Die Schapsdrossel
Es war ein Anblick, an den ich nicht gewöhnt war. Im Grunde hätte ich es nicht für möglich gehalten, so etwas überhaupt einmal zu sehen. Die Irregularität der Szene überstieg meinen Horizont zwar nicht, aber einordnen konnte ich das Ganze auch nicht.
Rechts vom Küchentisch sah ich einen Fuß, nackt und gepflegt. Der anatomisch dazugehörige zweite Teil war mit einem schwarzen Seidenstrumpf versehen und mit einem blauen High Heel bestückt. So ein aus Kunstleder bestehendes Objekt, welches ich nicht als Schuh,
sondern als Mordwaffe identifizieren würde. Ich hatte Gerüchte gehört, dass es bei Männern schon zu gelegentlichen Amputationen der großen Zehe durch Pfennigabsätze gekommen sein soll. Die Verlagerung der Hoden nach Innen, durch einen gezielten Tritt in die niederen Regionen, war die zweite mir bekannte Variante für den unorthodoxen Gebrauch solcher Schuhe. Und beides nur, weil die Herren der Schöpfung einer Dame beim Tanzen zu nahe getreten waren.
Weil ich strickt gegen Folter war, sowohl was meine Füße betraf wie auch ein menschliches Individuum, begab ich mich erst gar nicht auf eine
Tanzfläche.
Auf der linken Seite erkannte ich eine manikürte Hand. Hierbei allerdings ohne den Aufsatz von Freddy Krüger Gedächtnis Krallen. Was mich dann doch etwas wunderte. Normalerweise hatte meine Mitbewohnerin Fingernägel so hart und scharf, dass der Horrorfilmvertreter neidisch werden konnte.
Sarah lag bäuchlings auf unserer schwedischen Küchenbank und schnarchte. Was hieß schnarchen. Ich hatte beim Hereinkommen geglaubt, seismischen Aktivitäten beiwohnen zu können. Ihr Hintern ragte über die Tischplatte hinaus, dass ich hoffen
musste, keinem gasförmigen Ausbruch des Vesuvs beiwohnen zu müssen.
In der gesamten Küche stank es unerträglich nach Qualm und Alkohol. Vielleicht kam daher meine Angst vor der weiblichen Naturkatastrophe während dem Versuch, Sarah zu wecken.
„Sarah, wach auf, du erkältest dich, wenn du hier weiter herumliegst.“
„Lasch misch! Tschonny Waltscher wärmt misch schon genug“, blubberte es aus einem Sitzkissen hervor.
„Sarah, du liegst auf der Küchenbank. Hier könnte sich kein Mann neben dich legen. Ich kann nicht mal den Kühlschrank aufmachen, so breit machst du dich“, jammerte ich und sah auf die
Uhr über dem Kühlschrank, weil ich allmählich in die Schmiede musste.
„Willscht du mir schagen isch schei fett?“
Ich schloss die Augen und sandte ein Stoßgebet in Äther. Vielleicht blieb mir ja noch Zeit für etwas Müsli. Melanie hatte ich schon oft betüdelt erlebt, aber eine Barkeeperin in einem hoch geistigen und nicht definierbaren Zustand der Blödheit zu erleben, war mir neu. Wie würde sich das wohl auf meine Pünktlichkeit auswirken?
„Nein, Sara, dein körperliches Längenmaß überschreitet dank deiner nicht ergonomischen Haltung, die Bemessung deines
Schlafplatzes.“
Der kobaltblaue Vesuv senkte sich nieder. Die langen Beine fuhren noch weiter aus und schmissen dabei den Ficus Benjamini um. Dieser traf auf die abgespülten Teller und Töpfe vom Vorabend. Schwer keuchend wie eine Kuh vor dem Kalben wuchtete sich meine Mitbewohnerin nach oben. Sie vernahm den Lärm anscheinend nicht, jedenfalls sprach sie mich auf ein völlig anderes Thema an: „Luisa, du schprischt immer so putschig. Woher kennscht du nur so wasch Fremdschbralischesch.“
In meinem Atemwegen detonierte eine ethanolhaltige Bombe. Brechreiz und Schwindel packten mich, sodass ich
Sarahs Mundgeruch ausweichen musste. Wie um alles in der Welt konnte eine professionelle Barkeeperin so blau werden? Mal abgesehen davon, dass sie gestern Abend in einem Outfit in dieser Farbe das Haus verlassen hatte.
Ich stolperte nach hinten. Sarahs Geist schaltete auf Reflex um und versuchte, mich an meinem Arm packend vor dem Stolpern zu bewahren. Lediglich ihren Körper bewahrte sie davor, einige unschöne blaue Flecken zu bekommen. Zugegeben dank dieser Aktion war ich nun endlich am Kühlschrank, jedoch ohne Aussicht auf eine Chance, ihn öffnen zu können. Sarahs Doppel D presste meinen Schädel gegen die
Kühlschranktür, sodass ich mich ernsthaft fragen musste, was Männern an solchen Positionen während des Bettensportes gefiel. Ich bekam jedenfalls nur mächtige Kopfschmerzen.
