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Meine Flüchtlinge - Ein Schlussresümee

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"Meine Flüchtlinge - Ein Schlussresümee"
Veröffentlicht am 21. Juni 2016, 12 Seiten
Kategorie Sonstiges
© Umschlag Bildmaterial: rangizzz - Fotolia.com
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Über den Autor:

Ich wohne in der Oberlausitz und schreibe gern über meine schöne Heimat, schon seit der ersten Klasse. Ich liebe meine vier Kinder und bin sehr stolz auf sie. Nun sind sie in die Welt gezogen von Berlin bis Tokio, also besorgten wir, mein Mann und ich uns zwei neue Babies: Katze Nala und Hund Willy. Jeder von uns hält einen im Arm.
Meine Flüchtlinge - Ein Schlussresümee

Meine Flüchtlinge - Ein Schlussresümee

Fast ein halbes Jahr ist vergangen, in dem ich eine Gruppe von Flüchtlingen mit der deutschen Sprache vertraut machen durfte. 320 vom Staat bewilligte und letztendlich von uns allen finanzierte Stunden liegen hinter uns, Zeit also für ein Resümee.

Gleich vorweg meine Aufgabe bereitete mir unheimlich Freude.

Neben der deutschen Grammatik und Rechtschreibung machte ich meine Schüler mit den besten Traditionen unserer Kultur bekannt. Sie kennen jetzt Goethe, Faust mit seinem Osterspaziergang und das kleine, zarte Liebesgedicht „Gefunden“, Heinrich Heine und seine „Loreley“, den größten

deutschen Strom, den Rhein. Ich erzählte ihnen von Weimar und Goethes Schaffen dort, und am liebsten hätten sie mit mir einen Ausflug zum „Frauenplan“ gemacht. „Sind das aber schöne Worte“, stellte Ali Ashgar, der Lebensmittelchemiker aus den iranischen Bergen, fest.

Wir reisten per Bildband an der Ostseeküste entlang und durchs Allgäu, lernten Berlin und Leipzig kennen und den Spreewald.

Per Fahrrad erkundeten wir meine Oberlausitzer Heimat. Für einige war sogar solch eine große Fahrradtour neu und ziemlich anstrengend, hatten sie doch erst hier das Fahrradfahren gelernt.

Der Stausee Quitzdorf mit seinen 840 ha lud zum Baden ein, doch nicht alle können schwimmen.

Ich wurde syrisch und iranisch bekocht, essen und kochen steht bei allen ganz hoch im Kurs. Ich lernte, dass es Zitronen gibt, die innen schwarz sind, und die man nur zum Kochen verwendet. Kohlrabi und Erdbeeren dagegen sind für einige meiner Schüler neu gewesen.

Mein arabischer Wortschatz hat sich um ein paar Brocken erweitert, sogar das eine oder andere kurdische Wort ist darunter.

Die größte Überraschung für sie war und ist das Wetter in Deutschland. Wiederholt bekomme ich die Frage, ob

das hier immer so ist, so wechselhaft und kalt.

22 bis 25, an manchen Tagen sogar 27 waren wir am Anfang, die Stühle reichten nicht aus. Jetzt sind wir nur noch 2 bis 5. Niemand überprüft, wer es mit dem Deutschlernen nicht so ernst nimmt. Keinem bin ich rechenschaftspflichtig. Ich sehe das als großen Mangel an.

Klar, wer seine Anerkennung erhielt, bleibt nicht in Niesky. Der größte Teil zieht in den Westen, wo häufig schon Freunde wohnen. Von den großen sächsischen Städten ist vor allem Leipzig beliebt. Nichts da mit Residenzpflicht, wer überprüft das denn? Einige wenige

haben Görlitz als ihren Bleibeort gewählt oder möchten das noch tun. Die Afghanen und Pakistani sind plötzlich auch verschwunden, ohne ein Wort. Möglicherweise haben sie ihre Abschiebungspapiere bekommen.

Ein beträchtlicher Teil allerdings, so muss ich aus eigenem Erleben feststellen, legt keinen Wert auf die Deutschstunden. Auf meine Frage: „Wo bleiben sie denn?“ bekomme ich stets die gleiche Antwort: „Schlafen“.

