so eine blöde Kuh
Das seiner Zeit verträumte 500 Seelendorf, indem ich meine Kindheit, bis zum 14ten Lebensjahr verbrachte, war in zwei Hälften
geteilt. Die westliche Hälfte wurde von Bauern mit ihren Gutshöfen bewohnt und im Osten wohnten die Handwerker, Angestellten, Geschäftsleute etc.
In der Mitte befand sich, ganz neutral, eine kleine Kirche. Mein Elternhaus befand sich in ziemlicher Nähe. Dazwischen befand sich nur noch ein kleines Haushaltswaren - Geschäft, welches von einem kinderlosen Ehepaar betrieben wurde.
Hinter dem Haus, grenzte eine Wiese an unser Grundstück – einem Nutzgarten. Dazwischen befand sich ein Zaun, weil das Ehepaar sich eine Milchkuh hielt, welche den Eigenbedarf an Milch deckte und manchmal auch etwas mehr, was uns dann zu Gute kam. Nun weiß ich nicht mehr so genau, wie
die Kuh hieß. Gängige Namen für Kühe waren: Berta, Lisa, Ella usw. Ich nenne sie mal Ella, denn sie muss wissen auf welchen Namen sie in der Geschichte hören soll. Lesen wird sie diese Geschichte natürlich nicht, weil sie schon lange das Zeitliche gesegnet hat und Gott habe sie seelig.
Diesen Nachruf möchte ich mir verzeihen, denn sollte es für die Menschen einen Gott geben, dann muss es ihn auch für die Tiere geben.
Ella war eine stattliche, braun-weiß gefleckte, vollbusige Kuh bzw. eine Kuh mit einem großen Euter, der den Besitzern täglich einen ganzen Eimer Milch lieferte.
Dazu benötigte sie eine ganze Menge Gras und die Wiese hinter dem Haus reichte dann
höchstens für 3 Wochen, dann hatte Ella das Gras ratzeputz abgefressen. Deswegen hatten die Schlüters (so der Name der Nachbarn) noch eine Wiese außerhalb der Ortschaft, um dem Gras die Gelegenheit zu geben, wieder nachzuwachsen.
Im Gegensatz zu den üblichen Weiden war diese Wiese nicht eingezäunt und hinzu kam noch, dass sie an eine stark befahrene Gleislinie grenzte. Das hieß; damit Ella sich nicht selbstständig machte oder Gefahr lief von einem Zug erfasst zu werden, musste sie gehütet werden. Ich kann mich nicht mehr entsinnen, wie es dazu kam, dass mir die Ehre zuteil wurde, Ella zu hüten, aber so war es, sonst wäre es nicht zu der Geschichte gekommen.
Nach einigen Tagen hatte ich mich mit Ella angefreundet und vertraut gemacht. Eigentlich war das gar nicht schwer, denn sie war ein friedliches und gutmütiges Tier. Gutwillig ließ sie sich an dem Lederhalsband dorthin führen, wo ich sie haben wollte. Den Weg zur Weide kannte sie schon, den brauchte ich ihr nicht mehr zu zeigen.
Ihr friedliches und gutmütiges Verhalten animierte mich auch dazu, einmal zu versuchen, auf ihr zu reiten. Auch das war kein größeres Problem, denn sie ließ mich geduldig aufsitzen. Aber wenn ich mich an dem Halsband festhalten wollte, schlug sie ungestüm mit dem Kopf nach rechts und links. Das tat sie nicht in böser Absicht, sondern das war sie einfach nicht gewohnt
und je mehr ich mich festhielt um so mehr wurde ich auf ihrem Rücken hin und her geschleudert, bis ich schließlich unsanft auf der Wiese landete.
Von den Fähigkeiten eines Bullreiters war ich weit entfernt und ich fand auch keine Technik um das zu ändern. Da Ella diesbezüglich sehr eigensinnig, uneinsichtig und starrköpfig war, unterließ ich das nach einigen missglückten Versuchen.
