Man stelle sich vor: ein Himmel so blau und klar wie das karibische Meer, eine leichte Brise, frisch der Nordseeluft gleich und eine Hängematte, welche die Bezeichnung Himmelbett verdiene. Ich räkelte mich im Halbschatten des großen Kirschbaumes und mir war es vollkommen egal, ob das Telefon klingelte, der Besen auf der Terrasse auf mich wartete oder Melanie eines ihrer chemisch, physikalischen Küchenexperimente startete, welches wir später kredenzt bekommen würden. Neben mir ertönte das samtweiche
Geräusch eines schlürfenden Strohhalmes und ich gähnte herzhaft. Der Baum erzitterte leicht, nachdem sich Sarah in ihrer Hängematte herum warf, um mich mit halb geschlossenen Augen an zu schnurren. Einer rolligen Katze gleich räkelte sie sich. „Ob Melanie heute noch mal die Küche verlässt?“, fragte sie im Zustand völliger Faulheit. Mühsam hoben und senkten sich meine Lieder. „Ganz deiner Meinung. Gaaaaaaanz deiner Meinung“, gähnte meine Freundin. Wir hatten heute morgen drei Pfähle in den Erdboden gerammt und
ebenso viele Matten fächerförmig an den Kirschbaum gehängt. Wir alle hatten frei. Es war ein traumhafter Samstagnachmittag. Herrlich! „Ode an die Faulheit: Faulheit, jetzo will ich dir, auch ein kleines Loblied schenken, käm es nur gleich aufs Papier ohne lange nachzudenken. Doch, ich will mein bestes tun, nach der Arbeit ist gut ruhn.“ „Luisa, du bist unmöglich, aber ich geb´ dir recht“, lallte Sarah schlaftrunken, hängte dem Ganzen ein Kirchern an und ich beendete mein Loblied: „Höchstes Gut! wer dich nur hat dessen ungestörtes
Leben wird – ich gähhhhhhhn – ich werde matt -Nu – so – magst Du mir vergebens, dass ich dich nicht loben kann; Du verhinderst mich ja dran.*“ Daraufhin bekam ich ein Kissen auf den Bauch gehauen und Sarah lachte laut. „Sei still.“ Sie setzte sich auf und schenkte mir etwas von ihrem Sommerdrink nach, den sie anlässlich unserer Garten-Pfählung kreiert hatte. Danach lagen wir wieder dem typischen deutschen Touristen gleich, breit und brässig in der Sonne, mit der Weigerung sich jemals wieder zu
bewegen. Naja, jedenfalls solange, bis das röchelnde Röhren eines arthritischen Rasenmähers die Nachtbarschaft fast in Panik versetzte. Ich konnte mich noch gut an Frau Hubert erinnern, eine 93 jährige Dame, welche beim Ertönen von Herrn Wallstädts Rasenmäher instinktiv den Luftschutzbunker aufsuchen wollte. „Gegen so was gibt es Gesetzte!“, schrie meine Mitbewohnerin ungläubig über das Verbrechen an unserer Ruhe. Gerade klappte ich meinen Mund auf, als sie sich schon aus der Hängematte lehnte und mir den Mund
zuhielt. „Ich will nichts hören. Du hattest eben deine Chance zum Klugscheißen!“ Ich grinste unter ihrer Handfläche und verlagerte meinen Körper nach hinten, danach viel sie zu Boden. Strafe musste sein. „WERNER!“ Diese Stimmte hatte es in sich, denn das infernalische Geräusch des Gartengerätes verstummte. „Ja, Liebling.“ „Bist du bald mal fertig mit dem Rasen.
Du musst noch den Grill rausholen und die Gartenstühle aus der Laube holen und denk an den Salat, den musst du auch noch rausmachen.“ „Soll ich noch die Hollywoodschaukel aufbauen?“ Der letzte Satz war eindeutig trotzig gemeint, aber Frau Wallstädt hatte dies wohl nicht mitbekommen. Sie blökte zurück: „Die wolltest du schon letzte Woche aufbauen und was war. NIX.“ „Ich hab halt nur zwei
Hände.“ „Komm mir nicht immer mit diesen dummen Ausreden.“ Ungläubig hockte Sarah auf dem Rasen. Ich zog süffisant an meinem Drink. Beim Zurückwuchten in die Hängematte ertönte die nächste Salve des ehelichen Kleinkrieges. „Werner, ich höre dich ja gar nicht Rasenmähen. Schläfst du etwa?“ „Oh man, das würden wir gerne hier machen“, maulte Sarah. Ich verkniff mir den
Kommentar. „Ich hole gerade den Grill und die Gartenstühle aus dem Schuppen.“ „Aber du hast doch eben mit Mähen angefangen. Jetzt mach doch einmal etwas fertig.“ Diese beiden schienen aus der Feder von Loriot entsprungen zu sein. Das Schauspiel war kinoreif. Keine Ahnung, wie lange unsere Nachbarn zankten, denn wir waren solche Szenen bereits gewohnt. Es gab keinen einzigen Tag, an dem sich die beiden nicht in den Haaren lagen. Die heutige Auseinandersetzung
war geradezu harmlos. An manchen Tagen bestand Grund zur Sorge einem akustischen und anschließenden realen Blutbad beizuwohnen. Unsere Mama Melanie und andere Nachbarn hatten schon mehrfach mit Polizei, Feuerwehr und Technischem Hilfswerk gedroht, damit in diesem Haus endlich irgendeine Art Ruhe einkehrte. „Die beiden sind ein Grund niemals zu heiraten. - Für so was gibt es Scheidungen!“, keifte meine Freundin und lehnte sich schmollend zurück in ihre Hängematte. Leise meinte sie dann: „Oder Dirty Harry, 47
