Kurzgeschichte
Kaum gekannt

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"Sie hatte ein Problem und wollte mit mir darüber reden"
Veröffentlicht am 31. Mai 2016, 20 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Sie hatte ein Problem und wollte mit mir darüber reden

Kaum gekannt

Titel

Wir waren nur Bekannte. Geil sah sie aus. Aber ich merkte schnell, das ihre Psyche angeknackst war. Zum ersten Mal gesehen, haben wir uns in einer kleinen Flaschenbierbar. Ab und zu verschlug es mich dahin. Meist trank ich nur ein oder zwei Bier, dann ging ich auch schon wieder. Und bei einem dieser Besuche, traf ich auf sie. Ich hatte ihr sofort angesehen, das sie etwas belastete. Auch wenn sie gelächelt hatte. An jenem Abend bestellte ich mir noch eine dritte Flasche. Denn ich wollte sie unbedingt kennenlernen. Aber wie

ansprechen? Dieses Problem hatte sich von selbst gelöst, da ich der einzige war, der alleine an einem Tisch saß. An den anderen Tischen waren kleine Grüppchen und kein freier Platz. Höflich fragte sie mich, ob sie sich setzen dürfe. Ich stand auf, lächelte sie an, zog einen Stuhl zurück, wie es die Ober in den noblen Restaurants machten und deutete ihr, Platz zu nehmen. Nun gab es aber ein zweites Problem. Wie kam ich mit ihr ins Gespräch? Auch das löste sich von selbst. Da sie zum ersten Mal hier war, wusste sie nicht, das niemand an den Tisch kam, um eine Bestellung aufzunehmen. Man musste an

der Theke seinen Wunsch äußern, die gleich am Eingang war. Höflich, wie ich war, stand ich für sie auf und holte ihren Gintonic. Den trank sie ziemlich schnell aus. Entweder hatte sie einen riesigen Durst gehabt, oder wollte sich sinnlos besaufen. Ich tendierte zum zweiten Gedanken. Wie gesagt, hatte ich ihr angesehen, das etwas ihr Seelenheil belastete. Irgendwie hatte ich dafür einen Sinn entwickelt. Vielleicht war er auch schon von Anfang an dagewesen und ich bemerkte ihn erst im Alter. Wer weiß. Sie war eine Frau, wie ich sie mir in meinen Träumen vorstellte. Atemberaubend attraktiv. Eine Frau, die

Ansprüche stellen durfte. Das ich keine Chance bei ihr hatte, wusste ich auf Anhieb. Was aber nicht hieß, das ich mich mit ihr nicht unterhalten durfte. Vielleicht auch ein wenig flirten, wenn sie es zuließ. Dieses bisschen Freude wird mir doch wohl gegönnt sein. Sonst habe ich ja nicht wirklich... Auch das zweite Glas hatte sie relativ schnell geleert. Zwar nicht so schnell, wie das Erste, aber bedeutend rasanter, als man es austrinken sollte. Beim zusehen dachte ich an ein altes Saufspiel, aus Jugendtagen, welches ich nur bedingt mitgemacht hatte. Es hieß: „Ex oder schwul“, andere kannten es unter den Namen: „Ex oder Jude“ Aber

ganz egal, wie man das Spielchen nennt, man sollte es nicht übertreiben. Als ich ihr das dritte Glas vor die Nase gestellte hatte, musste ich sie darauf hinweisen, was sie sich damit antat. Daraufhin lächelte sie mich müde an. Sie sah mir in die Augen und ich konnte sehen, das ihr etwas zu schaffen macht. Doch wie sollte ich das Thema anschneiden? Einfach so mit der Tür ins Haus fallen? Um Gottes Willen. Das war hundert prozentig der Falsche Weg. „Keine Sorge. Ich bin alt genug und weiß was ich tue.“ In ihrer Stimme hörte ich die Verzweiflung. Ich konnte mich irren, aber ich glaube herausgehört zu haben,

wie gern sie mir ihr Herz ausgeschüttet hätte. Doch es war weder der richtige Ort, noch die richtige Zeit dafür gewesen. Außerdem kannte wir uns gar nicht. Und wer redet schon mit einem völlig Fremden über sich und seine privaten Probleme? Obwohl ich sie noch nicht kennengelernt hatte, verspürte ich Mitleid für sie und hoffte, das wir uns wiedersehen würden. Das sie sich mir eines Tages öffnen würde. Zwar hatte ich es satt gehabt, das mir jeder ungefragt die Ohren volljammert und mich mit seinen Problemen belastet, aber bei ihr war es etwas völlig anderes. Denn ich wollte, das sie sich mir

