Kapitel 97 Zweifel
Der Hafen von Erindal war nichts mehr als eine qualmende Ruine. Rauchwolken stiegen aus Glut brennender Häuser zum Himmel und verdunkelten die Sonne, die sonst das ganze Land in blendende Helligkeit tauchte. Und auch der Rest der Stadt war geschleift worden. Zu Asche zerfallene Bauten säumten die großen Prachtstraßen, welche die Eroberer vor wenigen Tagen entlang geritten waren. Und sie hatten Feuer mit sich gebracht…
Mit einem hatte der rote Heilige Recht behalten, dachte Träumer. Es hatte kaum
Wiederstand gegeben, als seine Männer über die Stadt hergefallen waren. Der Weg durch die Sümpfe und Marschlande hatte sie Zeit gekostet… doch nicht genug, als das die Nachricht über eine Armee, die sich ins Ostmeer einschlich Erindal rechtzeitig erreicht hätte. So wie es aussah, war nicht einmal eine Garnison der kaiserlichen Garde in der Stadt gewesen, als sie ankamen. Auch damit hatte sein Herr also Recht behalten. Und man hatte sie bejubelt als die ersten Schiffe in den Hafen eingelaufen waren. Es hatte keine Barrikaden gegeben… und wie in Helike hatte es Blumen für die als Befreier gekommenen Kreuzfahrer geregnet. Ihre
Gesandten hier hatten ganze Arbeit geleistet. Und warum brannte die Stadt dann?
Träumer folgte einer der großen Hauptstraßen, a denen kaum ein Gebäude unversehrt geblieben war ins Zentrum der Stadt. Der Geschmack von Asche lag in der Luft und hinter den eingeschlagenen Fenstern und über die Mauern von Ruinen hinweg verfolgten ihn scheue Blicke. Sie waren als Befreier begrüßt worden. Sie waren als Eroberer gekommen. Man hatte den Fürsten der Stadt bereits hingerichtet, als er schließlich dazu kam und sich durch das Chaos bis z8um Palast durchgekämpft hatte. Der Leichnam von
Kaspian Garin baumelte nach wie vor an einem Strick über den Toren, des Prunkbaus, den der rote Heilige mittlerweile als seinen Sitz beansprucht hatte. Träumers Meister war erst vor wenigen Stunden zurückgekehrt. Eigentlich hatte er gehofft, das die Plünderungen damit endlich ein Ende finden würden, doch nichts dergleichen. Träumer selbst konnte nicht darauf hoffen, den Wüten der Männer alleine Einhalt zu gebieten. Sicher, er könnte sie töten, aber dem roten heiligen waren sie zur treue verpflichtet. Und diese… dieser sah zu, wie die Stadt weiter brannte und die Plünderer seit nun fast einer Woche durch die Straßen zogen.
Sie sollten Anhänger der Ordnung sein… und verbreiteten doch reines Chaos und Schrecken. Bis auf die Geweihten. Weltliche Güter interessierten die neugeborenen Kinder des Herrn der Ordnung nicht länger und so beteiligten zumindest sie sich nicht an den Raubzügen. Stattdessen hatten sie sich um ihren Meister im Palast versammelt und versteckten sich in den Gemäuern vor der Welt. Dabei hätten sie die Macht und das Wort ihres Gottes verbreiten sollen. Vielleicht sollte er zumindest dafür dankbar sein, dachte Träumer. Er wusste zu gut, was diese Wesen anrichten konnten. Aber er fühlte sich nicht dankbar. Nur
Hilflos.
