Kapitel 72 Heerlage
Keine zwei Tage später, war das Land um die fliegende Stadt kaum wiederzuerkennen. Hunderte von Zelten erstreckten sich über die Ebene. Viele davon gehörten zu dem stetigen Strom aus Handwerkern , Glücksrittern und Reisenden, die der Hauptstadt Cantons auf ihrem Weg folgten. Jetzt jedoch, wo diese zum ersten mal seit Jahren zur Ruhe gekommen war , hatte auch der stetige, langsame Marsch ein Ende gefunden. Über anderen Zelten jedoch, die sich etwas Abseits des Hauptlagers befanden, wehten die Banner der Zwergenhäuser. Hu8dnerte von
Menschen und Zwergen schwärmten durch das Gewirr aus Seilen und hastig errichteten unterständen, führten Karren und Packpferde mit Vorräten hinter sich her, oder wiesen weitere Männer ein, die Pulver und Lebensmittel brachten. Der Aufbruch sollte schnell vonstatten gehen und so hatte keiner von ihnen in der letzten Zeit viel Schlaf bekommen... Doch der Aufwand schien sich zu lohnen, dachte Hadrir, während er einen kleinen Hügel zu einem dritten Lager hinaufstieg. Wenn nichts mehr dazwischen kam, wären sie am Nachmittag bereits Marschfertig.
Vor ihm erhoben sich mittlerweile Banner mit dem Doppelwappen Cantons ,
wo sich die kaiserliche Leibgarde formiert hatte. Zumindest der Teil, der seinen Kaiser auch begleiten würde. Kellvian hatte auch darauf bestanden ein kleines Kontingent Gardisten in der fliegenden Stadt zu belassen... als Schutztruppe für Quinn, der in seiner Abwesenheit als Statthalter fungieren würde. Irgendwie war Hadrir traurig, das der Mann sie nicht begleiten würde. Er mochte ihn und wichtiger... einen Magier an seiner Seite zu haben konnte im Zweifelsfall über Sieg oder Niederlage entscheiden. Zwar hatte der Ordensmeister ihnen eine Reihe Zauberer zur Verfügung gestellt, doch das halbe duzend Männer wirkten kaum
so, wie er sich Zauberer vorgestellt hatte. Sie alle wirkten nur.. alt. Oder vielleicht wäre verfallen das richtige Wort, den wo ihre Körper gebeugt und verkümmert waren und ihr Haar ergraut, wirkten die Augen vieler noch so schrecklich... Jung. Natürlich hatte Hadrir bereits davon gehört, welchen Preis die Magie zuweilen von ihren Anwendern forderte, aber es derartig vor sich zu sehen war etwas anderes.
Graue Wolken bedeckten den Himmel so weit Hadrir sehen konnte, als er das Gardelager erreichte. Eine grobe Palisade umgab den innersten Ring aus Zelten, wo das Zelt des Kaisers stand. Zwei Gardisten warfen Hadrir einen
kurzen Blick zu, ließen ihn jedoch passieren, als sie in ihm den König der Zwerge erkannten. Er hatte wieder seinen grünen Umhang ohne Wappen und die schwere , ornamentlose Panzerung angelegt, die er als Wächter in der Zwillingsstadt getragen hatte. Nur das sein Kopf nun von einem goldenen Reif gekrönt wurde. Das Metall wog für Hadrir nach wie vor schwerer, als seine gesamte Rüstung oder der Streithammer und das Schwert, das er mit sich führte.
Der Wind brachte Fahnen und Banner zum Flattern, doch zumindest waren sie bisher vom Regen verschont geblieben. Vielleicht hatten sie Glück und das Unwetter zog an ihnen vorbei.
Ansonsten würde Kellvian nichts anderes übrig bleiben, als ihren Aufbruch doch noch zu verschieben. Hadrir hoffte, dass es nicht dazu kommen würde. Er hatte sich die Karten angesehen und die Reise zum roten Tal würde sie Wochen kosten… ob sie überhaupt rechtzeitig kämen um noch etwas auszurichten stand in den Sternen…
Vor dem Zelt des Kaisers, einem großen Aufbau aus hellblauem Stoff und schweren Stangen standen weitere Wachen, die den Zwerg jedoch ebenfalls wortlos passieren ließen. Vielleicht wunderten sich einige von ihnen, warum er ohne jede Eskorte unterwegs war…
aber Hadrir hatte nie viel darauf gegeben und nach dem Zwischenfall mit Kasran war er ohne dessen Leibwächter vermutlich sogar sicherer.