anvertraut. Ich wollte ihre Geschichte hören. Wollte ihr helfen. Als sie ihr drittes Glas Gintonic ausgetrunken hatte, war ich gerade bei der Hälfte meines Bieres. Einerseits hätte ich es gern gehabt, wenn sie noch geblieben wäre. Andererseits wollte ich nicht, das sie vom Stuhl fällt. Also verabschiedete ich mich von ihr und blieb sitzen, anstatt sie hinauszubegleiten. Ich hätte den Rest auch auf Ex trinken können. Nur hätte ich mich hinterher bek... und sie hätte mich zurechtgewiesen. Außerdem war ich zu sehr in meinen Gedanken vertieft gewesen, um sie begleiten zu können. Und wer weiß, o sie es zugelassen hätte.

Vielleicht hätte sie sich bedrängt gefühlt und wäre vor mir geflüchtet. Irgendwann beschloss ich, den Rest stehenzulassen und zu gehen. Es schmeckte einfach nicht mehr. Warum sich irgendwas rein zwingen. Der Körper würde es eh nur wieder von sich stoßen. Mich über der Kloschüssel wiederzufinden, darauf hatte ich absolut keine Lust. Ein paar Tage vergingen, bis ich sie wiedersah. Sie war noch genauso schön, wie bei unserem ersten Zusammenstoß. Zwischendurch kam mir da der Gedanke, mit ihr eine Nacht zu verbringen. Meine Fresse, sie sah aber auch verdammt geil aus. Die Verehrer

mussten bei ihr Schlange stehen. Oder keiner getraute sich, weil sie alle glaubten, das sie in festen Händen war. Ich war davon überzeugt, das sie vergeben war und das sie nicht glücklich war, in dieser Beziehung. Aber später erfuhr ich, das sie ein anderes Problem hatte. Auch beim Zweiten sehen, trank sie schnell und sprach fast nichts. Wenigstens hatte sie mich auf Anhieb wiedererkannt, mich angelächelt und sich zu mir gesetzt. Krampfhaft klammerte ich mich an meiner Flasche fest. So sehr ich mich auch bemühte, ich brachte kein einziges Wort heraus. Es war

schrecklich. Nach ihrem dritten Gintonic verabschiedete sie sich lächelnd von mir. Ich blieb sitzen und dachte nach. Währenddessen knalle ich mir die Flasche rein. Danach noch eine. Beinahe hätte ich mir noch eine dritte Flasche eingeflößt. Aber glücklicherweise war ich noch rechtzeitig zur Vernunft gekommen. Wieder vergingen ein paar Tage, bevor ich sie wiedersah. Und wieder hatte sie dieses aufgesetzte, gequälte Lächeln. Als sie mich sah, veränderte sie es. Da war es nicht mehr aufgesetzt und gekünstelt, sondern echt. Sie freute sich, mich zu sehen. Wenn sie wüsste,

wie sehr ich mich freute, sie zu sehen. Irgendwie brachte sie ein wenig Sonne in mein sonst trostloses Leben. Dieser Abend verlief anders. Wir plauderten ein bisschen. Nichts Spezielles. Einfach nur so. Dabei hörte ich raus, das sie am liebsten über etwas anderes reden würde. Etwas lag auf ihrer Seele und sie wollte sich davon befreien. Nur schaffte sie es nicht. Da war noch eine Blockade. Also musste ich anfangen. Aber nicht in dieser Bar. Jeder konnte mithören, wenn er es wollte und das wollte ich nicht. Es musste nicht jeder erfahren, was mir durch den Kopf ging. Nach nur einem Getränk verließen wir

die Bar und marschierten Richtung Kanal, der nur wenige Meter entfernt lag. Die paar Menschen, die da noch herum hingen, waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um mir irgendwie Beachtung zu schenken. „Kennst du das Gefühl,...“, fing ich an, „Ich meine...Zu mir kommen sie gerne, um bei mir ihr Herz auszuschütten und mich mit ihren Problemen zu belasten. Warum, das weiß ich auch nicht. Jedenfalls hatte ich denen öfters Tipps und Ratschläge gegeben. Die Personen haben dann aber nicht auf mich gehört. Fazit, sie jammerten. Manchmal hielt ich denen vor, das ich es ihnen ja gesagt habe, wie es kommen wird und das sie