Magnum.“ Ich schaffte den Balanceakt mich in den Schneidersitz zu setzen und umschlang mit beiden Armen das Kissen, mit dem sie mich eben noch im Spaß abgeschossen hatte. „Sarah“, begann ich ganz leise und sie horchte auf. „Sarah, die Zwei … die beiden, die haben nur noch sich.“ „Luhisahhhhh?“ Mir war klar, dass sie mich auf eine Stimmung ansprach, unter welcher ich oft gelitten hatte, wenn die Rache an meinen Ex zur Sprache gekommen war. Ein krummes, fast schon
verbogenes Lächeln umspielte meine Lippen. „Mord Nummer 21, Kategorie Gift: Tropan-Alkaloide. In der Natur vorkommenede Alkaloide, die sich chemisch vom Tropan ableiten lassen. Meist handelt es sich um Ester verschiedener Carbonsäuren mit den Tropanolen. Zwischen drei und fünf Milligramm entstehen Symptome von Intoxikation, Sehstörungen, Hitzegefühle und Tachykardie. Nach starker Erregung kann bei höherer Dosis begleitet von Fieber ein Koma erfolgen und der Tod durch Atem- und Herzstillstand
eintreten.“ „Die Zwanziger-Morde schieden doch alles aus, weil Melanie mit involviert war. Was hat das mit den Wallstädts zu tun?“ „Sie hat mir von den schwarzen Tollkirschen erzählt und von den Wallstädts. „Oh, nicht gut?“, hakte Sarah nach und richtete sich wieder auf. Ich vergrub meinen Kopf in dem Kissen und versuchte mir die Geschichte in all ihrer Schrecklichkeit nicht weiter
auszumalen. Das Ehepaar hatte eine hübsche Tochter von 14 Jahren gehabt, sowie eine strenge Familie, welche immer auf das damals sehr junge Paar herabgesehen hatte. Immerhin war Hanne unehelich geboren worden und dann auch noch geistig retardiert gewesen. Sie war langsam. Ansonsten war Hanne ein anständiges und sehr tüchtig Mädchen. Zu einem Sonntagsessen war die gesamte Familie eingeladen, selbst wenn das hieß, sich wieder und wieder Spötteleien und fiese Spitzen anhören zu
müssen. Zum Nachtisch gab es rote Grütze, eine Süßspeise gekocht aus den verschiedensten Beerenfrüchten. Hanne sollte diese zubereiten und wurde extra noch mal von den Eltern angehalten, ja nichts falsch zu machen, damit es keinen unnötigen Ärger geben würde. Sie kannte das Rezept gut und der Nachtisch kühlte in einer großen Glasschüssel aus. Wäre die Katze nicht vom Küchenschrank auf die Tischplatte gesprungen, wäre es wahrscheinlich niemals zu dem Familienunglück gekommen. Die Schüssel zersprang und Hanne musste so schnell wie es nur
irgend möglich, eine neue Grütze kochen. Sie rannte in den Garten, um alle Beeren zu holen, welche sie finden konnte. In ihrer kindlichen Art und Weise zu denken, schloss sie die schwarzen Beeren der Tollkirsche mit ein, denn Kirschen waren süß und lecker und immerhin gab es auch schwarze Johannisbeeren. Auch diese Grütze gelang Hanne und ihre Eltern waren sehr zufrieden mit ihr. Die Familie, acht geladene Gäste an der Zahl, aßen alles restlos aus. Die Eheleute waren so mit der Bewirtung beschäftigt, dass diese nichts von der köstlichen Süßspeisen zu sich nehmen konnten. Für Else und Werner Wallstädt war das Glück im
Unglück und lebenslanger Fluch zugleich. Keiner der Verwandten und auch Hanne überleben den Sonntag. Vergiftungen durch schwarze Tollkirschen nehmen in den Statistiken der Giftnotzentrale im Kontext von Pflanzenvergiftungen eine führende Position ein. Heute weiß man das, Ende der Sechzigerjahre jedoch kam jede Hilfe für die Familie zu spät. Ich lag jetzt in der prallen Sonne und Sarah im kühlen Schatten. Der Rasenmäher dröhnte und wir schwiegen.
Der Wind war seicht, doch der leichte Zug störte etwas. Das Himmelblau barg etwas Dunkles. Nachdem der Krach sich gelegt hatte, klang das samtweiche Raunen des Kirschbaumes wie stummes Flüstern. In die Stille des späten Nachmittags hinein erklang mit einem Mal das unschuldige Klappern von Löffeln und Geschirr auf einem Tablett. Sarah und ich wuchteten uns schwerfällig aus dem Leinen der Matten auf. Es war Mama Melanie, die ihr kulinarisches Chemielaboratorium verlassen hatte. Schon von Weitem erkannte ich ihren
strahlenden Stolz, mit dem sie uns nun ihre Experimente, mit denen sie uns gustatorisch verwöhnen wollte, präsentieren würde. „Na, ihr Schlafmützen, ich habe was Leckeres für euch gezaubert. Vanillepuddig mit gekochten Gartenbeeren aus unserem eigenen Anbau.“ *Gedicht von Gotthold Ephraim Lessing 1729-1781