Kapitel 89 Zu Spät
Galren musste die Augen zusammenkneifen um nicht geblendet zu werden, als man ihn wieder nach oben Zog. Nach der langen Zeit im Dunkeln schmerzte das Sonnenlicht in den Augen. Grell leuchteten die roten Felsen um ihn herum und nahmen dabei beinahe die Farbe von frischem Blut an. Das rote Tal trug seinen Namen letztlich nicht ohne Grund. Jetzt am Mittag war die Hitze fast unerträglich, vor allem nach der angenehmen Kühle in den Katakomben des alten Volkes und trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Doch die Sonne war noch das, was ihm im
Augenblick am wenigsten zu schaffen mache. Eriks Enthüllungen, nachdem sie endlich gefunden hatten was sie suchten war… ernüchternd gewesen, dachte er. Noch immer dachte er über die Worte des Arztes nach, über die Inschriften auf der Tafel, tief in den Archiven, die das alte Volk einst hier vergraben hatte. Wenn der er die Wahrheit sprach, dann war Galren selbst indirekt für das Auftauchen dieses Kults verantwortlich. Er… und auch sein Vater, der das Schwert doch erst gefunden hatte. Am Ende, dachte Galren, war er wohl wirklich nicht mehr als eine Spielfigur gewesen. Mehr als er je gedacht hatte. Auch wenn er nicht wissen konnte, in
wie weit all das geplant werden war, zumindest, dass das Schwert im Laufe der Geschehnisse zerbrechen sollte,
musste von Anfang an das Ziel gewesen sein. Ob sein Vater nun bewusst dazu beigetragen hatte oder ob er nur durch die schwarze Klinge manipuliert worden war, spielte kaum eine Rolle. Das Ergebnis blieb das gleiche. Er hatte unbeabsichtigt etwas befreit, das für alle Ewigkeit hätte weggeschlossen blieben sollen.
Und doch warum jagten die Anhänger des Herrn der Ordnung ihn dann? Er hatte genau das getan, was der alte Gott beabsichtigt hatte, war blind in eine Falle gelaufen, die er nicht sehen
konnte, trotz seiner Gabe. Es ergab keinen Sinn. Irgendein Puzzleteil fehlte ihm noch und er wusste nicht, ob er es überhaupt noch finden wollte.
Galren löste das Seil, das ihn an der Winde sicherte, die Eriks Arbeiter errichtet hatten und schwang sich vom Brunnenrand zurück. Unter ihm konnte er die anderen erkennen, die ihm hinterher kletterten, jeder nur ein Lichtpunkt in der undurchdringlichen Finsternis. Die Gejarnarbeiter , welche die schwere Winde sicherten, schenkten ihm kaum Beachtung, doch sie waren auch nicht der Grund, aus de sie so überstürzt hatten aufbrechen müssen. Auf dem großen Felsen, den sie zuvor
bei Seite gewuchtet hatten um den Eingang der Katakomben frei zu legen, hockte ein Mann in der Livree eines kaiserlichen Armee-Boten. Hinter ihm graste ein Pferd an den spärlichen, vertrockneten Grasbüscheln, die hier auf der Ebene wuchsen.
,,Galren Lahaye ?“ , fragte er, sobald er ihn erblickte und stand auf.
,, Der bin ich.“ Mittlerweile hatten auch die anderen den Rand des Brunnens erreicht und kletterten, einer nach dem anderen heraus. Erik klopfte sich demonstrativ den Staub aus den Kleidern während er sich über seine Schmerzenden Knochen beklagte.
,, Stellt euch nicht so an.“ , rief Cyrus
ihm zu, der nach wie vor darum kämpfte, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Das Seil schwankte leicht hin und her und machte es dem Wolf schwer, sich irgendwo festzuhalten. ,, Ihr seid um einiges gelenkiger als die meisten Leute in eurem Alter.“
,, Was heißt hier mein Alter ?“ , brummte der Arzt, während er Cyrus das Seil festhielt. Hinter ihm folgte bereits Eden, die sich ihrerseits von dem Wolf herauf helfen ließ und schließlich auch Elin und Armell.