Als er unter der Plane hindurch tauchte, die den Eingang des Zeltes bedeckte, konnte er von drinnen bereits Stimmen hören. Zuerst dachte er, es wären vermutlich nur einige Männer des Kaisers, doch als sich seine Augen an das Halbdunkel im Zeltinneren gewöhnten , musste er feststellen, das sich außer ihm nur zwei weitere Personen hier befanden. Die erste war Kellvian Belfare selbst. Kasran kannte den Kaiser bisher nur in seiner formellen Kleidung, in der er immer mehr wie ein
Gelehrter gewirkt hatte. Doch in voller Rüstung verströmte selbst der sonst so gesetzte Mann etwas Gefährliches. Unter dem vergoldeten Brustharnisch den er trug lugte türkisfarbener Stoff hervor. Die Farben des Sangius-Ordens. Und in den Stahl getrieben prangte ein Wappen, das man sonst in Canton nur noch selten zu Gesicht bekommen würde. Die Wappentiere des Kaiserreichs, Adler und Löwe, umgaben einen stilisierten Tropfen. Das Symbol des Ordens und das des Kaiserreichs in einem… Schwere Stiefel die mit goldenen Insignien besetzt waren und mit Gold und türkisfarbenem Stoff überzogene Panzerhandschuhe vervollständigten die
Ausrüstung. Es hieß, es war noch Simon Belfare selbst gewesen, der diese Rüstung einst trug und Hadrir war geneigt das zu glauben. Überall im Stoff, sowie kaum sichtbar ins Metall eingelassen, schimmerten mit Kristall ausgelegte Runen und Schutzzauber. Und auch wenn er nicht einmal das Gespür eines normalen Menschen für Magie hatte, Hadrir hatte das Gefühl, die Luft um die Gestalt des Kaisers herum flimmern zu sehen. So uralt sie auch waren die meisten der Zauber waren noch aktiv…
Kellvian selbst hatte sich über einen großen Kartentisch gebeugt, der eine ganze Ecke des Zelts einnahm und
musterte die gezeichneten Hügel und Wälder mit gefurchter Stirn. Neben ihm am dunklen Holz der Tafel ruhte ein schweres Breitschwert, ebenfalls eine der uralten Relikte des Kaiserhauses. Das Schwert Simons… Doch wo die Zauber der Rüstung noch deutlich zu spüren waren, schien die Magie der Klinge, sofern sie je welche besessen hatte schon lange erloschen. Die in den Knauf eingelassenen Kristalle waren dunkel und stumpf und selbst das Gold wirkte irgendwie schmutzig.
Hadrirs Blick wanderte weg von Kellvian zum zweiten Gast des Kaisers. Eigentlich hätte er damit rechnen können, dachte er, als er Kasran
erblickte. Der Thane der Mardar stand auf seinen Rubinstab gestützt da und schenkte seinem König nicht mehr Aufmerksamkeit, als wenn grade ein Diener das Zelt betreten hätte.
,, Was sucht ihr hier ?“ , verlangte Hadrir sofort zu wissen. Es fehlte ihm grade noch, das Kasran sich weiter einmischte, jetzt wo er endlich einmal zumindest einen kleinen Sieg errungen hatte.
,, Verzeiht, er ist auf meinen Wunsch hier.“ Kellvian wendete sich von den Karten ab und trat mit einem müden Lächeln auf Hadrir zu. ,, Ich dachte er sei euer Berater, König Hadrir ?“
Der Kaiser strich sich durch das langsam
ergrauende Haar und sah sorgenvoll zwischen Thane und König hin und her.
