WAS BISHER GESCHAH:
Ein Mann durchwandert die deutschen Lande. In einer Schenke östlich des Rheins findet er einen Reisegefährten. Zusammen ziehen sie los. Doch ob gutem Essen und Wein trödeln sie. Als sie sich der Grafschaft Werrentheim nähern, dunkelt es.
Bergab geht es sich immer leichter und so besserte sich unsere Stimmung. Mit einer Anekdote versuchte mein Gefährte den dunklen Wolken und der untergehenden Sonne zu trotzen. Doch die Erzählung war lang und am Fuß des Berges war er noch nicht zum Ende gekommen. Nun lag der Wald vor uns und es war ein finsterer Wald. Ich gebe es zu, wir blieben stehen und schauten uns an, denn wir fürchteten uns beide ein wenig. Doch wo wir waren, konnten wir nicht bleiben, also gingen
wir weiter. Wäre ich allein gewesen, ich wäre umgekehrt. Das Licht des Tages war bereits vergangen. Nur direkt über uns lichteten sich die Kronen der Bäume und schwaches Sternenfunkeln beschien den Weg. Ständig schauten wir auf unsere Füße, um nicht zu fallen und in den Himmel, um nicht vom Wege abzukommen. Mein Gefährte klapperte mit den Zähnen und ich berührte ihn kurz an der Schulter. Es war nicht so, dass er mehr Angst hatte als ich, er zeigte sie nur offen. Ich biss auf die Zähne und war mutig für uns beide. Zumindest tat ich so.
"Huuu, huuu!" hallte ein Ruf von irgendwo her.
"Wer war das?" Mein Gefährte erschrak aufs Heftigste. "Ein Todesvogel! Ein Todesvogel!" rief er.
"Nun reißt Euch doch zusammen. Das war doch nur der Ruf eines Kauzes."
"Der Ruf eines was?"
"Eines Kauzes." Wie zur Bestätigung flatterte
irgendwo in der Dunkelheit etwas an uns vorbei. Hören konnte ich es nicht, doch ich glaubte zu spüren, wie die Spitze eines Flügels meinen Kopf schnell berührte. Ich riss die Augen auf und blieb wie angewurzelt stehen. Das erste sah mein Weggefährte nicht und das zweite fiel ihm nicht weiter auf, denn er stand ja bereits. Es dauerte eine Zeit, bis ich meine Sprache wiederfand.
"Ein Kauz. Eine kleine Waldeule. Ein Vogel, der nur in der Nacht auf Beutejagd geht. Mäuse frisst er gern. Für Menschen ist er ungefährlich. In der Tat ist er sogar recht nützlich, ein solcher Kauz."
"Seit Ihr sicher?" Noch immer fühlte mein Gefährte sich unwohl.
"Ganz bestimmt. Ich habe schon viele in meinem Leben gesehen", sagte ich in Erinnerung an die einzige Eule, die ich je zu Gesicht bekommen hatte.
"Wenn Ihr das sagt, will ich es glauben. Dann
geht es mir schon ein bisschen besser."
Ich hielt das zunächst nicht für wahr, doch mein Gefährte log nicht. Als wir nun weitergingen, war sein Schritt auf einmal sehr viel fester und es dauerte gar nicht lange und er begann wieder zu erzählen. Jedoch tat er das vielleicht auch nur, um so die viele Geräusche nicht hören zu müssen, die in einem Walde sind, das Knacken und Rascheln, das Heulen und Stöhnen, das Knarren und Krachen, das Pfeifen und Quietschen und all die anderen Töne, die Bäume und Tiere mit Vorliebe Nachts von sich geben und die der Mensch nicht zu deuten vermag. Wie angenehm und vertraut ist einem da doch die eigene Stimme, oder die eines Freundes. Mir selbst war das nicht unangenehm, jedoch hörte ich kaum, was er sagte, denn ich musste auf den Weg achten. Er tat das nicht und so manches Mal musste ich meinen Gefährten aus einem Graben ziehen.
Plötzlich erschienen in einiger Entfernung
Lichter auf dem Weg. Sie kamen von Fackeln.
"Da muss jemand aus dem Wald getreten sein", sagte mein Gefährte wenig betrübt. "Lasst uns zu diesen Leuten gehen." Wir gingen.
Noch heute mag man mich dafür einen Narr heißen. Wie konnte ich nur so dumm sein. Mein Begleiter war der Gehilfe eines Kaufmanns, doch ich war ein studierter Mann. Es gibt tausend Gründe, warum auf ein Mal hundert Schritte vor einem nächtens in einem Wald Menschen mit Fackeln zwischen den Bäumen hervortreten, doch kaum einer davon ist ehrenwert. Im besten Fall suchen sie Ärger, doch zumeist sind es Wegelagerer. Das vor uns waren Wegelagerer. Noch wäre Zeit gewesen, Reißaus zu nehmen. Doch als ich das erkannte, waren sie bereits bis auf wenige Schritte an meine Begleiter heran, der ein Stückchen vor mir ging. Es war ein Haufen von knapp einem Dutzend Männern und zwei Weiber waren auch dabei, wie ich im flackernden Schein der Fackeln
erkannte. Die meisten waren mit Forken und Dreschflegeln bewaffnet, doch zwei trugen Piken und einer, der ihr Chef war, denn nur er redete später, hatte ein Schwert in der Hand. Kurz überlegte ich, mich in die Büsche zu schlagen. Doch ich konnte meinen Kameraden nicht im Stich lassen. Als ich zu ihm aufgeschlossen hatte, ruhte die Spitze des Schwertes bereits auf seiner Brust. Ich musste nicht in seine Augen schauen, um seine Angst zu spüren, denn mir ging es nicht anders.
