der Störenfried augenblicklich in lodernden Flammen aufgehen. Hatte er nicht ausdrücklich gesagt, er möchte nicht gestört werden?! Trotz seines Zorns behielt er eine ausdruckslose Maske. Das Menschenmädchen Serah war es, die sich in seine Gemächer getraut hatte. Schon beinahe amüsiert bemerkte er den roten Schimmer auf ihren Wangen, bevor sie sich schnell umdrehte. Menschen… Aus den Augenwinkeln bemerkte er nur, wie sich der Sukkubus aufrichtete.
„Es scheint, als wäre der Tag gerade
etwas interessanter geworden.“ ~*~ Serah’s Augen brauchten eine ganze Weile, um sich an die Dunkelheit in dem Gemach zu gewöhnen. Ihr Blick glitt quer durch den Raum, konnte allerdings nicht viel erfassen. Eine unmenschliche Dunkelheit verschleierte ihren Blick. Nichts desto trotz setzte das Mädchen unsicher einen Schritt voran und stolperte beinahe über die Türschwelle. Gerade noch rechtzeitig schlossen sich ihre Finger um den Türrahmen und vermieden dadurch den harten Aufprall. Beinahe hätte sich Serah selbst gerügt
für ihre verdammte Tollpatschigkeit. Tief einatmend setzte sie diesmal um einiges vorsichtiger den ersten Schritt und erstarrte. Das wenige Licht, welches durch die Tür fiel, zeigte ihr mehr als sie sehen wollte. Der Dämon hatte sich über den nackten Körper einer Frau gelehnt, die vor Furcht oder vor Kälte erzitterte. Bei genauerem Hinsehen erkannte die Weißhaarige, dass es sich hierbei keineswegs um eine Menschenfrau handelte. Geschwungene Hörner zierten ihre Haarpracht, dennoch entstellten diese nicht ihr hübsches Aussehen. Der Blick des gefallenen Engels ließ Serah zusammenzucken. Reine Mordlust und sadistische Freude zeichnete sich an den
schönen Gesichtszügen des Engels ab. Unerwartet richtete sich eben dieser Blick auf Serah, deren Wangen bei dem ihr gebotenen Anblick eine rote Farbe angenommen hatten. Ihr Entführer erhob sich mit einer raubtierartigen Geschmeidigkeit. Als wären Serah’s Wangen nicht schon rot genug, verdunkelten sich diese noch um eine Nuance. Der Körper Satans war…perfekt. Ein anderes Wort fiel Serah auf Anhieb nicht ein, als ihr Blick verstohlen über den blassen Oberkörper des Mannes glitt. Deutlich zeichneten sich die Muskeln unter dieser hellen Haut ab. Die schwarzen Schwingen, die
sich auf seinem Rücken ausgebreitet hatten, entstellten dieses Bild keineswegs. Im Gegenteil, die schwarzen Federn bildeten einen angenehmen Kontrast zu der bleichen Haut und verschafften ihn dadurch ein unwirkliches, jedoch bildschönes Antlitz. Peinlich berührt drehte sie sich um. Ihre Gedanken schwirrten ungeordnet durch ihren Kopf herum. Den Teufel persönlich in einer solchen Situation anzutreffen, war einfach nur schrecklich peinlich. Verlegen senkte sie den Kopf und versuchte die Bilder aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Wäre dieses Unterfangen doch nur so einfach. Die Wangen des weißhaarigen Mädchens
glühten förmlich vor Scham und Verlegenheit, ihr war mit einem mal schrecklich warm. Was wollte sie noch gleich hier? „Wenn das mal keine Überraschung ist.“ Die säuselnde Stimme des Dämons drang an ihr Ohr. Serah biss sich verunsichert auf die Unterlippe. Unwissend, was sie sagen, geschweige denn tun sollte, wagte sie einen weiteren Blick zu Lucifer. Dieser hatte bereits ein spöttisches Grinsen auf den Lippen. Unschuldiges Blau traf wiedermal auf dämonisches Rot, bevor sich ihre Augen verlegen zu Boden wandten. Serah musste den niederen Drang widerstehen, einfach aus
dem Raum zu stürzen und zu rennen, bis ihre Beine ihren Dienst versagten. Mit den Händen zu Fäusten geballt widerstand sie dem jedoch und zwang sich selbst zur Ruhe, was bei ihrer inneren Aufruhr keineswegs einfach war. „Wenn du mich schon so rüde unterbrichst, sage wenigstens was du hier zu suchen hast, Menschlein.“ Nach wie vor blieb Lucifer die Ruhe selbst. Irgendwas an seiner Art verriet Serah jedoch, dass nur ein falsches Wort genügte, um seinen Zorn zu entfesseln. Daher schluckte das Mädchen nur schwer.
