Kurzgeschichte
Auch Genies haben es schwer...

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"Auch Genies haben es schwer..."
Veröffentlicht am 23. April 2007, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ehemann, Vater, Großvater - alles optimiert: nur eine Frau, nur einen Sohn, nur eine Tochter, nur eine Enkelin, nur einen Enkel.,, nein, seit dem 24.02.08 (kurz nach 6) sind's zwei In Jahreszahlen: 57, 54, 35, 33, 12, 1 (Stand: 2007)
Auch Genies haben es schwer...

Auch Genies haben es schwer...

Manchmal werde ich aus dem Leserkreis heraus gefragt: „Sag mal, wo holst du deine Stories und Geschichtchen eigentlich her?“ - Nun ja, solcherart „Geschäftsgeheimnisse“ posaunt man ja auch nicht gerade in alle Welt hinaus. Wenn ich allerdings sage - und das ist nicht nur eine reine Schutz-Behauptung - dass sich die richtig guten Geschichten tatsächlich im tagtäglichen Leben abspielen, will man mir dann (meist) nicht glauben. Dass es aber wirklich so sein kann, mag das Nachfolgende belegen ...ich erzähl’s mal - auch auf die Gefahr hin, dass du (nicht nur Dieter B. duzt alle) mir zum Schluss dann doch nicht glauben wirst... wetten?!
Aber egal, wie dem auch sei. Ich fang dann mal damit an, dass mir (am Tag x) nichts Rechtes einfallen wollte. Kennt ihr vermutlich von euch selbst ja auch (= Beleg 1, dass ich euch hiermit keinen Bären aufbinde). Am Abend des gleichen Tages hätte ich vermutlich schon den dritten Papierkorb mit zerknüllten Papierbögen gefüllt gehabt, wenn wir Schreiberlinge (wie in guter alter Zeit) noch auf einer ollen Triumph-Adler hätten rumhämmern müssen. Doch dank heutiger PC-Technik geht’s Platz und Papier sparender: a) alles markieren, b) löschen, c) neues Dokument.
Aber was erzähl ich euch längst Bekanntes - kurz: PC auf Standby-Modus (ich wollte ja eigentlich nur kurz frische Luft schnappen) und raus aus der Bude.
Denk, denk und grübel, grübel - nichts half. Mittlerweile war ich schon über eine Stunde unterwegs, und steh plötzlich vor einer dieser großen Plakatwände. Eines der darauf gepappten Plakate verkundet es in Riesenletter: „Magnus, das Gedächtnis-Genie unseres Jahrhunderts. Stellen Sie ihn auf die Probe. Irrt er sich bei Ihnen - JA, genau: bei IHNEN - lädt er Sie zu einer vierzehntägigen Mittelmeerkreuzfahrt ein!“ Heute Abend letztes Gastspiel. Versäumen Sie auf keinen Fall Magnus, das Gedächtnis-Genie unseres Jahrhunderts!
Und was tat ich? Ich blickte auf meine Uhr. Hmm, zeitlich wär’s locker zu schaffen, sich diesen Magnus „reinzuziehen“.
Keine zwei Stunden später saß ich im großen Konferenzraum des Hotels, in dem besagtes Gedächtnis-Genie seine Vorstellung gab. Und die war schlichtweg - unfassbar!
Unentwegt ließ er sich ganze Zahlenkolonnen zurufen, worte, die wir, das Publikum, uns nacheinander notieren sollten - und er gab sie dann, nachdem weit mehr als eine halbe Stunde vergangen war, wieder - fehlerfrei! Und natürlich aus dem Gedächtnis heraus. Eine unvorstellbare Leistung ... fand ich. Wieder und wieder schwirrten Worte, Begriffe, ganze und ellenlange Sätze durch den Raum; einer rezitierte sogar sein eigen verfaßtes Gedicht (ein verdammt langes dazu!) - wie gehabt: eine knappe halbe Stunde später gab der Künstler es ebenso fehlerfrei zurück und natürlich auch wieder, ohne dass er sich auch nur das Geringste irgendwie oder irgendwo notiert hatte. Der Mann war wirklich ein As, ein Genie, unschlagbar auf seinem Gebiet.
