Flitterzeit
"Economy oder First Class?", fragte Ben. Elke sah ihn konsterniert an.
"Warum sollten wir Economy fliegen?", entgegnete sie verwundert. "Ist ja nun nicht so, dass wir am Hungertuch nagen würden." Ben schnaubte nur belustigt und setzte den Haken für "First Class".
Elke lächelte und wandte sich wieder ihrem Inneneinrichtungs-Magazin zu. Sobald die Hochzeit vobei war und sie ihre Flitterwochen hinter sich hatten, wollten sie in die Villa ihres Vaters ziehen, die er für sie freigemacht hatte. Jeden Morgen das wunderbare Panorama des Gardasees, und das ganz für sich! Sie freute sich jetzt schon darauf.
Doch erst mal ginge es in die Karibik, vier Wochen lang.
"Tauchst du gern?", riss Bens Frage sie wieder aus ihrem Magazin.
"Äh... ich bin noch nie getaucht", gestand sie erstaunt. "Du etwa?" Ben nickte.
"Ja, klar, macht super Spaß. Ich hab gerade ein Hotel gefunden, das in seinem Entertainment-Programm auch Tauchgänge anbietet. Magst du es mal versuchen? Den Kurs können wir auch hier schon für dich buchen, gibt genügend Tauchschulen hier, dann kannst du da gleich abtauchen", schlug er vor. Elke zögerte kurz, dann nickte sie.
"Ach, warum nicht. Schlimmstenfalls macht es mir keinen Spaß und ich backe in der Sonne, während du tauchst", erwiderte sie. Das
mochte sie an Ben so: er konnte ihr auch ihre Freizeitgestaltung lassen, wenn sie keine Lust auf seine hatte, und umgekehrt. Er nickte und buchte die Hochzeitssuite in dem Hotel.
Sonne auf der Haut
Die Karibik war wunderschön. Ben genoss die Sonne auf der Haut, während Elke im Wasser planschte. Sie hatte schnell gelernt, wie man sich unter Wasser bewegte. Noch hatte sie ein paar Probleme, das Equipment richtig zusammenzustellen, aber dabei würde er ihr schon helfen. Spaß hatte sie jedenfalls am Tauchen; sie hatte sich schon nach den ersten paar Stunden im nächsten Tauchverein am Gardasee angemeldet und wollte dann regelmäßig hin, sobald sie dort wohnten. Er freute sich darauf; die Villa war riesig und Elke hatte die letzten anderthalb Jahre damit verbracht, sie sehr geschmackvoll selbst einzurichten. Dazu war
die Aussicht hinreißend und das Gelände derart von Security abgeschirmt, dass man schon eine kleine Einheit Söldner gebraucht hätte, um die Bewohner zu stören.
Er betrachtete seine frisch Angetraute, während sie mit ein paar Kindern spielte. Sie entsprach in einigen Punkten nicht dem allgemeinen Schönheitsideal, aber das war ihm egal. Sie war ein bisschen sehr pummelig um die Hüften und hatte von ihrem Vater leider auch die Disposition zu schnell fettendem, dünnem Haar geerbt, auch wenn sie alles tat, um das zu ändern. Aber ihre Augen waren lebendig und fröhlich, und auch wenn ihr Verstand nicht überdurchschnittlich gut war, scheute sie sich nicht, ihn
einzusetzen. Er lächelte, als sie "Ertrinkende" für die Kinder spielte, die sie mit viel Gejohle retteten. Sie hatte ein großes Herz.
Ihm selbst wurde etwas mulmig, als er an die Kinderfrage dachte. Spätestens nach den Flitterwochen würde Elke wohl damit ankommen; sie war Mitte dreißig und sehnte sich nach einer Familie. Er hingegen scheute sich, diese Verantwortung einzugehen; er misstraute sich zutiefst, was das Vater sein anging.
Als ihm zu heiß wurde, ging er hinein und bereitete schon einmal die Tauchausrüstung für den morgigen Tauchgang vor.
