Der Mann, sein Alter war nur schwer zu schätzen, füllte mit seiner Anwesenheit das gesamte Café aus. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen und dennoch wusste ich, wer der Herr in dem grauen Anzug war. Das Stahlgrau seiner tiefliegenden Augen hatte einen Stich ins Blaue. Eine Art der Unreinheit, welche ich bei Edelsteinen mochte. Diese strahlenden Natursteine suchten mich in der Enge des Cafés in der Orangerie. Obwohl dieses Treffen ausgemacht war, hatte ich nach hinten gesetzt. Der letzte Tisch hinter der Kaffeemaschine bot Platz und
Ruhe zugleich, denn immerhin sollte es sich um ein Geschäft handeln. Nachdem die Kellnerin ihn freundlich in Empfang genommen hatte, bedankte er sich ausgesprochen höflich bei ihr, gab eine kurze Bestellung auf und schritt auf meinen Tisch zu. Seine lange Statur schien bald die Decke zu erreichen, deswegen stand ich auf, um nicht in die verhasste, geschäftliche Unsicherheit zu geraten. „Guten Tag, Sie sind Herr Hallstein nehme ich an?“ Er nahm meine Hand entgegen und führte sie wie selbstverständlich an seine Lippen. Er geleitete mich auf die Sitzbank zurück und setzte sich in
gebührenden Abstand auf den nächsten freien Stuhl. „Nennen Sie mich bitte Anton. Levi hat mir schon sehr viel über Sie erzählt.“ „Dann sagen Sie Luisa zu mir, bitte.“ Dieser Mann hatte eine weiche Stimme, welche zum Zuhören einlud. Levi, der Chef meiner Mitbewohnerin Sarah, hatte mir erzählt, er wäre Autor und Regisseur und am Frankfurter Theater angestellt. Anton war Levis Lebensgefährte, auch wenn die beiden nicht eine gemeinsame Wohnung teilten, so teilten sie sich ihr Leben schon seit mehr als zehn Jahren miteinander. „Was kann ich für Sie tun? Weswegen wollten Sie sich mit mir treffen?“, fragte
ich geschäftlich, um nicht weiter auf Antons Attraktivität zu achten. „Sie sind gelernte Elfenbeinschnitzerin und ich möchte etwas bei Ihnen in Auftrag geben.“ „Nun das könnte schwierig werden. Der Vertrieb, stellenweise der Besitz von Elfenbein ist unter Strafe gestellt. Mammut darf noch verkauft werden, aber auch hier sind die Bestimmung sehr streng.“ Seine Lippen verzogen sich wissend zu einem Lächeln. Er hatte lange Wimpern und diese schlug Anton mit Bedacht auf und nieder. Ach du liebe Güte, dieser Herr konnte nicht nur Theaterstücke in Szene setzten.
Diese Verhandlung würde sich schwierig gestalten. „Es geht mir nicht um eine Neuanfertigung. Sehen Sie …“ Er griff an seine Seite und erst jetzt bemerkte ich den Stock aus Ebenholz. Er reichte mir das kunstvoll verzierte Stück und ich wunderte mich über das Gewicht. „Ein Stockdegen, wie selten.“ In meinem Ton schwang Ehrfurcht mit. Die Schnitzereien waren sehr detailliert, obwohl das schmale Holz nur wenig Platz bot, hatte der Künstler jede Möglichkeit genutzt, um eine vollständige Treibjagd hineinzuarbeiten. „Ende des 19. Jahrhunderts angefertigt. Er ist seit einem Scharmützel mit einigen
Halbstarken aus den dunkleren Ecken meiner Geburtsstadt ein treuer Begleiter.“ Wow, nur wenn man ein Krokodil als ökotrophologischen Veganer bezeichnen würde, konnte man noch mehr untertreiben. Soweit mir bekannt war, hatte Anton einen Raubüberfall hinter sich, dessen Folge zwei Wochen Krankenhaus waren. Levi und er hatten sich damals das Zimmer geteilt. Ja, ja so kann es kommen. „Leider ist der Knauf bereits abgegriffen und der Messingbeschlag am Ende ist schon recht abgewetzt, deswegen würde ich gerne, dass Sie sich meines Freundes annehmen. Es ist ein
