Kapitel 100 Kriegsrat
Ihre Rückkehr in die fliegende Stadt war kein Triumph. So froh Jiy darum war, Janis und Kellvian lebend zurück zu haben… so bitter war der Nachgeschmack, den die Nachrichten hinterließen, welche sie mit sich brachten. Das Herz des Kaiserreichs war von tausenden Kerzen und Fackeln erleuchtet, die alles in grelles Licht tauchten. Selten fanden sich mehr als ein Dutzend Personen gleichzeitig im Thronsaal ein,: Heute jedoch waren es hunderte, die unter dem großen Deckengemälde an großen Tischen und Bänken saßen, die man hastig
hereingebracht hatte um für alle Platz zu haben. Man hatte die Tafel in einem Halbkreis angeordnet, so dass jeder den Rest der Anwesenden sehen und hören konnte. Doch im Augenblick ruhten ohnehin alle Augen auf Kellvian, der im Zentrum der Tafel saß. Der Bernsteinthron selbst stand verweist in der Mitte der großen Halle und speigelte das Licht der Kristalle wieder. Die schweren Säulen, welche die Decke trugen waren mit magischen Lichtquellen überkrustet und mischten das warme Kerzenlicht mit ihrem kühlen Schimmer. Ein halbes Bataillon Wachen hatten sich an den großen Flügeltüren des Saals positioniert und weitere
dreißig warne im gesamten Raum verteilt, Zwerge genauso wie kaiserliche Gardisten, alle darauf bedacht, den kläglichen Kriegsrat zu schützen, der sich hier versammelt hatte. Die Seite, die jenen Generälen und Fürsten aus dem Osten des Imperiums vorgehalten gewesen wäre, blieb unbesetzt und statt der Heerführer traf nur ein endloser Strom aus Boten ein.
Man erwartete eine Entscheidung von ihm, antworten vielleicht, irgendetwas zumindest … Kellvian brütete stumm vor sich hin, während der Strom aus Boten, die aus dem Süden hereinkamen schlicht nicht abreißen wollte.
Jiy hatte ihn selten so erschöpft gesehen
wie in diesem Moment. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Rüstung abzulegen, als er und die anderen in den Palast zurückgekehrt waren, sondern hatte sofort veranlasst, dass man Kommandanten und Adelige in den Thronsaal riefen ließ. Währenddessen hatten sich die Nachrichten über die Vorkommnisse am roten Tal längst in der ganzen Stadt verbreitet und so brauchte er nicht lange erklären, was vorgefallen war… und ihr blieb nur, ihm verstohlen eine Hand auf den Arm zu legen.
Ein kurzes Lächeln huschte über seine Züge, erlosch jedoch sofort wieder, als Syle sich langsam erhob. Der
Hochgeneral wirkte nicht weniger müde, während er von seinem Platz und in die Mitte der Runde trat.
