Kapitel 65 Segen
Zehn Tage später schien wieder alles wie immer. Oder zumindest fast. Sine hatte kein Wort über das geschehene verloren und nach außen schien das Mädchen sich auch nicht weiter damit zu beschäftigen. Aber Naria bekam langsam zu spüren, wie groß ihr Fehler gewesen war. Auch wenn Sine nichts sagte, vermied sie es mittlerweile, mit ihr alleine im gleichen Raum zu sein. Das Mädchen mochte glauben, das ihr das nicht auffiel, aber das machte es nur schlimmer. Naria fühlte sich schlicht und ergreifend elend. Und schuldig… Aber egal wie oft sie versuchte, Sine
wenigstens um Verzeihung zu beten, tat das Mädchen einfach, als wüsste sie nicht einmal wovon Naria sprach.
Geister, sie könnte damit umgehen das Sine sie ablehnte, das sie vielleicht nicht einmal mehr etwas mit ihr zu tun haben wollte, aber das? Das war gar nichts, dachte sie.
Wenigstens schien Wys Gespräch mit den Archonten um einiges erfreulicher verlaufen zu sein. Man hatte sich offenbar darauf geeinigt, Träumers Warnung ernst zu nehmen… wenn auch anders, als dieser das vielleicht hoffte. Wys hatte die Wachen an sämtlichen Toren der Stadt verdreifachen lassen und ließ jetzt auch Nachts jede Schicht von
mindestens vier Paladinen begleiten, denen er vertraute. Oder zumindest, von denen es recht unwahrscheinlich war, dass es sich um Agenten handelte, dachte Naria. Immerhin war es jetzt so gut wie ausgeschlossen, dass sich jemand ungesehen in die Stadt schleichen konnte.
Träumer lächelte nur Müde, als er von diesen Vorsichtsmaßnahmen erfuhr. ,, Mein Herr hat es nicht nötig, sich irgendwo einzuschleichen, Naria. Ihr werdet seine Ankunft kaum verpassen können, fürchte ich. Der rote Heilige ist kein Mann, der sich in Geduld übt und eure Tore und eure Mauern werde ihn nicht aufhalten können. Versteht das
nicht als Drohung… aber euch muss klar sein, das ihr keine Chance habt gegen ihn zu bestehen. Bitte…lasst mich wenigstens mit den anderen Archonten sprechen. Vielleicht kann ich sie überzeugen…“
Wys hatte mittlerweile die Archive wieder öffnen lassen und damit war auch der Weg hinab in die Kerker frei. Naria hatte Träumer nur ein paar mal Besucht um ein paar Fragen zu stellen, die zunehmend einsilbiger beantwortete worden… immer wieder unterbrochen von der Bitte, ihm doch Gehör zu schenken. Der Mann klang zunehmend verzweifelter, aber was sollten sie den tun? Mit einem hatte Wys Recht. Selbst
wenn er und die übrigen Archonten davon überzeugt wären, keine Chance zu haben würden sie eher sterben als das zuzugeben. Und Naria war sich nach wie vor nicht sicher ob sie glauben wollte, das ein Mann ihr Ende bedeute könnte. So wurden auch ihre Besuche in den Verließen seltener und Träumer verließ sein Gefängnis nur selten, obwohl es ihm eigentlich längst frei stand zu gehen. Auch hatte er nie nach einem anderen Quartier verlangt oder sich beschwert. Naria war sich nicht einmal sicher, ob dieser Mann überhaupt schlief, den jedes Mal wenn sie ihm doch wieder einen Besuch abstattete, betete er entweder stumm oder saß
schlicht auf seinem Stuhl und sah ins Leere.
Die einzige Ausnahme war, wenn Sine ihn Besuchte. Im Gegensatz zu Naria und Wys war das Mädchen fast jeden Tag bei Träumer und der Mann schien ihre Gegenwart auch eher willkommen zu heißen, wo er Wys und Naria schlicht duldete. Vielleicht ja auch, weil sie die einzige war, die ihn nicht bloß mit Fragen löcherte…
Ein paar Mal hörte sie sogar verhaltenes Lachen aus Richtung der Zellen, wenn sie aus den Archiven kam. Jetzt wo sie endlich einmal Gelegenheit hatte, de riesigen Bibliotheken im Untergrund Helikes einzusehen ließ sie sich das
nicht entgehen. Allerdings hatte sich ihre Hoffnung, jemand könnte etwas mehr über Träumer wissen nicht erfüllt. Und was den Mann selbst anging, so schwieg er sich lediglich aus.