„Will ich wissen, was hier gerade passiert oder soll ich wieder ins Bett gehen?“, fragte eine sehr gefasste, wenn auch verschlafene Stimme. Melanie sah uns beide verknotet vor dem Kühlschrank liegen. Sara nur spärlich bekleidet und ich unter ihr mit Schmerz und Hunger verzehrtem Gesichtsausdruck. Als meine Mitbewohnerin sich regelte, um aufzustehen, musste ich stöhnen, denn ihr Ellenbogen klemmte mir vermutlich
die Arteria femuralis ab. Ein kleiner Schnitt an dieser Stelle der Leiste und man würde innerhalb weniger Minuten das Zeitliche segnen.
Melanie legte energisch ihre Stirn in Falten und verschränkte ihre Arme vor dem mütterlichen Melonenbusen. Bei so einem Blick half nur noch Verteidigung: „Sie ist völlig betrunken.“
Meine Stimme war nicht mehr als ein trockenes Krähen. Aus ihrer hingegen sprach plötzliche Verwunderung: „Wusste gar nicht, dass das bei Barkeepern möglich ist.“
Die professionelle Anästhesieschwester packte den besoffenen, blauen Sack im Rautek-Griff und zog Sarah in die Mitte
der Küche. Ich setzte meine geschundene Statur wieder zusammen und meinte etwas genervt: „Dank Johnny Walker ist das wohl möglich.“
„Da hilft nur meine Spezialmedizin.“, kam die Erklärung nach eindringlicher Untersuchung unserer Schnapsleiche. Während ich endlich an meinen Jogurt kam, machte ich zur Sicherheit unserer Mama Melanie einen anderen Vorschlag: „Hol lieber eine Decke, wir wollen ihr helfen und sie nicht umbringen.“
Melanies hausgemachter Knoblauchlikör konnte zwar Tote wecken und alles Vampirische von Bram Stoker bis Stephanie Meyer in die Flucht schlagen, aber Sarah war ja noch nicht tot. Selbst
wenn ich seit einer halben Stunde versuchte an etwas Essbares zu kommen, sehnte ich mich keineswegs nach ihrem baldigem Ableben.
Während ich mir meine notwendigen Kalorien zuführte, der Bus an unserem Küchenfenster vorbei fuhr und ich definitiv zu spät kommen würde, beobachtete ich Sarah. Sie hatte sich zu einem kleinen, blauen Ball auf den Dielen zusammengerollt und schlief wieder.
Wer war nur so schamlos eine Frau der Art betrunken zu machen. Zugegeben einer meiner ersten Pläne meinen Ex umzulegen, hatte davon gehandelt ihn mit Spirituosen abzufüllen, damit er an
einer Alkoholvergiftung einging. Jedoch wäre es zum Schaden von Sarah gewesen, weil sie konnte solche Tode als Barkeeperin nicht verantworten. Melanie war dagegen gewesen, weil wir den alten Saufkopf in sein Haus zurück schleifen hätten müssen, damit er erst am Nachmittag, von seiner Putzfrau gefunden worden wäre. Zu diesem Zeitpunkt hätte dann keine Ambulanz der Welt mehr dem Typen helfen können.
Daraufhin hatte ich ein schlechtes Gewissen bekommen, weil ich Frau Weißbach sehr schätze. Immerhin war sie schon die Zugehdame meiner Eltern gewesen. Mein Ex war als Chef schon eine Zumutung, außer wenn man
Pfennigabsätze trug und einen breiten Gürtel für einen Rock hielt. Ihn als Leiche und dann noch im Schlafzimmer zu finden, wäre für eine fast 70jährige doch etwas zu viel gewesen.
Der Typ, der Sarah abgefüllt hatte, ging mir derart gegen den Strich, dass ich nach ihrer Handtasche suchte und ihr Handy an mich nahm.
„Was machst du da?“, wunderte sich Melanie, als sie mit Decke und ohne Knoblauchlikör zurück in die Küche kam.
„Ich will sehen, ob sie die Nummer von diesem Johnny eingespeichert hat. Es kann nicht angehen, dass er einfach so Sarah abfüllt und sich dann vom Acker
macht.“
Meine Freundin und ich tauschten strenge Blicke aus. Ich war in der Überzeugung Justiziar Gerechtigkeit zukommen zulassen, Melanie hingegen sah mich an als hätte ich rosa Hasenohren, eine Karotte in der Hand und eine lila-getüpfelte Blume am Hintern.
„Luisa, bist du sicher, dass du nüchtern bist?“
„So nüchtern wie man nur sein kann, wenn die Mitbewohnerin besoffen ist und sich vor den Kühlschrank zum Schlafen legt“, schnaubte ich verächtlich.
„Luisa“, mein Name klang bedrohlich.
Melanie war vollkommen im Mamamodus. „Du kannst ihn nicht anrufen. Johnny Walker ist ein schottischer Blend – Whisky.“
„Mir egal welcher Staatsbürgerschaft er angehört. Sarah geht es wegen ihm schlecht“, bockte ich zurück.
„Okay, ich decke jetzt Sarah zu und fahre dich jetzt zur Arbeit.“
„Danke, aber warum?“ Ich war überrascht. Normalerweise gab unser Muttertier in solchen Situationen nicht so schnell nach. Sie stieg ungerührt über unsere alkoholisierte Leiche, krallte sich Sarahs Autoschlüssel und packte mich energisch am Arm: „Weil die eine von euch zu viel und die andere zu wenig
trinkt und DAS halten meine Nerven nicht aus!“