Anmerkungen:
Genre: Mystery/Krimi/Psycho
Länge: 25 Teile
Zeitraum: Gegenwart
"Oh Christ, how I hate what I have become"
Nightwish - The poet and the pendulum
Die anderen saßen auf umgehauenen Baumstämmen am Rande des Waldes. Dort begann der sanft ansteigende Hügel, der in einiger Entfernung zu einem der Berge wurde, die das Tal einschlossen. Sie hatten sich zum Grillen getroffen. Das taten sie oft, denn sie waren eine eingeschworene Gruppe. Sie grillten hier oder am nahen See. Dort gingen sie dann auch schwimmen. Das die anderen sie mitnahmen, zeigte ihre Großzügigkeit, denn in
ihrem Heimatort war jeder davon überzeugt, dass sie verrückt war. Überhaupt konnte sie froh sein, dass Jürgen bei ihr geblieben war und "sie nicht in die Klappsmühle abgeschoben hat, da gehört das Weib nämlich hin, wenn sie mich fragen." (Originalton Leni Silberstein) Das er sich ab und zu eine "richtige Frau" suchte, mochte ihm niemand verdenken, wo er doch "die ganze Zeit mit der Verrückten zusammen sein musste". Als erfolgreicher Geschäftsmann war er immerhin eine Stütze der Gesellschaft.
All das wusste Melanie. Sie vermochte aber nichts dagegen zu tun, weil sie seit jener Nacht vor gut zwanzig Jahren von Angst beherrscht wurde. Die Erinnerungen quälten sie. Sie war nicht verrückt und eine psychologische Behandlung hätte ihr ein glückliches Leben bescheren können. Doch daran hatten die anderen kein Interesse, allen voran Jürgen, der wusste, dass sie dann die Kraft gefunden hätte, ihn zu verlassen. Was für eine Blamage wäre das
gewesen.
Wie meist hatte Melanie die anderen am Grillplatz sitzen lassen und war in den Wald gegangen. Denen war das nur recht. Sollten sich doch die Bäume um die Idiotin kümmern.
Nur kurze Zeit bleib Melanie auf dem ausgetretenen Weg. Sobald sie ein Lücke in dem kleinen grünen Farnwald zu ihrer Linken erspähte, trat sie zwischen die hüfthohen Pflanzen. Nach rechts hatte sie gar nicht erst geschaut, doch das war ihr nicht aufgefallen. Ein Eichelhäher vermeldete rätschelnd ihre Ankunft, doch zumindest ein Specht ließ sich darum nicht von seiner hämmernden Arbeit abhalten. Welche Tiere des Waldes die Warnung ernst nahmen, ließ sich nicht sagen, denn sie blieben nun ja still.
Melanie machte das nichts aus. Sie genoss den warmen Sommertag im Wald, das leuchtende Blätterdach, die Sonnenstrahlen, die man sehen
konnte, wenn sie es durchbrachen, die Geräusche, die, außer jenen, die sie selbst verursachte, von keinem Menschen stammten und den weichen Boden unter ihren Füßen. Nicht immer, aber sehr oft fühlte sie sich im Wald sehr wohl. Sie hob den Kopf, um den nimmermüden Specht ausmachen zu können, doch nur sein "tok, tok, tok" drang an ihre Ohren. Einen Blick auf den Vogel zu werfen, blieb ihr verwehrt. Ein wenig unglücklich suchte Melanie nach anderen geflügelten Freunden im Geäst der Bäume. So kam es, dass sie nicht auf ihre Füße achtete und diese brachten sie ins Straucheln und zu Fall. Sie konnte sich mit beiden Händen abstützen, aber ihre Hose war dreckig geworden. Das würde Jürgen gar nicht gefallen.
Als sie den Kopf drehte, erkannte Melanie, warum sie gestolpert war. Der Waldboden hatte an dieser Stelle nachgegeben, die Erde war eingefallen. So hatte sich eine Senke gebildet,
die, klein und viereckig, so gar nicht hierhin passen wollte. Mehrere Minuten saß Melanie da und starrte. Etwas wollte die Angstbarriere in ihrem Kopf durchdringen.
Als es dem gelang, erfasste sie ein unbeschreibliche Panik!
Sie sprang auf und rannte so schnell sie konnte den Hügel hinunter. Die nochmalige, sehr viel lautere Warnung des Eichelhäher verfolgte sie wie Spott. Noch zwei Mal stürzte Melanie, überschlug sich dabei einmal sogar, bis sie den Grillplatz erreicht hatte. Ächzend und stöhnend sprang sie zwischen die anderen.
"Da! Jaja, dada. Im Wald, im Wald. Gesehen. Ich habs gesehen. Der Boden. Der Boden, so" - mit den Händen machte sie eine Geste, die das Nachsacken des Erdreichs verdeutlichen sollte - „hat er. Da!"
Fünf Augenpaare blickten sie verständnislos an. Jürgen kam auf sie zu, packte sie bei den Schulter, rüttelte und schüttelte sie und als
Melanies Geschrei nicht endete, verpasste er ihr zwei kräftige Backpfeifen. Nun war sie still und hielt sich die schmerzende Wange.
"Blödes Weibsstück!", schimpfte er und drückte seine Frau auf einen Baumstamm, der ein wenig abseits von den anderen lag, wo er sie gut im Auge behalten konnte. Dann wandte er sich wieder dem köstlichen Fleisch zu, dass auf dem Grill lag.
- Fortsetzung folgt -