Tauchgang
Kaustik malte bunte Lichtschlangen ins Wasser. Wasserpflanzen wiegten sich wie stumme Ballerinas zu einer unhörbaren Melodie. Bunte Fische schwammen zwischen den Korallen und Anemonen ein und aus. Dort war die Höhle, die sie vor ein paar Tagen gefunden hatten und heute erkunden wollten. Voller Entdeckerdrang schwammen sie darauf zu.
Die Strömung in der Höhle war stärker, als sie es vermutet hatten. Sie mussten sich anleinen, weil sie sonst weggerissen worden wären, doch das tat ihrer Vorfreude keinen Abbruch. Vielleicht gab es hier ja Piraten- schätze! Sie kicherten und balgten sich
spielerisch. Die Höhle war tief, doch das Seil war lang genug. Immer weiter drangen sie in die lichtlosen Kavernen ein, nur geleitet von den hellen Fingern ihrer Taschenlampen.
Irgendetwas stimmte nicht. Ihr wurde schwindelig. Elke griff nach dem Halteseil und sah mit verschwommenem Blick auf ihre Sauerstoffuhr. Um Gottes Willen! Sie hatte viel zu wenig Luft! Hektisch signalisierte sie Ben, dass sie aussteigen mussten. Er nickte und schwamm vor. Plötzlich jedoch wandte er sich mit einem schrecklichen Gesichtsausdruck um. In der Hand hielt er ein Messer. Elke erschrak. Mit einem Ruck kappte er ihr Halteseil, und die Strömung riss sie fort, immer tiefer in die Höhlen hinein.
Trauerzeit
Der tränenüberströmte Ehemann hielt ihnen das ausgefranste Ende eines Nylonseiles entgegen.
"Ich hatte die Ausrüstung eigentlich vorgestern erst überprüft... Nur die Seile, die habe ich nicht abgerollt", schluchzte er. Sergeant Wilson konnte ihn verstehen.
Der Mann war vor einer Stunde völlig durcheinander aus dem Wasser gekommen und hatte den Seenotruf angerufen.
Laut seiner Aussage waren er und seine Frau zu einer Unterwasserhöhle hinabgetaucht, wo sie sich wegen der starken Strömung angeleint hatten. Seine Frau sei voller Faszination voraus
geschwommen, und plötzlich habe es einen Ruck gegeben und sie sei mit hoher Geschwindigkeit von der Strömung mitgerissen worden. Er war ihr kurz gefolgt, doch als er an eine Gabelung gekommen sei, habe er lieber umgedreht, um Unterstützung zu holen. Er machte sich große Sorgen, dass ihr Sauerstoffvorat zur Neige gehen könnte, und hatte deshalb riskiert, etwas schneller zu steigen, als eigentlich gut war.
Natürlich waren sofort Taucher losgeschickt worden, um die Frau zu suchen, doch als sie nach acht Stunden wieder auftauchen mussten, war die Hoffnung für die Frau verloren. Der junge Mann brach vor Trauer zusammen und musste erst einmal in ein Krannkenhaus gebracht werden.
Zahltag
Ben schloss pfeifend die Tür auf und gab den Code für die Alarmanlage ein. Er lächelte sinnig vor sich hin. Die Beerdigung war vorbei. Sein Schwiegervater hatte es nicht lassen können, noch drei Monate nach dem Leichnam seiner Tochter suchen zu lassen, ohne Erfolg. Also hatten sie eben einen leeren Sarg in der Erde versenkt. Ben hatte sich nach dem Leichenschmaus zügig verabschiedet. Er hatte keine Lust auf das Geheule.
Heute war Zahltag. Seine fette Elke war den Weg alles Vergänglichen gegangen, und ab heute Abend würde er über wenigstens die Hälfte ihres Vermögens verfügen, wenn er
das Testament richtig im Kopf hatte - immerhin zweihundert Millionen Euro. Dafür hatte es sich gelohnt, diese naive dicke Kuh zu vögeln.
