Winter 2013, Tokyo
Sie hatten sich wieder nach vorn gedreht und das Auto fuhr weiter. „Siehst du, du darfst sie nie unterschätzen“, ermahnte der eine Polizist den Anderen. Dieser nickte.
Nach einer weiteren ¾ Stunde begann ein dichter Wald die Straße zu verschlingen. Ich kannte diesen Wald. Die vielen schmalen Bäume und der dichte Nebel hatten schon viele Menschen in den Tod geführt. Doch mir hatten sie vor vielen Jahren geholfen zu fliehen und sie hatten Yuki zu mir geführt. Und schlagartig wurde klar, wohin sie mich brachten. Zum
Aokigahara Mental Hospital. Sie hatten damals eine Fahndung ausgerufen, um mich und Yuki zu finden. Doch ich war davon ausgegangen, dass sie diese schon vor Jahren eingestellt hätten. Als dieser Gedanke sich langsam aber sicher in meinen Kopf brannte, konnte ich nicht länger still sitzen bleiben. Sie würden mich nicht ein zweites Mal in diese Heilanstalt stecken. Ich warf mich wieder und wieder gegen das Trennnetz und gegen die Türen und schrie so laut ich konnte. Die Polizisten erschraken, doch nicht so sehr wie beim ersten Mal. „Was ist denn nun passiert?“, fragte der Eine. „Wahrscheinlich hat er die Gegend erkannt und weiß wohin wir ihn
bringen“, vermutete der Andere. „Zum Glück haben sie uns für diesen Fall die Spritze mitgegeben“, meinte der Erste. Als ich das hörte, festigte sich mein Entschluss nicht länger hier zu bleiben und ich versuchte verzweifelt aus dem Wagen zu kommen. Die Polizisten hielten am Straßenrand, stiegen aus und einer von ihnen öffnete die Hintertür. Er packte meine Arme und drückte mich auf die Sitzbank. Der andere nahm die Spritze und stieß sie mir in die Armbeuge. Es tat weh, doch nur wenig später verteilte sich ein dumpfes Gefühl in meinem Körper. Sie hatten mir ein Beruhigungsmittel gegeben. Meine Sicht verschwamm, doch ich wollte mich nicht
geschlagen geben und kämpfe mit aller Kraft gegen die Bewusstlosigkeit. Allerdings schien mein Körper wie gelähmt und ich konnte mich nicht mehr wehren.
Deshalb war es für die Pfleger des Aokigahara Mental Hospital ein Leichtes mich aus dem Auto zu holen und auf einer Trage festzubinden. Sie brachten mich in das Gebäude und ich sah, wie meine Freiheit vor der Tür stehen blieb.
Sommer 2015, Aokigahara
Yuki kam wieder zu sich. Vor ihm hockte Akuma und beobachtete ihn aufmerksam. Mizusu saß neben ihm. Der 17 – Jährige war erleichtert, dass Akuma sein Wort gehalten hatte. Yuki wollte aufstehen und Akuma kam ihm sofort zur Hilfe. Mizusu stützte ihren Kumpel von der anderen Seite und zu dritt gingen sie durch die Gänge und in Richtung Nordflügel. Dort befand sich die Gartenanlage und es war der schnellste und sicherste Weg zur Flucht in den Wald.
Doch als sie die Tür auf stießen,
erwarteten sie zwei Dutzend Polizisten. Die Drei blieben in der Tür stehen. Mizusu stützte noch immer Yuki, doch Akuma war plötzlich verschwunden. Binnen eines Augenschlags stand er plötzlich vor einem der Beamten, tippte ihm mit seinen langen Fingernägeln auf die Stirn und ohne Vorwarnung brach die Dunkelheit wie eine Welle über sie herein. Yuki hörte, wie ein Polizist nach dem Anderen erschrocken aufschrie und starb. Warum tat Akuma das? Yuki rief den Namen seines Bruder in die Dunkelheit, doch es war zu spät. Der schwarze Vorhang lichtete sich, wie dichter Nebel und Yuki entdeckte die leblosen Körper der Polizisten. Akuma
stand unter einer großen alten Eiche und bis auf das viele Blut, das an ihm klebte, wies nichts darauf hin, dass er für die Toten verantwortlich war. Yuki richtete sich auf und ging auf Akuma zu. Er taumelte und sein Kopf pochte schmerzhaft. Doch der 17 – Jährige hatte ein klares Ziel vor Augen: er würde seinen Bruder kein zweites Mal verlassen.
Yuki hatte seinen Bruder beinahe erreicht, da hörte er hinter sich Mizusu rufen: „Yuki, wo willst du hin?“ Er blieb stehen und drehte sich um. Ein zuckten durchfuhr seinen Körper und es erschienen seine Katzenohren und der Katzenschwanz. Außerdem fraß die
Dunkelheit sich in seine Augen und seine Iris färbte sich blutrot. Er sah Mizusu an, starr und emotionslos, dann drehte er sich um und ging zu Akuma.
Nebel zog auf und Mizusu hörte, wie die Brüder sich maunzend begrüßten. Sie wollte Yuki aufhalten, er durfte jetzt nicht gehen, doch er und Akuma wandten ihr den Rücken zu und gingen in Richtung Wald. Der Nebel, ein Freund der Dunkelheit, schlich um sie herum, umarmte sie und verwehrte der 16 – Jährigen die Sicht. Die beiden Schatten im Nebel verschwammen und verblassten, bis sie endgültig im Nebel verschwanden.