Kapitel 79 Kriegsrat
Die Versammlungshalle der Zauberer war selten so voll gewesen, wie am Abend ihrer Rückkehr. Und auch selten so erfüllt von Sorgen, dachte Naria. Die Kristallenen Windspiele über ihren Köpfen klirrten leise und erfüllten den Raum mit ihrem stetig wechselnden Lichtern. Jetzt, wo die Sonne draußen unterging, schien das innere der Halle in kalte Flammen getaucht. Die Kristalle brachen das Licht in allen Schattierungen von orange, rot und gelb. Es mischte sich mit den Strahlen, die durch die mit bunten Glasschuppen besetzten Fenster fielen und wirkte so
beinahe Lebendig. Ein unruhiges Ding, das sich beständig verwandelte und beinahe die Stimmung in der Halle nachzubilden schien. Nach allem was Naria wusste, war das gar nicht mal so unwahrscheinlich, legte doch jeder angehende Zauberer einen Teil seiner selbst in den Kristall, der später in der Halle aufgehängt werden würde. Und heute waren fast alle Magier von Maras hier versammelt, zusammen mit den meisten wichtigen Händlern und den Vorstehern von Handwerkern und Farmern. Dazu kamen nun auch noch die Überlebenden aus Helike, die während des ganzen restlichen Tags eingetroffen waren. Nicht alle Schiffe hatten während
des Wegs mit ihnen Schritt halten können und so waren einige Kapitäne erst spät eingetroffen. Mittlerweile lag in der Bucht schon eine ansehnliche Flotte vor Anker und die meisten ehemaligen Einwohner Helikes waren fürs erste in den Nebenflügeln der Versammlungshalle untergebracht worden, wo sie sich erholen konnten. Die Bevölkerung von Maras hatte sich innerhalb weniger Stunden beträchtlich erhöht und natürlich verbreitete sich auch die Nachricht über das, was in Helike geschehen war, wie ein Lauffeuer. Manche schienen es nicht glauben zu wollen, andere hingegen wurden panisch… Ihr Vater war den
ganzen Tag damit beschäftigt, seine Wächter aufzuteilen um zumindest etwas Ordnung aufrecht zu erhalten und war auch, wo sich die Dinge langsam beruhigen, nicht wieder zu ihnen gestoßen. Relina , die im vorderen Teil der Halle stand sah immer wieder über die Menge hinweg, ob sie ihn nicht irgendwo entdecken konnte. Naria konnte sich zwar bereits vorstellen, wo er steckte. Ihre Mutter würde sicherlich auch darauf kommen. Es gab genau einen Ort auf Maras, an dem Zyle sich zurückzog, wenn er nachdenken wollte. Und sie alle hatten bei weitem genug, um das sie sich Sorgen mussten.
Naria hielt sich so gut es ging am Rand
der Menge und lehnte an einer der Säulen, die das Dach des Raums trugen. Sie musste nicht noch einmal hören, was sie selbst erlebt hatte und so schloss sie lediglich die Augen, während Wys erzählte. Etwas, das genau so wenig Erlösung brachte, den in der Dunkelheit warteten wieder nur Schreckensbilder und Visionen auf sie.
Sie wünschte sich, dass wenigstens Sine noch hier wäre. Und dann wieder… es hätte dem Mädchen wohl das Herz gebrochen, wenn Träumer auch sie angegriffen hätte. Dass er sie am Ende verschont hatte, würde kaum etwas ändern… Aber sie würde wenigstens noch Leben, dachte Naria. Und hier sein.
Wys wünschte sich vermutlich dasselbe für Tira. Sie hatten beide in Helike viel verloren… aber ihr Onkel bei weitem mehr als sie. Nämlich wirklich alles, dachte Naria. Helike war sein Lebenswerk gewesen und nun war alles, wofür er Jahrzehnte seines Lebens geopfert hatte in einigen, wenigen schrecklichen Stunden vernichtet worden. Das durfte sich hier einfach nicht wiederholen…
Immerhin schien es auf Maras keine Prediger zu geben, dachte sie. Vielleicht sah der rote heilige die kleine Insel auch einfach nicht als wichtig genug an, um sich mit ihr zu beschäftigen. Außer, wenn sie sich ihm in den Weg stellten…
und das würden sie.
Ihre Mutter und die Räte hörten dem Bericht ihres Onkels nur schweigend zu, während es draußen langsam endgültig Dunkel wurde. Einige Magier entzündeten magische Lichter oder Fackeln, welche die Halle in diffuses Licht tauchten. Relina trug wie schon am Hafen einen langen Federumhang. Das weinfarbene Kleid darunter schien sich im Licht der Fackeln selbst in Feuer zu verwandeln. Ihre Stirn lag in tiefen Falten, abgesehen von dem Teil, der von einer großen, schwingen förmigen Brandnarbe verunstaltet wurde.