eigentlich wissen müssten, das ich meist recht behalte. Wenn ich denen das ins Gesicht klatschte, waren sie nicht gerade freundlich zu mir. Ich frage mich, warum sie ausgerechnet mir alles sagen und wieso sie von mir einen Rat wollen, wenn sie sich eh nicht daran halten, sondern machen, was sie vor meinem Ratschlag im Kopf hatten. Und wenn ich mal ein offenes Ohr brauche... Du bist eine wunderschöne Frau. Eigentlich schade, das du dir den Alk so reinkippst, als wäre es Wasser. - Ich weiß, das dich was belastet und du gern darüber reden würdest. Mit mir kannst du über alles reden. Die anderen haben

es einfach getan, ohne mich zu fragen. Immer und immer wieder. Proteste meinerseits wurden ignoriert. Mir ging es vor allem deshalb so sehr auf den Sack, weil es immer das Gleiche war. Wenn sie meine Ratschläge umgesetzt hätten, wäre alles in Butter. Aber so... Kommen wir jetzt mal zu dir. - Vom ersten Augenblick an habe ich gemerkt, das dich was belastet. Du kannst mir vertrauen. Alles was du mir sagst, bleibt bei mir. Meine Lippen bleiben versiegelt. Ich würde dir gern helfen. Aber dazu müsste ich wissen, was du hast.“ „Lass uns einfach nur hier dastehen und schweigen.“, sprach sie und schaute

dabei in den Nachthimmel. Ich akzeptierte ihren Wunsch, auch wenn es mir nicht leicht fiel. Mich drängte zu erfahren, was in ihr vorging. Welches Schicksal ihr widerfahren war. „Ich muss gehen. Bis morgen dann.“, sagte sie und ging. Kein Händedruck, kein Kuss, kein gar nichts. Aber sie hatte sich indirekt mit mir verabredet. Das war doch schon mal was. Zumindest klang es für mich so, als würde sie morgen wieder in die Bar kommen. Weswegen ich mit einem Lächeln nach Hause ging. Der Tag zog sich in die Länge. Wie jedes mal, wenn ich auf etwas wunderbares warte. Ganz egal was ich

tue, wie sehr ich versuche mich abzulenken, die Zeit vergeht nicht. Aber irgendwann war Abend. Voller Vorfreude lief ich zur Flaschenbierbar. Doch da war sie nicht gewesen. Es war auch noch früh gewesen. Sie hatte noch über eine viertel Stunde Zeit. Ehe ich es mich versah, kam sie durch die Tür. Schön, wie eh und je. Ich stand auf und schritt auf sie zu. Plötzlich und unerwartet, berührten meine Lippen die ihrigen. Verlegen machte ich einen Schritt zurück und entschuldigte mich dafür. Sie winkte ab und lächelte mich an. „Wartest du schon lange auf mich?“, fragte sie, nachdem wir uns gesetzt

hatten. „Halbe Stunde, vielleicht. - Ich freue mich, dich zu sehen.“ „Das habe ich gemerkt...“ Und so begann eine kurzweilige, belanglose Unterhaltung. Sie hatte eine angenehme Stimme. Passte perfekt zu ihrem Äußeren. Ich könnte ihr stundenlang zuhören. Aber leider sprach sie nicht sehr viel. Immer nur ein paar kurze Sätze, mehr nicht. Wenigsten redete sie überhaupt mit mir. Die Zeit flog nur so dahin. Schon wieder hieß es Abschied nehmen. Und wieder habe ich nicht erfahren können, was sie so belastet. Ob ich es jemals erfahren werde? Ich glaubte nicht

daran. Über eine Woche musste ich Geduld zeigen. Erst dann durfte ich sie wieder sehen. Und auch auf die Gefahr hin, das ich mich wiederhole, sie sah einfach nur atemberaubend aus. Sobald sie mich sah, lotste sie mich vor die Tür. Wir liefen runter zum Kanal. Schweigend blickten wir ins langsam dahinfließende Wasser. Zärtlich berührte sie meine Hand. Ergriff sie sanft. Dann sagte sie ganz leise: „Danke.“ „Für was?“, fragte ich. Doch die Antwort blieb aus. Stattdessen kam sie mir näher. Legte kurz ihre Wange an meine, drehte sich um und verließ mich wortlos. Was mir blieb, war

eine kleine Träne, die sie an meiner Wange hinterlassen hatte. Und ich wusste, das ich sie nie wieder sehen würde. Es war ein Abschied für immer gewesen. Bis heute weiß ich nicht, für was sie sich bei mir bedankt hatte. Schließlich hatte ich nichts weiter gemacht. Wir hatten uns nur über belanglose Dinge unterhalten. Uns kaum gesehen. Für was war sie also dankbar gewesen? Noch lange stand ich da und blickte ihr hinterher. Obwohl ich sie kaum kannte, schmerzte der Abschied.

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