Wir beginnen mit Rücksicht auf die Gewohnheiten erst um 10.30 Uhr, das jedoch ist noch zu früh. Am Abend und in der Nacht werden ausgiebige Gelage gefeiert mit teilweise beträchtlichen

Mengen Alkohol (also ähnlich wie bei vielen deutschen Jugendlichen), dazu Shisha geraucht. Der Unterricht ist Privatvergnügen und nicht Pflicht. Ihr weiterer Werdegang? Arbeiten wollen alle, nach den Vorgaben und Gepflogenheiten wie zu Hause. Ich habe ihnen versucht, zu vermitteln, dass es nicht leicht wird, eine Arbeit zu finden. Die Mehrzahl wird erst einmal eine deutsche Ausbildung durchlaufen müssen, die bis 3 Jahre dauern kann. Nein, so etwas ist für sie keine Alternative, sie wollen sofort Geld verdienen.

Sie haben mir einen Song vorgespielt von einem Syrier, er singt sein Lied auf

Deutsch. Darin klagt er, dass er seit 15 Jahren hier lebt und immer noch keine entsprechende Anstellung und damit auch keine Wohnung nach seinen Wünschen bekommen hat. Nein, so etwas kann ihnen nicht passieren, da sind sich alle einig.

Und der Deutscherfolg?  Mit 4 der Truppe kann ich mich inzwischen deutsch unterhalten, dazu kommt Firas, der Koch, der zwar das meiste versteht, selbst aber trotzdem kaum spricht. Der große Rest benutzt einen der vier als Dolmetscher, wenn Behördengänge oder größere Einkäufe getätigt werden müssen.

Die Frauen, auch jüngere, sind ohnehin

nie beim Unterricht gewesen, können aber oft nicht schreiben und lesen.

Wenn ich an die kommenden Aufgaben der Integration denke, habe ich doch meine Zweifel, ob das gelingt. Allein bei meinem Bildungsträger sind vier Ausbilder, die Deutschunterricht gaben und sich auch weiterhin um unsere Flüchtlinge bemühen. Allerdings bringt es nichts, wenn die Bemühung eine Einbahnstraße ist.

Momentan kommt als Erschwernis der Ramadan hinzu, da essen und feiern sie fast täglich bis 3 Uhr morgens und später liegen sie schlafend auf den Schulbänken.

Um „Meine“ kümmern sich auch rührend

die Mitglieder der Brüdergemeine Herrnhut. Die Kirchen leisten ja in ganz Deutschland Unglaubliches in der Flüchtlingsarbeit, versuchen aber auch, sie zum Christentum zu bekehren. Wie viele schwarze Schafe mag es unter den Helfern geben? Mein zweiter Iraner, er erscheint höchst selten zum Unterricht und spricht fast gar kein Deutsch, versteht auch sehr schlecht, aber er fährt 3 Tage in der Woche nach Dresden zum Pfarrer. Ich werde das Gefühl nicht los, dass er in eine Sekte geraten ist. Was genau dort passiert, er kann es mir nicht sagen.

Ankommen in Deutschland, bis dahin ist es meiner Meinung nach noch ein weiter

Weg. Wir werden viele Rückschläge erdulden müssen, noch manche Kehrtwende scheint mir vorprogrammiert.

Ich möchte aber auch weiterhin offen für Fremde sein, ihnen helfen und sie begleiten. Zunächst erst mal dem 17 jährigen Mohammad, der zuerst sein Abitur ablegen und dann Elektrotechnik oder Informatik studieren möchte. Er hat einen genauen Plan und mich gebeten: „Kannst du mir helfen?“ Na klar doch, schließlich brauche ich öfters mal jemanden, der mir am Computer hilft!

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Albatros99
Ich wohne in der Oberlausitz und schreibe gern über meine schöne Heimat, schon seit der ersten Klasse.
Ich liebe meine vier Kinder und bin sehr stolz auf sie.
Nun sind sie in die Welt gezogen von Berlin bis Tokio, also besorgten wir, mein Mann und ich uns zwei neue Babies: Katze Nala und Hund Willy. Jeder von uns hält einen im Arm.