,, Wenn diese Kultisten von Helike aus weiter nach Canton wollen und das
wollen sie, dann müsse sie entweder Kalenchor überrennen, woran bisher noch jede Streitmacht gescheitert ist, oder den Weg über das Meer nehmen.“ , erklärte Wys ruhig. ,, Die sicherste Route wird sie dabei direkt nach Maras führen und ich bezweifle, dass sie uns links liegen lassen. So wie ich die Lage sehe, gibt es zwei Möglichkeiten, wir fliehen, oder wir bekämpfen sie hier. So oder so, der Sturm kommt. Was jetzt zu tun ist, zu entscheiden, wie wir ihm begegnen wollen.“
,, Und was schlagt ihr vor ? Nach dem was ihr uns erzählt habt, ist dieser Mann, dieser rote Heilige, alleine dafür verantwortlich, dass ihr die innere Stadt
verloren habt. Und mittlerweile verfügt er über Laos Ressourcen und Männer. Ich sehe nicht, wie wir diesen Kampf gewinnen könnten.“ , erklärte der Vorsteher der Handwerker. ,, Aber ich bin kein Stratege… vielleicht sollten wir Zyle dazu hören ?“
,, Zyle ist nicht hier.“ , erklärte Relina kurz angebunden. Kurz wurde Gemurmel laut, während sich Köpfe suchend umdrehten um nachzusehen ob sie den Anführer der Wächter vielleicht doch irgendwo erspähen konnten. Relina lenkte die Aufmerksamkeit rasch wieder auf sich, in dem sie fortfuhr: ,, ich glaube jedoch, dass er euch zustimmen würde. Das will ich nicht bestreiten.
Zahlenmäßig sind wir ihnen weit unterlegen. Aber wenn es um Magie geht, spielen Zahlen alleine nur selten eine Rolle. In dieser Halle befindet sich die größte Ansammlung von Magiern außerhalb des Sangius-Ordens. Viele von euch haben noch in Helike mit mir gekämpft. Ich habe nicht vor, das alles aufzugeben. Und wir haben einen Vorteil: Wir wissen, dass sie kommen und wir wissen, dass es bald geschehen wird. Wenn wir zusammen stehen, haben wir eine Chance.“
,, Aber ihr wisst nicht, mit was ihr es zu tun habt. Ihr habt den Archonten doch selbst gehört…“ , warf der Handwerksmeister ein. ,, Helike wurde
an einem Tag überrannt. Was können wir uns da erhoffen, Magie hin oder her? Naria, ihr wart dort… was sollen wir eurer Meinung nach tun?“
Die Nennung ihres eigenen Namens riss die Gejarn aus ihren Gedanken. Bisher hatte sie nur halb zugehört. Am Ende war es egal, was die Versammlung entschied. Sie würde sich danach richten. Jetzt jedoch…
Sie blickte einen Moment in die Runde. Naria hatte nicht damit gerechnet, dass man sie nach ihrer Meinung fragen würde. Langsam sah sie sich in der Halle um. Mittlerweile hatten sich fast alle Anwesenden zu ihr umgedreht. Sie sah die Gesichter von Freunden und
Fremden gleichermaßen. Alte Kollegen, Lehrer, die sie in der Magie und allem anderen unterrichtet hatte, einen der Schäfer, den sie als Kind mal eines seiner Tier entführt hatte. Aber sie sah auch die entschlossenen Gesichter von Zyles neuen Wächtern. Rethan, Jorick, Erin , Aaron und all die anderen. Ihr Vater musste sie während ihrer Abwesenheit in den Stand eines vollwertigen Wächters erhoben haben, den heute trug jeder von ihnen ein schlichtes Kettenhemd, schwere Stiefle und Handschuhe und einen hellgrünen Umhang, der mit türkisfarbenen Stoff abgesetzt war. Die normale Stadtwache trug lediglich grün, doch diese jungen
Männer waren nicht bloß mit dem Schwert geschult, sondern auch in der Magie. Eine gefährliche Kombination… Aber reichte es gegen die Bedrohung aus, der sie sich hier stellen mussten? Bei ihrer Abreise waren sie noch halbe Kinder in den Augen der Insel gewesen…
Und Kinder gab es genug hier, dachte sie betrübt. Junge Magier, die Kidner der Dorf und Stadtbewohner, manche kaum älter als fünf, andere schon fast junge Männer und Frauen. Wenn sie blieben und versagten würden sie sterben…
Und wenn sie gingen, ging das gemeinsame Lebenswerk aller hier
anwesenden in Flammen auf. Maras. Hoffnung in der Sprache der Herzlandclans… Eine dem Untergang geweihte Hoffnung, wie es schien. Und wenn sie aufgaben, was stand dann noch zwischen dem roten heiligen und dem nichts ahnenden Kaiserreich? Bis ein Bote von Kalenchor aus die fliegende Stadt erreichte würden Wochen vergehen. Naria machte sich keine Illusionen, dass sie die gesamte Streitmacht Helikes so lange würden aufhalten können. Aber es wäre eine Verzögerung. Und vielleicht konnten sie zumindest die Kinder und Alten zuvor von der Insel bringen… Es war ein fauler Kompromiss, das wusste sie. Aber
sie konnte sich auch nicht überwinden, ihre Niederlage einzugestehen. Vielleicht hatte sie das auch mit ihrem Onkel gemein, dachte sie. Irgendwie hatte es der Mann geschafft, seine verstreuten Leute wieder aufzubauen…
,, Wir kämpfen.“ Mochten die Geister ihr gnädig sein. ,, Wir bringen alle, die sich nicht verteidigen können von der Insel und bereiten uns dann auf die Ankunft des roten Heiligen vor. Ich sage nicht, das wir gewinnen… aber wir würden sie aufhalten und damit den Flüchtlingen Zeit verschaffen…“ Und einem Boten aus Kalenchor, dachte sie, wagte es jedoch nicht davon zu erzählen. Sie wussten nicht einmal, ob überhaupt
jemand den Grenzposten des Kaiserreichs lebend erreicht hatte. ,, Aber wir werden kämpfen.“ , erklärte sie erneut.