Er traf nur noch wenige Menschen auf den Straßen, während er einen Weg in Richtung Palast einschlug. Das Gebäude ragte jetzt, wo die meisten größeren Bauwerke nicht mehr standen, bedrohlich über den verbliebenen Häusern auf. Diejenigen Bürger Erindals, die nicht längst geflohen waren, versteckten sich in ihren Häusern oder dem, was davon übrig war. Angst und Rauch hingen gleichermaßen wie eine Glocke über der Stadt und ließen die Menschen die Türen verschließen. Die wenigen, die sich nach draußen wagten, blieb meist keine andere Wahl. Kranke und jene, denen die weniger als
nichts hatten…
Träumer war darum bemüht, dort zu helfen, wo er konnte. Und doch wichen die meisten Leute nur vor ihm zurück, wenn sie ihn sahen. Sie wussten genau wer er war. Der Mann, der an der Spitze der Flotte stand, als diese in den Hafen einlief… Die rechte Hand des roten Heiligen… die doch machtlos war.
Ein Mann lehnte an der Wand eines halb eingefallenen Hauses und hob langsam den Kopf, als er sich näherte. Die Augen waren fiebrig und über seine Brust zog sich ein tiefer Schnitt, der mit getrocknetem Blut verkrustet war. Er trug die Rüstung einer Stadtwache, doch unter all dem rot war nicht mehr zu
erkennen, ob er wirklich einst das Wappen der Stadt getragen hatte oder nur einer der Söldner war, die Lord Garin zu seinem Schutz angeheuert hatte. Söldner, die ihn am Ende für ihr Leben und ein paar Münzen verkauft und vor die Tore seines Palastes gezerrt hatten. So oder so, der Mann war den Massakern vielleicht entkommen, aber er würde in ein paar Stunden tot sein. Zumindest ohne Hilfe. Trotz des Fiebers musste er Träumer wohl erkennen, denn er versuchte, von ihm weg zu kriechen, hatte jedoch bereits die Wand im Rücken.
,,Ganz ruhig…“ Träumer kniete sich neben ihn und streckte vorsichtig eine
Hand aus. ,, Ich tue euch nichts…“
Es brauchte nur einen Funken der Kräfte die sein Meister ihm verliehen hatte und seine Hand mit dem schwarzen Mal darauf wurde in blaues Feuer gehüllt. Die Wunden des Mannes wurden in den Schein der Flammen getaucht und Träumer nahm die Schmerzen, die die Heilung mit sich brachte auf sich. Einen normalen Menschen konnten sie um den Verstand bringen. Für ihn war es nur ein weiterer, weit entfernter Stich. Er war über körperlichen Schmerz hinaus. Und er kannte schlimmere Qualen…
Er hatte auf ganzer Linie versagt, hatte weder Sine noch Naria noch sonst jemanden vor dem Zorn seines Gottes
beschützen können. Und jetzt blieb ihm nur, die Scherben zu kitten.
,, Danke.“ Das Flüstern des Mannes drang nur wie aus weiter Ferne an seine Ohren. Stattdessen fixierte sein Blick nur die Risse in der Mauer hinter ihm, die Spuren die das Feuer im Stein hinterlassen hatte und die Aschereste, die durch die Luft trieben.
Wortlos stand er auf und drehte sich um. Er hatte diesen Fluch gebracht. Und er verstand nach wie vor nicht wieso. Mit gesenktem Kopf wendete er sich ab und setzte seinen Weg fort, die verlassenen Straßen entlang zum Palast. Er musste mit seinem Meister sprechen,. Vielleicht konnte der rote Heilige ihm helfen, die
Dinge wieder im richtigen Licht zu betrachten. Ja… das musste es sein. Er hatte zugelassen, dass ihn das Schicksal der Opfer anrührte… Am Ende diente alles einem höheren Ziel. Und am Ende würden die Toten vergessen werden. Das Leid selbst nur eine Erinnerung sein.
