ULMORS FUNKE
Anmerkung: Diese Erzählung ist Teil der Kosmogonie einer fantastischen Welt. In ihr leben als menschengleiche Gestalten die Elfen. Die Sirenen sind ihr Todfeinde, körperlose Wesen, die in stillen Wassern hausen.
In der Zeit nach dem Großen Krieg gegen die Sirenen, als alle glaubten, die Welt sei wieder im Gleichgewicht, gab es auf dem Land einen Elf mit Namen Ulmor. Er war ein Schmied und lebte davon, Nägel zu fertigen oder kleine Verzierungen, wie man sie über die Tür hängt oder als Abdeckung auf Zaunpfähle setzt. Früher hatte Ulmor sich auch an anderen Dingen versucht, träumte er doch davon, ein berühmter Waffenschmied zu werden und in
Kanders Fußstapfen zu treten. Er hatte auch einige Schwerter gefertigt, doch war in jenen Tagen die Erinnerung an die blutigen Kämpfe mit den Sirenen durch das Vergehen der Zeit noch nicht getrübt und niemandem verlangte es nach Schwertern, Schilden oder Spießen. Und die wenigen, die sich doch rüsteten - gegen wen auch immer -, hielten nicht viel von Ulmore Arbeit. So musste er bei den Nägeln und Verzierungen bleiben, was er für ein Unglück hielt, zuweilen sogar für eine Schande. Da war es ihm kein Trost, dass er, mit dem was er tat, so leben konnte, wie es einem Elfen zustand. Und auch wenn er keine Familie hatte, so ernährte er doch ohne Schwierigkeiten außer sich noch einen Onkel, der, versehrt im Großen Krieg gegen die Sirenen, bei ihm lebte, weil er selbst kaum für sich sorgen konnte.
Eines Tages stand Ulmor in seiner Werkstatt und schwang den Schmiedehammer, nicht weil er es wollte, sondern Zeit und
Aufträge ihn drückten. Gerade wollte er das Eisen erhitzen, blickte in die Esse, als er ihn dort erblickte. Staunend hielt Ulmor inne. Doch er war sicher, dass sich in seinem Feuer der Funke zeigte, mit dem alles begonnen, die Welt ihren Anfang genommen hatte. Von einen Augenblick zum anderen war alles anders und Ulmor zögerte nicht lange. Er ließ die Arbeit sein und eilte aus der Werkstatt ins Haus. Die Esse erkaltete. Manche sagen, dass man den Hammer noch auf dem Amboss ruhen sehen könne, würde man Ulmors Werkstatt finden, bereit für die Schläge, wartend auf seinen Herrn, denn Aufträge und Zeit drücken.
Im Haus packte er nur ein paar Habseligkeiten zusammen, schnürte sein Bündel und wollte sich schon auf den Weg machen, als der Onkel ihn ansprach. Er sagte: „Ulmor, wer soll sich um mich kümmern, mich, den versehrten Krieger, deinen alten Oheim, wenn Du fort bist?“
Ulmor zuckte bloß mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht“, erwiderte er, „doch die Elfen sind ein freundliches Volk. Jemand wird sich deiner schon annehmen. Mir ist Größeres beschieden und Du wirst von mir hören, wenn die ganze Welt meinen Namen kennt.“
Mit diesen Worten verschwand er und kehrte nie wieder heim.
Indes gestaltete sich das, was er vorhatte, schwierig und brachte im Anfangs kaum Berühmtheit und noch weniger Ehre ein. Denn erzählte Ulmor anderen Elfen, warum er unterwegs war, nickten die Höflichen, die Unhöflichen schmunzelten oder gingen einfach weg. So verging ein ganzes Jahr und Ulmor kam seinem Ziel nicht ein wenig näher. Doch noch immer wusste er, was er in der Esse gesehen hatte.
Eines schönen Tages kam er an das Ufer des Ach-Horenn. Die Wasser flossen friedlich einher
und verbreiteten Frieden im Land, doch das bemerkte Ulmor nicht. Er wollte den Fluss überqueren und nach einiger Zeit fand er einen Fährmann. Der lag im hohen Gras, ließ sich die Sonne auf den Bauch scheinen, hörte den Vögeln zu und sah Libellen nach, die über das Wasser jagten.
„Auf Fährmann! Setz mich über!“, rief Ulmor. Doch der andere erhob sich nicht.
„Dies ist ein Tag wie geschaffen für uns Elfen“, sagte er lachend, „und wir sollten es Dihanech gleichtun, daliegen und beobachten. Kein Grund zur Eile, mein Freund.“
Unzufrieden schüttelte Ulmor den Kopf. „Mit aller Eile der Welt solltest Du mich unterstützen, denn ich bin ausgezogen, den Funken zu finden, mit dem alles begann und ich bin es, der die Welt wieder ins Gleichgewicht bringen wird.“
Da lachte der Fährmann, der viele Schlachten im Großen Krieg gegen die Sirenen
gekämpft und nicht wenige Freunde dabei verloren hatte.
„Wer bist Du? Ein Zauberer? Kannst Du die Zeit aufhalten? Vermagst Du sie gar zurückzudrehen und all die Toten wiedererstehen zu lassen? Bedenke die Geschichten! Mit dem Funken begann die Welt und uns ist nur geblieben, alle Zeit zu einem Ende zu bringen. Darum sage ich: keine Eile.“
Und der Fährmann lachte immer noch.
