Kapitel 86 Sprengpulver
Die dicken, stabilen Steinwände der Versammlungshalle blendeten jedes Geräusch von draußen aus. Die Feuer, die sie entlang des Hügels entzündet hatten, spiegelten sich in den hohen Fenster und brachten das bunte Glas zum leuchten.
Geborstener Kristall glitzerte im Licht der Fackeln, die sie entzündet hatten. Also war es war, dachte Zyle. Er hatte gehört, dass es vorkam, das die Windspiele eines Zauberers bei seinem Tod zersprangen, doch selber miterlebt hatte er es nie. Das Trümmerfeld jedoch, das den Boden der Versammlungshalle
der Magier bedeckte, sprach Bände. Die Halle selbst war von den Kämpfen, die entlang der Küste getobt hatten bisher verschont geblieben. Trotzdem sah es aus, als hätte hier drinnen ein Orkan getobt. Irisierende Lichtblitze zuckten über die Wände, wann immer die Flammen der Fackeln flackerten, brachen sich auf den scharfkantigen Überresten dessen, was einstmals ein Symbol von Stolz und Hoffnung für Maras gewesen war. Einst hatten oben an der hohen Decke des Saals hunderte von Windspielen gehangen, jedes einzelne von einem Magier gefertigt, der das Ende seiner Ausbildung erreicht hatte. Nun waren es grade mal noch ein paar
dutzend. So viele waren tot, dachte Zyle. Und bevor dieser Tag zu Ende war, würden es vielleicht noch mehr sein. Noch mehr Windspiele, die ihres Lichts beraubt waren und die Halle in Dunkelheit zurück ließen. Alles, wofür sie Jahrelang gearbeitete hatten, lag als Staub zu seinen Füßen.
Der Kristall barst funkensprühend, als er einigen Paladinen half, weitere Fässer mit Schwarzpulver ins Innere zu schaffen. Wenn alles nach Plan lief, würden die Anrückenden Armeen des Herrn der Ordnung eine ziemliche Überraschung erleben, dachte er. Zumindest dürfte es Ablenkung genug sein um jenen, die in die Wälder
entkommen waren, Zeit zu verschaffen. Daran, ob sie selber noch hier heraus kommen würde, verschwendete er jetzt keinen Gedanken, als er das in der Nähe der offen stehenden Tür absetzte. Geschützt davor, von einem zufälligen Brandpfeil getroffen zu werden, aber leicht wieder nach draußen zu bringen. R hatte einem halben Dutzend Paladine gezeigt, wie sie das Pulver in den Fässern verdichten konnten und wie lang die Zündschnüre werden sollten. Immerhin wollte keiner von ihnen erleben, das eines der Fässer zu nah an der Halle hochging. Wenn das geschah brauchten sie sich keine Sorgen mehr darüber machen, wie sie hier
rauskamen.
Zyle warf einen Blick durch die offene Tür, wo Wys den Rest seiner Männer versammelt hatte. Es war eine klägliche Truppe, dachte er. Kaum fünfzig Mann die die roten Umhänge der Paladine Helikes trugen. Der Rest ihrer Brüder war entweder gefallen oder kämpfte jetzt unter einem neuen Mantel für den Herrn der Ordnung. Ihre Panzerungen waren eingedellt und zerkratzt von dutzenden Klingen und mehr als einer hatte bereits Wunden davon getragen. Manchen konnte man ihre Müdigkeit nur zu gut ansehen, während andere auch jetzt noch eine stoische Mine bewahrten und sich auf ihre Schwerter und Speere stützten,
während sie ins Tal hinab sahen. Die Armee, die am Strand von Maras gelandet war, machte sich mittlerweile auf den Weg die Klippen der Insel hinauf. Das Feuer, das Wys und er auf dem Weg zur Halle entzündet hatten, würde sie direkt hierher führen, da war er sich sicher. Und das bedeutete auch, dass ihre Zeit langsam ablief. Hastig versah er einige letzte Fässer mit Schnüren, bevor er und die anderen zu seinem Bruder traten. Wys Carmine sah nicht weniger besorgt aus wie seine Männer. Wie viele tausend mochten da unten die Felsen erklimmen? Aber am Ende war es auch egal. Sie waren mehr als nur in der Unterzahl, dachte Zyle. Ob
nun tausend zu eins oder fünftausend zu eins machte keinen Unterschied.
,, Wir hätten fliehen sollen.“ , bemerkte ein Paladin, der sich nur noch auf einen Speer gestützt aufrecht zu halten schien.
