Kapitel 5 TräumE
Er wusste dass er träumte, nicht zuletzt weil er diesen Traum kannte. Er hatte ihn in letzter Zeit so oft gehabt, trotzdem hatte er kaum an Schrecken für ihn verloren. Ab und an mochte die Vision ihre Gestalt ändern, ihn mit neuen Orten, neuen Eindrücken locken… doch im Kern blieb sie immer dieselbe. Und auch die Erkenntnis, dass es sich um einen Traum handelte, trug kaum dazu bei, das er sich ruhiger fühlte. Im Gegenteil. Wenigstens seine Träume sollten doch ihm gehören.
Vorsichtig sah er sich um und fragte sich, was ihn diesmal erwarten mochte.
Um ihn herum erstreckte sich nur Finsternis, soweit er sehen konnte. Dennoch wusste er instinktiv, das er sich nicht im freien Befand. Es gab keinen Lufthauch hier, nicht einmal einen Geruch, den er hätte definieren können. Wie in einer Gruft fast. Die absolute Leere um ihn herum war der einzige Eindruck, den er klar definieren konnte. Er musste sich in einer gewaltigen Kammer befinden, vielleicht auch in einer Höhle. Und doch war es keine Höhle. Dafür war der Boden unter seinen Füßen zu glatt. Normalerweise hätte jeder Schritt unter diesen Bedingungen ein nachhallendes Echo erzeugt, doch er war nur ein Geist an diesem Ort. Ein
vorübergehender Besucher, den man her gezwungen hatte
Von draußen oder vielleicht auch aus einem anderen Teil des Gebäudes drang das Echo von Hammerschlägen und fernen Stimmen herein. Die Wände, die für ihn nach wie vor im Dunkeln verborgen lagen, warfen die Klänge zurück, verzehrten sie…
Ansonsten kam er sich in der weiten Halle so verloren vor wie in dunkelster Nacht auf freiem Feld. Und obwohl er es besser wusste, ging er weiter, suchte nach Licht, nach einem Funken vielleicht nur und folgte dem grauen Schimmer, der sich langsam in der Ferne aufzubauen schien. Über sich konnte
Galren zum ersten Mal etwas ausmachen, während er weiter in den Raum hinein trat. Ein großes Kuppeldach, das sich so hoch über ihm erstreckte, dass sich ein Vogel hier wohlfühlen mochte. Im Zentrum der Konstruktion klaffte ein kreisrundes Loch, durch das ein einzelner Strahl Sonnenlicht herein fiel. Ansonsten gab es keine weiteren Lichtquellen. Wo die Strahlen den Boden erreichten, brachten sie die glatten Fliesen in Schattierungen von rot und schwarz zum schimmern. Und dort saß er. Genau im Zentrum des Lichtkegels.
Galren hatte es gewusst, seit er wusste, dass der Traum zurück war. Und trotzdem war er weitergegangen, ging
immer noch auf das Licht zu nur um wenigstens nicht in der Finsternis gefallen zu sein. Doch als die Gestalt den Blick hob wusste er nicht mehr, ob die Dunkelheit nicht die gnädigere Alternative gewesen wäre. Der Blick des roten Heiligen traf ihn, zwei Augen, die mehr an brennende Kohlen erinnerten und ihn fixierten. Er sagte kein Wort, während Galren näher trat, sondern erhob sich nur langsam, ohne auch nur einmal den Blick abzuwenden. Im Licht schimmerten seine Haare, seine Kleidung, selbst sein Schatten rötlich, als würde er beständig einen Strom aus Blut hinter sich her ziehen. Ein Schatten, der sich trotz des steten
Lichteinfalls unmerklich zu bewegen und zu verschieben schien, fast als hätte er einen eigenen Willen. Und obwohl der Traum sich so oft wiederholt hatte wusste Galren nach wie vor nicht, was er eigentlich zu bedeuten hatte. Was wollte dieser Mann noch von ihm? Sein Gott war frei und doch rief er ihn zu sich. Selbst wenn Galren wach war konnte er den schwachen Sog spüren und wenn er sich konzentrierte, den Pfad sehen, der ihn zu ihm führen würde. Warum ?
