Fango molto caldo
Vielleicht haben Sie auch schon einmal im Fango gelegen und Sie wissen, dass sich die Theorien über die wundersame Heilkraft dieses Schlamms sehr unterscheiden. Nein, ich habe es mir nicht leicht gemacht, bevor ich mich dafür entschied, meinen wertvollen Körper dem Schlamm zu übergeben.
Von den Kurprofis in meinem Hotel sagten die einen so und die anderen so. Die Fango-Fans schwärmten von einer tiefgreifenden Verjüngung und die Fango-Verächter munkelten von Verbrennungs-Gefahren. Noch dieser Tage sei ein Ehemann wutentbrannt unter Zurücklassung seiner Frau
abgefahren, weil man ihm die Po-Backen verätzt habe. Ich vertraute den strahlenden Gesichtern der Fango-Jünger und nun stand meine erste Anwendung bevor.
Im Morgengrauen fuhr ich mit gemischten Gefühlen per Aufzug in den Orkus des Hotels hinab, der nur dem Benefiz des Fango gewidmet war. Man geleitete mich sogleich in meine Kabine, wo ich mich in aller Ruhe freimachen sollte. Dort wartete ein großer Haufen Fango von undefinierbarer grau-brauner Farbe darauf, seine Heilkräfte an mir erproben zu können. Ich vermeinte, dass sich ein feiner bläulicher Qualm über dem Fladen kräuselte, schalt mich dann
aber gleich einen Narren mit ängstlicher Vision. Vorsichtig berührte ich den Cumulus mit den Fingerspitzen, zuckte dann aber zurück: Molto caldo.
Nun kam der Fango-Maestro und redete beruhigend auf mich ein: „Nix avanti, abbiamo tutto il tempo del mondo. Facciamo molto piacevole.“ Um das zu bestätigen, war er schon eine Minute später wieder da. Ich wollte jetzt nicht feige erscheinen und ließ mich ganz piano in die „Murre“ delegieren.
Vorher hatte ich noch auf einem Abstelltischchen ein Behandlungsmuster des Arztes entdeckt. Die linke Schulter und die Brust sollten mit Fango bedeckt werden und die rechte Schulter sollte frei
bleiben. Aber der Fango-Maestro, ein alter Praktiker, ignorierte die Behandlungsvorschrift des Akademikers großzügig. „Du müssen schön schwitzen. Das sein sehr gesund“, meinte er und bedeckte meinen Oberkörper reichlich mit Fango, den er von den Seiten her mit Hilfe eines Tuchs eng an meine Hüften und seitlich angelegten Arme presste, sodass ich mich starr wie eine Mumie nicht rühren konnte. Wie zum Spott legte er mir noch ein Schweißtüchlein griffbereit, aber unerreichbar für den Eingeschlammten vor das Kinn und verschwand.
Ich lag regungslos in meinem Prokrustbett und schon bald bildeten sich
die ersten Schweißtröpfchen auf meiner Stirn. Es dauerte nicht lange, bis mir einer von ihnen ins Auge rann und entsetzlich juckte. Doch was sollte ich machen, ich war gefesselt und die Minuten schlichen quälend voran. Da öffnete sich die Tür und Kalliope, eine wunderschöne Badenymphe, schwebte strahlend lächelnd herein, fragte nach meinem Befinden, sah mein tränenfeuchtes Blinzeln und befreite mich durch zartes Tupfen mit dem Tüchlein von dem beißenden Schweiß.
„Ci sono solo un quarto d'ora “ meinte sie tröstend und schon war sie verschwunden.
Der Fango war von hervorragender
Qualität und bald bissen sich neue Schweißperlen in meinen Augen fest. Ich ermahnte mich zur Mannhaftigkeit, doch auch die Erinnerung an meine klassische Schulbildung konnte den Juckreiz nicht lindern:
„Von der Stirne heiß,
Rinnen muss der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben ….“
Wie sehnte ich mich nach Kalliope, aber sie musste schönere Augensterne unter ihren Patienten erblickt haben.
Endlich kam der Maestro, wischte mir mit kräftiger Hand mit einem Rutsch den Schweiß von der Stirne und schickte mich ins erlösende Entspannungsbad.
Gleichwohl war ich fest entschlossen,
den Fango-Qualen ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Aber ein unverbesserlicher Fango-Fan verriet mir, dass die göttliche Kalliope irdischen Gaben durchaus zugänglich war. Nachdem ich das sogleich beherzigt hatte, schwebte sie bei den folgenden Anwendungen noch anmutiger in die Kabine, lächelte noch entzückender und der Schweiß hatte keine Chance mehr, sich zu entfalten.
Ganz ehrlich, lieber Leser, auch die Zweifel bezüglich der Leuchtkraft meiner Augensterne sind verflogen.
©Ekkehart Mittelberg, Mai 2016