Kapitel 70 Feinde und Verbündete
Er war noch keinen Monat König und trotzdem hätte Hadrir bereits dankend auf das Amt verzichtet. Doch das war ihm natürlich nicht möglich, war es doch genau das auf das Kasran hoffen mochte. Der Thane würde ihm wohl nie verzeihen, dass er ihn bei der Wahl übertrumpft hatte und Unabhängig geblieben war… doch gleichzeitig schlug ihm nicht der glühende Hass entgegen mit dem er gerechnet hatte. Auch Kasran Verstand nur zu gut, das hier das Schicksal ihres Volkes auf dem Spiel stand und so war er Hadrir in den
ersten Tagen tatsächlich eine Hilfe gewesen. Allerdings eine, die der Zwerg nur mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend annahm. Kasran Mardar beherrschte das Spiel der Politik perfekt und konnte ihm praktisch alles über die Vorhaben und Meinungen der übrigen Häuser sagen… doch was seine eigenen Pläne anging ließ er Hadrir im Dunkeln. Bei ihm konnte man nie wissen ob man ihm nicht aus Versehen in die Hände spielte. Etwas, das er nach ihrem letzten Zusammenstoß umso mehr um jeden Preis vermeiden wollte. Die Ratschläge des alten Thanen reichten manchmal schon aus um ihm Schauer über den Rücken zu jagen. Gestern hatte er den
alten Zwerg deswegen tatsächlich beinahe geschlagen… du aus seinen Gemächern geworfen. Der Gedanke an den Vorschlag des Alten brachte sein Blut selbst jetzt noch zum Kochen.
Kasran war gegen Abend zu ihm in seine Gemächer Im Palast gekommen. Als König hatte ihm der Kaiser zwar auch ein eigenes Haus in der Stadt zur Verfügung gestellt, aber er fand ohnehin kaum Zeit, die Mauern des Palastes einmal zu verlassen. Dazu nahmen ihn die Verhandlungen mit dem Kaiser und den Häusern viel zu sehr in Anspruch. Kellvian war von sich aus bereit, ihnen Land zuzusprechen, wenn sie dies wollten. Doch anstatt das sich die
Häuser einfach mit dem zufrieden gaben, was man ihnen ohne Gegenleistungen anbot, fanden einige Thanen an den kleinsten Details noch etwas zu mäkeln. Nein die Berge wollten sie nicht, weil sie das von der See abschneiden würde. An der Westküste eine neue Stadt zu errichten würde zu viel kosten… Die umgebenden Fürsten sprachen sich dagegen aus. Es war eine Katastrophe, dachte Hadrir. Und er konnte sich auch des Verdachts nicht erwehren, dass manche der Zwerge absichtlich versuchten, ihn zu blockieren. Mit dem Orden in Rücken wagten sie es vielleicht nicht, offen gegen ihn vorzugehen, aber ihm Steine in den Weg legen das
konnten sie. Kasran hatte ihn ja gewarnt, das sich die Anhänger des Propheten noch immer unter ihnen befinden konnten… und ihm natürlich das Leben schwer machen würde. Aber er konnte sich natürlich nicht sicher sein. Sein Volk war einfach stur. Verdammt, der einzige Grund aus dem er das Ganze noch mitmachte war, das er schlicht nicht aufgeben wollte. Trotzdem schlug ihm das ewige Geplänkel aufs Gemüt. Wenigstens schien es dem Kaiser ähnlich zu gehen, wenn er sich ihren Verhandlungen anschloss. Hadrir wunderte ohnehin, wie der Mann so ruhig bleiben konnte. Jeder andere hätte die Zwerge vermutlich längst aus dem
Saal gejagt und die Sache als beschlossen abgehakt… Kellvian nicht. Er hörte sich die Beschwerden und Einwände der Häuser tatsächlich an und auch wenn er selten mehr machen konnte wie Hadrir, verlor er zumindest nie die Geduld. Der Tag an dem das passierte, wäre der, an dem all ihre Bemühungen zu Nichte wären, das wusste Hadrir. Trotzdem verließ er die Verhandlungen meist genauso mit hängenden Schultern wie der neue Zwergen-König.
Hadrir hätte auf der Stelle einschlafen können, als er sich in seine Gemächer schleppte und Brustharnisch, Armschienen und Beinpanzerung ablegte. Die Rüstung war ebenfalls ein
Rat Kasrans gewesen… Nicht nur das es ihn vielleicht vor einem Messer im Rücken bewahrte, er fühlte sich tatsächlich wohler darin. Er war kein Politiker, verdammt. Mit einem seufzten ließ er sich schlicht aufs Bett fallen und schloss einen Moment die Augen.