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ArnVonReinhard Ich denke, auf allen Seiten wird "der lange Weg" unterschätzt. Dabei gibt es genug Beispiele: Die Heimatvertriebenen nach dem WK II oder die Deutschstämmigen aus Russland und Rumänien, die nach 1989 nach Deutschland kamen/nach Deutschland geholt wurden (Zum Vergleich: Es waren alleine über 2 Millionen "Russlanddeutsche").

Auf der anderen Seite: Würden die Deutschen ihre Kinder auf die Schule schicken, wenn es keine Schulpflicht gäbe? Historisch betrachtet muss man das verneinen. Und die Argumente (z.B. Geld verdienen) wären wohl auch kaum andere.

Es bleibt ein "langer Weg" - scheitern inbegriffen. Aber Flüchtlinge sind Menschen und Menschen sind ... äh ... zuweilen seltsam.

LG
AvR
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Alle Achtung! Ein sehr ehrliches Resümee. Ich galube, dass sich die Flüchtlinge es auch anders vorgestellt haben. Dass ein Land aber solche Massen gar nicht so auf die Schnelle "verkraften" kann, müsste doch inzwischen klar sein. Manchmal denke ich, dass das Ganze von irgendwelchen "Hintermännern" gesteuert wird. Es wurde ja über Facebook verbreitet, dass ihnen hier ein Wohlstandsleben beschert wird.
Einige werden sich sicherlich integrieren und auch die damit verbundenen Mühen nicht scheuen. Aber wo fanatischer Glaube die Regeln vorschreibt, da bin ich doch recht skeptisch.
Trotzdem alle Hochachtung für Dein großes Engagement.
Bin erst aus dem Urlaub aus unserer Lieblingsregion Zittauer Gebirge zurück, deshalb der verspätete Kommi.
Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Vielleicht haben wir uns da getroffen, vorigen Freitag waren wir mit den letzten 5 getreuen zur Abschlussfahrt in Jonsdorf, Nonnenfelsen und Rudern auf dem Gondelteich. Das war sehr schön und hat allen sehr viel Spaß gemacht.
Ja, mit dem gesteuert hast du wohl recht, ich denke mir das auch. bin mir nur nicht klar, wer dahinter steckt. das die USA an allem aber wieder ihren Anteil haben, da bin ich sicher.
LG und danke
Christine
Vor langer Zeit - Antworten
baesta In Johsdorf waren wir auch, aber am 18.06. und zwar im "Weißen Stein". Am 19.06 sind wir aber nach Hause gefahren. Schade, dann hätten wir uns mal kennenlernen können.
Mit dem Steuern, da hat wohl jeder, der ein Auge auf Erdöl und andere Bodenschätze geworfen hat, oder Waffen verkaufen will, die Finger im Spiel. Das meiste werden wohl aber die Saudis beisteuern, die entwickeln ja auch rechte Großmachtgelüste.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
baesta In Johsdorf waren wir auch, aber am 18.06. und zwar im "Weißen Stein". Am 19.06 sind wir aber nach Hause gefahren. Schade, dann hätten wir uns mal kennenlernen können.
Mit dem Steuern, da hat wohl jeder, der ein Auge auf Erdöl und andere Bodenschätze geworfen hat, oder Waffen verkaufen will, die Finger im Spiel. Das meiste werden wohl aber die Saudis beisteuern, die entwickeln ja auch rechte Großmachtgelüste.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Kornblume Hallo Christine,
schon immer habe ich mich gefragt wie funktioniert die Integration vor Ort. Bei uns gibt es so gut wie keine Flüchtlinge, deshalb weiß ich das auch nicht. Bin froh endlich mal ein offenes und ehrliches Wort von Helfern wie Dir zu lesen. Ich bewundere Menschen wie Dich die sich so selbstlos für andere einsetzen. Ich weiß nicht ob ich die Geduld dafür hätte.
"Ich möchte Dir weiterhin Mut zu sprechen und Danke sagen für deine barmherzige Menschlichkeit", die Kornblume
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Liebe Christine,