Der Bote besah sich das Schauspiel einen Moment ratlos. Vermutlich fragte er sich, was ein halbes Dutzend Leute so tief unter der Erde suchen mochten.
Doch er fragte nicht, sondern wendete sich nur Galren zu. ,, Ich wurde von Hochgeneral Syle ausgeschickt, euch zu suchen.“ , erklärte er.
,, Nun ich würde sagen, ihr habt uns gefunden.“ Erik streckte sich und brachte die Knochen in seinem Rücken hörbar zum Knacken. ,, Was will der alte Bär von uns ?“
,, Das sagt er euch am besten selbst, Herr.“
,, Der Hochgeneral ist hier ?“ Galren runzelte die Stirn. Waren er und Janis nicht aufgebrochen um Nachforschungen über den Kult anzustellen, der ihn und Armell angegriffen hatte? Das hieß dann wohl,
dass sie Erfolg gehabt hatten. Dass der Mann einen Boten zu ihnen schickte um ihnen etwas mitzuteilen, konnte er ja noch verstehen. Aber warum kam er dafür persönlich hierher, anstatt dem Kaiser Bericht zu erstatten? Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn.
,, Er, und der Sohn des Kaisers, ja. Beide haben verlangt euch zu sprechen. Ich muss euch daher bitten mich so schnell es geht zu begleiten.“ , erklärte er, während Armell als letztes aus dem Brunnen kletterte.
Die junge Adelige sah nicht besser aus, als er selbst, dachte er. Und sie hatte vielleicht noch mehr Grund niedergeschlagen zu sein, als sie alle.
Statt wenigstens einer Antwort hatte es dort unten für sie nichts gegeben. Und auch keinen Weg um Merl zu helfen, wenn er sich das nächste Mal zeigte. Ohnehin war es jetzt Wochen her, dass sie das letzte Lebenszeichen von ihm gesehen hatten. Das letzte an dem Tag, an dem er Galrens Gabe wieder geweckt hatte… Eine Gabe von der er nach wie vor nicht wusste, ob sie nicht viel eher ein Fluch war. Selbst jetzt, wo er sie nicht bewusst nutzte konnte er den schwachen Sog an seinem Geist spüren, den Schimmer eines Pfads sehen, den er nicht gesucht hatte. Etwas wollte ihn nach Süden treiben, dachte er. Wie schon zuvor, als er seine Gabe genutzt
hatte um die Katakomben zu finden. Und was immer dort war es schien jetzt näher zu sein als noch zuvor. Galren versuchte, den fremden Einfluss so gut es ging zu ignorieren und schüttelte den Kopf.
Elin schien zu spüren, was in ihm vorging. ,, Sag mir jetzt nicht ,das alles mit dir in Ordnung ist.“ Das Mädchen musterte ihn besorgt. Für jemanden, der so sprunghaft und manchmal auch schlicht und ergreifend ungehobelt sein konnte wie sie, konnte man ihr nur schwer etwas vormachen.
,, Nein… Aber ich komme damit klar.“ Noch, fügte er in Gedanken hinzu. Aber sie an seiner Seite zu wissen, hielt ihn
umso mehr davon ab, wieder zu fallen. Diesmal wusste er, was auf dem Spiel stand. Hoffentlich. Aber er hatte diesem verrückten, wunderbaren Mädchen ein Versprechen gegeben und das würde er auch halten.
Während sie dem Boten durch das Tal zurück zum Lager folgten, wanderte ihre Hand wie von selbst in Seine. Den Weg brachten sie Größtenteils Still hinter sich. Der Bote schien nicht zu wissen, warum man ihn ausgesandt hatte, oder schwieg sich zumindest beharrlich darüber aus. Und was die anderen anging, so hatten sie alle mehr als genug, worüber sie nachdenken konnten. Nach wie vor war Galren davon
überzeugt, dass sie etwas übersahen. Und er fürchtete, die Antwort jetzt früher zu bekommen, als gedacht. Wenn dieser Kult, den Syle und Janis verfolgt hatten, den Herrn der Ordnung anbetete, dann war es kein Zufall, dass sie hierhergekommen waren.
