Kapitel 15 Zwist
Merl hatte schon gewusst, dass etwas nicht stimmte, als man ihn rufen ließ. Doch da hatte er noch geglaubt, dass es wohl nur sein Meister wäre, der ihn wegen etwas sprechen wollte. Die Nachricht über Zacharys Rückkehr hatte sich wie ein Lauffeuer in der Stadt verbreitet und kaum jemand hatte die Nachricht so freudig aufgenommen wie er und wie Armell. Es schien schlicht ein kleines Wunder inmitten all der Katastrophen, die sie ereilt hatten, das ausgerechnet Zachary entkommen sein sollte. Und doch ließ niemand, der ihn
auf seinem Weg durch die Stadt gesehen hatte, einen Zweifel daran. Auch wenn der Mann seltsam ungreifbar blieb. Merl hatte nach ihm gesucht, ihn jedoch nicht finden können und hatte er eigentlich damit gerechnet, sofort zu ihm gerufen zu werden, dauerte es bis zum frühen Abend, bis sie endlich Nachricht erhielten.
Und als er nun durch die Türen zum Thronsaal des Kaiserpalastes trat, steigerte sich das ungute Gefühl, das ihn befallen hatte nur noch. Was ihn dort erwartete waren ernst dreinblickende Gesichter und keines davon gehörte Zachary…
Der Thronsaal lag genau im Herzen des
ausladenden Komplexes aus Türmen, Mauern und Gebäuden, die den Palast bildeten, eine große Halle, die angeblich den versammelten Adel Cantons aufnehmen konnte… und dabei immer noch leer wirken würde. Große Säulen aus weißem Marmor stützten im Abstand von jeweils hundert Schritten die hohe Decke, auf der sich ein ausladendes Gemälde befand. Fast lebensecht schimmerte einem der Abendhimmel in Rot und violett tönen entgegen, während gezeichnete Wolken sich beinahe unmerklich zu bewegen schienen. Uralte Kristalle, die sanftes Licht abgaben, verstärkten die Illusion sich tatsächlich unter freiem Himmel zu befinden noch
zusätzlich und brachte den Sitz im Herzen der Kammer wie von innen heraus zum Leuchten. Der Bernsteinthron mochte hier schon gestanden haben, lange bevor der erste Mensch einen Schritt über die nördlichen Berge tat. Aus halbdurchsichtigen , Honigfarbenen Stein gefertigt schien er nicht unwirtlich, so als gehörte der ganze Thron nicht wirklich hierher und in die hohe , goldene Lehne war genau in Kopfhöhe eine Aussparung eingelassen, in der ein einzelner runder Bernstein funkelte.
Kaiser Kellvian Belfare saß inmitten all des Golds und wirkte in dem weißen Gehrock, den er trug wie ein heller
Schatten. Das Licht, das durch die Lehne des Throns sickerte, verstärkte diesen Eindruck nur noch und Merl verstand in diesem Moment, wieso manche die alten Kaiser als lebende Götter gesehen hatten. Doch Kellvian wirkte im Augenblick eher besorgt, die grünblauen Augen ernst und müde. Wie sie alle hier…
Der Kaiser war ein Mann jenseits der vierzig, dessen einst goldblondes Haar und Bart bereits die ersten grauen Strähnen aufwiesen. Darüber konnte auch der Goldreif über seiner Stirn nicht hinwegtäuschen. Die Krone Cantons war erstaunlich schlicht gehalten, ohne jede Insignien oder Zierrat. Lediglich ein einzelner, klarer Stein war genau in der
Mitte eingelassen worden… und vermutlich war bereits dieser Diamant mehr wert, als alles andere in diesem Raum, dachte Merl bei sich. Angeblich war Kellvian ein Mann, der viel lachte… doch seit einigen Wochen wurde in der fliegenden Stadt nur noch selten gelacht…
Um den Thron herum hatte eine Gruppe von zehn Gardisten Posten bezogen, zwei davon in traditionellen Panzerungen, in die man das Wappen des Kaiserhauses getrieben hatte, das Doppelbanner von Löwe und Adler , das sich auch auf den Flaggen zeigte, die von den Säulen herab hingen. In Gold und Silber gehalten, wirkten die Tiere fast lebendig, als
würden sie sich jeden Moment aufeinander stürzen wollen. Jeder der zwei Männer trug ein schweres Großschwert, dessen Spitze auf den Boden ruhte und stand so regungslos da, als handle es sich bei ihnen um Statuen. Angeblich hatte der Kaiser einigen Paladinen Helikes erlaubt, in die kaiserliche Garde einzutreten, vielleicht waren das also zwei davon? Wenn ja, dann war alleine schon die Geste, sie in der Reihe seiner Wächter zuerst aufzustellen eine mächtige, dachte Merl. Kellvian musste sich ihrer Loyalität absolut sicher sein…
Die übrigen acht Wächter hatten sich jeweils in Vierergruppen zu beiden
Seiten des Throns aufgestellt und trugen die normalen Uniformen im Blau der Garde. Vergoldete Knöpfe, die ebenfalls das Wappen des Kaiserreichs zierte glitzerten im Schein der Kristalle und auch wenn die Männer genauso regungslos wie ihre Brüder aus Laos dastanden, ihre Augen ruhten nie, sondern wanderten suchend über die Anwesenden, bereits, beim geringsten Anzeichen von Gefahr sofort zu reagieren.
