Der Zwergenaufstand
„Du bleibst hier!“ Ihrer Stimme nach zu urteilen saß ich metertief in der toxikologischen Tinte.
„Aber warum denn?“ Wollte ich mich damit zufrieden geben? Niemals!
„Weil ich es sage.“ Wobei ging ich hier nach ihrer grimmigen Mine könnte es unter Umständen passieren, dass ich meinem Schöpfer gegenüber stehen würde. Die Fronten waren erbittert und verhärtet. Seit gut einer Stunde keiften Melanie und ich uns gegenseitig an.
„Vorausgehend aller kausalen
Zusammenhänge...“
„Luisa fang nicht so an! Du bist noch nicht zu alt, um dich nicht ohne Abendessen auf dein Zimmer zuschicken.“
„Das würdest du nicht wagen!“
Zugegeben das Niveau unseres Streites war nicht unbedingt das höchste, der Grund jedoch war auch nicht gerade von Knigge ausgewählt worden.
„Oh doch, und den Nachtisch schließe ich in den Kühlschrank ein, dass du heute Nacht nicht ran kommst.“
Das matte Grün ihrer Augen durchbohrt
mich. Die Anästesiekrankenschwester wusste, wie man jemanden rund machte. Das Schöne war: Wenn ich wollte, konnte ich extrem viele Ecken haben. Ich hatte jahrelang den ehelichen Streitigkeiten meiner Großeltern beiwohnen dürfen und diese waren Stoff für mehr als eine lokale Büttenrede gewesen.
„Geht nicht“, warf ich sofort zurück und richtete mich auf, immerhin hatten unsere Nasen schon fast knutschen können, so sehr waren wir uns auf die Pelle gerückt. Der schwedische Gebrauchsgegenstand, auch Küchentische genannt, würde als
schützendes Bollwerk in Rente gehen, ehe eine von uns ihn als solchen nutzen müsste.
„Ach, meinst du? Treib es nicht zu weit.“ Sie war verunsichert, das war meine Chance. Ich verschränkte sogar die Arme vor der Brust. „Wie willst du das machen? Die Tür zunähen? Schloss anschweißen? Sarah mit einem Rumsteak bestechen, damit sie heute Nacht Berni den tollwütigen Pitbull spielt?“
Ich hatte mich sehr weit aus dem Fenster gelehnt und Melanie konterte: „Medium gebraten, mit Rosmarinkartoffeln und selbstgemachter
Kräuter-Knoblauchbutter.“
Mit aller Trotztigkeit, welche ich aufbringen konnte, funkelte ich sie an. Meine Mitbewohnerin witterte ihren Sieg. „Zuzüglich Petersiliengarnitur und einem Schüsselchen Mousse au Chocolat.“
Wenn ich nur etwas schlagfertiger gewesen wäre, hätte ich dem nächsten verbalen Schlag ausweichen können. „Und sollte das nicht reichen, kampiere ich vor der Küchentür mit Zelt und Lagerfeuer.“
Das Schweigen zwischen uns breitete
sich genauso unvergleichlich aus wie der Duft von Melaniens Chicken Bombay. Mir lief das Wasser im Mund zusammen und als mein Magen zum Hauptverräter wurde, ging das Muttertier auf Abstand.
„Wenigstens einer, der vernünftig heute ist“, erfreute sich Melanie und ging zurück an den kulinarischen Chemiebaukasten.
Die einzige Reaktion, welche sie damit bei mir noch auslösen konnte, war knurrendes Schweigen. Dämlicher Verdauungstrakt. Beleidigt knabberte ich eher an meiner Teetasse als den
Früchtetraum zu genießen. Melanie hingegen summte friedlich vor sich hin.
Irgendwann begann ich die Zeitung von rechts nach links und wieder zurück zu schieben.
„NAAAAAHEIN, DU-bleist-da“, kommentierte sie mit dem Rücken zu mir.
„Ich habe in den letzten fünf Minuten keine Dramen meiner Gemütslage verlauten lassen.“
„Sei eine brave Luisa und werfe endlich die böse Zeitung weg. Denk dran kein Abendessen und kein Nachtisch.“
Diese Frau war schlimmer als jede Mutter. Konnte sie in die Zukunft
blicken? Mann, war ich sauer. Ich katapultierte mein spärliches Lebendgewicht in die Höhe, marterte die Zelllose des Tages mit beiden Händen und... donnerte aus Versehen Sarah die Zeitung gegen den XXL-Busen.
Sie blieb regungslos in der Tür stehen. Das Schweigen war so durchdringend, dass Melanie sich umdrehte und kurz die Luft anhielt. Dem plötzlichen Stillstand war dies nicht unbedingt förderlich.
„Sag mal, Luisa, hast du nicht mal gesagt, meine Mordmethoden, um einen Kerl aus dem Weg zu räumen seien zu materialisch?“, wunderte sich die Größere von uns beiden und schob mich
zur Seite. Schnell verfrachtete ich die Zeitung in den Papierkorb und antwortete: „Martialisch, dem Duden nach: kriegerisch, Frucht einflößend, grimmig.“
„Wenn du ihr helfen willst, dann mach dich darauf gefasst, dass ich dir alle Arbeitsblusen auf hochgeschlossen und bieder umnähen werde“, konterte Melanie sogleich, die sich wirklich in den Kopf gesetzt hatte, mich heute in den Wahnsinn zu treiben.
