25.April 18:00
Liebes Tagebuch,
heute habe ich Fakten geschaffen. Heute habe ich Nägel mit Köpfen gemacht. Nicht mehr ausgehalten. Geralds ewiges Gezeter, sein ewiges Herumgemaule. Du hast nicht abgewaschen, deine Socken liegen wieder rum …
Jetzt wird er sehen, was er davon hat.
Dr. Walter, mein psychologischer Betreuer, hat mir dazu geraten, ich solle nicht alles zu schwer nehmen. Er hat mir aufgetragen, meine Aufzeichnungen hier bei dir, in meinem lieben Tagebuch,
lustig zu verfassen und nicht mit meiner stets begleitenden Melancholie. Ich weiß nicht, wie das gehen soll. Weiß nicht richtig, was er von mir erwartet.
Die Kartons stapeln sich in Diele und Wohnzimmer. Viele sind es ja nicht.
Zum Glück, dann werde ich irgendwann einmal fertig!
Doch jetzt baue ich als erstes mein Schlagzeug auf.
Wenn man ein Instrument spielt, hat meine Mom immer gesagt, dann kommt man gut durchs Leben. Findet schnell Anschluss und kann sich immer was dazu verdienen.
26.April 4:42
Liebes Tagebuch,
Mom hatte recht. Wenn man ein Instrument spielt, bekommt man schnell Anschluss. Ich kenne nun schon den alten Herrn, der unter mir seine Wohnung hat. Er ist sehr schlecht zu Fuß, hat aber dennoch den Weg auf sich genommen, mich zu besuchen. Als ich ihm öffnete, fiel ihm das Lächeln zuerst schwer. Doch ich habe ihn einfach in meine Wohnung gezogen und mit ihm die Flasche Sekt geköpft, die Veronika mir zum Einzug mitgegeben hatte.
Aus der Pulle tranken wir Brüderschaft. Wir sind nun per Du. Eigentlich heißt er Friederich, doch ich nenne ihn den alten Fritz. Das ist wesentlich cooler und passt ausgezeichnet zu seinem üppigen weißen Schnauzer.
Wir stießen mit den Plastikbechern an und ganz vorsichtig guckte der alte Fritz zu dem Schlagzeug rüber.
Ich half ihm, auf dem Hocker Platz zunehmen und drückte ihm die Stöcke in die Hände. Fragend sah er mich an.
Ich gestikulierte nur, er solle einfach mal irgendwo draufkloppen. Erklärte ihm, dass es außerordentlich befreiend sein kann …
Mit einem lauten Womm schlug er den von ihm gut erreichbaren Kessel.
„Nicht so fest, alter Fritz! Vor dir stehen rund 5 Riesen!“
Aber der Alte grinste so breit, dass ich keine Einwände mehr fand. Unkoordiniert kloppte er auf meinem Schlagzeug herum und ich hoffte einfach nur, die Felle würden halten.
Als Dankeschön schenkte er mir sein begeistertes Lachen.
Der Alte war außer Rand und Band!
Ich trank meinen Becher leer und sah nach, in welcher Kiste ich meine alte Kindertrompete hatte. Es ist wirklich kein tolles Ding, aber man kann seinen Spaß damit haben …
Beinahe hätten wir die Klingel nicht gehört. Der alte Fritz sah mich verschreckt an. Ich klemmte mir die zottige Ponysträhne hinters Ohr und meinte nur, „wir regeln das cool, keine Bange.“
Ich öffnete die Tür. Wollte scheinheilig fragen, ob wir zu laut wären, doch es kam ganz anders. Zwei Burschen mit E-Gitarren an den Schultern und einem riesen Verstärker an der Hand fragten, ob hier ´ne Session wäre.
Ich ließ sie ein.
Die beiden verschwendeten keine Zeit. Sofort wurde nach der Steckdose gesucht.
Kurz sagte ich den beiden, dass ich die Antje sei und der Mann am Schlagzeug der alte Fritz.
Der eine fragte kurz, ob ich Getränke hätte. Ich zeigte ihm die Pulle. Ja, sie war beinahe leer.