,, Wir sind es gewohnt in Unterzahl zu kämpfen, oder ?“ Wys versuchte sicher ihnen Mut zu machen, doch wenn, dann war es nicht von Erfolg gekrönt. Er war ihr Archont, der letzte der ihnen geblieben war, der Mann dem ihre ganze Treue galt. Und doch wirkte er genauso erschöpft wie sie, war genauso am Ende seiner Kräfte angelangt.
,,Gegen normale Menschen. Aber das da sind Magier der übelsten Sorte, Herr. Und schlimmeres… Unsere eigenen
Brüder haben sich gegen uns gewandt.“ Es hieß, Paladine zeigten keine Angst, aber der Mann der mit Wys sprach, war noch jung und nach Zyles Schätzung wohl noch kein Jahr im Rang eines Paladins. Und er zumindest hatte Angst. Oder zeigte sie zumindest eher, wie der Rest. Wys sprach vielleicht mit ihm, aber es waren alle, die seinen Worten lauschten.
,, Was wollt ihr von mir hören ?“ , fragte er müde und trat vor sie. In seinem Rücken erhellte der Fackelzug den Hügel hinauf die Landschaft und weiter hinten an der Küste wälzte sich, unaufhaltsam, das Herr der Ordnung durch die Ebene. Direkt auf sie zu. ,,
Das unsere Feinde davon rennen werden, wenn sie uns sehen ? Das uns ein Wunder retten wird? Oder das wir eine Chance haben zu Siegen ? Ich werde nichts dergleichen tun. Das wäre eine Lüge. Es spielt keine Rolle, was die Sterne sagen. Oder was ich euch schwören mag. Heute Nacht finden wir alle unseren letzten Frieden.“ Wys kletterte auf eines der letzten Fässer, die man noch nicht ins Innere gebracht hatte. Das Licht der Fackeln fiel durch die Löcher in seinem weißen Umhang. Einen großartigen Archonten gab er ab, dachte Zyle. Mit zerfetztem Mantel und mit Schrammen übersätem Gesicht und Panzer.
Niemand,
der ihn nicht kannte, wäre auf die Idee gekommen das dieser Mann einmal einer der Herrscher Helikes gewesen war. Und doch war seine Stimme kraftvoll und klar, als er sich dieses Mal an alle umstehenden Wendete.
,, Ich weiß, wie viele von euch sich in Augenblicken wie diesen nur den Frieden wünschen. Ich kenn dieses Gefühl nur selber zu gut. Ich sehe dem Schlaf entgegen, Brüder. Ich stehe heute nicht vor euch als Archont… sondern nur als ein weiterer Gefallener.“ Wys löste die Spange, die die Überreste seines Umhangs hielt und warf ihn bei Seite. ,, Und es gibt eine Zeit, in der uns
die Rast vergönnt sein mag. In der alle Schwerter schweigen mögen und in der alles Kriegswerk zu Recht verrostet. Ich wünschte ich könnte sagen dieser Augenblick wäre nicht fern. Doch heute ist nicht dieser Tag. Heute ist die Zeit des Kampfes gekommen. Sie kam zu uns im Gewand der Heimtücke, hat geglaubt uns zerschmettern zu können! Und doch stehen wir heute noch hier.“ Er deutete in Richtung der näher kommenden Truppen. ,, Seht sie euch an, prägt euch die Gesichter euer ehemaligen Brüder ein . Den wo sie bald Staub sein werden, wird keiner von ihnen euch je vergessen! Niemand wir jemals leugnen
können,
was heute hier geschehen ist. Das wir hier waren. Und das wir standgehalten haben. Das wiederum kann ich euch versprechen. Sie werden sich an uns erinnern. Jeden Tag ihres Lebens, werden sie an diesen einen Moment zurückdenken und sie werden erzittern. Paladine, Prediger, es spielt keine Rolle. Und in hundert Jahren, wenn von ihnen und uns nur Staub geblieben ist, werden sich noch ihrer Kinder Kinder von dem Tag erzählen, an dem sich ihnen die letzten Treuen von Laos in den Weg stellten! Dieser Augenblick gehört nicht ihnen. Egal was geschehen mag, dieser Tag ist nicht ihr Sieg. Wir mögen heute
den Tod gefunden haben, aber was tot ist, kennt keine Furcht! Haltet die Reihen geschlossen, haltet sie von der Halle fern… und lasst sie mit jedem weiteren Schritt auf dieser Insel mit ihrem Blut bezahlen.“
Die einsetzende Stille, die auf die Worte seines Bruders folgte, war ohrenbetäubend. Einen Moment lang fürchtete Zyle, niemand hätte ihm überhaupt zugehört. Dann jedoch zog der erste Mann das Schwert und reckte die Klinge zum Himmel. Es dauerte eine Weile, dann ergriff ein zweiter seine Waffe, dann ein dritter, bis schließlich eine Mauer aus scharfem Stahl zu den Sternen deutete, die zwischen den
Wolken hervorschimmerten. Im Osten zeichnete sich grade erst der erste Schimmer goldenen Morgenlichts ab und spiegelte sich auf dem polierten Stahl wieder. Es war kein tobender Applaus, dachte Zyle. Aber irgendwie hatte Wys es geschafft, sie noch einmal anzuspornen. Es änderte nichts daran, dass sie am Ende waren. Es änderte nichts an der Hoffnungslosigkeit ihres Unterfangens… doch als die Männer sich schließlich daran machten, die ersten Fässer nach draußen zu rollen und sich um den Eingang der Halle verteilten, schien die Erschöpfung nach und nach etwas von ihnen abzufallen.
