Kunstgarten
Mit der Zeit füllt es sich. Mit kritischem Auge verschaffe ich mir nochmals einen aktuellen Eindruck. Lasse meinen Blick schweifen.
Über alle möglichen und unmöglichen Kunstobjekte, die ich in der letzten Zeit geschaffen habe.
Von der Einsicht beflügelt, straffen sich meine Schultern.
Ganz groß.
Was ich hier geschaffen habe hat wirklich Größe. Langsam aber sicher wachse ich über mich hinaus.
Und das wunderbare daran ist, es wird bemerkt! Die Öffentlichkeit hat mich endlich wahrgenommen.
Das junge Mädel von Catering kommt mit dem Schampus vorbei. Ich greife mir gleich zwei Gläser und gehe auf Dorle zu.
„Schau, was ich für dich habe.“
Sie steht in einem betörenden Schwarzen vor mir und nimmt begeistert das Glas entgegen.
Beinahe kullern ihre verführerischen Möpse aus dem Ausschnitt. Ich weiß bereits, wie ihr Tagesplan aussieht, doch ich sage nichts dazu.
„Wo ist denn unser Herzblatt?“, fragt sie ohne Umschweife und streift mit ihrem
Blick über die zahlreichen Leute.
Ich zucke nur mit den Schultern, „ich habe ihn die letzten Tage nicht gesehen.“
„Habt ihr euch gestritten?“
„Nein, vermutlich braucht er eine Auszeit.“
Dorle sieht mich überrascht an, sagt aber nichts weiter. Dann breitet sich ein verkniffenes Grinsen auf ihrem Gesicht aus. Diese gepressten Lippen mit leicht hinabgedrückten Mundwinkeln. Man kennt das ja …
„Du entschuldigst“, ich wende mich einer anderen Gruppe zu, wusste ich doch die ganze Zeit, dass es ihr nicht um meine Kunst geht.
Dorle winkt ab und sucht sich selbst einen neuen Gesprächspartner.
Oder sie sucht die Gesellschaft nach Benno ab.
Darum kann ich mich in diesem Augenblick nicht kümmern. Es gibt weitaus wichtigeres.
Innerlich verdrehe ich die Augen. Äußerlich strahle ich die Gruppe schwarzer Rollkragenpullover an.
Ich selbst trage ein buntes Flatterkleid, brauche nicht nach Kunst aussehen, schließlich bin ich die Künstlerin. Dieses elitäre Gehabe geht mir mächtig gegen den Strich.
Doch wenn Geld fließt, wage ich es, über meinen Schatten zu springen.
Der Herr mit den Silber-Strähnchen hakt sich bei mir unter und führt mich zu einem Objekt.
Im Baum hängt ein Liebespaar, innigst miteinander verbunden.
„Dieses Paar berührt mich sehr. So sehr! Sie können sich das nicht vorstellen. Wieviel muss ich zusammensparen, wollte ich es erwerben?“
Engumschlungen drehen die Liebenden im lauen Wind.
Dieser Mann braucht sich nichts zusammensparen.
Ich zwinkere ihm zu.
„Drinnen liegen die Preislisten aus.
Dieses Liebespaar habe ich auf 1200,-€ gesetzt.“
„Lässt sich da was machen?“
„Ich überlege es mir. Doch wenn es jemand für diesen Preis kaufen möchte, wäre ich dumm, ich verspräche Ihnen zu dem jetzigen Zeitpunkt einen Geringeren. Der Tag ist noch jung, Sie verstehen?“
„Ich verstehe. Bitte tun Sie mir den Gefallen und befestigen einen roten Punkt an der dazugehörigen Objekttafel.“
„Das mache ich gern“, strahle ich ihn an.
„Es scheint mir, als hätten die beiden schon ihr ganzes Leben miteinander verbracht. Genau aufeinander abgestimmt. Sagen wir, wie Elle und Speiche.“
„Ja genau, diese Beiden werden niemals auseinander gehen. Sie werden sich wunderbar bei Ihnen zuhause machen.“
„Ich freue mich sehr, auch wenn ich ganz schön dafür bluten muss!“, freudig freundlich schüttelt er mir die Hand.
Wir stoßen an.
Ein guter Anfang.
Dann sehe ich nach, wie es mit den Grillvorbereitungen aussieht.
Die Sache läuft perfekt.
Ich hatte das Grillgut im Vorfeld akribisch vorbereitet und die ersten eingelegten Stücke liegen bereits auf dem glühenden Rost.
Jemand tippt mir von hinten auf die Schulter.
Ich drehe mich um.
„Beatrix!“ Lachend nehme ich meine liebste Freundin in den Arm.
„Ich habe ihn gesehen! Den roten Punkt!“, freut sie sich für mich.