Gerade hatte sich Sarah einen Kaffee aufgesetzt, da hielt sie schon zum Muttertier: „Luisa, egal was du angestellt hast oder tun willst. Mein herzliches Beileid, aber da musst du
selber durch! Ähm, um was geht es eigentlich?“
„Luisa sieht überall Morde.“
Vergnügt nahm Sarah ihre schwarze Koffeintinktur zu sich und hockte sich auf einen Küchenstuhl. Sie grinste Melanie schamlos an: „Welche denn? Haarspitzen im Essen bis der Magendurchbruch kommt? Besoffen an einen Viehzaun pinkeln der unter Starkstrom gesetzt wurde? Oder mein Liebling: der vergiftete Tampon.“
Ich quietschte mit hochrotem Gesicht auf und wünschte mir neben der
zerknautschten Zeitung Platz zu haben. Melanie legte den Kochlöffel beiseite und stützte sich fassungslos an der Küchenarbeitsplatte ab. Sie massierte sich mit einer Hand den Nasenrücken.
„Klarer Fall von halzinatorischrem verhungenes Dinges irgendwas. Luisa, du kannst das besser“, meinte Sarah unbehelligt und trank ihren Kaffee. Sie war es auch, welche das erneute Schweigen unterbrach: „Wann gibt’s was zu beißen?“
Melanie blickte auf und pfefferte einen Kochlöffel in die Spüle. „Es gibt nix zu essen, bis sie wieder vernünftig im Kopf
ist. Oder am besten gleich ihr beide.“
Der Kaffeebecher donnerte auf die Tischplatte. Ich erschrak schon wieder.
Im Brustton der Überzeugung stand Sarah auf und schob mich mit ernsten Worten zur Tür: „Luisa, raus auf den Balkon, Liegestütze machen und einmal ums Haus laufen und dann wiederkommen!“
„Was?“ Mein Entsetzen war verständlich, allerdings nicht für meine Mitbewohnerin: „ Hallo - Chicken Bombay, danach gibt es immer Mangocreme, die lass ich mir nicht
entgehen.“
Na toll, wer solche Freundinnen hatte, benötigte keine Feinde mehr.
Von Melanie gab es auch keine Hilfe, das Gegenteil war der Fall: „Wenigstens ins Bad und Gesicht waschen. Sonst verwechsel ich dich noch mit einer Tomate und du landest im Suppentopf.“
„Wisst ihr was? Ihr könnt mich alle mal am Aschermittwoch kreuzweise besuchen“, maulte ich lautstark und rauschte aus der Küche.
Am Herd köchelte das Curry, der Wasserkessel pfiff erneut für Tee und das leise Rascheln von Zeitungsseiten
erfüllten die Wohnküche. Mit ernstem Blick betrachtete Sarah die Zeitungsberichte. Melanie stellte den Reiskocher neben den Tisch auf einen Servierwagen. Danach postierte sie sich mit ernster Mine an Sarahs Seite.
„Tote im Pferdestall?“, las sie laut vor.
„Wenn die Frau wirklich von ihrem eigenen Pferd erschlagen worden wäre, hätte die Nervosität alle anderen Pferde im Stall aufgebracht und man hätte die Frau schon am Abend und nicht erst am nächsten Nachmittag gefunden.“
Melanie begann den Tisch zu decken. Sarah las weiter und kommentierte:
„Eine Arbeitsreise mit dem Auto, gutes Alibi für den Alten. Luisa hat doch bestimmt noch mehr in dem Artikel entdeckt als wir beide?“
Ein Nicken war zuerst die Antwort, erst als die beiden Frauen am Tisch saßen, sprach Melanie wieder: „Wir haben eine Stunde darüber gestritten.“
„Du warst sehr hart zu ihr.“
Ein Schnaufen, das ganz tief aus dem Mutterherz kam, erfüllte den Raum, noch erdrückender als die orientalischen Gewürze des Abendessens: „Sie hat ein so sanftes Wesen und Mord ist wirklich
scheußlich. Das hat sie nicht verdient.“
„Sie hat sich aber dieses Wissen angeeignet und muss nun damit klar kommen“, erklärte Sarah kritisch, selbst wenn sie insgeheim Melanies Meinung war. Diese hingegen wurde etwas eitel und berief sich auf ihre Stellung in der WG: „Soll ich sie deswegen den Händen von grobschlächtigen Polizeibeamten überlassen? Am Ende verliebt sich so ein Unhold in Luisa, weil er merkt, dass sie klug und aufmerksam ist.“
Ein lautes Lachen dröhnte aus Sarahs Kehle. Sie warf ihren Kopf vor Belustigung in den Nacken. „Und deswegen willst du mich mit einem
Rumsteak bestechen? Du guckst zu viel Fernsehen.“