Unten hatten die ersten Ausläufer der
Armee mittlerweile den Fuß des Hügels erreicht. Spätestens jetzt wurde den ersten klar, dass es sich bei den Lichtern am Hügel lediglich um aufgestellte Fackeln und einzelne Feuer handelte, und nicht um die Flüchtigen Magier und Bewohner von Maras. Es dauerte nicht lange, bis die ersten jedoch die wartenden Paladine im Schatten der Halle entdeckten… und die Fässer. Einige erkannten wohl, was vor sich ging und versuchten plötzlich durch die nachrückenden Reihen zurück zu gelangen. Wys gab ihnen keine Gelegenheit dazu. Auf ein Zeichen hin, entzündeten alle Paladine ihre Fässer fast zeitgleich und beförderten sie mit
einem Tritt den Abhang hinab. Ein paar polterten weit ab von der Hauptstreitmacht in die Tiefe und einige platzten auf und verteilten Pulver über den Boden. Doch der Großteil rollte direkt in die Reihen der Angreifer.
Diejenigen, die das Pech hatten, nicht rechtzeitig bei Seite zu springen, wurden von den schweren Fässern überrollt. Die ersten Schreie wurden laut, übertönten das Klirren von Waffen und Panzerungen einen Moment… und dann verschwand die Welt am Fuß des Hügels in gleißendem Feuer. Männer wurden durch die Luft geschleudert, als die ersten Tonnen detonierten, andere flohen panisch vor den aufsteigenden Flammen
oder versuchten nun nur umso schneller den Hügel hinauf zu gelangen. Die eben noch so geordneten Formationen lösten sich auf und jene, die es irgendwie schafften, den Flammen hinauf zur Halle entkommen, liefen den wartenden Paladinen direkt in die Schwerter. Zyle und seine Begleiter waren unterdessen bereits dabei, die nächste Reihe Fässer ins freie zu bringen. Pfeile flogen durch die Luft, die meisten jedoch gingen weit über ihre Köpfe hinweg oder waren viel zu niedrig gezielt und landeten im Gras. Hier oben hatten sie alle Vorteile auf ihrer Seite, dachte er. Von den Zahlen einmal abgesehen. So erschreckend die Wirkung der Pulverfässer auch war , sie
hatten lediglich eine kleine Bresche in die Flut aus Kämpfern geschlagen, die sich bereits neu formierten. So schnell wie möglich brachten sie die neuen Fässer in Position. Aber ob ein zweiter Versuch genau so effektiv sein würde… Noch einmal würden sie ihre Feinde nicht überraschen können, das stand fest. Doch bevor Zyle dazu kam, das Signal zum Anzünden der Lunten zu geben, hielt die Armee unten im Tal auf einmal inne. Er blinzelte verwirrt und richtete sich auf. Doch die übergelaufenen Paladine machten keine Anstalten, den Hügel erneut zu erklimmen. Stattessen jedoch teilten sich ihre Reihen plötzlich. Durch die Gasse,
die sie bildeten näherte sich eine einzelne Gestalt in einem einfachen Pelzumhang. Goldene Anhänger hingen davon herab und fingen das erste Tageslicht ein, das sich grade seinen Weg über den Horizont suchte. Über seiner Schulter lag eine schwere Sense, wie ein Mahnung an alle Lebenden, ihm nicht zu nahe zu kommen. Selbst auf die Entfernung meinte Zyle das Feuer in den Augen des Fremden brennen zu sehen, während er am Fuß des Hügels stehen blieb.
