Kapitel 101 Treffen
Mit einem Mal war es Totenstill in der Halle geworden. Das einzige Geräusch stammte vom Geräusch der Schritte , die der Prediger machte und dem stetigen leisen Klacken von Holz auf Marmor, wenn er den Stab hob. Er hatte den Raum schon halb durchquert, als sich endlich die ersten Gardisten aus ihrer Erstarrung lösten. Innerhalb weniger Herzschläge senkten sich zwei Dutzend Gewehrläufe und zielten auf den Mann. Dieser blieb zwar stehen, schenkte dem Ring aus Mündungen um sich herum jedoch keine Beachtung. Stattdessen war
sein Blick starr grade aus auf den Kopf der Tafel gerichtet. Auf den Kaiser… Es war beinahe, als würde er darauf warten, dass der Befehl gegeben wurde ihn zu erschießen. Galren lief ein Schauer über den Rücken. Unwillkürlich musste er an den Kultisten denken, der sich damals auf Hamad lieber verbrannt hatte, anstatt Gefangen zu werden. Fanatiker, dachte er. Ob dieser Mann nun ein Geweihter war oder nicht, er war kaum weniger entschlossen oder Gefährlich. Aber was wolle er hier?
Galren verfluchte den Umstand, dass er kaum in der Lage war, alleine aufzustehen. Geschweige denn zu kämpfen sollte es darauf ankommen.
Selbst ohne die Schmerzen erschwerten die steifen Verbände, die sich um seinen Oberkörper und über den Rücken zogen jede Bewegung.
Kellvian Belfare erhob sich von seinem Platz und bedeutete den Gardisten rasch, die Waffen zu senken. ,, Lasst ihn. Er soll sich erklären.“ , befahl er.
Nur zögerlich folgten die Männer dem Befehl und traten wieder zurück auf ihre Posten. Derweil war der Fremde in der Robe eines Predigers endgültig stehen geblieben und sah mit etwas, das man verachtendes Desinteresse nennen konnte, zu Kellvian auf.
,, Was wollt ihr hier ?“ Die Stimme des Kaisers klang vollkommen beherrscht.
Mit einem Mal schien die Müdigkeit von ihm abzufallen, während er den Boten musterte.
Dieser machte keine Anstalten, noch näher an die Tafel heranzutreten. Stattdessen schlug er die Kapuze zurück und begann zu sprechen: ,, Ihr wisst wer ich bin und wer mich schickt, Kellvian Belfare.“ Die Stimme des Mannes war fest und deutlich und in der Stille klang sie beinahe wie ein Donnerschlag. Er war mittleren Alters mit kurzen blonden Haaren und Augen, denen ein beunruhigender, rötlicher Schimmer innewohnte. Einst waren sie lediglich grau gewesen, doch irgendetwas schien mit diesen Leuten zu geschehen, sobald
sie sich dem Herrn der Ordnung verschrieben. Janis und Syle hatten bereits von den Geweihten berichtet, doch dieser Mann war kein Monster. Dennoch trug er ganz offenbar das Zeichen seines Herrn.
,, Ich weiß, das ihr uns angegriffen und mein Volk sowie meine Soldaten ermordet habt.“ , erwiderte Kellvian ruhig. ,, Ich weiß was ihr in Erindal getan habt. Und noch einiges mehr. Ihr habt bereits hunderte auf eurem Kreuzzug getötet, glaubt ihr ich würde das vergessen? Wenn ihr nicht hier seit um eure Taten zu erklären und euch wieder kaiserlichem Recht zu beugen, schlage ich vor, ihr verschwindet. Bevor
ich vergesse, das das Gastrecht auch für euch gilt. Wenn ihr hierhergekommen seid und erwartet, dass man euch noch offen empfängt, dann habt ihr nicht verstanden, was ihr getan habt.“ Sie hatten sich mit dem vielleicht mächtigsten Mann des Kontinents angelegt. Leider jedoch fürchtete Galren, das die Männer des roten heiligen nur zu genau wussten, auf was sie sich eingelassen hatten. Was zählte die Macht eines Kaisers im Vergleich zu der eines Gottes ?