,, Erindal ist gefallen.“ , erklärte er schlicht. ,, In den letzten Stunden und schon auf unserem Weg hierher haben uns Boten und Flüchtlinge eingeholt. Die Stadt brennt und ich fürchte sie ist jetzt in den Händen der Kultisten. Von dem was man uns berichtet hat, zeigen diese Männer auf ihrem Weg weiter nach Westen kaum Gnade. Die Geisterbäume und Wälder um Erindal brennen sie nieder, die Priester der Götter begraben sie unter ihren eigenen zerstörten Tempeln. Sie haben weder vor Frauen noch vor Kindern einen Unterschied
gemacht, wenn sie sich nicht zu ihrem Gott bekannt haben. Und selbst jene, die sich bekennen… Der Wind, der aus dem Süden weht, flüstert von Tod, Herr. Wenn wir sie jetzt nicht aufhalten fürchte ich, könnten sie in wenigen Wochen schon bei Vara sein.“
,, Das ist meine Schuld.“ Janis richtete sich etwas auf seinem Platz auf. Auch nach fast zwei Wochen, die sie für den Rückweg gebraucht hatten, waren seine Wunden noch nicht ganz verheilt. Doch immerhin konnte er sich fast wieder normal bewegen und hier konnten sich nun auch einige Magier seiner Verletzungen annahmen. Jiy konnte nicht anders, als dankbar dafür zu sein,
das ihm nicht mehr geschehen war. Doch der Gedanke an das, was sie verloren hatten, sorgte dafür, dass ihr die Erleichterung darüber schnell bitter wurde. Sie hatte Kellvian und Janis vielleicht gesund zurück erlangt. Sie lebten noch… Und doch fürchtete sie nun nicht wenige rum sie, da sie beide wieder in den Mauern der fliegenden Stadt waren. Die Schlacht am Tal war erst der Anfang gewesen, das wusste sie. Jiy hatte so etwas schon einmal erlebt. Und doch hatte sie stumm gehofft, dass es nie wieder der Fall sein würde… ,, Es war meine Idee, die Garnison der Stadt abzuziehen…“, fuhr Janis derweil fort.
,, Du hast unmöglich vorhersehen
können, was geschehen würde.“ Syle verschränkte die Arme auf den Rücken. ,, Jetzt geht es darum, wie wir die Stadt wieder zurück gewinnen. Das rote Tal war eine Kriegserklärung… und ich fürchte vielleicht noch weitaus mehr.“
Jiy nickte stumm. Janis hatte sich verändert, dachte sie. Sie hatte gerne darüber hinweggesehen doch früher wäre es undenkbar gewesen, das er einen Fehler so frei heraus zugab. Er war… nicht mehr ganz der Junge, den sie so schweren Herzen hatte ziehen lassen. Ein Teil von ihr fühlte sogar etwas Stolz dabei. Janis war… erwachsener geworden, dachte die Gejarn. Auch wenn der Preis hoch gewesen war, daraus
hatten weder Syle noch Kellvian ein Geheimnis gemacht. Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Wut auf Janis verspürt, als sie hörte, wie er Lucien abstürzen ließ. Wut, die sie jedoch nur zu gerne wieder besänftigt hatte, als der junge Mann, den sie kaum wiedererkannte , vor ihr auf die Knie gegangen war, trotz der Verletzung, und auch sie um Verzeihung gebeten hatte. Um eine ehrliche hatte er gesagt. Mochten auch Syle und sein Vater ihm vergeben… ohne ihren Segen hätte er keine Ruhe mehr. Jiy hatte tatsächlich einen Moment gezögert, bevor sie ihn auf die Beine gezogen und in den Arm genommen hatte. Es schien eine
Ewigkeit her. Bevor der Rat begann und die endlosen Schreckensnachrichten eintrafen.
Erik, Cyrus , Eden und die andere hatten ihnen mittlerweile alles Berichtet, was sie erfahren hatten. Und doch war Jiy unsicher, was sie davon glauben sollte… oder wollte. War ihr Feind dieses Mal wirklich ein Gott? Oder zumindest ein Wesen, das von seiner Macht her leicht genau so mächtig war ? Ein Schauer lief ihr den Rücken herab. Das war etwas anderes, als Andre de Immerson. Ja es war sogar etwas anderes, als Ismaiels Machenschaften. Beides verblasste im Kontrast hierzu geradezu.
Ihr Blick wanderte zu Galren, der fast
genau so düster dreinsah wie Kellvian. Seine Wunden verheilten nur langsam, aber immerhin hatte sich nichts entzündet. Trotzdem hatte er seinen Teil der Geschichte nur im Sitzen erzählen können, konnte er sich unter den Bergen aus Verbänden doch ohnehin kaum bewegen. Jede unnötige Regung schickte Schmerzenswellen durch seinen Körper und auch hier in der fliegenden Stadt konnte man wenig mehr für ihn tun, als das, was Erik ohnehin schon veranlasst hatte. Irgendwie hing das alles mit dem Jungen zusammen, dachte sie. Aber die Geister mochten sie verfluchen wenn sie wusste wie.