Ab morgen würden die geilen Häschen nur so Schlange stehen. Bah, Weiber. Auf eine Größe kam es ihnen sehr wohl an - die des Bankkontos. Aber wenigstens konnte er sich ab jetzt aussuchen, wer in seinem Bett landete.
Sein Weg führte ihn durch die Küche, wo er sich einen schönen kühlen Schampus eingoss.
"Auf Elke!", prostete er sich lachend selbst zu und ging ins Wohnzimmer.
Das Glas zerschellte auf dem Boden, als er
sich den dunkel gekleideten Männern gegenüberfand. Der rote Streifen an der Hose sagte ihm etwas. Hektisch sah er sich um, doch nun kamen sie aus den angrenzenden Zimmern. Er war umstellt.
"Signore Benjamin Ziegler, Sie sind verhaftet. Sie wurden angezeigt wegen versuchten Mordes an Ihrer Ehefrau, Elke Ziegler", schnarrte der vorderste Carabiniero, ein älterer Mann mit graumeliertem Schnauzbart.
"Versuchter Mord? Ich?", keuchte Ben. Der Mann nickte knapp und hielt zwei durchsichtige, versiegelte Beweistaschen hoch.
In der einen war ein kurzes Stück Nylonseil, auf der einen Seite ausgefranst, auf der anderen glatt gekappt.
In der anderen war eine Stirnkamera in ekelhaft grellen Farben, auf dem Band der Aufdruck "Benvenuto a Ambiente Acqua!".
Augenblicklich ging das Licht aus, und ein Lichtstrahl traf die weißgetünchte Wand des Wohnzimmers. Dort sah man deutlich, wie Ben das Seil kappte und dann das andere Ende gemütlich an den Höhlenwänden durchscheuerte.
"Wa-" Ben kam nicht mehr dazu, den Satz zu vollenden. Auf der Galerie trat Elke aus dem Schlafzimmer. Für einen Moment blieb ihm das Herz stehen.
Sie hatte sich verändert. Etwas abgenommen hatte sie, wenn auch nicht viel, doch ihre Augen waren härter geworden. Von ihrer ursprünglichen Naivität war nicht mehr viel zu
sehen.
"Danke, Capitano. Sie haben der Menschheit einen großen Dienst erwiesen", sagte sie und warf ein kleines, weißes Kärtchen herunter. Ben senkte den Blick.
"Elke Schönbrunn, Kriminalhauptkomissarin KriPo Köln", war darauf zu lesen. Wieder setzte sein Herz aus.
"Dieses Mal haben wir Sie", sagte sie kalt. "Sie mögen Witwe Ilona Schneider und Frau Sabine Winter spurlos haben verschwinden lassen, doch dieses Mal haben wir alles, was wir brauchen, um Sie hinter Gitter zu bringen. Lebenslänglich." Ben hob den verhangenen Blick, dann wurde er wirklich ohnmächtig.
"Gut gemacht, Frau Schönbrunn", lobte die
Staatsanwältin die Polizistin und klopfte ihr anerkennend auf die Schulter. Elke lächelte nur, dann zog sie sich zurück. Gerade hatte das OLG Köln Benjamin Ziegler alias Marcel Heigenbach alias Thorsten Schreiber zu lebenslänglicher Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Ihm wurde der versuchte Mord an Elke zur Last gelegt, während man noch zwei weitere Morde vermutete, aber nicht nachweisen konnte.
'Wenigstens für den Sex hat es sich gelohnt', dachte Elke müde. Es war schwer gewesen, dem natürlichen Charme dieses Mannes nicht zu erliegen, und mehr als einmal hatte sie sich fast in ihn verliebt. Hauptsache, er war hinter Gittern. Wenn sie doch nur wirklich vierhundert Millionen Euro hätte... ihr würde
es nichts ausmachen, kurz nach der Hochzeit von einem Goldgräber umgebracht zu werden, so lange sie glücklich starb. Traurig ging sie in ihre einsame Wohnung.