Da geriet Ulmor in große Wut, weil er seit fast einem Jahr nur verlacht wurde und was dieser Elf, der da vor ihm im Gras lag, getan hatte, war nur der letzte Tropfen, der den Stein spaltete. Er zersprang und gebar nichts als rasenden Zorn. So erschlug Ulmor den Fährmann und es war das erste Mal, dass ein Elf einem anderen an den Ufern des Ach-Horenn das Leben nahm. Hastig versteckte Ulmor den Toten im hohen Ufergras, stahl das Boot und überquerte dem Fluss.
Doch auch am anderen Ufer fand Ulmor nicht das, was er suchte und wurde ob seiner Suche sogar verspottet. Darum mied er für einige Tage Städte und Dörfer und auch wenn ihm so die Schmähungen erspart blieben, war nun der Hunger sein ständiger Begleiter. Vor einem knurrenden Magen kann man nicht davonlaufen. Irgendwann war das Glück dann doch auf seiner Seite, denn am Wegesrand traf er auf einen Elfen, der, auf einem Stein sitzend, einen Laib Brot verzehrte. Schon von Weitem sah er Ulmor die Qualen an, winkte ihn zu sich und teilte das Brot mit ihm. Der verschlang seinen Teil wie ein hungriger Wolf, hatte damit aber noch nicht genug. Er forderte: „Gib mir mehr!“
Der andere Elf schüttelte den Kopf. „Mehr habe ich nicht, mein Freund. Doch da wir beide nun den gröbsten Hunger gestillt haben, lass uns gemeinsam in das nächste Dorf ziehen und uns dort satt essen.“
Ulmor, vom Funke erleuchtet, wusste, dass der andere nicht die Wahrheit sprach. „Du Lügner!“, schrie er. „Ich weiß, dass Du die Taschen voller guter Sachen hast und sie mir nur vorenthältst, weil Du geizig bist und eine schwarze Seele hast. Für solche wie Dich wird kein Platz in der Welt mehr sein, kehrt der Funke erst wieder!“
Und Ulmor erschlug den Elf, der mit ihm das Brot geteilt hatte. Dann durchsuchte er die Sachen des Toten, fand jedoch nur ein Nadel, ein Fadenknäul und ein Bild. Ein Künstler hatte die Frau des Mannes gemalt. Still verließ Ulmor den Ort, wo er zum zweiten Mal gemordet hatte.
Niemand wollte Ulmor glauben und verweilte er zu lange in einem Dorf oder einer Stadt, hörten ihm die anderen nicht einmal mehr zu, ganz gleich wie lieblich er sprach. Und irgendwann fingen die Kinder an, ihn mit Kuhmist zu
bewerfen. Hals über Kopf wandte er sich dann zur Flucht.
Nach vielerlei solcher Ereignisse begriff Ulmor, dass er allein nichts erreichen, ihm niemand zuhören würde, solange er keine Anhänger hatte, die ihm folgten. Und weil er ja eigentlich ein Schmied war, ging er zu einer Schmiede. Er betrat die Werkstatt und sah eine junge Elfin bei der Arbeit am Amboss. Ulmor sprach: „Auch ich war einst ein Schmied, fristete meine Tage zwischen Esse, Amboss und Blasebalg. Doch dann sah ich den Funken und er wies mir den Weg. Er will wieder auf die Welt kommen, weil sich doch so viel seit damals geändert hat. Und ich bin derjenige, den er als seinen Führer erkoren hat. In seinem Namen bin ich unterwegs, jene zu suchen und zu sammeln, die es würdig sind, durch mich und neben mir an seiner Seite zu stehen. Schließe Dich mir an und Du wirst es nicht bereuen und niemals darben!“
Die junge Schmiedin schaute Ulmor lange an, dann kam sie auf ihn zu, baute sich mit den Händen in den Hüften vor ihm auf und brüllte: „Für arbeitsscheues Volk habe ich keine Zeit. Arbeit wartet auf mich und will getan werden. Such dir andere Dumme, die Du mit deinem Geschwätz langweilen kannst.“
Mit diesen Worten wandte sie sich von ihm ab. Sie wollte zurück zu ihrer Arbeit, als Ulmor, rasend geworden wegen der erneuten Ablehnung, sie von hinten erdolchte. Die junge Elfin schrie im Sterben laut auf und so kam es, dass die Nachbarn in großer Sorge herbeieilten. Sie sahen Ulmor mit dem blutigen Dolch über der Toten und machten Jagd auf ihn. Bis zum Abend waren sie hinter ihm her, bis er in einen Wald flüchtete. Erst da ließen sie von ihm ab. Zufrieden rechnete Ulmor das sich selbst und seinem Geschick an. Er wusste nicht, dass in dem Wald ein dunkles Gewässer lag, in dem noch immer die Sirenen hausten. Nur aus diesem
Grund hatten die Nachbarn der Gemordeten die Verfolgung abgebrochen.
Um ganz sicher zu sein, drang Ulmor noch tiefer in den Wald vor, bis er erschöpft zu Boden sank und sich gegen einen Baum lehnte. Als die Sirenen kamen, um ihn zu holen, erkannte er sie nicht, war er doch blind im Angesicht ihres verderblichen Lichts und hatte niemals begriffen, dass, was er in der Esse gesehen hatte, nicht ein Abbild des Funken, der die Welt erschaffen hatte, gewesen war, sondern nur der Glanz seiner eigenen Augen.
Glossar:
Ach-Horenn: Fluss im Land der Elfen
Dihanech: Großer Elfengelehrter, verschwand während des Großen Krieges gegen die Sirenen.
Kander: Kander ist die mythische Schmiedin, die das erste sagenhafte Langschwert schmiedete. Die Erzählung darüber ist unvollendet.