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Karin freute sich. Endlich Urlaub. Schon vor längerer Zeit hatte sie sich entschlossen in ihrem nächsten Urlaub nach Berlin zu fahren. Sie hatte von einer guten Freundin von einem sehr guten Hotel in der Nähe eines berühmten Kaufhauses gehört. Für den vorbildlichen Service zahlt man auch gerne den einen oder anderen Euro mehr. Karin freute sich schon sehr, sie wollte auf jeden Fall auch, zumindest für einige Stunden, den Limousinen Service nutzen, den das Hotel anbot um die Stadt kennenzulernen. Wenn sie sich ein bisschen zurecht machte, und sich dann mit solch einer Limousine durch Berlin kutschieren lassen würde, dann würde
sie sich, zumindest für einige wenige Stunden, ein kleines bisschen selbst wie eine Prominente fühlen.
Immerhin spielte sie schon seit etwas mehr als 2 Jahren Keyboard, und sie hatte auch schon kleinere Auftritte gehabt mit einer kleinen Band, der sie sich angeschlossen hatte, aber von einem wirklichen Erfolg konnte man nicht sprechen. Karin und die Band waren froh wenn wenigstes alle Freunde und Verwandten kamen, und diese auch noch ein paar Freunde mitmachten. Karin übte jeden Tag nach der Arbeit mindestens eine Stunde am Keyboard, aber es reichte eben nicht um bei den Profis
mithalten zu können.
Da sie mit ihrer kleinen Band die nächstens 3 Monate keine geplanten Auftritte hatte, und sie zudem auch ohne Probleme Urlaub bekommen hatte bei dem kleinen Unternehmen, bei dem sie als Sekretärin arbeitete, versprach der Urlaub entspannt zu werden.
Wenn er dann noch gleichzeitig interessant werden würde, dann hätte sie genau das bekommen was sie wollte.
Sie liebte Städtereisen und war schon in London, Rom, Amsterdam, Den Haag, München, Hamburg und Frankfurt gewesen. Berlin stand schon lange auf der Liste der Städte, die sie unbedingt besuchen musste,
aber bisher hatte es einfach noch nicht geklappt. Jetzt endlich sollte es soweit sein.
Sie entschloss sich mit dem Auto anzureisen, auch wenn die Zugfahrt wahrscheinlich entspannter gewesen wäre, aber so konnte sie immer dann anhalten wenn sie gerade wollte, und vor allem hatte sie garantiert niemanden im Abteil der sie nervte. .
Karin packte ihre Sachen zusammen, legte sich ins Bett und stellte den Wecker auf 4 Uhr. Da sie einige hundert Kilometer fahren musste wollte sie früh losfahren um wenigstens noch bei Tageslicht in Berlin anzukommen, und wer wusste schon ob es auf der Strecke vielleicht irgendwo einen Stau geben würde.
Als sie am nächsten Tag aufstand, ging sie, nachdem sie sich im Bad gerichtete hatte mit ihrem Gepäck ins Auto und stellte die Adresse des Hotels auf dem Navi ein, dass sie sich heraus gesucht hatte.
Ihr Navi erkannte das Hotel noch bevor sie die Adresse fertig eingegeben hatte. Sie legte sich Musik über einen USB-Stick in ihr Autoradio und lauschte ihrer Lieblingsmusik.
Die Fahrt verlief sehr entspannt, nicht einmal einen Stau gab es und so war sie schon am frühen Nachmittag im Hotel. An der Rezeption wurde sie freundlich empfangen und man brachte ihr Gepäck auf ihr Zimmer 313. Irgendwie erinnerte sie diese Zahl an etwas,
aber sie kam nicht drauf. „Na egal, “ dachte sie, „Hauptsache ich bin angekommen. Jetzt erst einmal das Gepäck auspacken und dann mal auf meinem Reiseführer schauen, was ich hier so machen kann.
Nachdem Karin alles ausgepackt hatte, setzte sie sich erst einmal, schaute sich alles an was es so zu besichtigen gab. Die Weltzeituhr am Alexanderplatz, die Gedächtniskirche, das Brandenburger Tor, das Mauermuseum, das Reichstagsgebäude. „Ohje“, dachte Karin, „da reicht meine eine Woche Urlaub ja niemals aus um mir das alles anzusehen“
Als nächstes sah sie sich den Liniennetzplan der BVG an. Erfreut stellte sie fest, dass die
U2 die in der Nähe des Hotels fuhr direkt zum Alexanderplatz fuhr, also wollte sie sich als erstes auf den Weg zum Alexanderplatz machen.
Sie schloss ihr Zimmer ab, und sagte kurz an der Rezeption Bescheid. Und dann suchte sie die U-Bahn-Station. Diese war recht einfach zu finden. Um sich nicht mit den Tarifen zwischen einzelnen Stationen auseinandersetzen zu müssen, löste sie eine Tageskarte. So war sie auch unabhängiger.
Als sie an der U-Bahn Station Wittenbergplatz die Stufen zu den Gleisen hinuntergestiegen war wunderte sie sich. Denn eigentlich lag das Hotel in einer Gegend wo man hätte erwarten können, dass es in der U-Bahn
Station und in den U-Bahnen selbst doch ziemlich belebt sein würde. Aber aus irgendeinem, für Karin nicht nachvollziehbaren Grund, war kein Mensch in der U-Bahn Station zu sehen, und es war geradezu gespenstisch still.
Da fuhr auch schon eine U-Bahn ein. Und Karin konnte es nicht glauben, es war nicht einmal 16 Uhr und sie war alleine in dieser U-Bahn? Hier stimmte doch etwas nicht.
„Egal, “ dachte sie, „Irgendwohin wo Menschen sind, wird mich diese Bahn schon bringen.“ Und sie sollte Recht behalten, doch anders als sie es sich gedacht hatte.
