Titel
Mein Beitrag zum Forenbattle Nummer 50 - die ganze Welt der Farben.
Wisse, selbst wenn du nur noch rot siehst. Deine Umwelt strahlt in allen Farben.
Pflichtworte
Schimäre, Goethe, Farbenlehre, Magie, Staffelei, Horizont, Barhocker, Pantoffelheld
Gewählte Farbe - Rot
Mit den Worten: Blut, Liebe, Leidenschaft, Gefahr
Sie sitzt auf einem Barhocker vor ihrer Staffelei. Ihr Blick ist starr auf den Horizont gerichtet. Genau dorthin, wo Meer und Himmel sich berühren. Diese scharfe Kante zwischen Hell- und Dunkelblau.
Wie ohnmächtig lässt sie ihren Pinsel über die Leinwand gleiten.
Die Aufgabe: Male deine Gefühle.
Ihr Bild ist rot. Eine einfache rote Leinwand. Rot, wie das Blut, das ihren lang ersehnten Traum zerstört hatte. Ein blutrotes Meer. Genau, wie diese Schimäre - dieses Trugbild - in ihrem Kopf, das sie einfach nicht loslässt.
Schwimmend in einem roten Meer brechen Wellen aus Blut über sie hernieder. Sie droht zu ertrinken, sucht nach der Hand ihres Mannes, von dem sie hofft, dass er sie
heldenhaft in ein Boot zieht.
Sie braucht ihren Mann, um wieder ins Leben zurückzufinden, aber sie weiß: Ihr derzeitiger Zustand bringt ihre Liebe in Gefahr. Sie fragt sich, ob sie das überstehen. Ob die Beziehung gefestig genug ist. Ob es noch Leidenschaft geben wird, oder wird er sie nicht mehr anrühren wollen?
Ist seine Liebe stark genug? Sie hofft inständig, dass ihr Mann wirklich der Ritter in strahlender Rüstung ist, für den sie ihn hält. Und kein Pantoffelheld, der seine Frau bei Problemen sitzen lässt.
Dies wird sich heute zeigen, denn er darf sie besuchen.
Ein Blick auf die Uhr. Es dauert noch etwas, bis ihr Mann kommen wird. Sie steht auf, geht zu dem kleinen Tisch in ihrem Zimmer. Sie nimmt die Flasche Orangensaft, die neben einem Gedichtband von Goethe steht. Sie schüttet sich den Saft ein.
Orange soll ja für Lebensfreude stehen. Zumindest hatte sie es so in einem Buch über Farbenlehre gelesen. »Als ob man Lebensfreude trinken könnte«, murmelt sie zynisch und wirft ihren Begleiter zur Farbtherapie beiseite.
Sie betrachtet die Leinwände der letzten Tage. Allesamt sind vollkommen schwarz und sollen die Leere darstellen, die sie in sich fühlte. Dies ist jetzt anders. Sie horcht in sich hinein: Wut. Auf die Situation. Auf sich selbst.
Auf das Schicksal, das ihr genommen hatte, was sie sich so gewünscht hatte.
Sie mischt etwas schwarz unter ihre rote Farbe, tunkt den Pinsel hinein und lässt all ihre Wut an der Leinwand aus. Ein dunkelrotes Gewirr, auf dem blutrotem Meer.
Ihre Tränen fließen. Sie weint zum Ersten mal, seit sie ihr Baby verloren hat.
Ach, wenn Magie doch nur wirklich wäre - denkt sie.Dann hätte ich wenigstens eine Möglichkeit die Zeit zurückdrehen zu können.
»Herein«, sagt sie, immer noch schluchzend, als es an der Tür zu ihrem Zimmer klopft. Ihr Mann kommt herein. Auch er wirkt verletzt und verbittert, aber er lächelt seine Frau an. Er geht auf sie zu, nimmt sie in seine starken
Arme und drückt sie fest an sich.
»Alles ist gut. Ich bin ja da«, versucht er, seine Frau zu trösten.
»Aber unser Baby ist nicht mehr da«, sie weit bitterlich. Lässt endlich allen Frust raus und Gefühle zu. »Da war Blut, ... so viel Blut. ... Alles war rot«, bringt sie schluchzend hervor. Und ihr Mann, ihr Ritter in strahlender Rüstung, hält sie fest. Lässt sie nicht los. Er gibt ihr einen Kuss auf die Stirn und lässt sie damit seine Liebe spüren.
»Wir stehen das gemeinsam durch«, flüstert er. »Ich bin für dich da.«
Er nimmt ihre Hand und führt sie zur Staffelei. Gemeinsam malen sie, auf ihr rotes Bild, eine junge, grüne Pflanze mit einem herzförmigen Blatt. Ein grüner Funke Hoffnung. Sie lächelt.
Denn jetzt weiß sie, dass ihre Liebe auch dieses Trauma überstehen wird.