„Cool down, meine Liebe. Es ist erst einer! Aber der Tag ist noch jung und ich wünsche mir …“, kurz überlege ich, „zwei noch. Noch zwei Pünktchen, dann feiern wir morgen ´ne Party, aber eine richtige!“
„Okay, dein Wort gilt!“, lacht sie.
„Sag mal, ist Benno nicht da?
Hat er dir nicht mit angepackt?
Was ist das denn für einer?“
Sie sieht über den gesamten Garten und bläst ihre Backen auf.
„Ich hab es doch gut allein hingekriegt, meinst du nicht? Und ganz ehrlich?
Im Vorfeld hat er einiges beigetragen. Wirklich! Also, ich glaube, beinahe mehr als ihm lieb war.“
„Was denn schon? Was kann der denn beigetragen haben?“
Ihr Minenspiel drückt wahrhaftige Geringschätzung aus.
„Was kann der schon, außer gut aussehen und rumvögeln?“
Bei diesen Worten denke ich kurz an das Carpaccio. Das Grinsen kann ich mir nur schwer verkneifen.
Weiß ich doch, dass selbst Beatrix bereits gekostet hat.
„Ja, Dorle ist schon ganz aufgebracht,
dass sie ihn nicht findet, sieh mal.“
„Die hat wirklich alles hochgerafft, was sie hat!“, lacht Beatrix.
„Benno würde es gefallen.“
„Vielleicht gar nicht schlecht, dass er nicht da ist.“
Ich nicke, „siehst du. Das ewige Teilen ist schrecklich. Deswegen bin ich froh, alles hier allein geschafft zu haben.“
„Nicht mal den Sekt müssen wir mit ihm teilen!“
Wir stoßen an.
Das Glöckchen läutet.
Das Grillfest ist eröffnet.
Als wäre die Gesellschaft wahrhaft ausgehungert, wird es sehr lebendig an der Theke.
Raffinierte Rezepte warten auf verwöhnte Gaumen.
Die bereits bestückten Teller sehen verlockend aus. Auch ich möchte mir den Genuss nicht entgehen lassen.
War ich doch schon immer neugierig, wie so etwas schmeckt.
Mein Nachbar tritt an mich heran.
„Darf ich fragen, was wir hier essen?“
Ich schaue ihn schelmisch von unten herauf an, „nein, es gehört zum heutigen Kunstprojekt und außerdem! Eine Künstlerin fragt man niemals nach so etwas, wie - - - Kochrezepten!“
Wir lachen.
„Ich meinte ja nur, weil es so besonders schmeckt. Noch nie habe ich Gegrilltes
so gegessen. Aber vielleicht kann ich ja morgen mal anklingeln … wenn du wieder einfach meine Nachbarin bist, meine ich.“
„Morgen wird auch nichts verraten. Das kannst du dir getrost abschminken. Genieße es einfach!“
Er zieht eine Schnute, zuckt kurz mit den Schultern und setzt sich wieder zu seiner niedlichen Frau.
Er weiß, wie viel und wie lange ich in den letzten Tagen gearbeitet habe.
Des Öfteren hatten wir uns bei einer nächtlichen Zigarette vor der Tür getroffen.
Eilig gehe ich ihm nach und drücke von hinten seiner Eva leicht die Schulter.
„Na, schmeckt es?“
Sie sieht zu mir hoch und lächelt zufrieden. Wir stoßen kurz mit dem Sekt an und wünschen uns gegenseitig einen guten Nachmittag.
In etwas Entfernung sehe ich ein weiteres bekanntes Gesicht.
Jede meiner Vernissagen hat sie bisher aufgesucht. Und immer, wenn sie mit Benno wieder aus dem nichts auftauchte, kaufte sie.
Mal was kleines , mal was großes.
Eine Kunstsammlerin mit Stil.
Im schlichten Cremefarbenen steht sie vor meiner Luftharfe. Es handelt sich um den Rippenbogen, der im Wind schwingt und dank der besonderen Bearbeitung
und Lackierung außerordentlich melodisch klingt. Die Spiegelung des Lackes lässt das ganze Gebilde beinahe durchsichtig erscheinen.
Wie Luft die klingt.
„Guten Tag, wie schön, Sie zu sehen“, ich schüttele ihre Hand.
Die Dame steht mit offenem Mund vor der Harfe.
„Das ist so wunderbar … mir fehlen die Worte.“
Dann schaut sie mich endlich an.
„Es ist, als wäre es nicht da, aber es klingt wie aus einer anderen Welt.
So …“, sie reißt ihre Augen auf, als sollten die es richten, „so … es gibt noch kein Wort dafür. Wir müssen dringend
eines erfinden!“
Wir lachen und stoßen an.
„Ein schöneres Kompliment können Sie mir nicht machen! Ich fühle mich geehrt!“, sage ich und hebe nochmals das Glas zum Gruß, zum Lob, wie auch immer.