„Ich…“ Mehr brachte sie zunächst nicht zu Stande. Ihr Blick wanderte wieder zu der Dämonin, die sich mittlerweile stumm an die Wand gepresst hatte, in der Hoffnung ihr Herrscher würde sie vergessen. „Ich erwarte eine Antwort und glaub mir, ich bin keine sehr geduldige Person!“, erhob Lucifer wider seine dunkle Stimme. Serah biss sich auf die Zunge und schluckte einen eher unpassenden Kommentar hinunter. „Ich wollte mit dir reden.“, lösten sich endlich die Worte von ihren Lippen. Mit einem Seitenblick auf den Sukkubus, der
Serah mittlerweile von Kopf bis Fuß betrachtete, fügte sie eine Bitte hinzu. „Allein.“ Lucifer verzog keine Miene, legte seine Aufmerksamkeit eher auf ihren Körper, gehüllt in dem Gewand welches man ihr zuvor gebracht hatte. Nach einer kurzen Stille, die für Serah beinahe unerträglich wurde, streckte Lucifer seine Hand aus. „Nariko, komm her!“, befahl er mit barscher Stimme. Der Sukkubus zuckte zusammen, fügte sich jedoch ihrem Schicksal und trat mit zögerlichen Schritten auf ihren Gebieter zur. Sichtlich unsicher ergriff der weibliche Dämon die auffordernde Hand Lucifers. Mit einem einzigen Ruck zog er sie zu
sich. Die Fackeln an den Wänden gewannen wieder an Kraft und tauchten endlich das Gemach in ein fahles Licht. „Wir beenden hier unser kleines Gespräch.“, säuselte er mit sichtlicher Freude an der grenzenlosen Angst seiner Dienerin. Serah versteifte sich augenblicklich. Ein heller Schrei ertönte, bevor der Körper des Sukkubus zusammensackte und leblos zu Boden glitt. Ein leichtes Rinnsal Blut floss an Lucifers Fingern hinab. Mit einem zufriedenen Grinsen fing er dies mit seiner Zunge auf. Seine andere Hand streckte er nach Serah aus. „Jetzt sind wir allein.“ Die zuvor noch
geröteten Wangen verloren nun jegliche Farbe. Aschfahl starrte sie auf den toten Körper, von dem sich eine Blutlache langsam über den Boden ausbreitete. Serah hatte gar nicht gemerkt, dass der helle Schrei nicht von dem Sukkubus kam. Sie hatte geschrien. Ein dunkles Kichern ließ sie entsetzt auf sehen. Ihr Körper bebte und ihre Knie gaben nach. Serah sackte zusammen. Ihre Arme, mit denen sie sich vom Boden abstütze, zitterten stark und ein trockenes Würgen ertönte. Serah wurde speiübel, dennoch hielt sie sich noch zurück. „Was ist los? Ich habe dir lediglich deinen Wunsch, allein mit mir zu
sprechen, erfüllt oder nicht?“ Die Scheinheiligkeit, mit der er diese Worte sprach, erschreckten Serah beinahe noch mehr als die Tat selbst. Ein blasser Finger hob ihren gesenkten Kopf an, sodass sie gezwungen war in diese Augen zu blicken, in denen das Böse selbst loderte. „Warum…? Warum musste sie sterben?“, hauchte Serah ängstlich. „Sie hat meinen Befehl nicht zufriedenstellend ausgeführt.“ Beinahe gelangweilt warf Lucifer einen Blick zu seiner ehemaligen Sklavin. „Gutes Personal lässt sich eben schwer finden.“ Serah spürte erneut Übelkeit in