Und zwischendurch verblüffte er uns mit Rechenoperationen, die unsereins vermutlich nicht mal mit ‘nem Taschenrechner zustande gebracht hätte ... ließ sich mehrstellige Zahlenkombinationen zurufen, die er untereinander einmal multiplizierte, dann mal subtrahierte oder auch „nur“ durch sich selbst dividierte ... alles in allem: eine Darbietung, die sich sehen lassen konnte. Irgendwann hatte auch ich die Gelegenheit wahrgenommen, um Magnus eine (wie mir schien) im Kopf nicht lösbare Mathe-Aufgabe zuzurufen, über die ich selbst mit Stift und Block minutenlang gebrütet hatte.
Der Erfolg? Ich sag’s mal so: Also, wenn Mittelmeer-Kreuzfahrt, dann müßte ich diese schon selbst bezahlen - Magnus nannte mir das Ergebnis, kaum dass mir die Aufgabe dazu zur Gänze über die Lippen gekommen war ... Wirklich, am liebsten hätte ich gar nicht mehr aufgehört, zu applaudieren...
Mit ein paar anderen Besuchern der Show hatte ich dann an der Hotelbar noch lange über das Phänomen Magnus gesprochen, bevor ich mich dann wieder auf den Heimweg machte. Zu Fuß. Allzu weit hatte ich es nicht; und Zeit, meinen Gedanken zum erlebten Abend nachhängen zu können, hatte ich dadurch zudem. Nach ein paar Minuten Fußmarsch überkam mich allerdings ein menschliches Rühren, die erleuchtete Fensterfront eines Lokales kam da gerade recht ...
Kurze Frage, freundlicher Hinweis, wo die Toiletten zu finden wären ... paar Minuten später stand ich wieder im Lokalraum. So „ohne“ wollte ich mich nicht vondannen machen und bestellte mir am Tresen ein Bierchen, wobei ich dann meinen Blick durch den Raum wandern ließ. An einem der Tische blieben meine Augen förmlich kleben - dieses Seitenprofil würde ich ohnehin wohl so schnell nicht wieder gessen können: Das war dieser Magnus. Zweifelsfrei. Nur ... Oh Mann, wie hatte der sich verändert! Nix mehr von eleganter Erscheinung wie kurz zuvor noch auf der Bühne - sein Jackett achtlos neben sich auf den Nachbarstuhl geworfen, Krawatte locker und gerutscht, die beiden oberen Hemdknöpfe offen, das soeben fast schon pomadenmäßig streng friesierte Haar - in sich krausenden Strähnen hing es ihm ins Gesicht...
Ich konnte gar nicht anders - ging zu ihm rüber. Und als ich ihm nahezu direkt gegenüber stand, stand es ebenso auch endgültig einwandfrei fest: Es war tatsächlich Magnus, das Zahlen- und Gedächtnisgenie.
„Ich habe Sie soeben auf der Bühne erlebt“, begann ich meine vielleicht so erscheinende Aufdringlichkeit zu erklären. „Es stört Sie hoffentlich nicht, aber darf ich fragen, ob ich mich zu Ihnen setzen darf?“ Er blickte kaum hoch: „Setzen Sie sich nur. Ein bißchen Unterhaltung kann nie schaden“, klang es irgendwie niedergeschlagen aus seinem Mund. Dann blickte er mir direkt in die Augen. Welche Niedergeschlagenheit sah ich in seinen! Urplötzlich aber auch schon wieder eine Veränderung in seinem Blick: „Aah, Sie sind das ...“
Ich wartete förmlich darauf, dass er mir jetzt sagen würde, auf welcher Platz-Nummer in welcher Reihe ich gesessen hätte. Gewundert hätte es mich schon fast nicht mehr. Aber es kam noch besser - viel besser! Und gleichzeitig konnte ich mich einmal mehr von diesem phänomenalen Menschen überzeugen. Pur, live und ungeschminkt, wenn man so will:
„Sie stellten mir die Aufgabe 17280 mit 365 hoch 3 zu multiplizieren!“