,, Gut. Dann wäre das ja geklärt.“ , rief da eine Stimme aus dem hinteren Teil des Saals, die sie nicht mehr zu hören erwartet hatte. Die Menge machte Hedan rasch Platz, während der alte Kapitän sich nach vorne drängte.
,, Hedan !“ Naria hatte sich selten so gefreut jemanden zu sehen. Der Mann schien der einzige im Saal zu sein, der nicht verzweifelt oder besorgt dreinsah. ,, Ihr seid noch hier ?“
,,Ich die Immerwind und der Großteil meiner Crew.“ , erwiderte Hedan
grinsend. ,, Und ihr werdet bald verdammt froh sein, das ich es bin. Ich bin jedenfalls bei dem Tanz dabei, wenn ihr mich den haben wollt. Es ist zu lange her, dass ich eine Klinge in der Hand gehabt habe… und ich glaube ich kann euch auch noch anders von nutzen sein.“
,, Soll das heißen ihr habt einen Plan ?“ , fragte Relina.
,,Ha.“ Der Mann lachte. ,, Ich würde es keinen Plan nennen, Frau, aber es ist besser, als das was ihr vorhabt. So wie ich das verstehe habt ihr vor, hier herumzusitzen und euch Einzuigeln, bis diese Irren euch holen kommen. Ich schlage vor, wir heißen sie gebührlich willkommen… und es erst gar nicht zu
einer Landinvasion kommen zu lassen. Und so wie ich das sehe, habt ihr einen ganzen Haufen Schiffe, die niemand mehr braucht, wenn das nicht klappt. Mögen sie noch so viele sein, wenn es ihnen die Planken unter den Füßen zerfetzt ertrinken sie trotzdem..“
,, Ihr redet davon eine Handvoll Schiffe gegen die gesamte Flotte Helikes zu führen.“ , warf Wys ein.
,, Mag sein, das wir in der Unterzahl sind, Archont, aber als ich das letzte Mal nachgesehen habe, hat es euer Volk immer noch nicht fertig gebracht, Skorpione und Schleudern gegen ein paar Bordgeschütze einzutauschen. Das da draußen jedoch, sind Handelsschiffe
aus Canton. Sie sind vielleicht nicht schwer bewaffnet, aber ein einziger Treffer kann eine eurer Galeeren zerschmettern. Und wir haben die Immerwind. Wenn ihr mir diese Flotte gebt, kann ich sie vor Maras positionieren und wenn wir es klug anstellen, einiges an Schaden anrichten. Vielleicht könnten wir sogar gänzlich verhindern, das es zu einer Landung kommt… zumindest, würde es sie Schwächen und wir würden Zeit gewinnen.“ Hedan hatte die Arme in die Hüften gestemmt und wartete auf die Antwort der Räte.
,, So wie ihr das sagt, klingt das beinahe, als hätten wir einen Vorteil.“ ,
bemerkte der Handwerksrat.
,, Es ist ein Vorteil.“, beharrte Hedan. ,, Einen, den ihr ergreifen solltet. Ich weiß nicht viel, über Magie, aber mit Seeschlachten kenne ich mich aus. Zahlen können auf dem Meer alleine nicht immer eine Schlacht entscheiden. Die Galeeren Helikes sind wendiger, aber um einiges leichter bewaffnet. Die meisten ihrer Projektile kommen nicht mahl durch die Planken eines kaiserlichen Kriegsschiffs. Die einzige Art, auf die sie uns gefährlich werden könnten, wäre, unsere Schiffe zu entern. Und ich habe nicht vor, ihnen Gelegenheit dazu zu geben. Sobald die Flotte in Sicht kommt, lassen wir unsere
eigenen Schiffe auslaufen und lassen sie eine Feuerlinie entlang der gesamten bedrohten Küste bilden. Bevor überhaupt jemand merkt, was geschehen ist, wird von ihren Galeeren nur noch Kleinholz übrig bleiben. Alles, was ich von euch dazu brauche, ist eine Chance und euer Einverständnis, ein paar Leute einzuweisen. Es müssen nicht einmal erfahrene Seeleute sein, das Manöver an sich ist einfach und eine Kanone zu laden dauert nicht lange… Also ?“
Also hatten sie eine Chance, dachte Naria.