Und Wys… nun ihr Onkel schien endlich wieder etwas mehr er selbst, dachte Naria. Was nicht nur daran lag, das sie endlich zumindest einen kleinen Erfolg hatten. In Tiras Nähe war er einfach ausgeglichener auch wenn er das selber nie zugeben würde. Es war schön zu sehen, das er eben auch noch mehr war als der kalte Staatsmann, sondern auch jemand mit ganz eigenem Kopf, in dem die Gedanken sich nicht nur um Helike
drehten.
Und nun saß sie zum ersten Mal seit einer Weile wieder im Kerker und hoffte wider besseres Wissen darauf, dass Träumer ihr doch noch etwas erzählen könnte. Eine Weile saßen sie sich lediglich schweigend gegenüber, der Prediger in seinen zerschlissenen blauen Roben und Naria in einen einfachen grauen Wollumhang gehüllt. Im Vergleich zur Hitze in den Straßen war es hier unten empfindlich kühl, doch Träumer schien es kaum zu bemerken. Stattdessen hatte er wieder die Hände im Schoß gefaltet und wartete wohl wie Naria, wer von ihnen das Schweigen zuerst
brach.
Und schließlich war tatsächlich er es, der das Wort ergriff. ,, Wisst ihr, ich glaube sie verzeiht euch schon.“
Naria hatte schon fast aufgegeben und sich stattdessen den Steinfließen auf dem Boden zugewandt. Jetzt jedoch schoss ihr Kopf hoch und sie blinzelte den freien Gefangenen misstrauisch an. ,, Was ?“
,, Ich schätze, das war nicht, was ihr hören wolltet ?“ Träumer lächelte kaum sichtbar. Seine Stimme klang freundlich wie eh und je. ,, Eigentlich geht mich das alles nichts an, aber… Sine erzählt viel. Es ist schön zu hören, das das Leben oben noch
weitergeht…“
Sine hatte ihm davon erzählt? Aber mit ihr sprach sie kaum mehr ein Wort. Naria musste zugeben, das ihr das tatsächlich einen Stich versetzte… und das sie sich zum ersten Mal wünschte, das Träumer mit einer seienr Vorhersagen recht behielt. Seine letzten Worte allerdings hatten beinahe etwas Trauriges.
,, Ihr müsst nicht hier bleiben,“ Warum er sich hier unten isolierte war ihr ohnehin schleierhaft. Bis eben hatte sie geglaubt dieser Mann könnte die Einsamkeit schlicht vorziehen aber nach seiner Bemerkung eben vermisste er es wohl tatsächlich unter Leuten zu sein. ,,
Niemand hält euch hier fest… Niemand könnte euch hier festhalten. Wenn ihr es wünscht könntet ihr jederzeit für ein paar Stunden in die Stadt gehen.
,, Mein Platz ist hier.“ , erklärte er nur wieder. ,, Ich muss den Willen meines Herrn erfüllen und wenn ihr mir nicht zuhört… so muss ich es doch zumindest weiter versuchen. Das ist das einzige, was mir bleibt.“ Er zuckte mit den Schultern und hob die Hände zu einer Geste, die wohl entschuldigend wirken sollte. Das dunkle Mal an seiner Linken war dabei deutlich zu sehen… Die dunklen Linien und die schwarze, fast schuppenartige Haut ließen sie unwillkürlich an die Kreatur denken, die
sie vor einigen Tagen getötet hatten. Die Frage ob das Blut dieses Mannes ebenfalls brennen würde erübrigte sich eigentlich.
,, Was ist das eigentlich ?“ , fragte sie. ,, Sieht nicht grade gesund aus…“
Falls er den Spott in ihrer Stimme bemerkte ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. ,, Es ist das Zeichen meines Herrn, das ich einer seiner geweihten Diener bin.“
Naria zog sich nun selber einen Stuhl heran und setzte sich dem Mann gegenüber. ,, Das müsst ihr mir erklären…“
,,Gerne. Grob gesagt ist es wohl der Grund aus dem ich bin, wie ich bin.“ Er
zögerte einen Moment, als wüsste er nicht wie er beginnen sollte. Aber wenn Träumer eines konnte, dann sprechen, dachte Naria. Was also stimmte nicht? ,, Wisst ihr… nach dem Willen meines Herrn sind Gejarn in unseren Reihen nicht willkommen. Aber wer weiß ob ich ihn nicht zu einer Ausnahme überreden könnte. Diese Fähigkeiten stehen jedem offen, der dem Herrn der Ordnung dient.“
Naria wusste, dass er es gut meinte. Trotzdem sträubte sich alles in ihr. Ein weiterer Versuch, wenigstens einen von ihnen umzustimmen wie es schien. Offenbar jedoch konnte er doch keine Gedanken lesen. Ein solches Angebot
wäre sicher für jene verlockend, die nur nach Macht strebten. Und auch wenn Naria immer versucht hatte, mehr zu lernen und ihre eigenen Fähigkeiten zu meistern, geschah dies doch nie der bloßen Macht willen. Magie war auch nur ein weiteres angeborenes Talent, wenn auch ein seltenes. So wie manche eben besonders schnell Instrumente lernten oder Rätsel lösen konnten. Und wenn man diese Gaben auch nutzte, konnte man eben auch mehr damit tun. Kranke heilen, die Welt erforschen…
,, Ich glaube ich verzichte.“ , meinte sie und versuchte dabei nicht entsetzt zu klingen. Offenbar gelang ihr das mehr schlecht als recht, denn Träumr
lachte.
