I. Ein MAnn auf Reisen
Genre: Schauergeschichte
Länge: 7 Teile
Viel bin ich in der Welt umhergekommen, viel habe ich gesehen und erlebt, doch nur sehr wenig war so seltsam wie das, was mir in der Grafschaft Werrentheim widerfuhr. Aus diesem Grunde denke ich auch oft daran zurück, besonders wenn ich allein bin und Angst mich überkommen will.
Die Grafschaft Werrentheim lag damals östlich des Rheins. Fast jeden Winkel der deutschen Lande habe ich zu Fuß erwandert, selten reichte das Geld für eine Kutschfahrt und hoch zu Ross saß ich nicht einmal. Langweilig war mir nie, denn stets gab es genug zu sehen und auch ein Buch hatte ich immer in meiner Rocktasche.
Mit der Zeit gewöhnte ich mich daran, im Gehen zu lesen ohne zu fallen oder vom Wege abzukommen. So hielt ich eines Tages auch Tacitus in den Händen. Anfangs fiel mir das Lesen schwer, doch mit jeder Seite erwachten die Erinnerungen an meinen Lateinunterricht. Viel hat sich seit den Zeiten des alten Römers verändert, doch nicht so viel, wie es wünschenswert wäre. Bildung, Wissen und Kultur ist immer noch linksrheinisch zuhause. Dort spricht man sogar französisch wie eine Nachtigall singt. Rechtsrheinische sagt man "Missiö", hält sich darum für gebildet und doch sind die Herren so dumm wie die Bauern, denen Zeitlebens jeglicher Schulbesuch versagt bleibt. Dort wächst die Dummheit, was nicht verwunderlich ist.
Bei Koblenz, nicht weit der Stelle, wo die Mosel in den Rhein mündet, ging ich über den mächtigen Fluss. Mittelrhein nennt man ihn dort und stundenlang könnte ich ihm nur beim
Fließen zusehen. Genau das tat ich, doch zu lange saß ich auf einem Stein. Das war ein Fehler, was ich wusste, doch die Folgen vermochte ich nicht abzusehen. Ich musste mich sputen, um ein mir bekanntes Gasthaus noch zu erreichen. Eigentlich hatte ich anderes im Kopf gehabt. Erst kurz vor Mitternacht erreichte ich mein Ziel. Der Wirt hätte zu so später Stunde bestimmt die Tür nicht geöffnet, geschweige denn noch ein Essen bereitet, doch mein Gesicht war ihm von anderen Reisen noch gut bekannt, also ließ er mich ein und eine warme Suppe hatte er auch noch für mich.
"Wo soll es denn hingehen?" fragte er mich kein bisschen müde, worauf ich ihm antwortete: "Ein festes Ziel habe ich nicht. Nach Osten oder nach Südosten, wohin es mich auch treibt."
Da lachte der Wirt. "Oder vielleicht nach Nordosten, was?"
Ich nickte vergnügt und stimmte in sein Gelächter ein. "Doch möchte ich ungern alleine
reisen. Wer weiß schon, wie sicher die Straßen heutzutage sind. Ich hatte gehofft, einen Reisegefährten bei Euch zu finden und mich mit ihm, wenigstens für einen Teil des Weges, zusammenzutun."
"Nun, da habt Ihr nicht viel Glück oder doch. Außer Euch habe ich nur einen Gast. Wohin er will, das sagte er nicht, doch kommt er aus Lothringen und spricht sogar ein ausgezeichnetes Deutsch. Wenn ich raten sollte, würde ich sagen, es zieht ihn nach Osten."
"Vortrefflich! Wenn Ihr ihn morgen früh vor mir seht, so bittet Ihn doch zu warten, auf das wir uns besprechen und, wenn es beiden genehm ist, eine Fahrtgemeinschaft bilden."
"Das will ich gerne für Euch tun."
Zufrieden löffelte ich meinen Teller leer. Tief im meinem Inneren hatte ich mich bereits entschieden, denn jeder Mitreisender war mir lieber als gar keiner. Ich hätte mir meinem zukünftigen Kameraden vorher beschauen sollen.
Mein Bett war hart, genauso wie ich es mochte und auch wenn die Nacht nur kurz war, erwachte ich am nächsten Morgen doch ausgeruht und bereit für neue Taten. Die wenigen Dinge, die ich bei mir trug waren schnell eingepackt. In der Stube nickte der Wirt mir zu und zeigte auf einen Tisch in der Ecke. Dort saß ein Mann und verzehrte Brote als Frühstück.
"Einen schönen guten Morgen", wünschte ich ihm und stellte mich vor.
"Auch Euch einen guten Morgen", erwiderte der Mann, bot mir den Platz neben sich an und kaute vergnügt weiter. "Der Wirt hat mir euren Vorschlag unterbreitet. Ich muss euch sagen, dass ich nicht abgeneigt bin. Nur weiß man nicht, wem man heute noch trauen kann. Doch der Herr Wirt hat Euch als vertrauenswürdige Person beschrieben und er kennt euch ganz offensichtlich schon fast ebenso lang, wie ich mit ihm bekannt bin. Mein Weg führt mich nach
Nürnberg."
Der Mann war kräftig gebaut, hatte eine rosige Gesichtsfarbe und einen Rock mit - wie ich glaubte - vergoldeten Knöpfen. Sein Gesicht lachte mich die ganze Zeit an, während er sprach. Das tat er gerne und viel und selbst wenn ich wollte, ich könnte gar nicht all das wiedergeben, was er von nun an den lieben langen Tag von sich gab, denn das Meiste ist mir entfallen, was nicht so schlimm ist, denn es tut nichts zur Sache.
"Bis nach Nürnberg wird unsere Fahrtgemeinschaft nicht halten, denn dort bin ich schon oft gewesen", antwortete ich in einer der wenigen Pausen, die mein Gegenüber machte. "Doch die Richtung stimmt. So lasst uns eine Teil des Weges gemeinsam gehen, so als wären wir alte Freunde."
Ich hatte einen Reisegefährten.
Der Wirt brachte auch mir einen Imbiss und während ich schweigend aß, wurde ich aufs
köstlichste unterhalten. Anekdote folgte auf Geschichte und manchmal streute mein fröhlicher Freund noch einen Witz ein. Dann war es Zeit zum Aufbruch. Ich beglich meine Rechnung. Der Wirt kam mir mit dem Preis sehr entgegen - meinem Gefährten nahm er für die gleichen Leistungen fast das Doppelte ab - was mir sehr genehm war, mich ein wenig verwunderte, war der andere ihm doch auch gut bekannt..
"Ich weiß doch, dass euer Geldbeutel schmal ist", zwinkerte er mir zu. "Kommt einfach recht bald wieder."
Das konnte ich ohne Lüge versprechen.
-Fortsetzung folgt -