Vor ihnen tauchte ein großer eingefallener Steinbogen auf der Spitze einer Reihe von Hügeln auf.. Eine der lange zu einzelnen Pflastersteinen zerfallenen Prachtstraßen führte direkt dazwischen hindurch und in Richtung Fluss. Und damit auch in Richtung des Expeditionslagers. Galren und die anderen beschleunigten ihre Schritte, während sie unter dem rosa
schimmernden Bogen hindurch liefen. Einst hatte der Marmor weiß gestrahlt und vielleicht ein Stadttor gebildet. Mit den Aonen jedoch hatte sich der rote Staub des Tals in die Oberfläche gebrannt und was einst eine der größten Städte des alten Volks gewesen war, war heute nicht mehr als eine Ansammlung von Ruinen. Zerstörte Bauwerke, Tempel , Häuser und Arenen zogen sich über die gesamte Länge des Tals. Einst mussten hier Hunderttausende gelebt haben… heute waren es nur noch die paar Ausgrabungstrupps, die Erik hierher geführt hatte. Das Tal selbst zog sonst außer einigen Schäfern nicht mehr viele Leute an. Die Ruinen waren längst alle
geplündert und das Land selbst bis auf die Schatten unter den hohen Klippen unfruchtbar und verdorrt.
Das Lager war in Aufruhr. Als die ersten Zelte schließlich vor ihnen sichtbar wurden, wusste Galren sofort, dass etwas nicht stimmte. Zwischen den gespannten Leinen und den wenigen noch bewohnbaren Ruinen waren hunderte von Menschen unterwegs… und die wenigsten davon wirkten wie Eriks Arbeiter. Stattdessen konnte er überall die blauen Uniformen der kaiserlichen Garde erkennen. Auch wenn diese bereits begannen, sich durch den roten Lehm und Stab Violett einzufärben. Die meisten standen im Schatten der Zelte,
säuberten ihre Waffen oder Fütterten die Pferde. Es war eine kleine Armee, dachte Galren, als sie die ersten Ausläufer des Lagers erreichten. Die meisten der Männer schenkten ihnen nicht viel Beachtung, doch Eriks Vorarbeiter kamen bereits panisch auf ihn zu. Der Mann beschwichtigte sie rasch mit einigen Worten in der Clansprache und schickte sie, aus, die anderen zusammen zu rufen, ihren Lohn zu nehmen … und so schnell wie möglich aus dem Tal zu verschwinden. Ahnte der Alte etwas, das ihnen entging? , fragte Galren sich heimlich. Vielleicht war er auch nur vorsichtig. Immerhin, um zu sehen, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen
zuging, musste man kein Seher sein.
Sie fanden Janis und den Hochgeneral schließlich vor einem großen Rundzelt, das Eriks Männer über dem eingefallenen Dach einer Ruine gespannt hatten. Das Leinentuch war etwas größer als die noch stehenden Grundmauern des Gebäudes und so gab es auch davor etwas Schatten. Die beiden Männer wirkten sichtlich erschöpft,. Das war das erste was Galren auffiel. Janis hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt, sein Gesicht war verhärmt und angespannt, als wolle die Haut über seinen Knochen reißen. Erst, als er sie bemerkte, schien er sich etwas zu entspannen und kam mit Syle im
Schlepptau auf sie zugeeilt. Das Fell des Bären war sichtlich länger geworden und verfilzt, als hätte er sich Tagelang nicht mehr darum gekümmert… oder auch nur geschlafen. Trotzdem sah er ihnen mit klarem Blick entgegen. Janis Haare hingegen waren kurz geschoren worden… und das offenbar ziemlich stümperhaft. Stellenweise waren nur noch einige Stoppeln übrig und im Gegensatz zu dem Bären war es nicht nur Erschöpfung, die ihm zu schaffen machte. Er schien niedergeschlagen und hatte den Blick gesenkt, als sie ihn erreichten.