"Ei, wen haben wir den da? Zwei müde Wanderer, will ich meinen", höhnte der Chef der Bande. Ihn fehlte ein Schneidezahn und darum begleitete ein leises, unregelmäßiges Pfeifen jedes seiner Worte. Seine Spießgesellen lachten böse. Besonders schrill war das Gelächter der Weibsbilder.
"Wir wollen euch nichts tun", erwiderte mein Gefährte zitternd.
"Oh, ihr wollt uns nichts tun? Da sag ich aber:
Vielen Dank." Der Chef verneigte sich spöttisch. "Das ist eine gute Nachricht. Viel Gesindel treib sich in diesen Wäldern herum. Als wir euch kommen sahen, dachten wir schon: Sieh an, zwei Räuber. Aber ihr wollt uns nichts tun. Das beruhigt uns doch sehr." Das Gelächter der anderen wurde immer lauter und der Chef sonnte sich in diesem Beifall.
"Was wollt ihr von uns?" Gerne würde ich behaupten, ich hätte diese Worte mit fester Stimme gesprochen, doch das vermag ich nicht mehr zu sagen. Wenn ich an das Gesicht des Bandenchef zurückdenke, ist es eher wahrscheinlich, dass ich piepst wie eine Maus.
"Was wir von euch wollen? Nehmt es bitte nicht persönlich, mit jedem andern würden wir auf die gleiche Weise verfahren, aber wir wollen euch etwas antun!" Die letzten Worte brüllte er. „Her mit euerm Geld! Wir sind Räuber!"
Ich lachte ihm ins Gesicht. Sein Schwert zuckte
in meine Richtung, aber ich konnte in dieser Nacht nicht aufhören, ein Narr zu sein.
"Her mit eurem Geld!", versuchte ich seine lächerliche Sprechweise nachzuahmen. Der Chef der Bande wurde wütend auf den Narr. "Sehe ich so aus, als würde ich Geld mit mir herumtragen? Seht mich an. Das Leder meiner Stiefel ist eingerissen, die Sohlen durchgelaufen, meine Hose hatte Löcher an den Knien und mein Wams ist älter, als ich es bin. Ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass Ihr oder einer eurer Gesellen so schäbig aussieht wie ich."
Das war nicht ganz die Wahrheit, denn jedes Loch, dass sich in Hose oder Wams zeigte, stopfte ich unverzüglich. So konnte jeder sogleich den armen, aber stolzen Mann erkennen.
Der Chef der Band beäugte mich. Er knirschte mit den Zähnen, denn es gefiel ihm nicht, was er sah. "Ihr habt schon recht. Seid ein rechter
Lump, arm wie eine Kirchenmaus, das sieht man sogleich." Dann wandte er sich meinem Gefährten zu. „Aber euer Freund hier scheint ganz gut im Futter zu stehen. Und er hat Knöpfe aus Gold." Seine Augen leuchteten.
Ich musste das Spiel weiterspielen, auch wenn ich nicht wusste, was am Ende dabei herauskommen würde.
"Knöpfe aus Gold, das ich nicht lache! Habt ihr was auf den Augen? Noch nicht einmal vergoldet sind die. Erkennt Ihr Messing nicht, wenn Ihr es seht? Wir beide kennen uns schon seit Jahren, ziehen gemeinsam durch die Lande, helfen hier aus, suchen dort eine Arbeit. Unser letzter Herr konnte nur einen von uns bezahlen, darum schenkte er meinem Freund diesen Rock. Er sieht neu aus, doch das ist nichts als gute Pflege. In einem Monat ist er ein so elendes Stück Stoff wie meine Jacke. Und das letzte Geld haben wir gestern Mittag für einen Laib Brot gegeben. Seit dem knurrt mein Magen und
seiner nicht weniger. Wir wollen nach Werrentheim der Arbeit wegen."
Sehr überzeugt, aber nicht höhnisch klingend sprach ich diese Worte, denn ich wollte diese Räuber davon überzeugen, dass wir zwei ganz arme Schlucker waren und sie nicht reizen. Für einen Augenblick, so schien es, war mir das auch gelungen. Der Chef legte die Stirn in Falten. Doch dann grinste er und eh ich mich versah, stieß er mit dem Schwert nach meinem Gefährten. Die Klinge traf eine Rippe und glitt ab, doch er war verwundet. Stöhnend brach mein Begleiter zusammen. Blut tropfte auf den Weg, vom Schein der Fackeln entsetzlich beschienen. Doch der Chef der Bande hatte sein Ziel erreicht. Er bückte sich und hielt einen Knopf in der Hand. Lange betrachtete er in, dann biss er hinein.
"Ha!", rief er laut aus. "Für dumm verkaufen wollt Ihr mich! Messing!" Dieser Knopf ist aus purem Gold!" Das überraschte mich wirklich.
"Euer Freund ist ein rechter Geldsack! Ihn lassen wir zuerst über die Klinge springen!"
- Fortsetzung folgt -