Seine Quartiere im Palast nahmen leicht die Fläche eines kleinen Hauses ein. Es gab eine eigene Küche, die jedoch unbesetzt war, da er ohnehin meist mit den Thanenen, dem Kaiser oder Quinn zusammen aß. Es war ihm schlicht sinnlos erschienen, die Diener anzunehmen, die man ihm zur Verfügung stellte, wenn er sie nicht brauchte. Lediglich zwei hatte er behalten, einen
jungen Menschen, der für ihn die Räume in Ordnung hielt und einen Zwerg, der ihm von Kasran als Leibwächter gestellt worden war. Der Mann war Stumm wie alle Gefährten des alten Thanen und Kasran hatte ihm auch nie seinen Namen verraten.. Hadrir war zuerst unsicher gewesen ob er dem Mann trauen konnte, doch wurde dieser nie aufdringlich und hielt seine Nase auch aus seinem Schreibtisch heraus, wenn er ihn daran scheinbar alleine ließ.
Neben der Küche gab es einen großen Empfangssaal, eine eigene Bibliothek und eine Schreibstube, im oberen Stockwerk ein großes Esszimmer und die Schlafräume auf deren Boden
mittlerweile seine Rüstung verstreut lag. Dazu, das Schwert abzulegen kam er nicht mehr, den er musste schließlich einfach eingeschlafen sein. Als König war es ihm neben dem Kaiser und seiner Garde als einem der wenigen erlaubt, Waffen zu tragen. Wenigstens einen Vorteil hatte seine neue Position also.
Als Hadrir das nächste Mal die Augen Aufschlug, war er nicht mehr alleine.
,,Herr…verzeiht, das ich euch Wecke, aber Lord Mardar wartet unten auf euch. Er hat darauf bestanden eingelassen zu werden.“ Der junge Mann in der Livree eines Palastdieners hielt sich dicht bei der Tür, als fürchte er bereits das Hadrir ihn aus dem Raum werfen könnten. In
seinem Kopf drehte sich alles, als er sich mühsam aufsetzte und ins trübe Licht blinzelte. Er konnte nicht lange geschlafen haben, dachte er. Draußen vor den Fenstern war es noch dunkel und das einzige Licht im Raum stammte von einer Reihe von Öllampen, die auf einem kleinen Regal neben dem Bett brannten. Dazwischen wiederum Tickte langsam eine Uhr vor sich hin. Irgendwie hatten es ihm die kleinen mechanischen Wunderwerke angetan. Bevor er sich plötzlich als König wiedergefunden hatte, hatte er sogar ein zwei auseinandergenommen um sich ihr Innenleben anzusehen. Das schien ein anderes Leben gewesen zu sein. Und es
wäre ihm grade um einiges Leiber, als sich mit dem Thanen auseinander zu setzen.
Es war kurz vor Mitternacht… Hadrir stöhnte innerlich auf. Was wollte Kasran nur um diese Zeit noch von ihm?
,, Soll.. Soll ich ihm sagen, dass er morgen früh wiederkommen soll?“ , fragte der Diener unsicher.
Er hätte am liebsten gelacht. Morgen früh wären sie bereits wieder in der nächsten Versammlung. Nein… was immer Kasran ihm sagen wollte, er tat es heute oder gar nicht mehr.
,, Nein schon gut. Sagt ihm, ich komme gleich nach.“
Der Diener verbeugte sich kurz und
verschwand dann wieder zur Tür hinaus, während Hadrir sich den Schlaf aus den Augen rieb und zu einer kleinen Wasserschale trat die auf einer Säule neben der Tür ruhte. Rasch spitzte er sich etwas von der kalten Flüssigkeit ins Gesicht um die ärgste Müdigkeit zu vertreiben. Einen Moment überlegte er, das Schwert noch abzulegen, nahm es dann aber doch mit. Bei Kasran wusste man nie, dachte er, während er die Tür aufzog und ins Treppenhaus hinaus trat.
Unten wartete der Thane des Hauses Mardar bereits auf ihn.
Das Empfangszimmer lag gegenüber der Küche und war bei weitem der größte Raum in seinen Quartieren. Schwere,
golddurchwirkte Teppiche bedeckten den Boden und Wandbehänge die mit Szenerien aus Cantons Herzlanden bestickt waren hingen an den Wänden. Statt Lampen erhellten rauchfreie Kristall den Raum mit sanften Licht und brachten das Gold zum Glitzern. Einige Töpfe beherbergten blühende Ranken, die sich über das einzige Fenster im Raum hinab wanden.