ihr hochkommen. „Also, weswegen bist du hergekommen und wer hat dich überhaupt aus deiner Zelle entlassen?“ Erneut klang seine Stimme so sanft. Genau diese Stimme war es, die seine Opfer in trügerische Sicherheit wog. Kalt und zugleich siedend heiß fiel Serah auf, dass sie sich schleunigst eine Ausrede einfallen lassen müsste. Immerhin hatte Keyla sie ausdrücklich gebeten, Lucifer nichts von ihrer Hilfe zu erzählen. Womöglich würde sie sonst wie diese bedauernswerte Dämonin enden… „Ich wollte mich vergewissern, ob du
dein Versprechen hältst. Zeig mir, dass Eric wohlauf ist!“ Ihre Stimme sollte fest klingen, aber alles was sie herausbrachte war ein kraftloses Flüstern. Einen kurzen Moment spiegelte sich Verwirrung in den Augen des Teufels, bevor diese wieder undurchdringlich schienen. Serah blinzelte leicht, um sich zu vergewissern, dass es keine Einbildung war. „Nur deshalb bist du hergekommen?“ Sollte diese Verwirrung, die Serah glaubte gesehen zu haben, echt gewesen sein, so verbarg er sie jetzt meisterhaft. Serah nickte unsicher. „Tz… Dir ist das Leben dieses Bengels immer noch wichtiger als dein Eigenes.“
Kopfschüttelnd ließ er von ihr ab und erhob sich. Serah sackte leicht nach vorn, hielt ihren Blick jedoch nach oben gerichtet. „Du hast es versprochen!“ Mittlerweile wurde Serah immer unwohler zumute. Hatte er gelogen? Hatte er Serah belogen und ihr Bruder ist trotz ihrer vergeblichen Mühe umgebracht? Trauer, Wut und blinde Verzweiflung stiegen in ihr auf. „Hält der große Herrscher der Hölle nicht mal sein Wort? Wenn dem so ist... kann man dich und deine Diener nur bemitleiden.“, sprach Serah verbittert
aus. Lucifer fuhr ruckartig herum. Seine Augen glühten förmlich vor Zorn. Im nächsten Moment legte sich seine Hand um Serah’s Kehle. „Pass auf was du sagst, Menschenweib! Du bist nur noch am Leben, damit du letztendlich deinen Zweck erfüllst. Überspann den Bogen und ich vergesse diese Tatsache vielleicht!“, zischte er bedrohlich. Seine Stimme klang nicht länger samtig und verführen. Jetzt klang sie einfach nur kalt, boshaft und zornig. Offenbar hatte Serah eine Art „wunden Punkt“ getroffen. Augenblicklich bereute sie ihre eigenen Worte und rang nach Luft, als Lucifer sie losließ. Hustend griff sie sich an ihre Kehle und sog
gierig Luft ein. „Bitte… zeig mir nur meinen Bruder und… und ich beuge mich deinem Willen…“ Serah hasste sich selbst für diese Worte. Sich dem Willen des Teufels zu beugen, war die wohl größte Sünde, die sie begehen konnte. Trotzdem blieb ihr keine andere Wahl. Auch wenn die Weißhaarige nicht aufsah, spürte sie den Blick des Dämons auf sich. ~*~ „Du tust wirklich alles, um deinen Bruder zu retten.“ Ehrliche Verwunderung schwang in Lucifers Stimme mit. Serah nickte langsam und
hob den Blick. Lucifer konnte sie beim besten Willen nicht verstehen. Warum opferte sie ihre eigene Freiheit, um ihren Bruder zu beschützen? Ungewollt erinnerte ihn diese Selbstlosigkeit an seinen eigenen Bruder, für den er früher, zu den Zeiten in denen er selbst noch ein Engel des hohen Himmels war, ebenfalls alles getan hätte. Wütend schüttelte er diese aufkommenden Erinnerungen ab. Das ausgerechnet ein schwaches Geschöpf der Gattung Mensch ihn daran erinnern musste! Je eher sie aus seiner Nähe verschwunden war, desto besser!