Wie sich später herausstellte, war es Bernd, der sofort aufstand und einen ganzen Korb mit Flüssigkeiten heranschleppte.
In der Zeit verkabelte sein Kumpel die Gitarren mit dem Verstärker und dann ging die Party richtig ab.
Mit roten Wangen bearbeitete der alte Fritz das Schlagzeug.
In meiner Abwesenheit hatte er das Fußpedal zur großen Baßdrum entdeckt.
Ich machte noch zwei Plastikbecher klar und schenkte ein.
Während die Gitarren aufjaulten, klingelte es erneut an der Tür. Ich war mir nicht sicher, ob wir noch bei gut, oder schon bei böse angelangt waren.
Kurz atmete ich durch, dann öffnete ich mit einem Lächeln die Tür.
Vor mir stand eine Frau mittleren Alters.
Sie hatte ihren Morgenrock stramm um ihren Körper gezogen und sah sehr unzufrieden aus.
Ehe sie auch nur einen Ton sagen konnte, erklärte ich ihr, dass ich Antje sei, heute eingezogen und das hier so etwas wie eine Willkommensparty sei und
dass wir dringend noch eine Liedstimme bräuchten.
Ob sie denn ein bisschen singen könnte.
Völlig überrumpelt schnappte sie erstmal nach Luft.
Ich zog sie zur Tür hinein und begleitete sie ins Wohnzimmer.
Mit offenem Mund sah sie sich um. „Herr Dorfschmied!“
Aber der alte Fritz, alias Friederich Dorfschmied, lachte nur und meinte, sie dürfte auf keinen Fall wieder zurück ins Bett gehen. Er wüsste, was für eine wunderbare Stimme sie habe.
Die beiden Gitarristen klatschten Beifall und ich lehnte in der Tür und war auf die folgenden Minuten sehr
gespannt.
Sie nickte Bernd zu und wies ihn an, ein paar Töne zu spielen. Sie summte mit. Der alte Fritz sollte Recht behalten. Genau sie hatte hier gefehlt. Wieder versank ich in meinen Umzugkartons. Ohne Mikro würde das nichts werden. Wie sollte sie gegen den alten Fritz ansingen?
Steffen, der Kumpel vom Bernd, klopfte mir auf die Schulter.
„Brauchst nicht suchen, ich hole schnell eins.“ Und schon verschwand er.
Binnen weniger Minuten war die Technik verstöpselt und zum ersten Mal in ihrem Leben hörte sich Lieselotte selbst durch ein Mikrofon singen.
Die Nacht, zwischen ziemlich schräg und bemerkenswert klangvoll,
zwischen feuchtfröhlich und generationsübergreifend kreativ endete abrupt, mit Schellen und wildem Klopfen an der Wohnungstür.
Zwei uniformierte Beamte standen vor mir und klärten mich auf, dass Leute im Haus gerne schlafen möchten.
Es war 3:00 Uhr in der Früh und nun sollten wir zusammenpacken.
Ich nickte und zog mich zurück.
Wollte keinen Ärger machen.
Den erwartungsvollen Gesichtern machte ich klar, dass wir ein andermal weiterproben müssten.
Schade war es schon, aber uns war es ja allen längst bewusst.
Wir besprachen uns, dass wir uns in nächster Zukunft wieder treffen werden. Den alten Fritz brachte ich an seine Wohnungstür.
Er war ganz aufgeregt.
Und fand es wirklich lästig, dass andere Mitbewohner einem nicht den geringsten Spaß gönnten.
Ich sagte nichts dazu. Außer, dass er sich jetzt am besten ins Bett legen solle. Es sei bereits sehr spät.
Und wir bräuchten ihn demnächst wieder fit am Schlagzeug …
Auf der Treppe kamen mir noch Bernd und Steffen entgegen.
Sie schüttelten nur die Köpfe, der sei ja gut drauf …
Liebes Tagebuch,
das war mein erster Abend in der neuen Wohnung.
Es war zwar nicht lustig, aber gut!