Mord unter Freundinnen
„Was braucht man eigentlich für einen guten Mord als Erstes? Den Täter, die zukünftige Leiche oder die Mordwaffe?“
Die Frage wurde mir so überraschend und mit einer derartigen Inbrunst vorgelegt, dass sich mein Oberkörper samt Arbeitsstuhl herumdrehten. Zur selben Zeit verselbständigten sich meine Augenbrauen Richtung Stirn.
„Welche neurologischen Schlüsselelemente sind heute bei deiner Arbeit unter das Skalpell geraten, dass ich mir solche Abnormitäten anhören muss“, antwortete mein Mundwerk, noch
ehe meine Synapsen auf Denken geschaltet hatten. Die Quittung bekam ich sofort. Melanie stapfte mit festen Schritt durch mein Zimmer.
„Und so was von einer Frau, welche seid einem Jahr minutiös plant ihren Ex gewaltsam und widerrechtlich aus dem Leben zu entfernen.“
Ich fühlte mich etwas angegriffen und versuchte mich zu verteidigen. Wohlgemerkt, ich versuchte es: „Ganz so schlimm, wie du es darstellt, ist meine geistige Situation nun auch wieder nicht.“
Sie ging an meinen Schrank neben meinen Bett und öffnetet ihn. Im Grunde brauchte sie die Schranktür nur antippen
und das schwedische Billigregal erbrach ächzend ein Meer von Büchern. Die blutigen Titel hatte mich die letzten Monate gepackt, gefesselt und nicht mehr los gelassen. „Die Pathologie des Todes, der spurlose Mord, tödliche Chemie, das Grauen des Fol...“, sie unterbrach sich selber und verschränkte provokant ihre Arme. „Mal ehrlich, Süße, wie viele Wege hast du dir bis heute ausgedacht, um das Schwein ins Gras beißen zu lassen?“ In ihren letzten Worten schwang eine gewisse Fassungslosigkeit mit, dennoch durchzog dieser Satz die Hoffnung auf meine baldige Rückkehr in keusches, christliches Denken: Du sollst nicht
töten.
In Anbetracht der Tatsache, dass mich dieses maskuline Individuum betrogen, hintergangen und auf das Tiefste verletzt hatte, waren in mir Ideen auf gekeimt, welche vom Schubsen vor den Müllwagen bis hin zum säuberlichen Sezieren reichten. Die Gedanken waren so ausgereift gewesen in den ersten Wochen der Trennung, aus den einzelnen Scheiben dieses Mannes hätte man das beste dreidimensionale MRT Bildnis der Medizin herstellen können. Doch mein Magen würde eine solche Strapaze nicht mal beim ersten Schnitt aushalten. Damit waren schon einige Mordmethoden leider hinfällig
geworden.
Ich seufzte innerlich. Diese Gedanken waren doch sehr belastend für mein im Grunde sanftes Gemüt.
„156 Methoden hat sich unsere kleine Luisa ausgedacht, um ihren Ex abzuschießen.“, kommentierte der Hintergrund, welcher sich aus einer Männer mordenden Figur und einer messerscharfen Zunge zusammen setzte. Sarah war die Ausgeburt einen Schwarzen Witwe und im Gegensatz zur gemütlichen Melanie meine Verbündetet in Sachen der EX muss WEG! Im Geiste ging ich schnell alle Pläne durch, in dem sie die Hauptrolle gespielt hatte, um den Schürzenjäger in eine
mörderische Falle zu locken. Sie wäre perfekt gewesen, um dieses Aas zu ködern. Dumm genug war der eitle Kunsthändler dafür gewesen. Er wäre bereits tot gewesen, noch ehe Sarah ihr Doppel D zum Einsatz hätte bringen müssen. Nichtsdestotrotz musste ich sie zurecht weisen:
„124, deine 32 Vorschläge sind eine Aneinanderreihung von martialischen Gebärden.“
„Keine Ahnung was du eben wieder gesagt hast, aber komm schon. Die besten Freunde einer Frau sind immer noch Smith & Wessen.“
Sie glitt über meinen kriminelle Bibliothek und wälzte sich, einer
rolligen Katze gleich, auf meinem Bett. Sie schnurrte ihre nächsten Worte regelrecht, wohl wissend mir damit eine Gänsehaut zu verpassen: „Drity Harry, 44 Magnum, dieses Loch könnte nicht mal unsere hochbegabte Melanie flicken.“ Ihre großen, braunen Augen durchbohrten mich, worauf sich mein Hals zusammenschnürte. Melanie hingegen war nicht beeindruckt von diesem weiblichen Großkaliber.
„Und du bewegst mal deinen Apfelarsch zur Seite, bevor ich darüber nachdenke, wie ich daraus ein Cellulitekissen schnipsel.“
Die Barkeeperin machte der OP-Schwester sofort Platz, schlang aber
versöhnlich ihre Arme um deren Hals. Die Kombination der beiden Frauen, hatte mich schnell zu den Plänen geführt, welche sich mit Giftmord befasst hatten. Hier bei hatte es aber zwei entscheidende Probleme gegeben. Melanie kam an toxische Substanzen heran und ohne Schwierigkeiten. Sarah arbeitete in Bar, die zu den Jagdgebieten meiner Mumie in spe gehörten. Leider brachte ich es nicht über das Herz, die beiden gut Existenzen meiner Mitbewohnerinnen mit so etwas in Gefahr zubringen.