Noch während er dies dachte, drangen Schreie an sein Ohr. Er wollte sich zwingen sie zu ignorieren. Und doch bewegten sich seine Füße von selbst. Nicht fort von den Geräuschen sondern hin zu einem der wenigen noch intakten Bauten in der Straße, von dem die Rufe herüber hallten. Noch ehe er sich überhaupt sicher war, was er da tat, wurden die Türen aufgestoßen und eine
Gruppe Männer stürzte heraus. Die meisten trugen irgendwo an ihrer Kleidung das Wappen des Herrn der Ordnung. Die zusammengewürfelten Rüstungen und die schlichte Ausrüstung wirkten nicht so, als gehören sie zu den Männern aus Helike. Diese hielten sich wenigstens an Träumers Anweisungen und blieben vor allem am Hafen. Also waren es die Männer, die die Prediger in Canton angeworben hatten. Jene, die sie willkommen geheißen hatten um dann in einem Feuersturm durch Erindal zu ziehen…
Sie waren zu viert. Hinter sich zerrten sie einen Mann und eine Frau aus den Gebäude. Der Mann war Tod, das konnte
Träumer auf den ersten Blick erkennen. Blut sickerte aus der durchgeschnittenen Kehle und einem Dutzend Stichwunden und zog einen roten Schleier hinter der Gruppe her. Die Frau hingegen sah sich nur ängstlich um. Dann wurde sievon einem schweren Schlag zu Boden geworfen und landete in der Blutlache, die sich unter dem Toten ausbreitete. Vielleicht ihr Ehemann oder ein Freund. Die Kleider, die die beiden trugen mochten einmal Edel gewesen sein, nun jedoch waren unter Blut und Schmutz nur noch Lumpen geblieben.
Träumer schloss die Augen, als er auf ihre Höhe kam. Er sollte einfach weitergehen, sagte er sich, befahl es sich
sogar. Doch weder seine Beine noch seine Stimme wollten ihm gehorchen. Er blieb stehen und einen Moment hielten auch die vier Schläger in ihrem Tun inne.
,, Was hat sie getan ?“ , verlangte er zu wissen. Vielleicht erkannten sie ihn, vielleicht überraschte sie sein Auftauchen auch nur. Doch als er schließlich sprach wagte es einen Moment keiner, etwas zu erwidern.
,, Sie hat einen Unterstützer des Fürsten vor uns versteckt !“ , rief schließlich einer der Männer und trat dem Toten in die Seite. Dieser wurde durch den Aufprall auf den Rücken geworfen und Träumer sah in ein leeres Gesicht, aus
dem ihn zwei trübe werdende Augen anstarrten.
,, Wie gut für euch, das ich ihn nicht mehr befragen kann um die Wahrheit herauszufinden.“ Und wäre er etwas später, hätte er wohl niemandem mehr Lebend vorgefunden. Träumer beugte sich zu ihm herab und schloss seine Augen. Unter dem mit Blut durchtränkten Wams, das er trug schimmerte tatsächlich ein Stahlkürass, wie es die Stadtwache tragen mochte. Was tat er hier eigentlich? , fragte er sich selbst. Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er nicht mehr zuschauen würde. ,, Sprechen sie die Wahrheit ?“ , wendete er sich an die Frau. Sie war so
verängstigt, das sie den Zauber, den er sprach wohl nicht einmal mehr mitbekam. Geschweige denn das sie sich dagegen wehren konnte.
,,Nein…“ Ihre Stimme zitterte, während sie unsicher zu Träumer aufsah. ,, Nichts davon… wir… Wir haben nur Versucht zu überleben. Uns zu verstecken. Mein Artur ist…war… Lord Garin hatte hier nur wenige Freunde. Diese Leute sind ohne ein Wort in unser Haus eingedrungen. Sie… Artur wollte noch seine Waffen holen. Sie haben ihm einfach die Kehle durchgeschnitten und…“
Träumer nickte lediglich und lies die völlig aufgelöste Frau sitzen wo sie war.
Sie log nicht. Dazu war sie auch ohne seinen Zauber grade gar nicht in der Lage.
,, Natürlich lügt sie um sich zu retten.“ , rief wieder der Mann , der schon zuvor gesprochen hatte und riss sie auf die Füße. ,, Aber wir bekommen die Wahrheit schon aus ihr heraus, keine Sorge !“
Mit diesen Worten hatten er und die anderen die Frau gepackt und gegen die Wand des Hauses gedrängt und versuchten ihr die Kleider vom Leib zu reißen. Erneut sagte Träumer sich, dass er gehen und sich wieder auf den Weg zum Palast machen sollte. All dies musste einen Grund haben, wenn sein
Herr es erlaubte. Und doch war seine Entscheidung nicht bereits gefallen?