Aber Ella inspirierte mich zu einem weiteren Abenteuer. Eigentlich stehen Kühe, die grasen, nie ruhig, sondern sie sind ständig in Bewegung. Als Ella einmal in einem Gestrüpp, von niedrigen Büschen und Brenneseln, von einer Hecke Blätter
abknabberte, stand sie ganz ruhig und ich nahm plötzlich ihren großen Euter zwischen den Hinterbeinen bewusst wahr und irgendwie faszinierten mich die Zitzen. Ich hatte schon oft gesehen, dass Kälbchen daran getrunken hatten oder das Kühe gemolken wurden, aber ich hatte bis dahin noch nie eine Zitze in der Hand gehabt oder gar eine Kuh gemolken. Ich war aber immer davon beeindruckt, von dem Milchstrahl, der in den Melkeimer schoss. Als Ella so ruhig dort stand und an der Hecke knabberte, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, ihr von hinten, zwischen den Beinen hindurch an die Zitzen zu greifen. Ich wollte einfach nur einmal eine Zitze in der Hand spüren und als Ella nichts dagegen hatte, wurde ich mutiger
und wollte sie melken. Ich spürte die Milch in ihren Zitzen, aber so kräftig ich auch daran zog, es kam kein Tropfen Milch heraus. Wahrscheinlich zog ich nicht fest genug, dachte ich mir und als ich dann fester zog, trat Ella unvermittelt und ohne Vorwarnung nach hinten aus und traf mich an der Lende. Es war nicht besonders schmerzlich, aber der tritt reichte aus, um mich in die Brennesseln zu befördern. Da es Sommer war, hatte ich eine kurze Hose und ein Hemd mit kurzen Ärmeln an. Ich glaube es erübrigt sich weiter zu schildern, wie es mir danach erging.
Quer durch die Weide verlief ein kleiner Bach an dem ich die Verbrennungen kühlen konnte aber das sollte sie nicht umsonst getan haben, diese blöde Kuh, ging es mir durch den
Kopf und ich sinnte auf Rache.
Diese setzte ich auf dem Nachhauseweg in die Tat um. Ich hatte mir einen Knüppel besorgt und jagte Ella damit vor mir her. Währen sie zu laufen begann, schleuderte ihr praller Euter von links nach rechts und aus allen vier oder waren es gar fünf Zitzen, spritzte die Milch nur so heraus. Das verstand ich überhaupt nicht. Als ich daran gezogen habe, kam kein Tropfen und darüber war ich zusätzlich verärgert.
Hätte ich etwas mehr von der Melktechnik verstanden, dann war nicht Ella eine blöde Kuh, sondern ich war der Blöde und das in mehrfacher Hinsicht.
Kühe sind es nicht gewohnt, dass man ihnen
von hinten an die Zitzen geht. Die Kälbchen saugen von der Seite und von der Seite werden sie auch gemolken. Durch ziehen an den Zitzen, kann man keiner Kuh die Milch entlocken.
Natürlich habe ich meinen Racheakt verschwiegen, aber so ganz unbemerkt blieb es nicht, denn Ella gab beim abendlichen Melken nur etwa die Hälfte der Milch wie üblich. Aber Frau Schlüter sah es zunächst gelassen und war der Meinung, dass Ella an dem Tag nicht in Bestform war, was bei Kühen nichts ungewöhnliches ist, wenn sie unterschiedlich viel Milch geben.
Beim melken habe ich etwas genauer hingeschaut und Frau Schlüter hat mir die Technik erklärt. Der Trick besteht darin, dass
man mit dem Daumen und Zeigefinger das zurückfließen der Milch in den Euter verhindert und mit den übrigen Fingern wird die Milch aus den Zitzen heraus gedrückt. Das durfte ich dann auch selbst einmal ausprobieren und Ella schielte ganz misstrauisch. Auch das merken Kühe sofort, wenn andere Finger sie melken. Aber da ich mich seitlich befand, sah sie gnädig von weiterem treten ab.
Das war mir, im Umgang mit Damen, eine Lehre fürs ganze Leben. Man nähert sich ihnen nicht von hinten und greift ihnen erst recht nicht von hinten zwischen die Beine. Sonst darf man sich nicht wundern, wenn sie auskeilen.