Leider musste die Haltestellendurchsage auch kaputt sein, denn die Bahn hielt zwar hin
und wieder, doch sie wusste nicht wo sie war, da keine Haltestellen durchgesagt wurden, und der Liniennetzplan in der Bahn nutzte ihr auch nichts, da sie vergessen hatte mitzuzählen wie viele Stationen sie schon gefahren war.
Irgendwann dachte sie: „Hier steig ich jetzt einfach mal aus“ und sie wunderte sich sehr, denn auch hier in dieser Station war weit und breit kein Mensch zu sehen, sie stieg die Treppen nach oben
Als sie oben an der Treppe angekommen war, fragte sie sich, wieso hier kein Name der Station stand, sondern eine Zahl. Auf dem Schild stand 1448 und die Gegend sah ganz
anders aus, als das Berlin das sie in der Nähe des Hotels gesehen hatte. Bald schon sah sie kämpfende Menschen, und als sie sah, dass es sich hier um eine sehr ernste kriegerische Auseinandersetzung handelte, ging sie schnell wieder in die U-Bahn zurück.
Sie versuchte mit ihrem Tablet herauszubekommen was es denn mit 1448 auf sich haben könnte, doch sie bekam keinen WLAN Empfang. Da fiel ihr ein, dass in ihrem Reiseführer ja auch die Geschichte von Berlin beschrieben war. Sie schlug nach und sah, dass es 1448 den sogenannten Berliner Unwillen gegeben hatte, bei dem es um eine Auseinandersetzung mit Friedrich dem zweiten um den Bau einer Burg auf der
Spreeinsel ging.
War sie hier etwa in eine Zeitmaschine geraten? An so etwas glaubte sie eigentlich nicht. Als wieder eine vollkommen leere U-Bahn kam, stieg sie wieder ein. Und wieder kamen keine Haltestelleninformationen und irgendwann stieg Karin wieder aus Jetzt stand an der Treppe erneut eine Zahl
Diesmal stand dort 1807. Karin setzte sich auf ein kleines Mäuerchen und versuchte wieder mit ihrem Tablet in das Internet zu kommen. Doch es gelang ihr wieder nicht. Wie sie so auf diesem Mäuerchen saß wurde sie auf einmal von ein paar Soldaten auf französisch angesprochen. Karin dachte: „Hä? Ich bin doch hier in Berlin…was haben hier
französische Soldaten zu suchen?“ Die französischen Soldaten durchsuchten Karin, und nahmen ihr das Tablet weg. Sie traute sich nicht sich dagegen zu wehren. Es musste also jetzt wohl ohne Tablet gehen. Wenigstens hatte sie ihren Reiseführer noch, und da las sie es. Von 1806 bis 1808 war Berlin von französischen Truppen besetzt. Karin dachte noch: „Jeden Mist hab ich im Geschichtsunterricht lernen müssen, aber davon hatte ich noch nie etwas gehört.“ Inzwischen war Karin klar, dass sie wohl wirklich irgendwie in eine Zeitmaschine geraten war. Sie hoffte nur, dass sie irgendwie wieder in ihre Zeit zurückkommen würde.
Bei der nächsten Station stand 1961 an der
Treppe, und wie sie nach oben ging, sah sie wie einige Meter vor ihr gerade Soldaten Stacheldraht spannten. Bei 1961 konnte Karin sich jetzt an ihren Geschichtsunterricht erinnern, daher wusste sie, dass es sich hier jetzt um den Mauerbau handelte.
Hier wollte sie schnell weg. Denn irgendwie fand sie das ziemlich unmenschlich, Menschen eines ganzen Staates mehr oder weniger einzusperren. Und sie wollte lieber keinem Volkspolizisten begegnen, denn sie befürchtete, dass es ihr dabei noch schlechter ergehen würde, als bei ihrem Erlebnis mit den französischen Soldaten.
Und wieder fuhr sie weiter. Jetzt stand 1989
an der Treppe und auch hier wusste Karin sofort, dass es sich hier um die Zeit des Mauerfalls handelte. Als sie nach oben ging wurde sie von Menschenmassen beinahe umgerannt. Diese schienen so sehr sich auf die Grenzöffnung zu freuen, dass diese Karin gar nicht beachteten.
Hier waren Karin eindeutig zu viele Menschen, sie ging wieder in die U-Bahn Station und fuhr wieder mit einer völlig leeren U-Bahn weiter. Als sie diesmal nach oben stieg stand dort 2016 doch diese Zahl verblasste sehr schnell und dann stand dort „Wittenbergplatz“ und Karin war sehr froh. So wie es schien war sie wieder am richtigen Ort zur richtigen Zeit.
Sie ging zurück ins Hotel, und erzählte was sie erlebt hatte. Eine nette Dame an der Rezeption lächelte sie an und sagte: „Oh, da haben sie aber Glück gehabt. Diese Zeitmaschinen-U-Bahn zeigt sich nur ganz besonderen Menschen. Außer Ihnen kenne ich niemanden, der sie schon gesehen hat, oder gar damit gefahren ist.“
Karin lachte nur: „So besonders bin ich auch nicht, aber jetzt weiß ich dass Berlin etwas Besonderes ist und dass der Spruch Berlin ist immer eine Reise wert wirklich wahr ist.“
Karin versuchte die nächsten Tage noch einmal diese U-Bahn zu erwischen, doch sie zeigte sich ihr nicht mehr. Jetzt war alles
wieder ganz normal und Karin genoss noch einige Tage in Berlin, schaute sich die Touristenattraktionen an und fuhr danach entspannt nach Hause. Und auf dem Rückweg musste sie immerzu denken: „Ja, es stimmt, Berlin ist wirklich eine Reise wert.“