,,Hört auf.“ , befahl er. Einen Moment glaubte er sie hätten ihn nicht einmal gehört. Die Frau schrie auf, als einer der vier ihr einen Schlag in die Magengrube versetzte. ,, Ich sagte, hört auf !“
Träumers Stimme war leise doch schneidend wie ein Schwert. Einer der Männer hielt kurz inne und musterte den dürren Mann in der Robe eines Archivars, als hätte er den Verstand verloren. Dann wendete er sich bereits wieder seinem Opfer zu. Oder hätte es getan, hätte Träumer ihn nicht in genau diesem Moment an der Schulter gepackt und herumgerissen. ,, Hört ihr nicht
?“
Jetzt bekamen spätestens auch die andere mit, das etwas nicht stimmte und drehten sich Träge zu ihm um. Statt jedoch etwas zu sagen, sahen sie sich lediglich stumm an… und zogen dann die Waffen. Keulen und Messer sprangen in Fäuste. Narren, dachte Träumer und wusste einen Moment nicht ob er über so viel Kühnheit lachen oder weinen sollte. Offenbar glaubten sie wirklich damit durchzukommen. Entweder erkannten sie ihn und es war ihnen egal, oder sie hielten ihn nur für einen weiteren Prediger. So oder so… sie griffen einen Gesandten des Herrn der Ordnung an. Und der Gott beschützt seine erwählten
Kinder. Arme Narren.
Der erste kam grade noch dazu die Waffe zu heben. Mit einem Aufschrei stürzte er vor. Träumer war trotzdem schneller. Alles, was er brauchte, war ein Gedanke und der Mann wurde in einer Wolke seines eigenen Bluts zurückgeschleudert, während sich seine Organe verflüssigten. Der zweite lief direkt in die Blutwolke hinein und starb genau so schnell wie der erste. Vermutlich hatte er nicht einmal Verstanden, dass er grade in die Überreste seines Kumpanen geraten war. Die anderen beide ließen plötzlich die Waffen fallen. Träumer kümmerte es nicht mehr. Sie waren tot, bevor sie auch
nur dazu kamen, sich umzudrehen um zu fliehen. Innerhalb weniger Herzschläge, war die halbe Straße in einem Nebel aus Blut verschwunden, der langsam auf das Pflaster niederging. Träumer schenkte den Toten jedoch keine Beachtung. Er trat auf die Frau zu, die an der Hauswand in sich zusammengesunken war und immer noch zitterte. Doch diesmal galt ihre Angst nicht ihren Peinigern. Sie sah ihn nur mit weit aufgerissenen Augen an, als er vor ihr stehen blieb und ihr eine Hand hinstreckte. Dann schlug sie sie weg.
,, Dämon…“ Hätte sie gekonnt, sie wäre auf Händen und Füßen vor ihm davongekrochen. Und Träumer blieb nur,
verständnislos auf seine Hand zu starren. Hatte sie nicht Recht? War er das wirklich? Was hatte er getan? Und was hatten sie getan? Sie sollten hier sein um Leiden zu beenden und diese Leute zu retten. Und doch war das Gegenteil der Fall. Er bekam nur halb mit, wie er vor ihr zurückwich und sich langsam umdrehte. Hin zum Palast, wo der rote Heilige auf ihn warten würde…
Und Antworten für seine Zweifle liefern musste. Auch wenn Träumer es bezweifelte. Das hier konnte nicht der Wille des Herrn der Ordnung sein. Unwillkürlich musste er an jenen Moment an Bord der Galeeren zurückdenken. Jenen Augenblick in dem
sein Meister, die Fassaden hatte fallen lassen, der Augenblick des Zorns. Das hier, war das Werk des roten Heiligen… und es war kein Fehler. Es war Absicht.