Wys sah wie sich der rote Heilige näherte. Die Anwesenheit dieses Wesens, das vorgab noch ein Mensch zu sein,
war körperlich spürbar, selbst jetzt wo noch gut tausend Schritte zwischen ihnen lagen. Immerhin war der Vormarsch seiner Leute mit seinem Auftauchen erst einmal ins Stocken gekommen, dachte der Archont.
,, Ihr habt verloren. Das müsst selbst ihr einsehen.“ , seine Stimme hallte über die Weisen bis zu ihnen herauf, jedes Wort so klar verständlich, als stünde er neben ihnen. ,, Und dennoch habt ihr euch wacker geschlagen , Archont. Eure Männer haben beweisen, dass sie nicht leicht Aufgeben. Es gibt immer Raum in unseren Reihen für Leute wie euch. Träumer hat mich gebeten, noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen. Ergebt
euch jetzt und das Opfer eurer Männer soll nicht umsonst gewesen sein. Ich schenke ihnen ein Leben in Ehre, wenn sie das Schwert für unsere Sache ergreifen.“
,, Was versteht ihr von Ehre ?“ , rief er hinab. Seine Hand umklammerte den Schwertgriff. Er hatte einen Eid geleistet, dass dieser Mann durch seine Hand sterben würde. Und jetzt stand er dort. So nah und doch unerreichbar für ihn. Und selbst wenn nicht, würde er kaum nahe genug kommen, ohne von der Magie seines Gegners in Stücke gerissen zu werden. Es sei denn… Eine weitere Verzweiflungstat, dachte er. Statt sich wieder dem roten Heiligen zuzuwenden,
sprach er diesmal zu allen Anwesenden… aber vor allem zu den übergelaufenen Paladinen, die ihrem neuen Herrn den Rücken frei hielten. ,, Dieser Mann hat keine Ehre. Kein Verständnis davon, noch kümmert er sich groß darum. Ich habe gesehen, wie er unschuldig hinterrücks ermordete. Er hat sich hinterhältig in eure Herzen und euren geist geschlichen, nicht durch Taten, sondern durch Angst. Und doch wagt er es von Ehre zu sprechen? Ich sage euch etwas. Stellt euch mir in einem fairen Kampf. Stahl gegen Stahl, keine Magie. Wenn ihr mich besiegen könnt, sollen meine verbliebenen Männer euch folgen. Ode lehnt ab und
verkriecht euch wieder hinter eurer Hexerei und Männern, von denen jeder einzelne mehr Wert ist als ihr! Jeder einzelne von ihnen kann mich herausfordern wenn er es möchte. Und ich werde es ihm mit Freuden gewähren. Habt ihr weniger Mut als sie? “
Und tatsächlich richteten sich plötzlich alle Augen plötzlich auf ihn. Selbst die abtrünnigen Paladine sahen den Hügel hinauf auf ihn. Ihrem Archonten. Den in diesem einen Augenblick, egal was man ihnen eingeflüstert haben mochte, war er wieder genau das. Nicht ihr Gegner, sondern ihr Herrscher. Vielleicht einer, den sie nicht mehr folgten, aber nichts desto trotz, der Mann, dessen Stimme
ihnen lange Gesetz gewesen war. Und nun hatte er die Ehre des Mannes angezweifelt, dem sie sich nun verschrieben hatten. Was immer sie nun auch glaube mochten, am Ende waren sie nach wie vor die Männer Helikes. Wenn der rote Heilige seiner Aufforderung jetzt nicht folgte, würden sich viele von ihm abwenden, das wusste er. Für diesen einen Moment, waren sie alle wieder die Männer des Archonten, nicht des Heiligen. Halb hoffte Wys sogar, dass dieser ein Duell ausschlug. Es würde ihm vielleicht die Chance nehmen, ihn mit eigenen Händen zu töten, aber wenn er jetzt etwas Falsches sagte, würde dort unten ein Krieg in seinen eigenen
Reihen ausbrechen.
,, Wie ihr wünscht.“ , rief der rote Heilige schließlich. ,, Ein Kampf ohne Magie. Ich brauche keinen Zauber um euch zu vernichten…“
,, Dan beweist es mir.“, erwiderte Wys. Das war die eine Chance, die er bekommen würde, das war ihm klar. Mit seiner Zauberei konnte dieser Mann ihn mit einem Gedanken töten. Aber wenn es ihm gelang, seinen Stolz gegen ihn auszuspielen, dann konnte er gewinnen…