Ein Hauch von Gier
Da sein Auto unten vor der Haustür geparkt war, wusste sie, dass sie den Schlüssel nicht aus der Tasche kramen musste. Das wäre auch umständlich gewesen, hatte sie doch beide Hände voller Einkaufstüten. Magda drückte mit der Nase auf den Klingelbutton. Wie gut, dass sie Highheels trug, sonst hätte sie die Tüten abstellen müssen um mit dem Finger die Klingel zu drücken.
„Ja, wer ist da?“, fragte er in die Gegensprechanlage. Sie liebte seine dunkle voll klingende Stimme. Jemand sagte mal, seine Stimme klinge brünett. Hach, sie liebte diese farbigen Emotionalien.
„Ich bin´s, Liebling. Habe die Hände voll, war noch einkaufen“, zwitscherte sie ihm zurück und sie wusste, er würde ihre Stimme mit blond umschreiben, wenn jemand ihn fragen würde.
Aber es fragte ihn gerade keiner und schon hörte sie den Summer, stieß mit der Schulter die Haustür auf. Und während sie zum Fahrstuhl ging, wusste sie, dass er - wie jeden Tag - ebenfalls zum Fahrstuhl geeilt war und ihr nun entgegen gefahren kam. Ach sie liebte ihn dafür, wie er auf sie einging, ihr fast jeden Wunsch von den Augen ablas und seinen Mann im Haushalt stand. Nein, ein Pantoffelheld war er nicht, das wäre ungerecht, aber er war mit Leib und Seele Hausmann, wenn er nicht gerade
an der Staffelei stand. Magda freute sich schon zu entdecken, wie weit er heute mit seinem neuen Geschichtenbild gekommen sein würde. Und sie hatte ihm eine irre Geschichte zu erzählen, ein Erlebnis, dass voller Magie war. Wenn ihr das jemand erzählen würde, sie würde ihn für stockbetrunken oder unter Drogen vermuten. „Da bin ich mal gespannt, was Hajo dazu sagen wird. Und vor allem, dass es gleich zweimal geklappt hatte“, dachte sie bei sich und ihr Schmunzeln geriet nun doch zu einem heftigen Auflacher.
Sie blickte erwartungsvoll auf den Fahrstuhl, der nur noch zwei Etagen vom Erdgeschoß weg war. Der Fahrstuhl hielt. Die Tür öffnete sich. Der Fahrstuhl war leer.
Magda schluckte ihre Enttäuschung hinunter. Bestimmt erwartete Hajo sie oben, hatte wohl noch etwas Dringendes zu tun, war möglicherweise gerade schwer in der Küche beschäftigt. Sie lehnte sich der Tür gegenüber an die Wand, nachdem sie mit dem kleinen Finger die Etage gewählt hatte.
Nach ihr schlüpfte eilig die auf jung getünchte Frau Mömpelmaier in den Fahrstuhl, und erfüllte ihn mit einer kräftigen Wolke Parfüm. Magda war versucht, die Luft anzuhalten. Doch die Nachbarin verwickelte sie gleich in ein Gespräch.
„Na, Frau Große, sie werden heute ja gar nicht abgeholt. Und das bei den vielen Einkäufen. Jaja, die Männer…“. Sie lächelte
etwas süffisant und ließ den Satz irgendwie offen.
Magda dachte bei sich: „Du halt mal die Luft an, bei deiner Vorstellung von Treue, alles nur Eintagsbeziehungen, die Du so pflegst.“
„Ich kenne ja ihre Erfahrungen nicht, die sie mit Männern sammeln konnten, liebe Frau Mömpelmaier,“ antwortete sie ihr lächelnd und freute sich, dass sie in der 10. Etage angekommen war und damit der spitzen Zunge der Blondine entkam, die bis in die 14. Etage fuhr.
Als sich die Fahrstuhltür zur Seite schob, erwartete sie davor ihren Mann zu sehen, aber da stand niemand. Es öffnete sich ihr nur der uneingeschränkte Blick durch das
Panoramafenster des Treppenhauses. Und sie genoss für einen Moment den weiten Himmel in seinem abendlichen Blau, wie sie ihn auf einigen der Bilder ihres Mannes liebte. Mit rosa Wölkchen, die in die Ferne segelten, um hinter dem Horizont zu verschwinden.
„Ach, Sonnenuntergänge auf dem Hochhausbalkon“. Sie seufzte und riss sich von dem Anblick los. Diese Sehnsucht konnte sie nicht befriedigen, denn leider war ihr Balkon nach Osten ausgerichtet.
Er hatte die Wohnungstür offen gelassen. Sie trat ein und stellte ihre Taschen und Tüten im Flur ab.
„Hallo, Liebling, du ahnst nicht, was ich heute erlebt habe. Ich wette, du wirst es mir
nicht glauben. Ich war nach Dienstschluss mit Grete noch kurz im Kaffee Größenwahn. Eigentlich wollte ich nur kurz einen Absacker trinken. Da rekelt sich doch auf einem Barhocker ein blaues Schwein. Ja, ein knallblaues Schwein. Mir sind fast die Augen aus dem Kopf gekullert. Weißt du was es sagte, es sei gar kein Schwein, sondern ein verzaubertes Smartphone und ich könne es mitnehmen, wenn ich es küssen würde. Und da dachte ich, vielleicht möchtest du auch eins und bin nebenan in die alte Weinstube gegangen. Ja, da saß auch ein blaues Schwein auf dem Barhocker. Und ich küsste es ebenfalls und auch das wurde zu einem Smartphone.“
Magda hatte während sie erzählte ihre
Schuhe ausgezogen und den Mantel an die Garderobe gehängt.
„Nur eins irritierte mich, Liebling. Die zweite Chimäre in Blau sagte: Aller guten Dinge sind Drei und durch Gier wirst Du alles verlieren.
Ich verstehe nicht, was das Schwein mir sagen wollte. Jedenfalls habe ich für Dich auch ein neues Handy.“
Magda kramte die beiden Smartphones aus ihrer Handtasche und rief in die Wohnung: „Wo bist du, Liebling?“
Sie schaute in sein Arbeitszimmer und sah auf dem Schreibtisch die große Ausgabe von Goethes Farbenlehre.
Er hatte sie bei Blau aufgeschlagen und sein Geschichtenbild hatte einige spannende
Momente in Blau dazugewonnen, wie man sie bei Spitzweg findet, die blauen Schmetterlinge in etwa oder blaue Lichtreflexe im Fenster.
„Hajo? Spielen wir Verstecken? Komm her, ich hab Sehnsucht nach dir! Ich brauche jetzt einen Kuß von Dir nach der ganzen blauen Schweinerei!“
„Hier bin ich“, hörte sie seine Stimme. Sie ging weiter zum Wohnzimmer und erstarrte zur Salzsäule.
Dort saß auf der weißen Ledercouch ein blaues Schwein. Ihm tropften Tränen aus den Augen und er schaute seine geliebte Magda voller Vertrauen an.
"Hier bin ich. Frag mich nicht, ich weiß auch nicht was geschah." Sie hütete sich,
ihm einen Kuß zu geben, streichelte nur über seinen blauen Kopf.
Ihnen gemeinsam würde eine Lösung einfallen.