Die Erscheinung vor ihm schien seine Gedanken gelesen zu haben. ,, Kommt zu mir, wenn ihr eure Antworten wollt. Wir beide, ihr und ich… wir haben viele Dinge zu besprechen, Kind des
Propheten.“
Es war, als besäßen diese Worte ein physisches Gewicht, denn plötzlich fühlte Galren, wie sich ein Gewicht gegen ihn drückte, ihn zurückschob. Einen Moment versuchte er Worte zu formulieren, dann wurde er jedoch schon zurückgerissen. Die Halle verschwand in einem Wirbel aus Farben, genauso wie der rote Heilige…
Er schlug die Augen auf.
Galren blinzelte einen Moment ins grelle Licht und wusste nicht genau, wo er sich befand. Über ihm glitzerte die Sonne zwischen den Blättern eines ausladenden Baumes hindurch. Die im Wind
wehenden Zweige erzeugten ein ständig wechselndes Muster, das ihn mal blendete und mal im Halbdunkel zurück ließ. Einzelne Blätter rieselten um ihn her zu Boden, in allen Farben des Herbst gezeichnet. Ein leuchtender Teppich aus Rot und Gold, der sich um ihn herum erstreckte und auch die Bank bedeckten, auf der er lag.
Die Bank selbst war um den Stamm des Baumes herum errichtet worden und hätte wohl zwanzig Leuten Platz geboten, doch im Augenblick war er der einzige hier. Der Baum unter dem er eingeschlafen war, stand genau im Zentrum dieses Teils der Gärten. Er roch feuchte Erde, den Duft verblühter
Blumen, die sich überall in kleinen Pflanzungen befanden und vermodernde Blätter, hörte jemanden in der Ferne Lachen… Elin ? Und noch weitere Stimmen, die er nicht sofort zuordnen konnte.
Er setzte sich auf und musste feststellen, dass er immer noch müde genug wäre um auf der Stelle wieder einzuschlafen. Seine Träumer verwehrten ihm jede Erholung. Das hieß wenn die Erschöpfung einmal die Oberhand gewann und er die Augen für ein paar schreckliche Minuten schließen musste.
Schlafmangel und der stetige Zwang gegen seine eigene Gabe ankämpfen zu müssen zehrten ihn langsam aber sicher
aus und das sah man auch, dachte er. Elin zumindest hatte es bemerkt…
Die kaiserlichen Gärten waren ein weitläufiges Areal, das sich auf einer Freifläche inmitten des gewaltigen Palastkomplexes befand, Die übrigen Bauten der fliegenden Stadt waren nur als ferne, hohe Schemen ausmachen und an den Mauern, welche die Gärten begrenzten wuchsen weitere Bäume, so dicht an dicht, das ihre Äste und Blätter den Stein fast völlig verbargen. Die Illusion, sich schlicht auf einer großen Lichtung inmitten der Wälder Cantons zu befinden war fast perfekt.
Erneut hörte er lautes Lachen und drehte den Kopf. Elin und ihre Eltern standen
nicht weit entfernt vor einem weiteren kleinen Hain mit Sträuchern und Bäumen und veranstalteten ein Wettwerfen mit Messern.
Galren hatte sich wohlweislich herausgehalten, machen ihm seine Verletzungen aus dem roten Tal doch nach wie vor zu schaffen. Auch wenn die meisten Verbände mittlerweile ab waren, er konnte sich nach wie vor nicht richtig bewegen, geschweige denn die Haut spannen oder die Arme richtig beugen. Es war nicht mehr mit den alles verzehrenden Schmerzen verbunden wie anfangs, aber er fühlte sich ungelenk und… teilweise sogar hilflos.