Wer glaubte in all dem Prunk hier, wäre die Garde weich geworden, der würde wohl schnell eines Besseren Belehrt werden. In Friedenszeiten mochten sie vor allem als Leibwächter agieren, aber
in Krisenzeiten bildeten diese Männer die schlagkräftigste Truppe des ganzen Reichs… und vielleicht auch darüber hinaus, wenn man mit den Paladinen streiten wollte.
Neben den Gardisten entdeckte Merl Syle, den Hochgeneral der Garde. Der Bär hielt sich etwas Abseits seiner Männer , beobachtete jedoch genau wie sie den Raum. Und auch wenn er sich hinter die anderen Anwesenden zurück stellte, war er dank seiner Größe doch kaum zu übersehen. Braune Augen glitzerten in einem mit braunem Pelz besetztem Gesicht, durch das sich eine dünne Narbe zog. Genau ihm gegenüber wiederum stand Quinn, der
Ordensoberste des Sanguis-Ordens. In den dunklen Roben die er trug, wirkte er fast wie das genaue Gegenstück zu Kellvian. Ein Schatten mit ergrauten , matten Haaren , der vom Alter bereits leicht gebeugt dastand. Und wohl nicht nur davon. Doch seine Augen wirkten wach und seine Züge, obwohl schon von Falten zerfurcht, genauso ernst und Aufmerksam, wie die der Gardisten. Unter den weiteren Anwesenden entdeckte er auch noch Eden, Cyrus, Elin… und schließlich Naria und Galren, der tatsächlich besser aussah, als seit Tagen. Die tiefen Ringe unter seinen Augen waren nicht verschwunden, doch irgendetwas schien in die grauen Augen
des Mannes zurückgekehrt. Vielleicht war es nur ein schwacher Funke Hoffnung, doch Merle entging die Veränderung nicht und Armell stieß sogar einen kaum hörbaren, erleichterten Seufzer aus. Und erst da wurde Merl klar, dass das er zweite Grund hätte sein können, aus dem man ihn rief. Das Galren zusammengebrochen sein könnte oder schlimmeres. Doch auch das war nicht der Fall und die At, wie sich alle Augen auf ihn richteten, als er eintrat, gefiel ihm gar nicht. Es war nur Armell zu verdanken, dass er nicht auf der Stelle stehen blieb. Die junge Adelige trat schlicht an ihm vorbei und ohne langsamer zu werden in die Halle hinaus,
womit ihm nur blieb, alleine zurück zu bleiben oder sich endlich in Bewegung zu setzen.
,, Was ist passiert ?“ , fragte er . ,, Ich habe gehört Zachary sei zurück, aber warum…“
,, Ich fürchte, Merl, es war nicht euer Meister, der zu uns zurückkehret ist. Nicht wirklich jedenfalls.“ Es war der Kaiser der Sprach und das Mitleid in seiner Stimme machte Merl Angst. Irgendetwas ging hier vor sich und er wusste nach wie vor nicht was. Und dann sprach Kellvian das aus, was seine schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen schien. ,, Ich fürchte, euer Meister könnte fort sein, Merl. Wer in seiner
Gestalt zu uns kam, war niemand anderes, als Ismaiel selbst. Ich weiß weder wie, noch wieso Zachary das getan hat, aber es gibt keinen Zweifel daran.“
,, Er hat den Seelenbrunnen benutzt, oder ?“ , verlangte Quinn zu wissen und mit einem Mal war der Mann Merl viel zu nahe, ragte über ihm auf, wie eine dunkle Wolke. ,, Antwortete mir, Junge…“
,, Ja, aber…“ Er fand sich unfähig etwas zu erwidern und der ältere Magier ließ ihm auch keine Gelegenheit dazu.
