Humor & Satire
WIR LASSEN SIE UNGERN WARTEN

Bleistift

WIR LASSEN SIE UNGERN WARTEN

Kurzgeschichte

WIR LASSEN SIE UNGERN WARTEN

Die Hitze dieses Sommertages hatte kaum erst den halben Vormittag aufgefressen, da begann sie ihn auch schon wieder mit aller Macht auszudünsten. Ausgerechnet in der Arztpraxis, wo ich wieder einmal mit konstanter Regelmäßigkeit zu Gast sein durfte. Ich weiß, dass ich nicht hinreichend gesund bin und ich weiß auch, dass ich auf einen solchen Termin nicht ohne mögliche negative Folgen verzichten kann. Aber es nervt dennoch ziemlich gewaltig, trotz eines langfristigen Bestelltermins. Noch zumal, wenn der Warteraum mit Patienten bereits überfüllt ist und sich der Aggregatszustand der

Luft gerade von gasförmig nach fest zu verändern droht. Was möglicherweise darauf hindeutet, dass sie sich in Kürze wohl zu einem schneidbaren Würfel entwickeln könnte. Der letzte eingetretene Patient schien nach einer lautstark und übermäßig freundlich geäußerten Begrüßungsformel gegen eine Wand aus stumpfsinnigen Schweigen und sauerstoffarmer Luft geprallt zu sein, denn er machte prompt wieder auf seinem Absatz kehrt. Wahrscheinlich zog er es vor, lieber draußen auf dem schwach frequentierten Flur stehend, auf seinen Aufruf zu warten. Dort, wo wenigstens durch das gelegentliche Öffnen und Schließen der Türen halbwegs so etwas ähnliches, wie ein partieller Luftaustausch stattfand. Die Zeit schien geradezu träge und

ereignislos dahin zu tropfen. Je geringer der Sauerstoffanteil in der Luft wurde, umso klebriger tropften sich die Sekunden wie zähflüssiges Baumharz in die Länge. Mangels anderer sinnvoller Beschäftigungen in dieser sauerstoffarmen Region geriet auf der gegenüberliegenden Seite plötzlich eine Pinnwand in mein Blickfeld. Darauf befanden sich mehrere unterschiedliche Poster mit allerlei gutgemeinten Ratschlägen für den Erhalt unserer Gesundheit. Auf dieser bunt gespickten Werbefläche entdeckte ich unter anderem ein unscheinbares, graues Poster, welches dennoch sogleich meine ungeteilte Aufmerksamkeit erregte. Unschwer konnte ich zwar noch die Balkenüberschrift entziffern, den darunter geschriebenen, nachfolgenden

Halbsatz jedoch nur noch fragmentarisch entschlüsseln und ihn, im Geiste zu einer gewissen Logik zusammengefügt, ergänzen... WIR LASSEN SIE UNGERN WARTEN, manchmal ist es jedoch unumgänglich. Der restliche Inhalt des Posters blieb mir leider verborgen, weil sich die Schriftgröße des Haupttextes ein weiteres Mal halbiert hatte und aus diesem Abstand heraus nicht einmal mehr mit einer Marken-Brille zu lesen war. Und zwar auch deshalb, weil ein gewisser Herr Fielmann nicht wollte, dass ich mit seiner Brille für die Ferne, in einem Abstand von knapp vier Metern immer noch spannende Bücher lesen konnte. Denn dafür hatte er ja schließlich extra eine Lesebrille entwickelt, die er mir natürlich auch nicht ganz uneigennützig,

sondern eher noch zusätzlich berechnen durfte. Zweierlei konnte ich also nach einem ersten innerlich sarkastischen Auflachen dieser ungewöhnlichen Botschaft entnehmen. Erstens, die Ärzte wollten den Patienten eigentlich nicht lange warten lassen und zweitens, sie teilen ihm über ebendiesen Flyer im gleichen Atemzug mit, dass es manchmal jedoch unvermeidlich ist. Also wann immer ich dort in diesem Wartezimmer aufschlage, scheint es allerdings andauend unumgänglich zu sein, trotz eines langfristig vergegebenen Termins, stets auch längere Wartezeiten in Kauf nehmen zu müssen...