Mit seiner Hand formte er denselben Flammenspiegel, durch den Serah zuvor ihren kranken Bruder gesehen hatte. Lucifer hielt sein Wort. Zumindest vorerst. In der spiegelartigen Ebene konnte man Eric sehen, wie er gemeinsam mit seinen Eltern auf der Trauerfeier für einen gewissen Daniel war. Keiner von den dort Anwesenden wusste um die wahre Identität des Engels. Ein leises Keuchen lenkte Lucifers Aufmerksamkeit wieder auf das weißhaarige Mädchen. Ihre blauen Seelenspiegel waren gefüllt mit Tränen, die sich mehr und mehr aus ihren
Augenwinkeln lösten. Genervt verdrehte Lucifer die Augen. Menschen waren solch überemotionale Wesen! „Bist du nun zufrieden?“ Der Dämon gab sich nicht einmal Mühe, den gereizten Ton zu verbergen. Dieses Menschlein strapazierte seine Geduld. Serah erhob sich mit zitternden Beinen und ihre weißen Haare verdeckten für einen Moment ihre Augen. Lucifer ließ mit einer einfachen Handbewegung die Flammen und damit auch das Bild wieder verschwinden; behielt dabei das Mädchen die ganze Zeit im
Auge. Serah hob ihren Blick, sodass die weiße Haarpracht endlich ihr blasses Gesicht freigab. Ein Lächeln, wenn auch nur ein kleines, umspielte ihre Lippen. Es sah beinahe dankbar aus. Das Mädchen nickte. „Danke, dass du Wort gehalten hast. Entschuldige… wenn ich dich vorhin beleidigt habe.“ Lucifer glaubte, sich verhört zu haben. Das kleine Geschöpf vor ihm bedankte sich bei ihm?! Und entschuldigte sich für ihr unangemessenes Verhalten? Schlau wurde er aus ihr einfach nicht. Stumm
nahm er die Worte zu Kenntnis. Was er erwidern sollte, wusste er ohnehin nicht. Ein barscher Befehl ertönte und eine seiner Leibwachen betrat das dunkle Gemach. „Bring sie zurück in ihr Zimmer. Dort bleibt sie, bis ich etwas anderes sage!“, befahl er herrisch. Demütig verneigte sich die Wache und positionierte sich hinter Serah. Deren Blick lag immer noch auf ihm. „Ich würde dir raten, diesmal in deinem Zimmer zu bleiben. Ein weiteres Mahl werde ich deine Aufsässigkeit nicht dulden!“, hauchte er noch bedrohlich in
das Ohr der Weißhaarigen, ehe er sich vollends von ihr abwandte. Einen Moment später fiel die Tür ins Schloss und Lucifer wurde umgeben von herrlicher Ruhe.
Aus den Menschen wurde er wirklich nicht schlau!
