Als ich endlich nach Hause komme, ist meine Mutter schon daheim. „Hallo, Liebes!“, ruft sie fröhlich aus der Küche. „Gut, dass du da bist, wir gehen am besten gleich los!“ Ich stöhne leise auf. Das Kleid für Ruths Geburtstagsparty. Warum kann ich nicht einfach etwas von meinen Sachen anziehen? „Nicht jetzt sofort. Mama, bitte, ich komme doch gerade erst zur Tür rein!“ „Okay, von mir aus in einer halben Stunde, aber dann müssen wir los, sonst machen die Geschäfte zu!“
Ich gieße mir ein Glas Orangensaft ein und setzte mich an den Küchentisch. Diskutieren ist in diesem Fall sinnlos. Wenn Mama meint, dass ich für den Geburtstag ihrer Freundin ein neues Kleid brauche, lässt sie sich davon nicht so leicht abbringen. Dabei hasse ich Einkaufen. Den chemischen Geruch in den Kleidern und Geschäften. Die Umkleidekabinen mir der grässlichen Beleuchtung und den furchtbaren Spiegeln. Ich wüsste wirklich gerne, welches Vergnügen Millionen von Frauen daran finden.
„Wie war die Schule?“, reißt mich meine Mutter abrupt aus meinen Gedanken. „Doch, war ganz okay. Ich habe die Mathe-Arbeit zurückbekommen, eine Drei plus!“ „Gratuliere!“ Sie lächelt, und schon ist ihre Neugier besänftigt. Das ist der Trick, etwas Unwichtiges erzählen, dann bohrt sie auch nicht nach, um dahinterzukommen, worüber du lieber nicht reden willst. „Und wie ist es Sofie gegangen?“ „Eine Zwei bis Drei.“ „Das ist doch schön, dann hat sie wieder aufgeholt!“ „Ja, stimmt…“ Kein Wort davon, wie enttäuscht ich
heute von Sofie bin, und wie traurig, dass sie auch über mein Gedicht gelacht hat in der Deutschstunde. Ich trinke meinen Orangensaft aus und wir fahren in die Stadt. Wir durchforsten zwei Geschäfte, ohne das Richtige zu finden, im dritten Laden entdecke ich dann mein absolutes Traumkleid. Ein weißer, fließend leichter Stoff, bodenlang, und bestickt mit wunderschönen Blüten. Doch meine Mutter schüttelt nur den Kopf. „Das passt dir nicht, schau doch
mal - viel zu lang.“ „Aber mir gefällt es!“ „Süße, das ist nicht der richtige Schnitt für dich…“ „Ich probiere es einfach mal an!“, unterbreche ich sie und verschwinde schnell mit dem Kleid in einer Umkleidekabine. Ich liebe dieses Kleid. Es betont meinen Busen und meine Taille, und ich finde, der superlange Rock zaubert mir phantastische Beine. Leider sieht meine Mutter das ganz anders. „Vergiss es. Dein Busen platzt fast heraus und der Rock ist dir viel zu lang das kannst du ja nur mit
meterhohen Absätzen tragen!“ Ich bin so enttäuscht. Heute Morgen eine Lachnummer in der Schule und jetzt auch noch zu dick und zu klein für mein Lieblingskleid. Was für ein Tag.