Beschreibung
Eine wissenschaftlich fragwürdige Abhandlung über den Musikhörer an sich. In leicht gekürzter Form für die Lesebühne geplant...
Ich glaube, an der einen oder anderen Stelle hab ich mal erwähnt, dass ich ein sehr toleranter Mensch bin. Nun, das war gelogen. Ja, im Ernst, ich bin eigentlich fürchterlich voreigenommen, finde vieles komplett inakzeptabel, und ach... meine Meinung ist so unabänderlich wie Ebbe und Flut. Und deswegen kommt als nächstes, was kommen muss. Ich schreibe grausam intolerante Dinge nieder, fahre damit sicher dem einen oder anderen über den Fuß und trete dem nächsten anschließend kräftig auf den Schlips. Aber es hilft alles nichts, es muss sein! Denn diesen Text wollte ich schon lange schreiben. Weiterlesen geht also auf eigene Gefahr, und sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt...
Wenn man mal keine Ahnung hat, wo man einen Menschen, den man vielleicht weniger gut kennt, einsortieren soll, dann gibt es eine ganz banale Methode: Es ist die gute alte, immer wieder zu hitzigen Diskussionen anregende Frage nach dem Musikgeschmack. Je nach Antwort lassen sich die befragen Probanden in ca. eine Handvoll Charaktergruppen einteilen. Wie, schreit da etwa jetzt schon jemand auf? Sie da hinten in der letzten Reihe? Aber aber... Ich hab doch noch gar nicht begonnen. Sie gehören bestimmt zu jenen, die auf diese große Frage nicht befriedigend antworten könnten, würden sich winden und sagen, dass sie sich nicht festlegen wollen, gern alles mal hören - quasi quer durch den Gemüsegarten, wie Ihresgleichen gern sagt. Sie meinen, Sie wären halt flexibel? Okay, Sie haben es nicht anders gewollt, also will ich mit Ihrer Gruppe beginnen...
Die Alleshörer: Die Alleshörer sind jene Personen, für die der R'nB erfunden wurde. Rhytmisch durchaus begabt, schwingen sie ihren mehr oder weniger hübsch anzuschauenden Hintern durch die Disco, so dass auch garantiert jeder ihre Hüften bewundern kann. Der R'nB geht ihnen dabei durch's Mark und klingt schallend in ihrem leeren Kopf nach. Dort oben im Schädel, wo es außer Oberflächlichkeiten und einem kläglichen Häufchen Weltanschauung nur gähnende Leere zu finden gibt, klingt Musik natürlich besonders schön - das Lautsprecherprinzip lässt grüßen. Gierig ziehen sich die Alleshörer illegal alles aus dem Netz, was irgendwie nach Pop klingt, möglichst wenig komplexe Harmonien und Klangelemente aufweist und tanzbar ist (sofern man dabei mit dem Arsch wackeln kann). Immer wieder lässt sich auch beobachten, dass der Alleshörer neben fehlender Lieblingsmusik auch keine Lieblingsbücher besitzt. Zwar ist er des Lesens durchaus mächtig, doch ist sein Vorstellungsvermögen so beschränkt, dass er nicht ganz recht weiß, was er mit all den schwarzen Lettern auf dem vielen Papier anfangen soll. Also liest er erst gar nicht und gibt sich weiter den Freuden der wilden Partynächte und der schmalspurigen Unterhaltung hin. Letztlich macht sein fehlendes tiefgründiges Gedankengut den Alleshörer so vorhersehbar wie einen Arztroman und befördert seine Charakterstärke auf das platte Niveau einer Vorabend-Soap.
Der Technohörer: Bevor wir uns dem erquickenden Bereich wahrer humanitärer Qualität zuwenden, wühlen wir noch ein wenig in den menschlichen Mülltonnen. Gemeint ist hier natürlich der Technohörer. Er ist quasi die unterste Sprosse auf der Leiter der Menschwerdung, wahrscheinlich sogar der Beginn der Evolution überhaupt - ein Einzeller in jeglicher Hinsicht. Erstaunlicherweise habe ich gerade hier allerdings schon so einige Ausnahmen kennengelernt, die jedoch bekanntlich nur die im folgenden erörterte Regel bestätigen: Bumm-Bumm-Musik ohne jeglichen textlichen Inhalt, ohne musikalische Raffinesse reicht dem Technohörer völlig aus, um glücklich zu sein. Bildung ist dem "Technoten", wie er auch gern genannt wird, ziemlich gleich, solange er den schier unendlichen Freiraum in seiner platzverschwendenden Hohlbirne mit Alkohol auffüllen kann. Als wäre seine Musik anspruchsvoll, unterscheidet er unter anderem zwischen Techno und House und meint ja eigentlich doch immer wieder das gleiche. Bei all der unsinnigen Streiterei um Begrifflichkeiten entgeht dem Technohörer dabei, dass er stets die gleiche musikalische Giftbrühe aufgetischt bekommt. Auch an der Verwurstung alter Songklassiger zu Technoeinheitsbrei stört sich der Technohörer bekanntlich niemals. Nein, er freut sich sogar und schlägt motiviert im hämmernden Takt mit der Faust in die Luft (vielleicht auch ab und an an den eigenen Kopf?), wenn der blondgechlorte Lied-Leichenfledderer Hans-Peter, Frontprolet des teuflisch schlechten Trios Scooter, der seine ungenießbare, wiederholt aufgewärmte Grütze in die feiernde Menge kotzt. Der Technohörer könnte, wäre er bei aller Dummheit nicht herzensglücklich mit seinem belanglosen Dasein, jedem höheren Individuum, also wirklich jedem (!), regelrecht leid tun.
