Autoren-Challenge 9
„Euer Held, eure Heldin hockt am Ufer und schaut auf's Wasser. Welle auf Welle rollt auf ihn/sie zu. Schaumgekrönt. Die Gischt spritzt ihm/ihr ins Gesicht, so kräftig peitscht der Sturm das Wasser auf's Land. Da draußen 'fliegt' ein Segelboot vorbei, ein Zweimaster mit rotem Segel. So ein Boot hat er/sie noch nie hier auf dem Balaton gesehen ? Es gehört eher auf die Ostsee oder die Nordsee. Verrückt! Aber es erinnerte ihn/sie an etwas. Nur an was?“
… und sofort fiel mir das russische Märchen „Das purpurrote Segel“ von Alexander Ptuschko von 1961 ein.
Wie oft habe ich mir als Kind diesen Film reingezogen. Ich hätte damals auch gern einen Abenteurer gehabt, der mich in die weite Ferne entführt.
Kinderträume eben.
Doch dann … Balaton. Hatte ich mal einen Abenteuerurlaub. Das war vor … 38 Jahren. Oh Gott, so alt bin ich schon?
Na dann verzeiht mir, wenn ich mich nicht mehr so ganz genau an das Eine oder Andere der damaligen Geschehnisse erinnere.
Urlaub in Ungarn.
Ein Mal im Leben musste man ins Ausland.
Warum dann nicht gleich nach dem Studium und dann noch mit guten Freundinnen. Aufregung war nichts gegen das, was wir verspürten und das lag nicht nur daran, dass ich in ein Flugzeug einsteigen sollte.
Wisst ihr, wie hoch die Überlebenschance ist bei einem Absturz? Ich sah mich schon zerschellt am Boden liegen. Bis plötzlich der nette Zollbeamte erklärte, eine meiner Freundinnen dürfte nicht mit, da ein Stempel auf dem Visum fehlte. In einer Stunde sollte der Flieger gehen und dann so was? Sahen wir wie Fachkräfte zur Visaerteilung aus? Was wussten wir schon, wo welcher Stempel hin gehörte. Nach langem Pi-Pa-Po und vielen Telefonaten winkte er uns dann alle durch.
Das fing ja lustig an.
Der nächste Schock sollte auch gleich folgen. Das Flugzeug war viel zu klein. Malev. Das nahm bestimmt jedes Luftloch mit. Genau … ich sollte recht behalten. Sterben über den Wolken. Was konnte schöner sein?
Aber nichts war. Wir sind aus jedem Luftloch wieder herausgekommen und unbeschadet in Budapest gelandet.
Auf dem Hauptbahnhof haben wir den Zug nach Balatonfüred gesucht und uns schlafen gelegt. In den frühen Morgenstunden erwachten wir vom Ruckeln und Zuckeln der Bahn. Okay, wir kamen unserem Ziel näher. Fix und fertig von der Fahrt zückten wir bei der Ankunft in unserem Ferienort die Karte und machten uns auf den Weg zu unseren
„Gasteltern“. Vorbei an vielen schönen kleinen Villen entfernten wir uns immer weiter vom Plattensee. Die kühle Brise ließ langsam nach und brechende Hitze machte unseren Marsch auch nicht erträglicher. Bei der Zieladresse angelangt … wo die Gastgeber, liebe nette Leute, uns gleich am ersten Abend zum Essen einluden, ...
Essen war immer gut, wenn es für uns umsonst gewesen war. Unsere Urlaubskasse gab nicht viel her (von der Regierung festgelegte Tagessätze in Forint und Forint-Reiseschecks, wenn ich mich nicht irre, waren das 1720 Ft. Für 14 Tage). Die meisten Nahrungsmittel hatten wir in Form von Tütensuppen mitgeschleppt. Ansonsten gab's jeden Tag eine riesige Melone … keine so
kleinen Dinger, wie hier bei uns im Supermarkt … dann halt eine Tütensuppe und ein großes Weißbrot. Ab und an gönnten wir uns eine Kleinigkeit im Restaurant am See.