„Ich sehe Ihren Mann überhaupt nicht. Wo ist er denn?“
„Wir sind nicht verheiratet. Das sieht immer so aus, nicht wahr? Er hat sich mal eine Auszeit genommen. Soll er. Dafür sind wir ja unabhängig.“
„Das ist aber schade“, meint die stilvolle Dame dazu und ein dezenter Schatten zieht über ihr Antlitz.
Das dachte ich mir schon, denke ich mir
so, sicher bist du frisch gewachst – extra für ein Stündchen mit Benno an diesem wunderbaren Nachmittag. Er hätte heute wieder einiges zu tun gehabt, der Benno.
Sie sieht auf die Uhr.
Hat sie noch ein zweites Eisen im Feuer? Umsonst gewachst ist bitter!
Ich verstehe das.
„Kann ich die Luftharfe direkt mitnehmen? Ich bin die nächsten Tage sehr beschäftigt und ich hätte sie gern schon bei mir, Sie verstehen.“
Ich verstehe. Natürlich.
„Ich mache Ihnen einen Vorschlag:
Sie gehen rüber zur Terrasse und essen dort ein wenig vom Gegrillten und ein paar leckere Kleinigkeiten, und ich
verpacke Ihnen die Luftharfe ganz in Ruhe, damit Sie sie unbeschadet nach Hause bekommen.“
Die stilvolle Dame strahlt mich an und reicht mir vornehm die Hand.
„Das ist sehr freundlich von Ihnen.
Ich rechne Ihnen das hoch an.“
„Es ist schon in Ordnung. Die Ausstellung ist ja recht umfangreich. Wobei mir selbst ein wenig das Herz blutet, wenn ich daran denke, wie still es gleich an diesem Ort sein wird.“
Wir lachen leise und einvernehmlich.
Sie wendet sich der Terrasse zu und ich besorge mir eine Leiter.
Lass es dir schmecken, meine Liebe … 2700,-€ im Sack! Dafür kann ich auch
die Ausstellung ein wenig schmälern. Soll sie sich die Luftharfe in den Garten hängen und sich das „Lied vom Tod“ spielen lassen.
Verschmitzt lächelnd verpacke ich das gute Stück in Luftbläschenfolie, als sich jemand neben mich stellt und sich geräuschvoll räuspert.
Ich sehe auf. Der Theo, dieser olle Flegel!
„Was machst du denn hier?“, lache ich. Den kann ich hier überhaupt nicht gebrauchen!
„Ich habe in der Zeitung von Dir gelesen und dachte, ich schaue mal vorbei!“
„Nein, was für eine grandiose Idee!“ Diese ewige Heuchelei! Ganz kurz finde
ich mich nicht so toll, verwische dennoch alles schnell mit dem Lappen des guten Benehmens.
Vielleicht brauche ich demnächst neues Material, dann könnte er durchaus nützlich werden!
„Sag mal, was hängt denn da in deinen Bäumen?“
„Ach, mein Lieber, nennen wir es das Geheimnis der Künstlerin. Ich spreche nicht gern darüber, wie ich das alles fertige und wie es in meinem Kopf entsteht.
Da könnte ich ja direkt ein DIY-Video ins Netz stellen.“
„Hm“, er sieht unzufrieden aus.
„Dann sag mir, was da um deinen Hals
hängt.“
Sachte fahre ich mit meinen Fingern an Bennos Zehenknöchelchen entlang. In der Mitte treffen sich die „dicken Onkels“. Mit buntem Lack marmoriert, sehen sie unglaublich aus. In den Farben gold, braun und etwas rot. So rot wie tiefer satter Rotwein.
„Perlen. Ich trage Perlen aus eigener Herstellung an meinem Hals.
Aufgereiht auf einem Titanreif.
Genügt dir das?“
Er lässt die Augen über den Garten schweifen und sieht nicht sehr zufrieden aus.
„Ach Theo, ich weiß doch, dass du mit Kunst nicht wirklich viel anfangen
kannst. Es ist nicht schlimm.
Ich nehme es dir nicht übel, wenn es dir nicht gefällt.
Ich weiß, du meinst das nicht persönlich. Aber sieh mal dort, da kannst du dir einen Snack nehmen. Ich habe jedes Stück Fleisch von Hand eingelegt.
Neue Rezepte ausprobiert und ordentlich experimentiert.
Versuch mal davon, solange noch etwas Auswahl da ist. Es wird dir bestimmt schmecken.“
Mit diesen Worten nehme ich die Luftharfe auf und bringe das gutverpackte Stück zu der stilvollen Dame mit der dicken Geldbörse.
Die freut sich und bedankt sich für das
vorzügliche Essen.
Wir spülen mit etwas Schampus nach.
Gute Stimmung und staunende Gesichter, wohin ich sehe.
Der Rubel rollt.
Die Kasse klingelt.
Am Ende des Tages wirkt der Garten wie ausgeraubt und sämtliche Platten sind geputzt.
Adieu Benno, es war eine gute Zeit mit dir.