,, Wenn ihr sie zurücktreiben wollt,
könnt ihr auf uns zählen.“ Hadrirs Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Der neue König der Zwerge saß, zusammen mit Kasran, inmitten einer Gruppe Abgesandter der verschiedenen Häuser seines Volkes. Und auch Quinn hatte sich, in seinen schwarzen Roben einem Schatten gleich, zwischen ihnen eingefunden. Der oberste Ordensmagier hatte die Hände im Ärmel seiner Robe verschränkt und sein Blick wanderte immer wieder zu Merl. Weder Armell neben ihm, noch der junge Magier jedoch schienen den Blick überhaupt zu bemerken, während Hadrir schließlich fortfuhr: ,, Sie haben jetzt auch unser Land besetzt. Und so entehren lassen
sich die Häuser nicht. Das wäre ja beleidigend, wenn wir uns aus einem Land vertreiben lassen, das wir bisher nicht einmal gesehen haben.“ Er lachte. ,, Wenn ihr diese Kultisten zurück schlagen wollt, könnt ihr euch unserer Hilfe sicher sein.“
Jiy hatte sich bisher kein Bild von Hadrir machen können. Doch in diesem Augenblick wirkte er wirklich wie ein König. Es gab kein zögern, kein murren unter den Anwesenden Thanen… Er hatte sie an ihrer Ehre gepackt und selbst Kasran nickte lediglich kaum sichtbar, während Hadrir sprach. Immerhin konnten sie sich offenbar auf die Zwerge verlassen. Etwas , mit dem sie anfangs
wohl kaum gerechnet hätte. Nicht mit den zerstrittenen Häusern, die sich nur um ihre eigenen Ziele kümmerten und nicht um die viel größeren Herausforderungen, vor denen sie alle standen. Doch Hadrir schien seine Leute langsam unter Kontrolle zu bekommen. Ob sie nun einem Gott gegenüberstanden oder nicht, wenn sie es wirklich schafften an einem Strang zu ziehen, dann hatten sie eine Chance. Am Ende waren sie schon einmal durchs Feuer gegangen, oder nicht? Und dieses Mal wäre Kellvian immerhin von Anfang an bei ihrer Seite.
Wenige Augenblicke später jedoch, wurden ihre Hoffnungen bereits wieder
zerschmettert, als die Tore des Thronsaals sich öffnete und ein weiterer Bote eintrat. Diesmal jedoch trug er nicht die zerlumpte Kleidung der Flüchtlinge sondern kaiserliche Livree. Es war ein Wolf mit weißem Fell, der sich rasch verneigte, als die Wachen ihn anhalten wollten. Er stand immer noch Halb in der Tür, während er darauf wartete, das ihn jemand aufforderte zusprechen.
,, Was gibt es denn ?“ , fragte Kellvian, der sich wie alle anderen erhoben hatte und den unerwarteten Besucher musterte.
,, Herr, verzeiht mein Eindringen, aber so eben sind noch weitere Leute
eingetroffen. Sie verlangen euch zu sprechen und…“ Im Flur hinter ihm wurde kurz Lärm und Stimmengewirr hörbar. ,, Sagen wir, sie bestehen darauf mein Kaiser. Ich habe versucht sie abzuweisen, aber…“
Erneut wurden Stimmen laut und Jiy meinte sogar kurz einzelne Worte zu verstehen und sah die Schatten der Wächter, welche die Neuankömmlinge zurück hielten.