,, Ich bin irgendwie froh, das ihr das sagt. Es wäre doch enttäuschend, wenn ihr euch damit überzeugen ließet. Enttäuschend… aber auch irgendwie erleichternd, weil es euer Leben retten würde. Ich hatte euch also richtig eingeschätzt.“
Vielleicht las dieser Mann doch irgendwie ihre Gedanken. Er schien über ihre Antwort jedenfalls kaum überrascht. Aber eine andere Sache machte ihr mehr Sorgen.
,, Wieso sagt ihr, würde euer Gott Gejarn nicht willkommen heißen ? Oder meint ihr nur den roten Heiligen?“
,, Kennt ihr den Glauben der wilden
Gejarn-Clans in Canton ?“
,, Ihr meint das ihre Seelen nicht wie die der Menschen in die goldenen Hallen eingehen sondern irgendwann von dort zurück kommen ?“
,, Genau das. Aber unser Gott vereinnahmt die Seelen seiner Gläubigen nach deren Tod. Aber die Natur der Seele eines Gejarn macht dies unmöglich…“
,, Verzeiht wenn ich euch sage, das mich das nicht unbedingt traurig stimmt. Und wie genau hängt das nun mit diesem Mal zusammen?“
,, Mein Herr zeichnet jene, die er als würdig erachtet, doch ist er es nicht selbst, der ihnen ihre Weihung gibt.
Wird einer seiner Anhänger auserwählt entsteht meist ein kleineres oder größeres Mal, an Händen Armen, bei manchen auch an der Brust. Die Weihung selbst jedoch geschieht immer durch einen seiner Hohepriester, die Breits ihren Segen erhalten haben. Dabei verändert sich das Zeichen meist drastisch und nimmt eine endgültige Form an. Das seht ihr hier.“ Er hielt wieder die Hand hoch. Naria bezweifelte, das er sie überhaupt noch richtig bewegen konnte…
,, Das ist schrecklich.“
,, Eigentlich ist es so gut wie gar nichts. Bei der Weihe geht ein Teil der rohen Macht unseres Gottes auf uns über. Doch
bleibt dies nicht ohne Folgen. Wie Stark die Korruption jedoch ausfällt hängt ganz alleine vom jeweiligen Individuum ab. Ich habe Männer gesehen, die ihre Weihe ohne ein Zaudern überstanden und danach praktisch unverändert weiterlebten…“
,, Und das Gegenteil ?“
,, Es ist ein… gewalttätiger Prozess, Naria. Eine Prüfung und eine Ehre gleichermaßen. Doch nicht alle, die sie erhalten verdienen sie auch. Es braucht einen Starken Willen und außergewöhnlichen Charakter um derlei Gaben zu beherrschen. Ein schwacher Mann, der jedoch nach Macht strebt wird kaum etwas seiner ursprünglichen
selbst behalten… Und die Unwürdigen zahlen den Preis der Macht an ihrem Körper ab. Er wird zu einer Kreatur, vollkommen von der Korruption vereinnahmt und nur durch den Willen unseres Herrn in Zaum gehalten. Und doch ist es nur ein winziger Hauch der wahren Macht des Herrn der Ordnung.“
,, Und es gibt keinen Weg, das zu verhindern ?“
Träumer schüttelte den Kopf. ,, Den Tod vielleicht. Nur ein Lebendes Wesen kann die Macht meines Herrn in sich tragen. Aber ansonsten… Ich gebe offen zu, es ist selbst für mich mit einiger Anstrengung verbunden, diese menschliche Form zu
erhalten.“
,, Eure… menschliche Form ? Seit ihr wirklich noch menschlich?“
,, Ich schätze, das hängt davon ab, wie ihr das definiert. Sind Magier vollkommen Menschlich, Naria ? Die Antwort ist dieselbe wie in meinem Fall. Ja und Nein. Ich bin menschlich in dem Sinne, dass meine Seele vollkommen menschlich ist, ist aber ich bin auch kein gewöhnlicher Sterblicher mehr. Man könnte sagen, alles was an mir... gewöhnlich war wurde in dem Moment ausgelöscht, in dem ich meine Weihe durch die Hand des roten Heiligen erhielt.“ In Träumers Stimme schwang kein Stolz bei diesen Worten mit. ,, Und