ich kann mir gut vorstellen, dass es dir Freude gemacht hat, die Flüchtlinge zu unterrichten, aber das Ergebnis ist ja irgendwie ernüchternd ... Wenn niemand nachfragt, sich kümmert, warum das Sprachangebot so wenig genutzt wurde, macht man sich schon seine Gedanken, was aus den vielen Flüchtlingen hier werden soll ... Traurig, dass die Frauen außen vor blieben ...
Danke für die Einblicke in deine Arbeit!
Ganz liebe Grüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Vielen Dank, Fleur. Ja, trotz aller Freude bin ich auch ernüchtert, Und das nicht nur von meinen Flüchtlingen, die mich, selbst wenn sie nicht mehr kommen, abgöttisch lieben, wie man mir berichtete. Richtig bedankt hat sich nur einer , der weg ging. Na, mit den danken ist das bei Deutschen und anderen Europäern ja auch so ne Sache, du weißt das sicher. Warum sollen wir das gerade von ihnen erwarten. Aber das immer alles nur Sache des Geldes ist, lässt mich verzweifeln, obwohl mein verstand mir ja sagt, das ist in dieser Gesellschaft so. Ich will am Freitag mit den Verbliebenen eine Abschlussfahrt ins Zittauer Gebirge machen und wollte dafür den Sprinter von meinem Bildungsträger haben, der dort nur auf dem Hof steht. Antwort: Nein , das geht nicht, für sowas haben wir kein Geld.
ich bin richtig stinksauer.
Sei herzlich zurück gegrüßt
Christine
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Liebe Christine,
zunächst ein großes Dankeschön für Dein realistisches und ungeschöntes Resümee - und ein zweites Dankeschön für Dein bewundernswertes Engagement. Mir geht es wie Louis. Auch ich vermisse in diesem Bericht Deinen mit Beginn Deiner Arbeit ausgeströmten Optimismus. Die Erfahrung lehrt uns eben vieles. Wenn unser Land oder anders gesagt, wenn die Menschen, die es führen, Integration mit Überstülpen verwechseln, dann haben sie nichts gelernt. Integration ist ein langwieriger Prozess, der die aktive Teilnahme aller daran Beteiligten voraussetzt. Die Barrieren sind jedoch so hoch - bei den so laut tönenden Initiatoren und auch bei den Flüchtlingen - dass ein Ende dieser Problematik nicht abzusehen ist. Doch auch kleine Erfolge sollten uns freuen, auch wenn sie nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sind.
Liebe Grüße zu Dir
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Du hast ganz recht, und die vielen schönen Stunden lasse ich mir auch nicht ausreden. Ein paar, da bin ich mir ganz sicher, werden ihren Weg gehen. Aber der größte Teil ..... Meine sind doch nur der Ausschnitt von allen, und es gibt viel Schlimmere. Ich könnte dir noch Dinge erzählen.
Und der Staat kümmert sich wie überall! Ein 21 jähriger Syrier, um den ich mich auch lange bemühte, ist mit seinem kleinen, 13 jährigen Bruder hier. Es sind beide sehr intelligente Kerle, der Große hat hin und wieder Literatur studiert an der Uni in Damaskus und nebenbei gekellnert. Das will er hier weiter machen, keine Chance, ihn zu überzeugen. Der Kleine macht, was er will, immer den Bruder als Vorbild, Er ist z.B. allein nach Dresden gefahren, ohne Fahrkarte natürlich, dort hat ihn die Polizei aufgegriffen und die Kacke war am Dampfen. das Jugendamt hat ihn schließlich weggenommen mit der Begründung, dass der Große kein deutsch spricht und deshalb zur Erziehung nicht in der Lage ist. Gleichzeitig hat es angeordnet, dass die Brüder nicht getrennt werden dürfen. ich habe nachgefragt, wann das Jugendamt denn nun mal bei den beiden war und wie sie sich drum kümmern. Keiner wusste es. da ergeben sich bei mir so viele Fragen, kann ich nicht alle aufzählen. Lies auch mal meinen Kommi an Fleur.
ganz liebe Grüße
Christine
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