Ein Weilchen echote diese aufschlussreiche Balkenüberschrift noch in meinem Kopf hin

und her und dann begann ich diese fünf Wörter nach Belieben mit unterschiedlicher Interpunktion umzustellen. Immer in der Hoffnung, ich würde mit genau denselben Wörtern irgendwann einmal exakt das ganze Gegenteil von dem erreichen, was dort eigentlich geschrieben stand. Denn gefühlt, würde die Umkehrung wahrscheinlich eher der Realität entsprechen. Wobei ich auch nicht stockstur behaupten möchte, dass die Mediziner eine diabolische Freude dabei empfinden, ihre Patienten unnötig lange auf eine Behandlung warten zu lassen. Denn ein permanent leeres Wartezimmer ist gewiss auch kein allzu gutes Aushängeschild für einen guten Mediziner. So beschloss ich denn mehr aus einer Laune heraus mit der

Umstrukturierung dieser fünf Wörter zu beginnen und kam dabei zu folgenden, höchst überraschenden Ergebnissen… • WIR LASSEN SIE UNGERN WARTEN …das wird sich noch herausstellen… • SIE LASSEN WIR UNGERN WARTEN! …was meinem Ego schmeichelte… • LASSEN WIR SIE UNGERN WARTEN? ...blöde Frage, natürlich nicht! • WARTEN SIE UNGERN? WIR LASSEN! …aber Hallo… • WIR WARTEN, LASSEN SIE UNGERN …klingt schon versöhnlicher… • UNGERN WARTEN WIR! LASSEN SIE …das schon eher! • WARTEN WIR! SIE LASSEN UNGERN …in der Tat, der Doc hat natürlich

Zeit… • WIR WARTEN UNGERN!! LASSEN SIE …na, also, wusst‘ ich‘s doch… • WIR WARTEN UNGERN? SIE LASSEN …das kommt wohl eher selten vor… • WARTEN SIE! UNGERN LASSEN WIR …wenn das mal keine klare Ansage ist… • SIE, WIR WARTEN! LASSEN UNGERN …so schnell schießen die Preußen nun aber auch wieder nicht… • LASSEN SIE WARTEN? UNGERN WIR …Entschuldigung, aber ich warte immer... • UNGERN WARTEN SIE? LASSEN WIR …ha, die echt klassische Zurechtweisung…

• SIE WARTEN! WIR LASSEN UNGERN …da hast du’s, warte gefälligst, Kanaille… • WIR? SIE WARTEN LASSEN? UNGERN

…haltet den Dieb… • SIE, WIR WARTEN UNGERN! LASSEN ...Kompromissfähigkeit, alle Achtung... • WIR UNGARN LASSEN WARTEN SIE …hä? ...na, typisch Ausländer… • SIE WARTEN LASSEN? UNGERN, WIR …krassfetter Erklärungsnotstand… • WARTEN LASSEN WIR SIE UNGERN! …na, wer’s glaubt wird selig... • SIE, WIR WARTEN UNGERN! LASSEN …Ungeduld wird leider eher selten belohnt…

Gerade als ich noch eine weitere elementare Denksportübung zu Papier bringen wollte, betrat der Doktor höchstpersönlich das Wartezimmer. Vorwurfsvoll sah er mich an und meinte kopfschüttelnd zu mir,

»Na, Sie lassen uns heute aber warten, mein Lieber. Ich habe Sie nun schon zum zweiten Mal aufrufen lassen, wo zum Teufel bleiben Sie denn, Herr Wartenberg? Sie hätte ich jetzt beinahe kostenpflichtig in der Liste als 'Unentschuldigt fehlend' abhaken lassen«, grinste mich der Arzt meines Vertrauens an.

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Impressum Cover: selfARTwork Text: Bleistift © by Louis 2016/6 last Update: 2022/9