Kellvian war mittlerweile um die Tische herumgegangen und stand dem Prediger jetzt Auge in Auge gegenüber. Der eine Mann in goldenem Ornat, der andere in
den schlichten, zerlumpten Roben eines wandernden Priesters. Ein geringerer Mensch wäre unter dem Blick des Kaisers vermutlich in die Knie gegangen. Und Galren musste dem Prediger zumindest soweit Respekt zollen, als das er nicht einmal zuckte. In seinem kalten Zorn war Kellvian Belfare kaum mehr als der sanfte, manchmal geradezu naive, Mann zu erkennen, den Galren kannte.
,, Ich fürchte ihr seid es, der nicht versteht. Ich bin hier um euch auszurichten, dass mein Herr euch im roten Tal erwarten wird. Um die Bedingungen für eure Kapitulation auszuhandeln. Ob ihr es erkennen wollt
oder nicht, ihr seid bereits geschlagen.“
Das konnte er nicht ernst meinen, dachte Galren. Es stimmte wohl, dass sie im roten Tal überrascht worden waren… und wenn die Berichte aus Erindal auch nur halb der Wahrheit entsprachen hatten sie bereits einen erheblichen Teil des östlichen Kaiserreichs verloren… aber Canton war weit davon entfernt geschlagen zu sein. Im Gegenteil, wenn dieser Kriegsrat auseinanderging, würde vermutlich jede einzelne Garnison im gesamten Imperium den Befehl erhalten, zur fliegenden Stadt zu ziehen. Geweihte hin oder her, Ordne und Armee waren auch für die Anhänger des Herrn der Ordnung mehr als würdige Gegner. Er
konnte nicht wirklich erwarten, dass Kellvian sich ergeben würde.
Und wenn es dabei gar nicht darum ging ? Nur ein Vorwand um den Kaiser aus der Reserve zu locken… doch wozu ?
Als hätte der Prediger seine Gedanken gelesen, traf sich ihr Blick einen Moment. Beinahe meinte er, die Antwort des Predigers noch einmal zu hören. Oh ja, er wusste, wer ihn geschickt hatte. Die Frage war, was wollte der rote Heilige von ihm? Sein Gott war längst frei und Galren war wie ein Narr in die Falle gelaufen… Wenigstens schien dieser Bote nicht die gleiche seltsame Anziehung auf ihn auszuüben wie sein Meister.
Nach wie vor hatte der Kaiser nichts erwidert, sondern stand lediglich da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und schien nachzudenken. Er konnte nicht hoffen, diesen Konflikt noch mit einem Gespräch beizulegen. Falls das je möglich gewesen wäre. Und doch… da schien wieder diese Naive, sanfte Seite Kellvians zu sein. Die, die selbst nach diesem Strohhalm greifen mochte. Ob es nun ein Trick war oder nicht.
Es war Elin, die schließlich das Schweigen brach. ,, Ihr müsstet ziemlich dämlich sein um darauf einzugehen…“ , erklärte sie und fügte noch hastig ein ,, Herr.“ , hinzu.
Kellvian lachte auf. Der Prediger schien plötzlich irritiert, während der Kaiser sich von ihm abwendete und die kleine Gejarn fixierte. Noch immer grinste er leicht und Lachfalten spielten um seine Augen herum. ,,Wisst ihr das könnte auch von meinem alten Lehrmeister stammen. Und vielleicht seid ihr wirklich weißer als ich… Aber ich habe selten auf ihn gehört.“
,, Sie haben sich das Recht auf Verhandlungen, egal welche, längst verwirkt.“ , warf Kasran als nächster ein. Der in Rot gekleidete Zwerg stützte sich auf den Knauf seines Rubinstabs und nickte in Richtung des Predigers. ,,
Wenn ihr sie nicht bekämpft… tuen wir das ohne euch.“
,, Und auch ich muss euch davon abraten.“ Quinn erhob sich als nächster. Der Oberste des Sanigus-Ordens sah einen Moment zwischen dem Prediger und seinem Kaiser hin und her. ,, Wenn es unbedingt sein muss, werde ich an eurer statt gehen.“