Schwarze Haare wehten sachte im aufkommenden Wind, der die angenehme Wärme des Sommers herbeiführte. Glitzernde Rubine beobachteten das Funkeln des Palastes des hohen Himmels. Ein wahres Meisterwerk an Baukunst. Der Himmel färbte sich langsam von einem hellen, freundlichen Blau in ein leidenschaftliches Rot, welches hier und da durch gelbe oder gar rosa Schlieren durchzogen wurde. Unter der kristallenen Plattform, auf der sich der Schwarzhaarige befand, war nichts als endlose Wogen aus weißen Wolken, deren Farbe sich dem
abendlichenFarbenspiel anpasste. Ein schöner Anblick, der zum Träumen einlud. Sanft strichen blasse Finger über das ebenso kristallene Geländer, was mittlerweile in den verschiedensten Farben schillerte. Im letzten kraftvollen Schein der Sonne breiteten sich große Schwingen aus. Federn erinnerten an frisch gefallenen Schnee, der die unberührte Natur der Erde bedeckte. Man konnte beinahe glauben, dass diese Flügel aus einer inneren Kraft heraus strahlten. Dem war jedoch nicht so. Hierbei handelte es sich lediglich um ein Spiel des hellen Lichtes, welches diesen Ort niemals verlassen
würde. ~*~ „Hier bist du also!“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter dem bildschönen Engel. Nicht sehr überrascht drehte derAngesprochene sich um und ein ehrliches Lächeln legte sich auf seine Lippen. Das helle Gewand an seinem Körper passte sich jeder seiner Schritte, die er auf den Neuankömmling zuging, an. Augen, dem Licht der Sonne gleich, trafen auf das leidenschaftliche Rot des anderen Augenpaares. Die schmalen Lippen des Mannes, deren Haare so weiß wie die Flügel des Schwarzhaarigen
schimmerten, verzogen sich zu einem amüsierten Schmunzeln. „Du schleichst dich einfach vom Fest, was doch eigens für uns beide veranstaltet wird?“ Kein Vorwurf schwang in seiner sanften Stimme mit.Viel mehr klang es, als würde sich der Weißhaarige darüber amüsieren. Ein Kichern seitens des Rotäugigen war zu vernehmen. „Verzeih mir Bruder. Aber du weißt, ich bin nicht gerade erpicht auf diese ganzen Feste. Es ist doch ein ewiges Trink- sowie Essgelage in dem man mit Loben überhäuft wird.“, antwortete er mehr beiläufig. Mittlerweile stand er vor seinem Bruder. Dieser grinste nur
breit. „Wohl wahr. Dieser ganze Lärm und Trubel wegen Nichts ist wirklich nicht gerade das Beste am Abend.“, meinte der Weißhaarige zwischen einem genervtenStöhnen. „Aber ohne dich ist es noch unerträglicher als bisher, also tu mir den Gefallen und komm zurück.“ Mit beinahe flehendem Blick besah er seinen Bruder. Mit tiefer Stimme begann dieser zu lachen. „Du willst mich in diesen Saal zurückschleifen? Ist das dein ernst?“ Beinahe vorwurfsvoll blickte er seinen Bruder an. „Mit irgendjemanden muss ich mich doch
auf intellektueller Basis unterhalten können oder?“ Der Schwarzhaarigeschüttelte nur weiter lachend den Kopf. „Du bist wirklich unglaublich, Bruder!“, meinte er und schlug einen gespielten strengen Ton an. Benannter hob seine Brauen. „Dass ich unglaublich bin weiß ich auch, man nennt mich nicht umsonst Gott.“ Mit einem schon aufsässigen Grinsen im Gesicht lehnte der Weißhaarige am Geländer. Kaum einen Moment später landete eine geballte Hand unsanft auf seinem Kopf. „Sei weiter so aufgeblasen und du hebst ab.“, kommentierte der
Schwarzhaarigefrech. „Ich bin doch schon im Himmelsreich!“, konterte sein Bruder grinsend. Beide genossen es, ungezwungen sprechen zu können, ohne dass ihnen jemand zuhörte und jedes Wort auf die Goldwaage legte. Leider waren solche Momente, in denen sie ungesehen und damit frei von jeglichem herrschenden Zwang waren, viel zu selten. ~*~ Beide Männer dachten gar nicht daran, zurück auf das ihnen gewidmete Fest zu gehen. Es sollte eine der vielen Gedenkfeiern sein, gewidmet für die