,, Ich habe dem Kaiser lediglich erläutert, das ich euren Vorschlag unterstützen werde.“ , erklärte Kasran ruhig. ,, Allerdings… das Land derart zu gewinnen… Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, Hadrir. Das ihr die Häuser dabei allerdings derart übergeht, werden sie euch nur schwer verzeihen. Ihr habt euch in eine gefährliche Position begeben.“
,, Nicht gefährlicher als die Schlacht die vor uns liegt.“ , meinte Hadrir und versuchte dabei zuversichtlicher zu klingen, als er sich fühlte. Ihm ar durchaus klar, was der alte Zwerg ihm
damit sagen wollte. Wenn er nicht aufpasste, würde er eines Morgens nicht mehr aufwachen. Die Zahl seiner Feinde hatte sich beträchtlich vermehrt. Und ob Kasran nicht einer davon war, würde sich erst noch zeigen müssen. Der Thane machte eine angedeutete Verbeugung und trat dann an Hadrir vorbei aus dem Zelt.
,, Manchmal weiß ich nicht ob er mir einen Gefallen tun oder mich Tod sehen will.“ , seufzte Hadrir.
,, Vielleicht beides.“ Hadrir wusste nicht, was er von dieser Antwort halten sollte.
,, Ihr wolltet mich sprechen ?“
Der Kaiser nickte ,,Ich glaube ihr habt
euer Volk gut unter Kontrolle. Soweit das eben möglich ist. Euer Thane war so freundlich mir eure Situation zu erläutern… Ihr sitzt in einer ziemlichen Zwickmühle, Hadrir. Aber ihr meistert das erstaunlich gut.“
Das Lob überraschte Hadrir und zu seiner Überraschung fühlte er sich tatsächlich besser. Nicht viel… aber etwas.
,, Ich bin eine wandelnde Katastrophe, Herr. Ich hätte nie König werden dürfen… und wollte es auch nie. Wenn ihr mit Kasran gesprochen habt, sollte euch so viel klar sein. Ich kann wenn es zu einer Schlacht kommt für die Loyalität meiner Leute bürgen. Was den
Rest angeht… Bin ich verloren. Ihr meint ich hätte die Sache unter Kontrolle? Ich fürchte ihr könntet euch nicht mehr irren. Ich bin für die Thanen nur eine Schachfigur. Ich will nur mein Leben zurück.“
,, So so.“ Kellvian grinste, als gäbe es irgendwo einen Witz, den Hadrir nicht Verstand. Doch anstatt sich zu erklären, setzte er sich lediglich an einen kleinen Tisch an der Rückwand des Zelts und bedeutete dem Zwerg sich ihm gegenüber niederzulassen. ,, Wisst ihr ihr erinnert mich an jemanden. Lasst mich euch eine Geschichte erzählen, wenn ihr erlaubt…“
Hadrir zuckte lediglich mit den
Schultern. Was sollte ihm eine Geschichte schon bringen? Andererseits ersparte es ihm, das Zelt zu verlassen. Kasran würde bestimmt draußen schon auf ihn warten… um ihn mit Vorwürfen und Vorschlägen zu bombardieren, da war er sich sicher.
,, Ich kannte einmal einen naiven jungen Mann, der der Meinung war, vor seinen Aufgaben davon laufen zu können. Vor der Verantwortung für seine Taten, den Opfern die es von der Seele verlangt… und den Zwang den die Geburt mit sich bringen kann. Am Ende hat es ihm nichts genützt, wisst ihr? Dennoch sollte es viele Jahre dauern, bis er verstand und erkannte, dass man sich seinem
Schicksal nur stellen kann. Wir können die Aufgaben die uns zugedacht sind nicht immer mit unserem Leben in Einklang bringen… Und die Entscheidungen sind nicht immer bequem. Das macht sie jedoch nicht weniger wichtig. Ihnen nicht zu folgen, Entscheidungen einfach nicht zu treffen, würde bedeuten, alles dem Chaos anheimfallen zu lassen, für das andere so hart und lange gekämpft haben. Wie gesagt, es dauerte lange, bis er erkannte, dass er seine Rolle spielen musste. Und trotzdem fragt er sich bis heute, ob es wirklich die richtige Entscheidung war. Ob er nicht auch hätte fortbleiben können. Andererseits… wer weiß schon
was sonst aus Jiy und mir geworden wäre. Auch die Zweifel gehören wohl dazu…“
,, Der Junge… das wart ihr ?“ Hadrir versuchte sich den Kaiser als jungen Mann vorzustellen, als jemanden der, seinen eigenen Worten nach, offenbar das genaue Gegenteil von dem Menschen war, dem er sich hier gegenüber fand. Es gelang ihm nicht. Alles, was er sah war Kellvian Belfare wie er heute war. Gelassen aber ernst dabei jedoch nie kalt oder Abweisend. Ein Herrscher, der von seinen Leuten geliebt wurde… Das genaue Gegenteil von ihm selbst.