,, Nein. Ich schätze euren Mut, ich fürchte jedoch, der rote Heilige wird kam mit euch vorlieb nehmen.“ Und er wollte ihn schlicht nicht an seiner Stelle in Gefahr schicken, dachte Galren. Das würde Kellvian allerdings wohl kaum zugeben. ,, Ich werde mich mit eurem Herrn treffen.“ , erklärte er an den
Prediger gerichtet. ,, Allerdings nur alleine. Und ihr könnt ihn gleich wissen lassen, dass ich nicht vorhabe, ihm das Kaierreich zu übergeben. Wenn er sich allerdings ergibt und seine Männer zurück ruft, bin ich bereit über das geschehene noch einmal hinweg zu sehen. Trotz der Toten. Es wird keine Rache geben und seine Männer können frei weiter leben. Das wird allerdings mein einziges Angebot bleiben. Schlägt er es aus, befinden wir uns im Krieg. Und ich schwöre euch, das er nicht enden wir, bevor jeder einzelne Tote in Erindal, jeder Gefallene vergolten ist.“
Galren versucht krampfhaft, irgendwie auf die Beine zu kommen. Trotz
Kellvians Worten, das konnte er genau so wenig zulassen wie die anderen. Es ging hier nicht um Verhandlungen oder irgendetwas anderes, das musste der Kaiser doch auch erkennen. Und solange sie nicht wusste, was der rote Heilige wirklich wollte, war es Wahnsinn auch nur zum Schein darauf einzugehen…
Keuchend kam er immerhin halb auf die Füße, auch wenn all seine Muskeln dabei protestierten. Das war eine Falle und das würde er Kellvian auch ins Gesicht sagen wenn nötig. Bevor er jedoch dazu kam, den Mund zu öffnen, traf sich sein Blick erneut mit dem des Predigers. Beinahe schien es, der Mann wusste, was er
vorhatte.
,, So viel Schmerz für jemand so kleines.“ Der Mann sah zu Elin und die Gehässigkeit in seiner Stimme war kaum zu überhören. Und es verfehlte seine Wirkung nicht. Elin war niemand, der sich so etwas stumm anhörte. Und das war auch die Absicht, dachte Galren entsetzt. ,, Ihr hättet nur mitkommen brauchen als man es euch Angeboten hat, Galren Lahaye.“
Er wollte sie alle ablenken. Oder zumindest Galren daran hindern, noch einzuschreiten, während Kellvian sich vielleicht noch umstimmen lies.
Mit einem Ruck war Elin auf den Beinen.
,, Das tut mir aber wirklich leid, aber Galren gehört mir. Ihr könnt eurem Herrn ausrichten, dass er ihn haben kann, wenn ich mit ihm fertig bin. Also nie.“
,, Eure Loyalität ist bewundernswert. Aber ich bezweifle das sie von Dauer sein kann. Und wenn doch… nun so sehr ich die Vorstellung bedaure, aber mein Herr wird sicher Freude daran haben euch zu zerbrechen…“
Er meinte die Worte genauso, wie sie klangen, dachte Galren. Scherfällig schaffte er es endlich zumindest auf die Füße, während seine Hände zum Schwertgriff wanderten. Er brachte nicht
einmal einen Ton heraus… aber wenn nötig würde er diesen Mann eben töten. Ob es an seiner Verbindung zum roten heiligen lag oder ob es schlichtes Gespür war… lieber beendete er die Sache so, als das Kellvian auf seinen Vorschlag einging. Oder Elin etwas unglaublich dummes tat. Wenn er nur richtig Laufen könnte… Die Klinge glitt mit leisem Singen aus der Scheide. Niemand schien etwas zu bemerken, so fokussiert wie alle auf Kellvian , Elin und den Prediger waren
Die Gejarn ließ sich nicht einmal anmerken , ob die Worte sie trafen. Mit einem maskenhaften Ausdruck auf dem Gesicht klettert eise schlicht über den
Tisch und trat zu den beiden wartenden Männern.
,, Wenn das so ist, habe auch ich eine Botschaft für euren Meister.“ Und bevor noch jemand reagieren konnte, schlug sie zu. Elin hatte mehr Kraft, als man vermuten würde und sie wusste genau, was sie tat. Woran ihre Eltern wohl nicht ganz unschuldig waren. Der Prediger jedenfalls war auf die Wucht des Angriffs absolut nicht vorbereitet und ging mit einem Schmerzensschrei zu Boden.