Kasran stand davor und sah auf die von einzelnen Lichtern erhellte Stadt hinaus. Er drehte sich nicht einmal um, obwohl er Hadrir wohl kommen gehört hatte.
,, Bringt uns bitte Wein.“ , meinte er nur an den Diener gerichtet , der dem König gefolgt war. ,, InS Speisezimmer
am besten. Und dann geht. Was ich mit dem König zu besprechen habe ist nicht für eure Ohren bestimmt.“
Der Diener, unsicher ob er die Befehle eines Fremden so einfach annehmen durfte, sah hilfesuchend zu Hadrir. ,, Tut was er sagt.“ , meinte er lediglich, bevor er und der Thane sich aus dem Weg auf den Saal machten. Der Leibwächter, den Kasran ihm zur Verfügung gestellt und er ebenfalls an der Tür gewartet hatte, machte Anstalten ihm zu folgen. ,, Ihr bleibt und stellt sicher, dass wir ungestört bleiben.“
Hadrir hatte eigentlich fest damit gerechnet, das Kasran oder der Mann protestieren würde. Soweit das einem
Stummen eben möglich war. Doch der Wächter verbeugte sich nur und kehrte widerstandslos zu seinem Platz an der Pforte zurück. Auch wenn er auf ihn hörte, mit Kasran in der Nähe wollte er einen seiner Männer sicher nicht im Nacken haben…
,, Also was kann ich für euch tun ?“ , fragte Hadrir , als sie schließlich alleine am großen Tisch im Speisezimmer saßen. Der riesige Raum war für die Gesellschaft einer ganzen Adelsfamilie ausgelegt und nur mit ihnen beiden wirkte er… leer. Überdimensioniert. Hadrir hatte sich hier noch nie wohl gefühlt und sich jetzt Kasrans bohrendem Blick auszusetzen machte die
Sache nicht besser. Der Thane antwortete nicht sofort, sondern goss sich lediglich etwas Wein ein, den der Diener soeben mit einer Kristall-Karaffe und Gläsern gebracht hatte. Auch Kasran wirkte müde, wie Hadrir feststellte. Dunkle Ringe hoben die schwachen, orange-rote Glut in seinen Augen, die Hadrir sich immer nur einzubilden meinte, noch mehr hervor. Es war irgendwie… erleichternd zu wissen dass auch dieser Mann Grenzen hatte. Sie beide waren mit ihren Reserven am Ende… aber sie waren zwei, die sich gegen den Ansturm aller Häuser stellten. Und selbst sie arbeiteten nur gezwungenermaßen
zusammen.
,, Wenigstens ist der Wein aus Canton genauso gut wie der von den Aschestränden.“ , meinte Kasran, während er einen Schluck nahm und wohl darüber nachdachte, wie er beginnen sollte. Der uralte Zwerg musterte Hadrir trotz seiner Erschöpfung eindringlich. ,, Mir ist der den ich aus unserer Heimat mitgebracht habe, leider schon ausgegangen…“
Erinnere mich bloß nicht, dachte Hadrir. Der Mann hatte es tatsächlich fertig gebracht, den ohnehin beschränkten Platz auf den Schiffen für Fässer aufzuwenden, statt mehr Leute
mitzunehmen.
,, Wir müssen etwas unternehmen Hadrir. Ihr und ich.“ , begann der Thane schließlich, den Grund seines hier seins zu erklären. ,, Sonst könnten sich diese Verhandlungen noch Monate hinziehen. Und wir beide wissen, dass wir diese Zeit nicht haben…“ Und nicht die Kraft, dachte Hadrir, auch wen Kasran es nicht offen aussprach.