Der Hip-Hop-Hörer: Die Spezies des Hip-Hop-Hörers (im Folgenden HHH abgekürzt) ist von ihrem Verhalten her eng verwandt mit der des Alleshörers. Wie der Alleshörer ist auch der HHH einem eher oberflächliches Dasein ergeben, redet nicht viel Sinniges, benickt jedoch viel Sinnfreies im schleppenden Takt seiner Sprechmusik, als würde er jeglichem Mist zustimmen wollen, den seine Lieblings-Legastheniker Bushido und Bande, nuschelnd wie ihre Vorbilder Fuffzig-Cent und Piff Poppy, oder wie letzterer auch gerade heißen mag, von sich geben. Bei allem, was der HHH tut, er tut es nie allein, ist er doch ein reinrassiges Herdentier, das sich jederzeit loyal einem der musikalisch talentfreien rappenden Leitwölfe von MTV und Co. anpasst. So ist der HHH sich nicht zu schade, auch jeden noch so dummen Trend mitzumachen: Da wird in der Öffentlichkeit frechfröhlich die eigene Unterhose präsentiert, während die darüberliegende Übergrößen-Jeans in den Kniekehlen hinterhergeschleift wird. Da packt man sich in Jacken ein, die so dick sind, dass selbst panzerbrechende Geschosse irgendwo im Futter steckenbleiben würden und versteckt man das Haupt unter bunten Kopftüchern, die wiederum selbst von lässig zur Seite gedrehten Schirmmützen versteckt werden. Bei all dieser Lächerlichkeit ist der HHH hier immerhin konsequent und zieht sowohl im Sommer wie auch im Winter in der offensichtlich sehr unbequemen Kluft durch's Land. Ansonsten wäre der HHH eigentlich ein sehr angenehmer Zeitgenosse - sitzt er mit seiner üblen Gang aus zehn- bis zwölfjährigen ja gern abseits der restlichen Gesellschaft - würde er doch nur endlich aufhören, seinen unmelodischen Schund blechern aber lautstark über basslose Handybrüllwürfel zu hören!
Der Klassikhörer: Würden wir die aktuelle Betrachtung ins Tolkien'sche Universum versetzen, dann wäre der Technohörer der Ork, während der Klassikhörer dem Elben gleichkäme. Ja, man kann wohl behaupten, dass der "Klassiker" die höchste Ebene menschlichen Intellekts für sich entdeckt hat. Oft esotherisch angehaucht, hüllt er sich in wallende Gewänder, die der früheren Kelly Family alle Ehre gemacht hätten, enthält sich dem Alkoholkonsum, schlürft sich dafür aber hektoliterweise Tee in den untersetzten Wanst und gibt kluge Phrasen zum Besten, die Ottonormalhörer im Leben nicht versteht. Schon deswegen wird der Klassikhörer unberechtigterweise oft belächelt und begibt sich so lieber unter seinesgleichen. Nicht erst seit gestern findet man größere Ansammlungen dieser Spezies vor allem an den Universitäten. Im gefühlt vierundzwanzigsten Semester verharrend stört man sich nicht am arbeitenden Rest der Welt, atmet Haschisch-durchzogene Luft wie in den späten Sechzigern und unterhält sich über die zunehmende Verfügbarkeit von Bio-Lebensmitteln in Discountern. Doch wird gerade dieser studentische Klassikhörer in der letzten Zeit eher rar. Denn zu tausenden durch den eingeführten Bachelor von den Hochschulen vertrieben, muss er sich schließlich doch widerwillig dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen und dort oft mühsam nach Gleichgesinnten suchen oder aber er flüchtet sich ins alles rettende Masterstudium.
Der Rockhörer: Die Rockhörerschaft ist eine etwas komplexere Gattung, kann sie doch grob in zwei Schichten unterteilt werden. Auf der einen Seite steht die schwarz gekleidete, Ketten- und Stachel-behangene Dummfraktion, die sich in geklauten Kassettenrekordern übel leiernde Demotapes völlig unbekannter Punkbands anhört, während ein Bierkasten der billigsten verfügbaren Plörre nach dem nächsten geopfert wird. Den Gesprächsthemen zu folgen, scheint für den Außenstehenden ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, setzt sich die Verständigungssprache doch nur aus zusammengelallten Wortfetzen mit eingeschobenen Rülpsern zusammen.
Auf der anderen Seite der Rockhörer jedoch steht die Exzellenz der Musikliebhaberschaft. Diese Hälfte reicht in Sachen Intellekt freilich nicht an den Klassikhörer heran, ist dafür jedoch jederzeit öffentlichkeitstauglich und durchaus auch in der freien Wirtschaft zu gebrauchen. Seine Intelligenz rührt dabei natürlich nicht von der Musik her, doch wird selbige durch den höchst vorzüglichen Musikgeschmack nachgewiesen: Hochkomplexe Gitarrensoli, großangelegte Rockopern mit unzähligen Harmoniewechseln innerhalb nur eines Liedes, sowie bunte und tiefgründige Textgemälde weiß diese Gattung des Rockhörers wohlwollend zu genießen, zu deuten und zu werten. Als die letzten freien CD-Käufer gelten sie als der rettende Tropf der kränkelnden Musikwirtschaft und sollten mit sofortiger Wirkung einen eigenen, weltweit anerkannten Feiertag bekommen.
Uff, das soll auch schon mein mehr oder minder kurzer musikorientierter Ausflug in die Differenzierung menschlicher Psyche gewesen sein. Ach ja, natürlich ist im gesamten Text jegliche Subjektivität meinerseits vollkommen ausgeschlossen. Ich fühle mich zu keiner der Gruppen persönlich hingezogen, das versteht sich ja von selbst. Denn eigentlich bin ich ja doch ein recht toleranter Mensch, bedeutet Toleranz ja sehr wohl, dass ich auch mal was beschissen finden darf.