Eden sah derweil vielsagend zu Cyrus, der lediglich abwehrend die Hände hob.
,, Schau mich nicht so an, ich habe ihr das bestimmt nicht beigebracht….“
Galren musste schmunzeln. Er wusste es schließlich besser, immerhin hatte Elin ihm einst genau davon erzählt. An einem längst vergessenen Abend, an Bord eines Schiffs, als die Welt noch in Ordnung schien…
Der Bote rappelte sich unterdessen wieder auf und starrte Elin düster an. Galren , der immer noch das Schwert in der Hand hielt, machte sich bereit, wenn nötig dazwischen zu gehen. Auch wenn er bezweifelte überhaupt drei Schritte machen zu können, ohne zu stürzen…
Doch der Bote des roten Heiligen erhob sich lediglich schwankend. Blut troff aus seiner Nase und vermutlich hatte er noch Glück, das Elin ihm nichts gebrochen
hatte. Ob er das selber so sah, war jedoch mehr als fraglich. Ohne Elin überhaupt zu beachten, wendete er sich erneut an den Kaiser.
,, Mein Herr erwartet euch… Ob ihr kommt ist eure Sache.“ Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und stolzierte aus der Halle. Niemand machte Anstalten ihn aufzuhalten und auch Kellvian starrte ihm einen Moment nur düster hinterher.
,, Sagt ihm, ich werde da sein.“ , rief er , während die Türen hinter dem Mann zu schwangen.
,,Herr, bitte…“ Syle hatte sich mittlerweile ebenfalls erhoben. ,, Ihr könnt euch unmöglich darauf einlassen.
Nicht zu ihren Bedingungen zumindest. Lasst ihn hierher kommen, wenn ihr wollt, aber begebt euch nicht so leichtsinnig in Gefahr.“
,,Gefahr , Syle ? Ich schätze eure Sorgen, aber dass dieser Mann überhaupt hierher gelangen konnte, sollte auch euch klar machen, dass auch die fliegende Stadt nicht viel sicherer ist. Wenn er gewollt hätte, hätte heute ein Geweihter anstelle eines einfachen Boten vor uns gestanden und uns vernichtet. Ich muss das tun, wenn ich noch eine Chance haben will, das hier ohne einen ausgewachsenen Krieg zu beenden.“
Es war das erste Mal, das der Kaiser
beim Wort nannte, was ihnen hier bevorstand. Sie hatten es alle gewusst, manche mehr, manche weniger. Doch es aus den Worten ihres Herrschers zu hören, machte es unmöglich, das offensichtliche noch zu leugnen…
,, Dann erlabe mir zumindest, dich zu begleiten…“ Janis hinkte neben seinem Vater, immer noch in der Kleidung, die er schon im roten Tal getragen hatte.
,, Dein Bein ?“ Es war kein Versuch, den Jungen von seinem Vorhaben abzubringen. Es war eine schlichte Frage.
,, Ich kann laufen, Reiten und ein Schwert halten.“ Janis wirkte entschlossen, seinen Vater nicht alleine
ziehen zu lassen. Vermutlich nahm ihm niemand ab , das er schon wieder ganz genesen war. Er versuchte es vielleicht zu verbergen, aber während er ging, zuckte er bei jedem Schritt unmerklich zusammen. Janis konnte vielleicht laufen. Was den Rest anging hatte Galren jedoch seine Zweifel. Andererseits… wer hätte ihn aufhalten wollen? Syle vielleicht. Doch der Hochgeneral hatte schon seinen Kaiser nicht von seinem Plan abbringen können. Und Jiy…
,, Ich werde auf ihn achten und…“ , setzte Kellvian an, doch dieses Mal protestierte sie nicht. Die Kaiserin nickte lediglich, während sie zuerst
Kellvian und dann Janis in eine Umarmung zog und jedem einen Kuss auf die Stirn gab. Plötzlich schien es dem Kaiser schwer zu fallen, sich wieder von ihr zu lösen. Und einen Moment hatte Galren die Hoffnung, dass er doch noch zur Vernunft kommen mochte. Dann jedoch war der Augenblick auch schon verflogen und Kellvian schob Jiy mit einem seufzten von sich. ,, Wir brechen sofort auf…“