Zum frühen Morgen erhielt ich die Nachricht. Diese brachte mich in Rage. Ohne weiter darüber nachzudenken, legte ich meine Hassmusik ein. Jene Musik, die meine Aggressionen minderte, wenn ich sie hörte. Sie stammte noch aus meiner Teenagerzeit, so Mitte der neunziger Jahre. Damals ließ ich mich noch sehr leicht beeinflussen, weswegen meine Weste ziemlich beschmutzt ist. Angefangen hatte ich mit Punk. Kurz darauf lief ich Skinheads über den Weg. Wenig später war ich bei den Rechten. Auch wenn ich heute ganz anders denke,
als damals, denke ich ab und zu an die Zeit zurück. Verbundenheit. Zugehörigkeit...Schon damals gehörte ich eigentlich nicht ganz zu ihnen. War da schon anders gewesen. Denn ich hatte Freunde, die nicht deutschstämmig waren. Trotzdem zog ich mir die rassenfeindlichen Lieder rein. Irgendwie gingen sie mir ins Ohr und blieben in meinem Hirn hängen. Mit den gewalttätigen Liedern ging es mir genauso. Obwohl ich strikt gegen Gewalt bin. Egal gegen wen oder gegen was. In meinem Leben gibt es eine Person, die an mir klebt, obwohl sie nichts mit mir zu tun haben will. So sehr ich mir
auch Mühe gebe, ich werde diese Person nicht los. Jenes weibliche Wesen brachte mich an jenem Morgen auch auf die Palme. Als Teenager hatte es mir die rechte Szene angetan. Selbst als erwachsener, vernünftig denkender Mensch, lässt sie mich nicht ganz los. Vielleicht liegt es daran, das sie damals meine letzten echten Freunde gewesen waren. Denn nach dieser Zeit hatte ich stets nur Freunde für kurze Zeit. Meist nur für einen Winter lang. Ich weiß auch nicht warum. An oben genannten Morgen hatte ich, wie schon erwähnt, eine Nachricht bekommen, die mich auf die Palme
brachte und ich legte jene Musik, aus Teenagerzeiten, ein. Was ich dabei nicht bedacht hatte, war, das ich Besuch gehabt hatte. Jener Besuch war nicht nur weiblich, sondern auch sonnenverwöhnt, also braungebrannt. Schwarz. Aus Rücksicht zu meinen Nachbarn, die schon im Rentenalter waren, aber immer noch ein gutes Gehör hatten, war die Lautstärke nur minimal gewesen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich meine Anlage volle Kanne aufgedreht. Aber ich wollte keinen Ärger mit meinen Nachbarn bekommen. Nicht riskieren, das ich aus der Wohnung rausfliege. Zwei Lieder später stand sie zwischen
Tür und Angel, und blickte mich ernsthaft an. Ich hielt inne und starrte zurück. Was für eine wunderschöne Frau. Sie war nur in einer Bettdecke gehüllt. Ließ hier und da ein wenig Haut durchblitzen. Hatten wir vergangene Nacht eigentlich Sex gehabt, fragte ich mich? Doch während meines Gedankenganges unterbrach sie mich: „Wie rechts bist du?“, fragte sie trocken. In dem Moment fiel mir ein, das seit meinem Einzug eine schwarz-weiß-rote Fahne in meinem Wohnzimmer hing. Sie war unübersehbar. Eigentlich hätte sie schon am Abend zuvor den Abgang machen müssen. Warum war sie dennoch geblieben, nach dem sie die
Fahne gesehen hatte? Hatte sie genug Menschenkenntnis, um zu wissen, das ich anders bin, als ich mich gebe? „Frühstück im Bett?“, platzte es aus mir heraus. Ohne es bewusst mitzukriegen, hatte ich die Kaffeemaschine in Gang gesetzt. Die Kanne war schon halbvoll gelaufen. „Mach die scheußliche Musik aus.“, war ihre Antwort gewesen. Und das tat ich auch. Dann wartete ich darauf, das der Kaffee fertig wurde. Ich fühlte mich beschissen. Es hatte nichts mit der Nachricht zu tun, sondern damit, das ich jene Musik aufgelegt hatte. Wie konnte ich nur vergessen, das ich eine Afrodeutsche im
Bett hatte?
Zum Glück hatte ich Glück. Sie war mir nicht böse gewesen. Wir hatten uns darüber unterhalten. Uns ausgesprochen. Danach haben wir gekuschelt. Es war so schön gewesen, sie neben mir zu spüren. Zu wissen, das man mit ihr über alles reden kann. Das sie tolerant war. Ihr es egal war, welche Gesinnung Mann hatte.
Sie ließ mich die Horrornachricht vergessen, indem sie einfach nur in meinen Armen lag und mit mir kuschelte. Was für eine Frau.