Ich knallte direkt mein zum Mund angesetztes Glas zurück auf die Tischplatte, kramte in meiner Jackentasche. Da mußte noch mein Zettel drinnen stecken, auf dem ich mir meine Aufgabe für ihn notiert hatte (einschließlich Ergebnis).
Das gab’s doch nicht wirklich - oder?! Wie lautet das Ergebnis von: 17280 mit 365 hoch 3 multipliziert?“ las ich halblaut vor.
„Sag ich doch“, lächelte Magnus mich an. Ein sieggewohntes Lächeln und doch - irgendwie gequält wirkend. Wortlos schob ich ihm meine Notiz rüber. Er sah sie nicht einmal an. Lächelte nur versonnen, aber irgendwie, wie erwähnt, betrübt...
„Stimmt“, betonte ich daher nochmals. „Stimmt hundertprozentig. Sie sind ein Genie.“
Er seufzte nur.
„Na kommen Sie“, tat ich unbekümmert, wirklich versucht, den ganz offensichtlich wie am Boden Zerstörten ein wenig aufzumuntern. „Darf der Fan dem Genie einen ausgeben?“
Na siehste. Das Lächeln kam dem eines amüsierten doch schon wieder etwas näher.
„Hat sich was vonwegen Genie. Damit scheint’s wohl auch nicht mehr allzu weit her zu sein...“
Das meinte der tatsächlich so, wie es regelrecht sich selbst anklagend über seine Lippen kam.
Noch ‘n Versuch: „Also mit Witzen ham Sie’s aber nicht so ...“
Sein neuerliches Seufzen war beredt genug. Also hielt ich erstmal die Klappe. Dafür kam es dezent spröde über Magnus Lippen:
„Doch, doch, ist schon so, wie ich sagte - hat sich was mit Genie ...!“
Also Moment mal. Das wußte sogar ich ja nun besser:
„Soweit ich das beurteilen kann, ist Ihnen doch heute Abend auf der Bühne nicht der geringste Fehler unterlaufen?“
„Stimmt“, nickte er. „Heute abend nicht, und auch sonst überhaupt noch niemals auf der Bühne.“
Ich kombinierte rasiermesserscharf: „Familienprobleme?“
„Schlimmer!“
Was kann es Schlimmeres als Familienprobleme geben...? Aber sein beständiges Auf und Ab mit dem Kopf, sein echt herzzerreißendes Seufzen ...
„Eheliche Probleme.“ Sagte ich nicht in Frageform, sondern traf mitten ins Schwarze.
Seufzen, Kopfnicken und ein: „So ist es! Stimmt haargenau.“
„So schlimm?“ fragte ich.
„Schlimmer. Ich habe die Hölle auf Erden!“
„Wollen Sie darüber reden?“, fragte ich nun doch wieder diskret teilnahmsvoll. Seine Antwort bestand aus einem resignierten Schulterzucken und einem fast schon weinerlichen: „Was soll’s. Warum nicht. Ist doch eh alles egal...“
Ich machte mich auf das Schlimmste gefaßt.
„Wissen Sie“, fuhr er dann fort, „vorgestern ... vorgestern, da hatte meine Frau Geburtstag ...“
„Ja...? Und...?“
„Ich hatte ihn vergessen ...“
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Jenseitiger
Ehemann, Vater, Großvater - alles optimiert: nur eine Frau, nur einen Sohn, nur eine Tochter, nur eine Enkelin, nur einen Enkel.,, nein, seit dem 24.02.08 (kurz nach 6) sind's zwei
In Jahreszahlen: 57, 54, 35, 33, 12, 1 (Stand: 2007)

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Jenseitiger Re: Vielleicht hatte ... -
Zitat: (Original von Apollinaris am 24.04.2007 - 15:59 Uhr) ... er zuviele Groupiegeburtstage zu speichern auf seiner Wunderfestplatte ;)

Trotzdem ne schöne Geschichte :)


so sind sie halt - (wir) Genies ...;)))
Vor langer Zeit - Antworten
Apollinaris Vielleicht hatte ... - ... er zuviele Groupiegeburtstage zu speichern auf seiner Wunderfestplatte ;)

Trotzdem ne schöne Geschichte :)
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