Familienerbstück und ich würde es schätzen, wenn er auch so behandelt würde.“ Ich verstand den etwas exzentrischen Wunsch von Anton recht gut, würde aber darauf verzichten, dem Stockdegen vor Beendigung meines Arbeitstages eine Gutsnachtgeschichte vorzulesen. Des Weiteren vermied ich, Anton darauf hinzuweisen, dass es in Deutschland ein Waffenrecht gab, laut dem Klingen über zwölf Zentimeter Länge verboten waren. Eine Polizeikontrolle stellte ich mir lustig vor, mit dem Ding. Allerdings konnte ich mir auch sehr gut vorstellen, dass der Herr vor mir ein Echtheitszertifikat mit sich führte, um
das Führen dieses Degens in ein harmloseres Licht zu setzen. Außerdem musste man schon sehr scharfsinnig sein, um im 21. Jahrhundert an einen Stockdegen zu denken. Wobei diese Stichwaffe in einem verschlossen Behältnis und ein ausgeführter Schlag wohl sinnvoller war als das Ziehen der Klinge. Ferner war er am Theater tätig und hätte wahrscheinlich im Notfall ein passendes Drama für den Club Blau-Weiß im Repertoire. „Können Sie damit umgehen?“, wollte ich wissen, denn für mich sah es nicht so aus, als wäre die schmale, versteckte Klinge je genutzt worden. Ein weiteres Mal zeigte sich dieses
Lächeln auf Antons Lippen, von dem ich allmählich ausging, dass nur er es zuwege bringen konnte. Die Kellnerin brachte Kaffee, ein Stück Frankfurter Kranz und die Waffe verschwand augenblicklich aus der Sicht von Unerwünschten. Erst nachdem die Dame wieder gegangen war, antwortete Anton mir: „Nun, es reicht, um meinem Schatz die Wahl des Speiselokals zu erleichtern.“ Mir kam plötzlich die Frage in den Sinn, ob es eine paradoxe Obergrenze für Untertreibungen gab. Irgendwie mochte ich Anton immer mehr. „Der Auftrag interessiert mich, das gebe ich zu. Aber ich habe noch nie eine
Waffe restauriert.“ „Ich habe einige Ihrer Stücke gesehen und kenne die Arbeit Ihres Großvaters. Sie werden die Aufgabe zu meiner vollen Zufriedenheit gestalten, da bin ich mir sehr sicher.“ Das Kompliment schüchterte mich ein, denn das verborgene Blau seiner Augen sagte mir eindeutig, ein Nein wurde hier nicht akzeptiert. Anton aß sein Stück Kuchen, während ich mir den Knauf und die Schneide besah. Er trank in mäßigen Zügen den schwarzen Kaffee und ich sann über den Auftrag nach. Schlussendlich hob ich meinen Kopf und brach das Schweigen: „Warum wollten Sie mich wirklich
sprechen?“ Nur ein Sprüchen zu laut, legte der Herr seine Gabel auf den Teller zurück. Ich hatte ihn also überrascht. Viele hielten mich für altmodisch, aber naiv war ich mit Sicherheit nicht. Er nahm eine Serviette zu Hand und tupfte sich die Mundwinkel ab. Eindeutig, Anton benötigte Zeit, um die passenden Worte zu finden. Und ich wusste, dass Levi ein Problem bekommen würde. „Um ehrlich zu sein, befinde ich mich seit geraumer Zeit in einer Schaffenskrise.“ Der Herr stehe mir bei. Wenn jetzt das kam, was mein Oberstübchen vorhersagte, müsste ich auch mit Sarah
ein ernstes Wort reden. „Nun, um es kurz zu machen, es geht um kreativen Mord“, begann Anton, denn ihm war klar, mit mir war ab diesem Zeitpunkt nicht zu spaßen. Also entschloss ich mich, Levi bald mal zum Kaffee einzuladen. Denn ich genoss Rache süß, schokoladig süß. „Wenn Sie mir jetzt erläutern wollen, dass in jedem gewaltsamen Beenden, egal welcher Lebensform auch immer, etwas Künstlerisches, Musisches verborgen sein kann, so werde ich mich gezwungen sehen, dieses Etablissement zu verlassen und auch Ihren gut gemeinten Auftrag rundheraus abzulehnen. Selbst wenn mich die Arbeit