,, Wir wissen ja nicht einmal, wer wirklich ein Prophetenanhänger ist und wer sich vielleicht umstimmen ließe.“ , erwiderte Hadrir müde. ,, Wir wissen beide, das ihr hier der Politiker seid, Hadrir. Nicht ich. Ihr habt immer alle Fäden in der
Hand.“
,, Nicht diesmal Junge. Varans Anhänger wissen, dass ich meine Augen nach ihnen aufhalte. Niemand würde offen zugeben, dass sie noch immer seinen Idealen nachhängen. Und wie die aussehen haben wir alle erlebt, als euer Vater starb. Sie wollen kein Bündnis mit Canton. Sie wollen Canton. Und nicht Geschenkt. Mit jedem Tag der vergeht Treffen mehr von uns ein und jeden Tag wachsen die Unruhen und der Druck auf die Häuser. Geschieht nicht bald etwas… wird er sich Bahn brechen. Dann haben wir einen offenen krieg, Hadrir.“
,, Das ist mir klar aber… was schlagt ihr vor soll ich dagegen tun
?“
,, Wir wissen, dass zumindest die Häuser, die ihre Sitze einst in der Oststadt hatten dem Propheten einst loyal gegenüberstanden. Ich würde mit ihnen anfangen…“
,, Anfangen Kasran ? Womit ?“ Er fürchtete die Antwort zu kennen... und wollte sie nicht hören.
,, Ich habe… noch genug Einfluss um einige ihrer Thanen zum Rücktritt zu zwingen. Diese Männer haben teilweise Jahrhunderte als Führer ihres Hauses gedient. Sie jetzt zu verlieren würde die entsprechenden Familien ins Chaos stürzen und bis der Machtwechsel vollzogen ist… hätten wir freie
Hand.“
,, Es gibt ein Wort dafür, Kasran. Man nennt es einen Umsturz. Allerdings einen von oben wie mir scheint…“
,, Nur für eine Weile.“
,, Und was ist mit jenen, die sich nicht von euch… Überzeugen lassen?“
,, Unfälle passieren.“ Der Thane lächelte entschuldigend. ,, Natürlich bräuchte ich für den Zweifelsfall eine königliche Absolution…“
,, Ihr redet von einer politischen Säuberung ?“
Das Entsetzen war ihm wohl deutlich anzuhören, den Kasran schüttelte sofort den Kopf. ,, Bitte seit jetzt nicht dumm Hadrir. Solange wir gegener auf allen
Seiten haben werden wir nichts erreichen. Das hier ist die einzige Möglichkeit, die Dinge wieder unter Kontrolle zu bringen.“
,, Es muss einen anderen Weg geben.“ , hielt Hadrir dagegen.
,, Den zu versagen ? Ihr wisst was auf den Spiel steht, Hadrir…“
,, Und ihr würdet dafür über Leichen gehen…“ Der machtlose Zwergenkönig sank auf seinem Stuhl zurück und schloss einen Moment die Augen. Es wäre tatsächlich ein Ausweg, dachte er. Was Kasran vorschlug würde höchstwahrscheinlich Erfolg haben… Aber es würde auch bedeuten, dass er auch noch den Rest seiner Ehre
vernichten würde. Der Thane würde ihn auslachen, aber das war so ziemlich das einzige, was ihm noch geblieben war.
,, Raus.“ , flüsterte er.
,, Hadrir seit vernünftig…“ Kasran war aufgestanden doch statt zu gehen kam er auf ihn zu.
,, Raus sagte ich !“ Wenn er Kasran erlaubte weiter zu sprechen könnte er ihn doch noch Überzeugen. Dieser Mann wusste, wie man jemanden auf seine Seite brachte. Das würde er nicht zulassen…
Hadrir war aufgesprungen und wies zur Tür. Als der ältere Zwerg sich immer noch nicht bewegte, griff er zum Schwert. Das Schaben des Stahls hallte
einen Moment im Raum wieder.
,, Ihr habt mich gehört. Geht! Jetzt.“
,, Oder was ?“ Kasran lachte. ,, Ihr braucht mich… Ihr… Bevor er den Satz beenden konnte, schwang Hadrir das Schwert und Kasran machte einen Satz zurück und stolperte. Mit dem Ärmel seines Mantels riss er die Karaffe vom Tisch die Klirrend zerschellte, während sich die Klinge in das Holz grub. Einen Moment lang traf sich ihr Blick , der stolze Thane am Boden in einer Weinpfütze liegend und Hadrir über ihm, der wortlos das Schwert wieder aus dem Holz zog und es auf ihn richtete.
Mit düsterer Mine richtete Kasran sich wieder auf… und verließ den Raum
fluchtartig. Erst jetzt, als er hörte, wie die Tür hinter ihm zuschlug merkte Hadrir, das seine Hand zitterte. Klirrend ließ er das Schwert fallen… Er hatte Grade vermutlich seinen einzigen Verbündeten verloren. Aber das war es ihm Wert gewesen. Er war kein König. Er war nicht Kasran… und er war auch nicht sein Vater. Er würde von seinem Amt nicht zerstören lassen, wer und was er war…