Kellvian lachte, als er Hadrirs skeptische Mine sah. Ein leiser, aber ansteckender
Laut, der selbst die Laune des Zwergs wieder etwas hob.
,, Glaubt ihr wirklich, es gäbe Menschen, die zum Herrschen geboren währen ? Ich war ein naiver Narr, Hadrir. Und ein Teil von mir möchte es auch immer noch sein. Und ich bereue es auch nicht. Ohne das hätte ich Jiy nie kennen gelernt… Aber ich fürchte auch nicht, wer ich sein kann und muss. War tut ihr es ?“
,, Ich bin kein Herrscher.“ , erklärte der Zwerg vehement.
,, Und genau das sehe ich anders. Was habt ihr den getan, als ihr euch der Versammlung gestellt habt? Als ihr sie überzeugt habt euch zu folgen? Als ihr
ohne zu zögern ein Land für euer Volk herausgehandelt habt? Und was habt ihr anderes getan, als ihr Kasrans Einfluss mit Quinns Unterstützung gebrochen habt? Ihr fürchtete euch davor ein Herrscher zu sein, Hadrir. Das ist nicht dasselbe, wie es nicht sein zu können.“
Und vielleicht hatte Kellvian damit sogar Recht, dachte der Zwerg. Er fürchtete sich. Davor zu Enden wie sein Vater. Davor wie Kasran zu werden. Aber zwang ihm jemand dazu? Sein Vater hatte zu wenig geherrscht, dachte er mit ungewohnter Klarheit. Vielleicht hatte auch er sich gefürchtet. Und Kasran ? Kasran hatte keine Skrupel. Er war das andere Extrem. Ein Mann, der
so verwachsen mit der Macht war, das er den Blick auf das wesentliche darüber beinahe verlor. Aber vielleicht gab es einen Mittelweg. Er konnte nicht danebenstehen und zusehen. Aber er konnte auch nicht zulassen, das ihn die Wogen der Politik der Häuser zermalmte…
Bevor er noch länger darüber nachdenken konnte, schwang die Zeltplane erneut bei Seite. Er rechnete schon halb damit, das Kasran zurückkommen würde. Doch stattdessen stand eine in ein einfaches, grünes Kleid gekleidete Gestalt in der Tür. Hadrir hatte nicht damit gerechnet, die Kaiserin außerhalb der Stadt zu sehen. Die
grünen Augen der Schneeleopardin schienen einen Moment heller zu glimmen, als sie Kellvian erblickte. Und dieser schloss die Gejarn ohne zu zögern in die Arme. Einen Moment kam Hadrir sich schlicht fehl am Platz vor und wollte sich am liebsten aus dem Zelt stehlen. Kellvians ganze Art schien sich zu ändern, sobald er seine Frau sah. Die Züge, die immer so ruhig und gelassen wirkten wurden zu einem Grinsen und für einen Moment schien es Hadrir, stand dort wirklich der junge Mann, der er einmal gewesen war. Manchmal gab es wohl doch Momente, in denen man sich erlauben durfte, man selbst zu sein. Ob nun Herrscher oder
nicht.
,, Bitte zwing mich nicht dir zu sagen, warum du nicht mitkommen kannst.“ , flüsterte Kellvian und strich ihr einen Moment durchs Haar. ,, Ich brauche jemanden hier, das weißt du. Auch jemand der alles regelt falls…“
Er beendete den Satz nicht und Jiy nickte lediglich stumm. Falls er nicht zurückkehrte. Ihre Lippen fanden sich zu einem tiefen Kuss. ,, Komm mir nur gesund zurück… und bring Janis und Syle mit…“
,, Genau das habe ich vor…“