Lias hatte ihm beigebracht, wie an sich
verteidigte und es war das eine Geschenk des alten Gejarn, für das er ihm von allem vielleicht am dankbarsten war. Doch in seinem Momentanen Zustand war das schlicht wertlos. Er konnte Atrun kaum heben, geschweige denn Schwingen, sollte das nötig werden. Das Schwert, das Lias für ihn gefertigt hatte, ruhte gegen den Baumstamm gelehnt in einer schlichten, dunklen Lederscheide.
Fast meinte er Lias Stimme zu hören, der ihn schalt: ,, Wenn du nicht mit dem Körper kämpfen kannst kämpf eben mit dem Kopf, Junge…“
Und doch selbst daran versagte er grandios, oder nicht? Noch immer hatte
er keine Lösung auf die Frage, warum man ihn rief. Oder weshalb der rote Heilige irgendwie die Kontrolle über seine Gabe haben sollte. Wie sonst wäre es möglich, das sie ihn immer wieder Richtung Süden ziehen wollte… zurück ins rote Tal wo er schon erwartet werden würde.
Rufe und laute Stimmen rissen ihn einen Moment aus seinen Gedanken. Elin war mit Werfen an der Reihe und jede einzelne der drei Klingen landete direkt im Ziel. Dieses wiederum bestand, in Ermangelung einer alternative, aus einer Reihe schwarzer Kreise, die sie auf die Rinde eines Baumes aufgemalt hatten. Die Rinde war bereits an
mehreren Stellen abgeplatzt und ließ helles Holz hervorschimmern.
Cyrus, der sein Glück als nächstes versuchte, schaffte es jedoch nicht einmal, die Rinde anzukratzen. Jedes einzelne der Messer flog weit am Ziel vorbei und verschwand irgendwo im Unterholz. Ungehalten grummelnd machte sich der Wolf daran sie zu suchen. Eden, die neben ihm stand, lachte lediglich und wies ihn an, sich nicht so anzustellen. Auf die Frage allerdings, ob er langsam Blind werde, antwortete der einäugige Wolf erst gar nicht mehr.
Götter, es hatte etwas seltsam beruhigendes ihnen einfach nur
zuzusehen, dachte Galren. Die Worte mochten harsch sein, aber es war leicht ersichtlich, wie sehr diese drei zusammen gehörten und sich ergänzten. Und Cyrus trug den Spott immerhin mit Würde. Oder zumindest versuchte er es, während er durch die Büsche kroch, vermutlich wirklich halb blind im Zwielicht unter dem Blätterdach. Gejarn mochten besser sehen als Menschen, aber auch das hatte seine Grenzen. Ein fehlendes Auge beispielsweise. Dort, wo Cyrus linkes hätte sein müssen, befand sich nur eine schlichte Binde unter der einige alte, hellrot Narben hervorschimmerten. Schließlich ließ sich Eden immer noch lachend dazu hinab,
ihm zu helfen, während Elin zu Galren gelaufen kam. Das Mädchen wirbelte einen Haufen Blätter auf, als sie sich achtlos neben ihm auf die Bank fallen ließ. Das Temperament jedenfalls hatte sich sicherlich von ihren Eltern geerbt, da war Galren sich mittlerweile ziemlich sicher. Sie war ihm wahrsten Sinne des Wortes ein kleiner Wirbelwind. Und Elin war klein, besonders neben ihrem Vater. Der Wolf überragte Galren leicht um einen halben Kopf und auch Eden konnte man schwer als klein bezeichnen. Ihre Tochter hingegen ging ihm vielleicht bis zur Brust. Elin hatte das cremefarbene, fast weiße Fell ihrer Mutter geerbt, sah man von einem Ohr
ab, das schwarz war. Ab und an zuckte es nervös, wenn sie zu ihm sah. Galren wusste nicht ob es ihm gefiel, aber er war vielleicht wirklich das einzige, was dieses Mädchen aus der Fassung bringen konnte. Wenn auch nicht für lange.