,, Verdammt Junge, wisst ihr, was das anrichten kann ? Nun jetzt wohl schon. Aber jetzt ist es verdammt noch mal zu spät dafür! „ Statt ihm Gelegenheit zu
geben, etwas zu erwidern, wendete er sich an den Kaiser. ,, Ich habe ihn gewarnt, Herr, ich habe ihn wieder und wieder gewarnt, das es ein Fehler wäre, dieses Ding zu behalten…“
,, Ich weiß sehr gut, was wir riskiert haben .“ Merl fand seine Stimme erstaunlich schnell wieder. Mochte sein, das es ein Fehler gewesen war, aber wenn es eine Sache gab, die er sich nicht anhören würde, dann wie jemand das gesamte Lebenswerk von ihm und Zachary derart abtat. Als einen Fehler… Er spürte das unvertraute Gefühl der Wut in sich aufsteigen. ,, Und vielleicht solltet ihr mich deshalb auch anhören, bevor ihr so leichtfertig über Zachary
urteilt. Ich verdanke ihm und diesem…Fehler mein Leben, Quinn. Ich bin sein Schüler, genauso wie auch der letzte direkte Spross des alten Volkes. Vielleicht wäre es also ganz gut, wenn ihr mir zuhört, wenn ich sage , dass es nicht eure Aufgabe ist, darüber zu urteilen…“ Merl atmete steif durch. ,, Unsere Arbeit ist nicht gefährlich. Zumindest nicht für irgendjemand anders… Und es ist nicht dafür verantwortlich, was mit Zachary passiert ist!“
,, Und könnt ihr mir das auch beschwören ?“ , fragte Quinn schlicht. Merls schweigen schien ihm Antwort genug und er wollte sich bereits wieder
dem Kaiser zuwenden, als der junge Magier den Kopf schüttelte.
,, Nein. Nein ich kann es nicht, Quinn…“ Er wünschte er könnte es. Er wünschte er könnte schwören, das Zachary nicht genau gewusst hatte, was er tat… und was das mit sich bringen konnte. ,, Aber darum geht es jetzt auch gar nicht, oder ? Wenn er wirklich besessen ist, müssen wir ihm helfen. Das ist jetzt wichtig…“
,, Es gibt keine Heilung.“ , erwiderte der ältere Magier . ,, Wenn Ismaiel überhaupt etwas von eurem Meister übrig gelassen hat, heißt das. Doch so oder so, ich sehe nur einen Weg. Er muss sterben, bevor er irgendwelchen Schaden
anrichten kann. Ich habe ihn immer wieder gewarnt, Herr… jetzt muss er auch die Konsequenzen tragen.“ Einen Augenblick lang folgte auf Quinns Worte nur Stille. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als sich alle Blicke auf den Magier richteten.
,, Seit ihr Wahnsinnig ?“ Drei Stimmen, die fast gleichzeitig sprachen, durchbrachen die Stille. Merl war überrascht, seine eigene darunter zu hören. Und Armell sowie Eden, die einen fast drohenden Schritt auf den Zauberer zu machte. Kurz hatte er tatsächlich befürchtet, er würde der einzige sein, der gegen den Vorschlag sprach. Es tat gut zu wissen, dass er
Rückendeckung hatte. Quinn war eine beeindruckende Erscheinung, wenn schon nicht körperlich, so doch zumindest magisch und Merl konnte nicht anders, als sich in seiner Nähe Unwohl zu fühlen. Wenigstens stand er aber nicht alleine…
,, Ich könnte euch dasselbe Fragen.“ , erwiderte Quinn an Eden gerichtet. ,, Habt ihr von allen etwa bereits vergessen, was nötig war um ihn los zu werden ? Ich werde sicher nicht riskieren, das sich das wegen Zacharys Unvorsichtigkeit wiederholt. Und ich habe ihn gewarnt… aber er musste den Seelenquell ja behalten. Ich habe das zugelassen, Eden. Ich habe nichts
dagegen unternommen bis jetzt… aber ich werde nicht zusehen, wie die Welt wegen meiner Nachlässigkeit noch mehr leidet… Verzeiht… aber ich werde tun, was ich tun muss.“
,, Nur damit eines ganz klar ist..“ Edens Hand wanderte demonstrativ zum Schwertgriff und ehe einer der Anwesenden nur reagieren konnte hatte sie den Säbel bereits in der Hand. Das singen des Stahls hallte immer noch durch den Saal während sie die Spitze auf Quinn richtete. ,, Ihr tötet Zachary nur über meine Leiche…“
,, Ich versuche hier die Stimme der Vernunft zu sein. Wir können ihn jetzt ausschalten, bevor er irgendwelchen
Schaden anrichten kann. Oder wollt ihr wirklich abwarten? Das ist nicht mehr Zachary, egal wie oft ihr ihn so nennt….“
,, Ihr redet wirklich, als wäre er fort… Das könnt ihr gar nicht wissen!
,, Ach, aber ihr schon ? Das ist eine Abscheulichkeit, die vernichtet werden muss…“
,, Redet ihr von euch oder von ihm ? Sagt mir die Wahrheit, Zauberer geht es hierbei wirklich um Ismaiel oder darum, das ihr euren eigenen Fehler korrigieren wollt?“
Cyrus stand einen Moment unsicher neben den beiden Kontrahenten und sah zwischen Eden und Quinn hin und her,
Schließlich jedoch zuckte er resigniert mit den Schultern und stellte an Edens Seite, eine Hand am Axt griff. Am Ende, dachte Merl, könnte es sich noch als Fehler erweisen, den alten Freunden des Kaisers hier Waffen erlaubt zu haben. Und nun schien es, das auch Quinn die Geduld verlor. Feuer leuchtete in seinen Augen und seiner ausgestreckten Hand gleichermaßen auf. Götter, das konnte nicht gut gehen…