Der Sprung am Tod vorbei
Ich hatte es mir gerade auf der Couch bequem gemacht und meine Lieblingskrimiserie eingeschaltet, als es an der Haustür Sturm schellte. Mein erster Impuls war, den Störenfried zu ignorieren, aber ein Blick auf meine unverhängten Fenster riet mir davon ab. Schon schrillte die Glocke erneut und lang anhaltend. Der späte Besucher war impertinent. Laut schimpfend lief ich zur Tür.
„Was ist denn so wichtig um diese Zeit des Tages?“
Wieder ertönte die nervtötende Klingel. Ich riss die Tür auf. Da stand Annette,
ausgerechnete die unsympathische. Annette aus unserem Lesekreis.
„Du schreist lauter als die Polizei erlaubt.“ schleuderte sie mir entgegen. „Was so wichtig ist? Marcus ist aus dem Fenster gefallen.“
„Marcus?“
Ich hielt mir beide Hände vor das Gesicht, um das aufsteigende Prusten zu unterdrücken.
„Marcus wohnt in der ersten Etage, da hat er sich höchstens seine spitze Nase gebrochen.“ presste ich hervor
“Denkste 1. Etage, aus der 19. des Hochhauses, da vorn an der Ecke.“ Annette deutete mit einem Arm in Richtung Hausausgang. Mir sackte das
Herz in die Hose.
„Ist er tot?“
„Nein, das ist es ja.“ japste Annette und brach in heftiges Weinen aus.
„Aus der 19. Etage und nicht tot?“ wiederholte ich ziemlich blöde.
„Und wo ist er jetzt?“
„Im katholischen Krankenhaus.“ erfuhr ich.
„Das glaube ich dir nicht“ gab ich patzig zurück.
„Na dann eben nicht, kannst ja hingehen und fragen.“ Mit diesen Worten donnerte sie die Treppe hinunter. Ich stand zur Salzsäule erstarrt in der offenen Tür. „Aus dem 19. Stock, wie sollte das gehen?“ murmelte ich auf dem Weg zur
Couch. Den Fernseher drehte ich ab. Von Aufregungen hatte ich genug. Hastig suchte ich die Nummer des Krankenhauses heraus und wählte die Nummer, ließ es vier-, fünf-, sechsmal läuten, bis sich eine barsche Frauenstimme meldete.
“Ich möchte wissen, wie es Marcus Pepperman geht, der heute eingeliefert wurde,“ fragte ich ganz bescheiden.
„Ich darf keine Auskunft geben.“ war die kurze Antwort.
„Ich möchte nur wissen, ob er lebt.“ Schon war die Verbindung unterbrochen. Mit „Zicke“ machte ich meiner Wut Luft und wankte zurück zu meiner Liegestatt, auf der ich gehofft hatte, einen entspannten
Abend zu verbringen. Von Entspannung und guter Nachtruhe konnte keine Rede sein.
Mein Herz klopfte aufgeregt, als ich am Morgen aufstand und auch noch auf dem kurzen Fußweg zur Klinik.
„Wo finde ich Marcus Pepperman?“ fragte ich höflich den Mann in der Portierloge.
„Auf Station 3, dort hilft Ihnen das Personal weiter“
Das hörte sich nicht nach tot an, folgerte ich und atmete auf. Auf Station 3 bekam ich die Auskunft:
„Zimmer 14. Aber nicht länger als 10 Minuten, der Patient braucht Ruhe.“
Ich nickte und suchte die Zimmertüren
ab. Hier 14. Ich klopfte und öffnete die Tür. Ein Bett, darin eine weiß vermummte Gestalt.
„Hallo, Marcus“ wisperte ich. Er hob eine Hand und wandte mir den verpackten Kopf zu.
„Was machst du für Sachen?“ und drückte die dargebotene Hand.
„Du bist wirklich aus dem 19. Stock gefallen?“
„Nicht gefallen, gesprungen.“
“Noch schlimmer, und das hast du lebend überstanden?“
„Die da oben wollten mich noch nicht.“ Er machte eine Bewegung mit der Hand, die zum Himmel deutete.
„Wie macht man das?“ wollte ich
brennend gern wissen.
„Mit ganz viel Glück oder Pech, denn ich wollte ja sterben."
“Blödsinn,“ unterbrach ich ihn.
„Mensch, Petra hat mit mir Schluss gemacht, und mein Chef hat mir gekündigt. Gründe genug!“ stieß er bitter hervor.
„Und was war das Glück dabei?“
„Ich schaute nicht aus dem Fenster hinunter, dann hätte ich den Mann gesehen, der da unten sein Taxi wusch. Der Mann stand in der offenen Wagentür und lehnte mit dem Oberkörper über dem Autodach. Er diente mir effektiv als Kissen, so dass ich nur ein paar Brüche erlitt.“
„Unglaublich! Und wie geht es deinem Kissen?“
„Dem armen Kerl hat es das Genick gebrochen.“
„Tot?“
„Mausetot!“
„Mensch Markus ich habe es nicht geglaubt, was Anette mir gestern schilderte. Ich habe mich so gesorgt! - Hör mal, das machst du aber nicht wieder!“
Ich bemühte mich, meine Stimme streng klingen zu lassen:
„Annette und ich haben uns solche Sorgen gemacht und die ganze Nacht nicht geschlafen. Das halten wir nicht noch einmal aus. Mädchen gibt es
genügend auf der Welt und eine Arbeit finden wir für dich auch.“ Marcus quälte sich ein Lächeln ab. „Recht hast du, kleine Katti.“
„Wenn du entlassen wirst,“ schlug Katti vor, „ planen wir eine dufte Party und feiern das Wunder Marcus: Der vom Himmel Verschmähte.“