an einem so ausgefallen Stück interessiert.“ „Levi hatte recht. Sie können sich sehr gut artikulieren“, schmeichelte Anton mir, doch ich war auf der Hut, wie der Jäger auf der Pirsch. Vorsorglich stellte ich schon mal die Einkaufsliste für meine Schokoladentarte zusammen. „Eine kleine Rederei hat mich beauftragt, für ihre Reihe ‚Main-Krimi‘ einige Drehbücher zu schreiben. Event Gastronomie. Während sie über den Main schippern und ein Vier-Gänge-Menü verspeisen, wird die illustre Runde mit einem Kapitalverbrechen belustigt.“ Anton war ein Künstler mit Leib und
Seele. Er nahm das Thema sehr ernst, wenngleich das nichts an der Tatsache änderte, dass meine Freunde bald in ernsthaften Schwierigkeiten stecken würden. Ich hatte mich deswegen für eine Schokoladentarte entscheiden, weil das Aroma von Johannisbrotkernmehl sich an den Geschmack der Süßigkeit anpasste. Auch die Verarbeitung war sehr einfach. In der Diätküche war dieses dem Kakao ähnliche Nahrungsmittel bekannt. Ich würde einfach noch Melanies Lieblingskekse mit auf den Tisch stellen und noch Windbeutel kaufen, dann würde es nicht weiter auffallen, dass ich keinen Kuchen
aß. Melanie mochte keine Tarte, weil ihr die Konsistenz nicht zusagte. „Luisa, was halten Sie von meinem Vorschlag?“ Ich hatte genug mit den letzten Vorladungen bei der Polizei zu tun. Mein Wissen über Mord und Gifte war in letzter Zeit wirklich eine Last geworden. Mir war nicht klar, weswegen Sarah es zu ließ, dass ich mich noch mehr mit diesem Zeug beschäftigte. Ich war Goldschmiedin und keine Schnüfflerin, die irgendwann anfing in der Unterwäsche von Fremden zu stöbern, nur um ein Fläschchen Gamma-Hydroxybuttersäure* zu finden. Wenn Melanie von meinem Plan erfahren
würde, hätte ich allerdings auch ein Problem. Johannisbrotkernmehl war nicht an sich giftig, jedoch in Verbindung mit Senneblättern hatte das Zeug eine durchschlagende Wirkung. Dabei wirkt das Mehl milder als die Blattdroge. Sennesblätter wirkten zuverlässig, unter Umständen relativ drastisch. Für eine gute Wirkung wird eine Menge von maximal 30g empfohlen und diese würde sich in einem Kuchen bestens verbergen lassen. Solange ich anschließend dafür sorgte, dass Sarah und Levi nicht dehydrierten, sollte nichts weiter passieren und den Tatbestand der Körperverletzung würde ich sehr gerne eingestehen, wenn die
zwei nie wieder auf so eine Schnapsidee kamen. Bei diesen Barkeepern war der Spruch vermutlich sogar wörtlich zu nehmen, denn die Idee wird ihnen nach dem ein oder andrem Kurzen gekommen sein. Nach Jahrhunderten des traditionellen Einsatzes von anthrachinonhaltigen Pflanzen in der Volksmedizin zur Herstellung von Laxansen würden sie einen Neuaufschwung im Bereich der niederen Vergeltung finden. Ich stellte meine Einkaufliste fertig, indem ich noch Badreiniger und Desinfektionsmittel geistig notierte. Noch ein Abstecher zum Kräutergarten der Nachbarin und das Wochenende
konnte kommen. Innerlich zufrieden lehnte ich mich schmunzelt zurück. „Darf ich Ihr Lächeln als ein Ja deuten?“, fragte Anton mich erfreut und zum ersten Mal sah ich seine blitzweißen Zähne. Ich begann den Herren im grauen Anzug mit dem Stockdegen und dieser feinen Art zu mögen und trotzdem fragte ich liebevoll: „Wollen Sie nächste Woche Samstag zum Kaffee zu uns in die WG kommen?“ * allgemeine chemische Bezeichnung für KO Tropfen