,, Eure Majestät, Hochgeneral…“ Erik begrüße die beiden mit einer
angedeuteten Verbergung. ,, Ich hatte keinen königlichen Besuch erwartet, sonst hätte ich das Lager ein wenig in Ordnung gebracht.“
,, So königlich sieht er gar nicht mehr aus.“ , platzte Elin heraus. Und es stimmte wohl, musste Galren zugeben. Er hatte Janis auf den ersten Blick kaum erkannt. Früher hätte dieser so eine Bemerkung wohl kaum auf sich sitzen lassen. Galren hatte ihn als einen Arroganten jungen Mann kennengelernt, doch nun ließ er den Spott der Gejarn mit einem müden Lächeln über sich ergehen. Es schein beinahe, sie hätten einen anderen Menschen vor sich…
,, Ich fürchte, der Anlass für unseren
Besuch hier ist kein fröhlicher.“ , erklärte Syle. Langsam begann er zu erzählen, was sich zugetragen hatte, von dem Moment, an dem sie sich getrennt hatten. Doch als er davon sprach, wie sie sich in das Lager des Kults geschlichen hatten, wie Lucien abgestürzt war, schien Eden sichtlich in sich zusammenzusinken.
,, Lucien ist tot ?“ Sie musste ihn wohl gekannt haben, dachte Galren. Er hatte den Namen grade zum ersten mal gehört. Und doch wirkte die Gejarn wirklich getroffen…
,, Er starb mit einem Lächeln, Herrin.“ , erklärte Syle. Auch ihn schien es sichtlich mitzunehmen, über den Verlust
des kaiserlichen Agenten zu sprechen.
,, Natürlich tat er das.“ Eden schüttelte den Kopf und blinzelte eine Träne weg. Statt zu weinen, begann sie zu lachen. ,, Dieser verrückte Mensch hätte gar nicht anders antreten können. Selbst im Tod treibt er noch seine Spielchen. Aber wie führt euch das hierher?“
,, Jeder einzelne Kultist im südlichen und östlichen Kaiserreich ist im Augenblick auf dem Weg hierher. Wir mussten die letzten drei Tage durchreiten um sie noch zu überholen und vor ihnen hier zu sein… und trotzdem können sie nicht mehr weit hinter uns sein. Wir müssen hier weg, bevor sie eintreffen.“
,, Moment… wir können nicht einfach so
gehen.“ , protestierte Erik. ,, Wir können ihnen das hier nicht überlassen..:“
,, Was alter Mann, den Staub und die Felsen ?“ Janis schüttelte den Kopf. ,, Die Ruinen werden in einem Jahrhundert auch noch hier sein. Aber wenn wir hoffen wollen auch nur halb so alt zu werden, müssen wir jetzt los.“ Er hatte den Satz kaum beendet, als die Welt plötzlich erzitterte. Schreie wurden vom östlichen Ende des Lagers laut… und dann brachen plötzlich ein dutzend kreischender Schatten durch die Reihen der Gardisten. Männer wurden hoch in die Luft gewirbelt und Zelte innerhalb weniger Herzschläge niedergerissen. Galren musste sich zur Seite werfen um
einer messerscharfen Kralle zu entkommen, sah wie eine mit schwarzen Schuppen bedeckte Hand an ihm vorbeifuhr. Galren schlug schwer auf dem staubigen Boden auf. Hinter den dunklen Gestalten, die in unförmige Roben gekleidet waren, stürmten bereits tausende weitere in das Lager. Vereinzelt hallten Schüsse, versuchte sich die überraschte Garde neu zu formieren. Galren stemmte sich wieder hoch und zog das Schwert. Rasch drehte er den Kopf um die andere zu rufen.
,, Wir müssen hier…“ Weg hatte er sagen wollen. Doch es gab niemanden, der ihn hätte hören können. Um ihn herum tobte das Lager. Kugeln sirrten durch die
Luft, Zauber verpufften knisternd. und doch konnte er weder Elin noch sonst jemanden in all dem Chaos auswendig machen. Er war alleine…