Herrscher de hohen Himmels und ihrem glanzvollen Aufstieg. Jedoch konnten diese Herrscher getrost darauf verzichten. Die vermeidlichen Verehrer waren nicht mehr als Heuchler, die um die Gunst ihrer bettelten und mit gierigen Blicken ihre Macht beäugten. Auf solche Gestalten konnten sie wirklich verzichten. Stattdessen ließen sie ihre Blicke über ihr Reich gleiten und unterhielten sich ausgelassen über alles, was ihnen in den Sinn kam. Vor ihren Dienern, Leibwachen und anderweitigen Untertanen würden sie es niemals zugeben, jedoch waren sie durch ihre Macht und ihrer herrschenden Positionnichts weiter als
Gefangene ihrer selbst. Das Licht der Sonne schwand rasch und hinterließ einen samtblauen Himmel. Ein paar Lichtpunkte bewegten sich über das verstrickte Netzt aus schimmernden Wegen, die zum großen Palast hin- und wegführten. Vereinzelte Wachen liefen ihre Runden. Unmengen an ihrer Kraft flossen durch eben diese Gebilde aus Kristallen. Jedes Gebäude, jeder Weg und selbst die Wesen, die diesen Ort bevölkerten, waren geschaffen von diesen beiden Engeln, welche sich gerade vor der feierwütigen
Meuteverbargen. „Glaubst du, wir werden jemals frei sein, um das zu tun was immer wir wünschen?“, erhob der Schwarzhaarige plötzlich seine tiefe Stimme. Überrascht blickte Gott ihn an. Der Blick dieser warmen, roten Augen, die sein Bruder so sehr liebte, war nachdenklich und etwas, was Wehmut am nächsten kam, schimmerte undeutlich in ihnen. Lautlos seufzend sah der Weißhaarige gen Himmel. „Nein, das werden wir nie…“, antworteteer zurückhaltend. Solche Gedanken zu hegen war für sie
normalerweise verboten. Selbst wenn man es nicht glauben mochte, als Herrscher standen sie dauernd unter Beobachtung. Sei es von ihrem Erschaffer oder von ihren Untergebenen. Bei der kleinsten Regung der Unsicherheit würde man sie von ihrem Thorn stürzen. Ein Schicksal, welches schwerer als alles andere auf ihren Schultern lastete. „Ich dachte mir schon, dass du das sagen würdest, Bruder.“, seufzte der Schwarzhaarige schwermütig. Gott schwieg einen Moment lang; beobachtete das Sternenzelt über ihren Köpfen. „Lass uns zurückgehen. Man wird uns
schon suchen!“, wechselte er schließlich das Thema. Sein Bruder nickte. „Ich verstehe noch immer nicht, weswegen man unseren Sieg gegen Leviathan als solch herausragendes Ereignis ansieht. Wir haben damit lediglich die Menschen befreit.“, bemerkte er stirnrunzelnd. Gott zuckte nur mit den Schultern. „Ich weiß es auch nicht. Belassen wir es einfach dabei. Vielleicht schaffen wir es ja, den Abend noch zu retten.“ ~*~ Vor der lichtdurchfluteten und reichlich
verzierten Halle schlugen ihnen bereits die munteren Stimmen sowie der Gerucheines Festmahls entgegen. Musik von Lauten drang an ihre Ohren und ließ die Luft sanft vibrieren im hellen Klang der Instrumente. Der weiße, steinerne Tisch war überladen mit den köstlichsten Speisen, Ambrosia-man könnte es mit dem Wein der Menschen vergleichen- wurde aus silbernen Karaffen ausgeschenkt. Kaum traten die beiden Engel mit würdevollen Schritten ein, so verstummten sofort jegliche Gespräche sowie die Musik. Ehrerbietend wurden Köpfe geneigt, Danksagungen sowie Glückwünsche wurden ihnen entgegengebracht, welche