Nein! Ich musste selbst Hand anlegen, selbst wenn meine zarten Goldschmiedehände nicht die nötige
Kraft hatten, einem ausgewachsenen gut gebauten Mann die Gurgel herumzudrehen. Also zog ich mich von solchen Plänen auch zurück.
Im Fernsehen sah, dass auch immer so verflixt einfach aus.
Ach, wie sehr ich doch meine beiden Mitbewohnerinnen mochte. Ich war ein Einzelkind gewesen und hatte mir immer Schwestern gewünscht und dankte Gott nun für Sarah und Melanie. Meine Eltern hatten immer nur gearbeitet. Aus diesem Grund habe ich fast meine gesamte Kindheit bei meinem Großvater verbracht. Ich liebte diesen alten Mann sehr. Genauso wie seine Elfenbeinwerkstatt. Dieser magische Ort
aus meiner Kindheit, an dem er kleine Dinge erschuf, aus denen große Kunstwerke geworden waren. Er konnte weise Rosen schnitzen, sodass man glauben musste ihren Duft wahrnehmen zu können. Seine Schachfiguren in Menschengestalt ließen mich als Kind denken, sie würden des Nachts heimlich mit sich selber eine Partie wagen. Elfenbein... das weise Gold. Mein Gold würde nie an das heran reichen, welches ich Tag täglich zu Ringen, Broschen und Anhängern formte. Seine Hände waren groß und grob gewesen, aber dabei immer warm und sein seltenes Lächeln schenkte mir Geborgenheit. Er hatte nie viel gesprochen und wenn er doch etwas
gesagt hatte, war es wichtig und gut gewesen. Diese magische Einsiedelei meines Großvaters schien nie in diese materielle Welt gehört zu haben. Meine vielleicht auch nicht, warum sonst hätten wir auf den goldenen Schein meines Ex hereinfallen sollen. Als er die Sammlung und die Werkstatt meines Großvaters verhökerte und sogar verspielte, brach mein Herz und Großvaters starb. Wie geht man mit so einer Trauer um? Mit dieser Wut? Mit diesem so unnötigem Verlust?
Melanie und Sarah hatten mich auf genommen und aufgefangen, als die ersten finsteren Pläne mich zu zerreißen drohten. Im Grunde konnte ich diesen
Kerl nicht umbringen. Würde ich es wirklich tun, so könnte ich nie wieder mit gutem Gewissen an das Grab meines Großvater herantreten. Es wurde im Laufe der Geschichte schon genug Blut für Elfenbein vergossen und dieses Blut war es einfach nicht wert.
Meine schmalen Finger glitten über die alte Werkbank, welche heute nur noch als mein Schreibtisch diente. Es tat weh nicht für Gerechtigkeit sorgen zu können. Manchmal hatte ich auch Angst. Angst vor dieser unglaublichen Wut in mir.
Ach Großvater.
Nach langem Schweigen, war es Sarah, welche einen wesentlich ernsteren Ton
anschlug, aber auch nur um mich aus meiner Lethargie zu rütteln: „Sag mal Mel, du bist doch sonst immer die Predigerin von Liebe und Vergebung. Wieso kommst du jetzt mit Fragen wie: Was ist wichtiger Täter, Leiche oder Mordwaffe?“ Ich sah vom Schreibtisch auf und blickte in das verdutzte Gesicht meiner Mitbewohnerin. Augenscheinlich hatte sie aufgrund von 44 Magum und Cellulite den Grund für die Belagerung meines Zimmers vergessen.
„Er ist tot.“, formten sich die Worte auf Melaniens Lippen, so als würde sie ihr Hausschlüssel wäre weg. „Melanie? Ich bekomme die kausalem Zusammenhänge gerade nicht in eine lineare Struktur“,
erwiderte ich in meiner viel zu komplizierten und verwirrenden Art. Sarah war da praktischer als ich. „Echt den Schnösel hat es erwischt. Der ist hin, so richtig tot, six feed under, in die ewigen Jagd...“
„JAHA!“; schnaubte Melanie und versuchte ihre Nervensäge mit meinem Kopfkissen zu erwischen, was ihr aber nicht gelang.
„Ich war es nicht! Ehrlich!“, schrie ich fast panisch, als bei mir der Groschen viel.
„Wissen wir“, bekam ich den Antwortchoral zurück.
Melanie zog ein Stück gefaltetes Papier aus der Hosentasche und reichte mir den
Artikel: Drama auf Handwerksmesse! Beim Aufbau der Kunstmesse stürzte der verantwortliche Galerist Peter K. von einer Empore in die Exponate. Der reich verzierte Mammutstoßzahn durchbohrte die Brust von Peter K., sodass der Notarzt nur noch dessen Tod feststellen konnte.
Aus meinem Körper wich sämtliche Kraft. 156 Möglichkeiten und am Ende tötete ihn die Kunst. Für einen Moment stand die Zeit still. Mit bebenden Lippen starte ich auf eine schief lächelnde Melanie.
Oh. Mein. Gott.
„Hej, Mädels, wisst ihr was cool wäre? Jetzt, wo der Typ tot ist, können wir
doch Luisas Erspartes für den Auftragskiller für einen gepflegten Urlaub auf den Kopf hauen.“
Ungläubig sahen wir Sarah an. Wobei nach dieser Mordsaufregung die letzten Monate war das vielleicht gar kein so verkehrter Gedanke.
Schreib mir was!