seitdem habe ich diese Gabe hunderten anderen zu Teil werden lassen. Viele meine Freunde. Viele wurden vernichtet… Doch jeder der sich als Würdig erweist, ist danach in der Lage, weiter zu berufen. Allerdings, je mehr Weihen zwischen dem roten heiligen und demjenigen liegen, der den Segen gibt, desto instabiler scheint sie auch zu werden…Und ich bin der einzige, der je von ihm Persönlich berufen wurde.“
,, Wenn es aber einen Geweihten braucht um weitere Geweihte zu erschaffen, wie ihr sagt, wer hat dann den roten Heiligen… auserwählt von dem ihr so oft sprecht ?“
,, Ihr wisst die
Antwort.“
,, Ihr könnt mir viel erzählen, aber nicht das euer Gott, was ? Aus dem Himmel herabgriff und diesem Mann die Hand auflegte?“
,, Nur drei Finger.“ , erwiderte Träumer ohne dem Spott in ihrer Stimme viel Beachtung zu schenken. ,, Kein Sterblicher könnte die volle Macht eines Herrn mit sich tragen ohne Schaden zu nehmen. Vermutlich würde es einen schlicht sofort töten. Selbst dieser Fingerzeig hat an meinem Meister unauslöschliche Spuren hinterlassen. Ich bezweifle, dass irgendein anderer Mann das überstanden hätte…“
Danach kehrte Naria bald wieder nach
oben zurück. Neben warten jedoch gab es wenig zu tun und so machte sie sich gegen Abend nur erneut auf den Weg in die Archive. Nachts waren die uralten Kammern unter der Stadt genau so hell erleuchtet wie Tagsüber. So tief im Stein, der die innere Stadt trug gab es keine Tageszeiten. Doch war es schwer, dort irgendetwas zu finden, neben den wenigen Schriftstücken, die man ihr so aushändigen konnte. Geschichtliche Aufzeichnungen wechselten sich mit so banalen Dingen wie einem Erntebericht oder Grundbüchern ab, nur damit man zwischen den vergilbten Seiten wieder auf eine Steintafel traf, die sicher älter war als Helike
selbst…
Als sie dieses Mal ans Licht zurückkehrte, schien draußen nur noch der Mond und tauchte die Marmorpaläste entlang der Hauptstraße in silbriges Licht. Und sie war nicht alleine, wie Naria grade noch rechtzeitig bewusst wurde. Rasch wich sie wieder in den Eingang des Archontenturms zurück, als zwei Gestalten auf den großen Platz hinaus traten. Als sie die beiden jedoch erkannte, war sie bereits drauf und dran sich doch noch zu zeigen. Die erste war Sine und die zweite… nun wussten die Geister, wie sie es geschafft hatte, Träumer davon zu überzeugen, seine Verließe einmal zu
verlassen.
Was sie dann jedoch sah, veranlasste sie erneut stehen zu bleiben, wo sie war. Naria konnte nicht hören, was die beiden miteinander zu besprechen hatten, doch als Sine sich plötzlich zu dem Mann vorbeugte und ihre Lippen sich fanden… Nun das war nicht miss zu verstehen dachte Naria und schob den kurzen bitteren Stich in ihrem Herzen so weit von sich wie möglich. Stattdessen lächelte sie einen Moment traurig, bevor sie wieder so leise wie möglich ins Innere des Turms verschwand. Manche Dinge sollten eben nicht sein…
Als am nächsten Morgen die Sonne langsam aufging, saß Träumer jedoch
wieder alleine in seiner Zelle und sah Gedankenverloren nach oben, als könnte er den Tagesanbruch selbst durch die Steinmauern hindurch spüren. Die ganze Stadt schimmerte rot im ersten Licht und er wusste, dass seine Zeit abgelaufen war. Sein Herr war so gut wie hier… und ihm blieb nichts mehr, dass er tun konnte, um das zu verhindern.
,,Dann überlasse sie den Folgen ihres Handelns, mein treuer Diener.“ , meinte er seine Stimme zu hören. Und doch genau das konnte er mittlerweile genau so wenig…