die Brüder mit einem knappen Nicken zur Kenntnis nahmen. Sobald sie sich auf ihrenThronen niedergelassen hatten, trat auch schon jemand zu ihnen heran. Es war ein weiblicher Engel, mit Haaren wie aus gesponnenen Gold. Ihr Körper wurde bedeckt von einem silberschimmernden Kleid, während in ihren Händen eine Laute lag. „Meine Gebieter.“, erhob sie ihre glockenhelle Stimme und ging demütig auf die Knie. „Wir sind Euch zu tiefsten Dank verpflichtet. Euer Sieg über die Bestie war wieder einmal ein Beweis Eurer grenzenlosen Macht des Himmels. Bitte
erlaubt mir, Euch ein Lobeslied zusingen.“ Weiterhin in knieender Position wagte sie einen Blick empor. Unauffällig huschten ihre mitternachtsblauen Augen über das Antlitz beider Herrscher. Gott warf seinem Bruder einen Blick zu, der daraufhin bloß leicht nickte. Mit einer einfachen Handbewegung wurde die Erlaubnis erteilt. Alle Blicke richteten sich auf die Engelsfrau. „Dieses Lied ist unseren Herrschern Gott und Lucifer gewidmet!“ Laut und klar durchdrang ihre Stimme die Stille, die sich im Raum ausgebreitet hatte. Die blassen Hände umfassten das
Instrument; Finger zupften an den Saitensodass eine sanfte, liebliche Melodie erklang. „Verdunkelt der Himmel von Leviathan’s Schwingen Feuer und Sturm brüllt er, den Tod wollt er bringen Heiß wogt die Schlacht und rot floss das Blut Tapf're Kämpfer verbrannten schreiend in der
Glut Wer tritt nur an gegen Leviathan’s Wut? Wo sind die Helden mit Herzen vollMut? Mit Leviathan’s Sieg kommt das Ende der Welt. Und alles rings um uns in Trümmern dannfällt. Fast hatte die Bestie den Sieg schon
errungen Da kamen vom Himmel die Herrscher mit mächtigen Schwingen. Sie kämpften und bald schon sang alles vom Ruhm Der Urkraft des Lichtes, den Kindern des Heiligtums. Ihre Stimme, hell und schön wie der Gesang einer Nachtigall, klang an denWänden wieder und verzauberte jeden im Raum. Die Finger lösten sich
von den Saiten und das Instrument senkte sich. Mit einem Lächeln auf den Lippen nahm die Frau den Applaus entgegen. Hoffnungsvoll blickte sie auch zu den Brüdern, denen das Lied gewidmet war. Beide lächelten wohlwollend. Hellblaue Augen weiteten sich vor Freude und ihr Lächeln verwandelte sich nunmehr in ein Strahlen. „Habt Dank!“, sprach sie erfreut aus und verneigte sich tief. „Wir haben für dieses wundervolle Lied zu danken.“, erhob der Schwarzhaarigeseine Stimme, die in der Halle nicht ihrer Wirkung verfehlte. „Ich stimme meinem Bruder zu. Du hast
Talent, meine Schöne.“ Diesmal war es Gott, welcher sprach. „Mein Name ist Lilith, mein Herr.“ Der Engel blickte lächelnd auf. Ein Lob der Symbole des Lichtes und der Hoffnung selbst war die größte Ehre, die ihr zuteilwerden konnte. „Lilith, würdest du unsere heutigen Gäste auch weiterhin mit deinem Gesang erfreuen?“, wandte sich Lucifer wieder an sie. Hastig nickte die Angesprochene,und mit einer letzten Verneigung machte sie sich sogleich an die ihr zugewiesene Aufgabe heran. „Einen Lichtblick hatte der Abend also.“, murmelte Gott an seinen Bruder gewandt; leise und nur für ihn hörbar.
Die schmalen Lippen des Schwarzhaarigen verzogen sich zu einem amüsierten Schmunzeln. „Wenn du damit mich meinst, gebe ich dir vollkommen recht.“, grinste er schließlich und sein weißhaariger Bruder musste sich ein Lachen verkneifen. „Das ist so typisch für dich, Lucifer!“,entgegnete er vergnügt. Offenbar konnte dieser Abend doch noch angenehm werden. Für beide. ~*~ Goldfarbene Augen öffneten sich, nachdem der Besitzer dieser zum