Ach so ja, ich schweife schon wieder ab.
Also … wir wurden herzlich empfangen und in unser Zimmer geführt. Okay, es hatte zwar keine richtigen Fenster, da es sich im Kellergeschoss befand, doch es war fantastisch klimatisiert. Wir hatten ein eigenes Bad und eine kleine Küche. Was wollten wir mehr. Schließlich galt es, immer auf Achse sein und was vom Land kennen lernen.
… und wenn es nur hieß, im Strandbad zu liegen und Kontakt mit netten Leuten zu knüpfen. So lernten wir auch Helmut, Gerhard, Hans und Otto kennen. Sie waren
nicht mehr so taufrisch, jedoch sehr … anziehend. Besaßen doch die Herren ein eigenes Boot. Nicht nur ein Boot, sondern … "das Boot". Der Balaton war für die Herren nur einen Abstecher wert. Aufsehen erregen mit ihrer Segeljacht. Zweimaster. Rote Segel. Sehr feudal. Sie blieben drei Tage und wer nicht durch das Boot auf sie aufmerksam wurde, dann letztendlich durch spendable Lokalrunden und ihre Erzählungen.
Meine Mädels und ich, wir hingen wie die Kletten an den Kerlen. Verprassten oder verspielten sie doch das an einem Abend, was wir zu viert für die vierzehn Tage umtauschen durften. Ergo … ein Stückchen Kuchen auch für uns. Sie verkörperten den Hauch von Luxus der kapitalistischen Welt.
Wir hatten Urlaub und ein wenig davon genießen, konnte ja nichts schaden. Zwei Tage später waren sie weg. Ab in die Spielbank nach Budapest.
Tschüß und nimmer Wiedersehen.
Wir haben uns dann tatsächlich noch aufgemacht, etwas die Gegend zu erkunden. Per Anhalter wollten wir nach Tihany um die Fähre nach Siófok zu nehmen. Dort sollten wir aber nie ankommen. Wir sprachen kein Ungarisch, der Fahrer des kleinen Transporters sprach kein Deutsch. Gelandet waren wir in den Weinbergen.
Wer schon mal in den Weinbergen war, musste natürlich … das ist das Mindeste … Wein verkosten. So kamen wir dann abends zwar nicht vom Markt in Siófok, dafür jedoch
gut gelaunt und singend nach Hause. Dann eben nicht nach Siófok. Tihany reicht auch. Am vorletzten Tag. Eingekauft haben wir wie die Irren. Seife und Deo-Spray von 8x4. Glaserzeugnisse aus Jena. Schokolade. Zigaretten. Kleidung. … und zu guter Letzt einen Korb, für dessen Trasport.
Ich weiß gar nicht mehr, warum wir unser gutes Geld für solche Dinge ausgegeben haben.
Lieber wären wir verhungert, als darauf zu verzichten. Glücklicherweise hatte eine meiner Freundinnen einen zweiten Koffer in ihrem Koffer versteckt. Wie hätten wir sonst alles im Flugzeug nach Hause transportieren sollen.
In den vierzehn Tagen Balaton hatten wir total
außer Acht gelassen, dass ja noch immer auf einem Visum ein bedeutsamer Stempel fehlte. Hoffenlich machten die ungarischen Beamten nicht auch so ein Tamtam darum.
Aber umsonst gebangt.
Die DDR sollte mal ruhig ihre Bürger wieder haben.
Nun ist das schon so lange her. Kleckschen hat zur Challenge aufgerufen und ich habe meine alten Erinnerungen hervorgekramt und die Fotos. Ihr müsst verzeihen, aber die kann ich euch nicht zeigen. Nicht, wie wir zu viert in ein riesiges Weißbrot beißen.
Auf gar keinen Fall.
© A.B.Schuetze 06/2016