,, Hey…“ Er konnte ihr schon ansehen, was sie dachte. Er musste schrecklich aussehen und so fühlte er sich auch. Zu wenig Schlaf und zu viele alte Wunden, die noch nicht ganz verheilt waren. Seine Vermutung bestätigte sich sofort. ,, Du siehst aus, als wärst du von einem Wyvern verschlungen und wieder ausgespuckt worden. Du träumst wieder, oder?“
Für Elins Verhältnisse war das fast
taktvoll und er nickte lediglich. ,, Woher weißt du das ?“
,, Davon abgesehen das du eben aussiehst als hättest du ein paar Tage nicht geschlafen ? Ich merke doch wenn du nachts aufwachst.“ Zu oft in letzter Zeit, dachte er. ,, Und du sprichst im Schlaf wusstest du das ?“
,, Nein… Was sage ich denn?“
,, Du redest, Galren. Und ich glaube zu wissen mit wem. Und das macht mir Angst.“ Es hatte wirklich keinen Sinn etwas vor ihr verbergen zu wollen. Dafür war Elin schlicht zu neugierig. Und was ihn anging offenbar wirklich besorgt.
,, Es ist nichts.“ , erklärte er, obwohl er es bereits besser wusste. Aber Galren
wusste auch, dass es so nicht weitergehen konnte. Es musste einen Weg für ihn geben diese Träume loszuwerden oder zumindest abzuschwächen. Ansonsten wusste er nicht, wie lange er sich ihnen noch wiedersetzen konnte und wenn er erst einmal an den Punkt kam, an dem er nachgeben musste… Er schüttelte unwillkürlich den Kopf. Vielleicht könnte Naria ihm helfen. Sie hatte es schon einmal versucht, damals, als er seine Fähigkeiten noch nicht fürchten gelernt hatte. Möglicherweise viel ihr ja etwas ein. Und wenn nicht… Wenn nicht bitte ich Erik darum das er mir genug Opium besorgt das ich eine Woche
durchschlafen kann, sagte er sich und war selbst entsetzt, dass er die Möglichkeit tatsächlich erwog. Langsam wäre er tatsächlich bereit alles zu tun um mal mehr als ein paar Stunden Schlaf zu bekommen…
Elin gab ihm einen Kuss auf die Stirn und warf ihm noch einen Vorwurfsvollen Blick zu. Sie wusste dass er log, aber auch, dass er kaum mehr dazu sagen würde. Und sie ließ ihn gewähren… obwohl sie es ebenfalls längst besser wusste. Dann war sie auch schon wieder verschwunden und lief zurück zu der Stelle an der schon Cyrus und Eden auf sie warteten.
Diese hatten die Suche mittlerweile
aufgegeben und sahen zu einer einsamen Gestalt, die sich ihren Weg durch die weitläufigen Gärten hin zu ihnen suchte. Galren wusste bereits, wer es war, noch bevor er ganz in Sicht kam. Einerseits ließen der hellblaue Mantel und die schwere Tasche kaum einen anderen Schluss zu andererseits… Seine Fähigkeiten wurden wieder stärker, dachte Galren. Früher , vor der großen Reise, die sie alle zusammengeführt… und letztlich für dieses Dilemma verantwortlich war, da hatte er mit Mühe Wege und Pfade finden können, die jedem menschlichen und auch tierischen Auge verborgen bleiben würden. Doch daraus hatte sich längst mehr entwickelt,
zuerst in der Stadt der Zwerge und jetzt erneut. Und je stärker seine Wegfindung wurde, desto stärker wurde er gezogen… Galren erhob sich umständlich um keine Wunden aufzureißen und ging zu den andere um auf den alten Arzt zu warten.