wiederholten Male gerufen wurde. Gott saß auf seinem Thron und war für eine kurze Zeit in seinen Erinnerungen versunken. Wie lange war es her, seit er damals mit seinem Bruder dieses Fest genossen hatte, trotz ihres anfänglichen Sträubens? Die Antwort darauf: Viel zu lange. Viel zu lange war es her, seit Gott aus vollem Herzen lachen konnte, er selbst sein konnte. Vor seinen Erzengeln und Untergebenen war dies schier unmöglich. Einzig in Gegenwart seines Bruders war er der Mann, welcher er von Beginn auf wirklich war. Und nun? Nun war sein Bruder gegen ihn. Feinde, das waren sie jetzt. Ihre einstige Liebe war in rasenden Hass umgeschlagen und das
einzig wegen seiner Schwäche… „Mein Herr…“ Das war Raphaels Stimme. Gott schüttelte leicht sein Haupt und widmete seine Aufmerksamkeit seinen Erzengel. Seine Augen ruhten auf der Gestalt seines Abbildes von Gerechtigkeit. „Ihr habt mich rufen lassen.“ Demütig verneigte sich Raphael, so, wie es Lilith vor so langer Zeit getan hatte. Auch sie hatte ihn verlassen, hatte sich seinem Bruder angeschlossen und wandelte nunmehr als Dämon in der Hölle. Bitterkeit stieg in dem Herrscher des Himmels auf. Seine Vergangenheit holte
ihn besonders in dieser Zeit häufig mit einer geradezu schmerzhaften Wucht ein. „Ja, das habe ich.“, wandte er sich dem Engel zu. Seine Stimme ließ nichts von seiner inneren Zerrissenheit ahnen. „Das Mädchen Serah befindet sich in den Fängen von Lucifer. Diese Vorstellung behagt mir nicht! Als himmlisches Wesen ist es dir durch die Regeln nicht erlaubt, Serah einfach der Hölle zu entreißen, jedoch darfst du sie mit ihrem Einverständnis mitnehmen und mein Bruder wäre dagegen machtlos.“, begann Gott seinen Plan auszusprechen. Er musste Serah so schnell wie möglich aus dem Einflussbereich seines Bruders
entfernen, ansonsten würde das reine Licht ihrer Seele noch von den Sünden vergiftet und damit wäre sein Ziel, seine Macht zu verstärken, gescheitert. Raphael vor ihm wurde plötzlich blass. „I-ihr meint… ich soll die Hölle betreten und…und danach verlangen, mit Serah zu sprechen?“ Seine Stimme zitterte. Ob vor Unglaubwürdigkeit oder Furcht vermochte Gott es nicht zu sagen. Vielleicht war es beides, jedenfalls konnte er seine Unsicherheit deutlich spüren. „Ja. Hab keine Furcht, den Dämonen ist es verboten, einen Engel in ihrer Welt zu töten, sollte dieser freiwillig in ihr Reich eintreten. Verlange nach meinem Bruder
und seinem Gast. Sorge dafür, dass Serah wohlbehalten mit dir hierher zurückkehrt!“, befahl Gott, jedoch nicht ohne einen sanften, beschwichtigenden Unterton. Raphael nickte leicht.
„Wie Ihr wünscht, mein Herr.“, sprach er deutlich. Dennoch zitterte seine Stimm leicht und Gott konnte es ihm nicht verübeln. Wäre er nicht an den Himmel gefesselt, würde er ja selbst mit seinem Bruder sprechen, doch leider verhinderten die Ketten seiner selbst dieses Unterfangen. Raphael verließ mit schnellem Schritt den Thronsaal und der Weißhaarige blieb allein zurück. Allein mit seinen Gedanken an längst vergangene Tage.
gela556 Was, wenn es wirklich solche Engel gibt und wir sie nur nicht mehr sehen können, Vielleicht weil unsere Herzen zu Eis wurden, oder weil die Engel sich uns nicht mehr zeigen wollen, da der Mensch ihnen schon zu verdorben ist. Ja, man kann sich viele Gedanken dazu machen. Eine schöne Geschichte LG, Gela |
HeavenLumen Guten Morgen liebe Gela, Herzlich Willkommen bei dem ersten Teil meiner Deamonreihe. Ich hoffe du bist auch weiterhin dabei, dieses Buch ist bereits abgeschlossen und wird hier nach und nach aktualisiert. Deine Gedanken gefallen mir und ich teile sie auch. Wir Menschen haben den Glauben und die Hoffnung verloren, wir sind blind für das offensichtliche und mit diesem Roman möchte ich den Lesern die Augen öffnen, ihnen zeigen dass sie falsch liegen. Ich freue mich dass du mit dabei bist und wünsche weiterhin viel Spaß! Liebste Grüße, deine Heaven |