Kellvian seufzte tief. ,, Sagt ihnen, ich werde zu ihnen sprechen, sobald die Versammlung hier beendet ist. Alle, die aus Erindal geflohen sind, werden eben noch etwas mehr Geduld haben
müssen…“
,, Nun, das ist es ja grade Herr, sie sind nicht aus Erindal…“
,, Was ?“
,, Kellvian. „ Eine hochgewachsene Gejarn drängte sich an den Wächtern vorbei und trat unaufgefordert in den Saal. Ein langer Umhang aus zusammengenähter Feder fiel ihr über die Schultern, der von der Reis jedoch arg mitgenommen wirkte. Auch das Kleid das sie trug hatte sicher schon bessere Zeiten gesehen, trotzdem trug sie den Kopf so hoch, als würde sie die versammelten Herrschaften gar nicht bemerken. Und sie war definitiv wütend. Relina ? Die Schakalin wischte sich
einige graue Haarsträhnen aus dem Gesicht, während sie auf die Tafle zuging. ,,Mir scheint ihr habt in den letzten Jahren vergessen, was Gastfreundschaft bedeutete.“
,, Ihr müsst verzeihen Relina, ich hatte euch nicht erwartet.“ , erwiderte der Kaiser grinsend, nur um ernst hinzuzufügen : ,, Bitte sagt mir, das eure Ankunft hier nicht bedeutet, was ich fürchte…“
Relina war mittlerweile stehen geblieben. Bei Kellvians Worten fielen Empörung und Wut wie ein Schleier von ihr ab und sie schloss einen Moment die Augen. ,, Maras ist zerstört worden.“ , erklärte sie leise. ,, Ich glaube ihr wisst
bereits von wem. Und…“ Sie zögerte. Hinter ihr trat mittlerweile eine weitere Gestalt ein, eine jüngere Gejarn, die Relina wie aus dem Gesicht geschnitten wirkte, sah man davon ab, das sie nur einen schlichten grauen Mantel trug. Naria… Geister es war fast ein Jahr her, das sie Relinas Tochter das letzte Mal gesehen hatte, dachte Jiy. Doch das war alles. Außer den beiden Frauen folgte niemand mehr. Einer zu wenig. Und ihr wurde langsam klar, warum Relina nicht weitersprach. Nein…
,, Zyle ?“ Ihre Stimme war kaum ein Flüstern.
,, Ich weiß nicht sicher ob er tot ist. Aber er ist verschwunden. Ich… ich
glaube schlicht nicht, das er tot ist.“ Zyle war bei weitem einer ihrer ältesten Freund gewesen. Und auch wenn sie mit der eher kalten und berechnenden Relina nie ganz dasselbe verbunden hatte… es tat weh zuzusehen, wie sie sich weigerte, seinen Tod zu akzeptieren. Gerne hätte sie geglaubt, dass sie Recht haben konnte. Aber was hatte Zyle schon je von seiner Familie trennen können… Der Gedanke war schön und schrecklich zugleich, denn am Ende ließ er nur eine Schlussfolgerung zu.
,, Was ist geschehen ?“ Jiy konnte es sich vielleicht denken aber… sie musste es trotzdem noch hören.
,, Sie haben ihre Strafe bekommen.“ Mit
einem Mal schien es dunkler in der Halle zu werden. Die Kristalle flackerten, genau wie die Lichter der Kerzen und Fackeln. Selbst das Mondlicht, das durch die Fenster hereinfiel war mit einem Mal gedämpft, als eine weitere Gestalt durch die noch offenen Türen trat. Alle Anwesenden rückten instinktiv dichter zusammen, während sie sich zu dem Mann umwendeten. Jiy suchte Kells Hand, während ihre freie nach den Dolch tastete, den sie trug.
Der Fremde war weder ein weiterer Bote noch ein Flüchtling. Jiy meinte den Luftzug zu spüren, der ihn begleitete, kalt wie das Grab. Eine braune Kutte fiel über seinen Körper, die verkrümmten,
aber zumindest menschlichen Finger umklammerten den Griff eines schweren Stabs. Und mitten auf dem dunklen, von der Reise fleckigen Stoff, den er trug prangte das Symbol einer roten Hand mit drei Fingern…