Kapitel 47 Der Drache
Das innere der der Höhle war nicht so stockdunkel, wie Naria zuerst befürchtet hatte. Schächte durchzogen den Fels über ihren Köpfen, durch die schummriges Licht hereinfiel. Wasser tropfte beständig von der Decke herab und bildete Tropfsteinsäulen und Vorhänge. Das wenige Sonnenlicht brachte die filigranen Gebilde zum Glitzern als wären Wände und Böden der Höhle mit Diamanten überkrustet. Einige der Kristalle zersprangen mit leisem Knacken unter ihren Füßen, während Abran sie langsam tiefer in das
Halbdunkel führte. Schwefeldunst stieg von den kleinen Becken am Höhlenboden auf in denen sich das Wasser sammelte. Flammen spiegelten sich auf der ruhigen, unbewegten Oberfläche wieder. Abran hatte eine Fackel entzündet, die er aus seinem Gepäck geholt hatte und übernahm erneut die Führung über die kleine Gruppe.
Von einem Drachen war bis jetzt nichts zu sehen, auch wenn es langsam wieder wärmer wurde. Auf dem Felsplateau hatte Naria noch gefroren, hier jedoch erinnerten die Temperaturen zunehmend wieder an die Wüste der Whaid. Und noch immer war kein Ende ihres Wegs in Sicht. Im Gegenteil, es ging beständig
weiter in die Tiefe. Der Boden wurde leicht abschüssig, so dass das Tropfwasser sich in zwei kleinen Rinnen links und rechts von ihnen sammelte und abwärts floss. Anfangs waren es nur kleine Ströme, die jedoch beständig breiter und wilder wurden, je weiter sie kamen. Auch wenn das Gestein dort mittlerweile ebenfalls von Kristallen und Tropfstein überkrustet war, wirkten diese Gräben nicht natürlich… , dazu waren sie zu symmetrisch und perfekt zueinander und auch der Abstieg war klar von Menschenhand bearbeitet worden. Kleinere Stufen führten in seiner Mitte entlang, während sich direkt neben den Wasserrinnenbreitere Absätze
in den Stein gehauen worden waren, viel zu groß, als das ein Mensch sie einfach so erklimmen könnte. Aber ein Drache… Alles hier war überdimensioniert und definitiv nicht für Menschen gemacht.
Naria warf einen Blick zur Decke, die sich mittlerweile in schwindelerregender Höhe über ihnen befand. Nur noch vereinzelt fanden Lichtbalken ihren Weg in die Tiefe und sprenkelten die Stufen in ein tückisches Muster aus Schatten. Selbst die Kohlenbecken, die in regelmäßigen Abständen in die Wände eingelassen waren, trugen wenig dazu bei, ihren Weg zu erhellen. Zwar entzündete Abran sie der Reihe nach, aber das stetig herabtropfende Wasser
brachte die hochzüngelnden Flammen rasch wieder zum Erlöschen. Mittlerweile war sie sich sicher, dass dieser Ort nicht ganz natürlichen Ursprungs sein konnte. Vielleicht die Höhle weiter oben, aber das hier… Sie betrachtete die Felswände links und rechts von ihr. Auch diese waren mit einer neuen Gesteinsschicht aus durchscheinendem Kristall überzogen worden, doch dahinter meinte sie noch Fugen und glatte Mauern zu erahnen.
Auf halbem Weg die Treppe hinab wiederum erhob sich ein Altar, gefertigt aus einer schweren Granitplatte, so groß wie eine Hauswand. Dieser Ort war ganz sicher nicht dazu gedacht, von Menschen
betreten zu werden, dachte sie erneut. Trotzdem fühlte Narai sich nicht bedroht, während sie zu Abran und Sein trat, die am Altar auf sie warteten. Im Gegenteil… Es schien dieser Ort hatte die gleiche Ausstrahlung wie der Drachenfriedhof… friedlich und doch keinesfalls zu Unterschätzen.
,, Hier habe ich immer die Knochen zurück gelassen.“ , erklärte Sine leise, während sie die große Steinplatte hinter sich ließen. Die Treppe führte auf beiden Seite darum herum und die Stufen wurden entsprechend schmaler und tückischer. Von den Drachenknochen die das Mädchen gesammelt hatte, fehlte zumindest jede Spur. Dafür jedoch
bemerkte Naria etwas anderes…
Ein Luftzug, der ihnen entgegenschlug, je weiter sie hinab stiegen . Und wurde es nicht auch wieder heller?
Noch ehe sie lange darüber nachdenken konnte, endete die Treppe schließlich, vor einem großen, aus dem Stein gehauenen Rundbogen. Die beiden Wasserrinnen vereinigten sich davor und die kleinen Sturzbäche verschwanden rauschend durch ein Gitter in der Mitte des Durchgangs. Dahinter wiederum folgte ein kurzer Tunnel, an dessen Ende Naria Tageslicht erkennen konnte. Aber das war doch unmöglich… Hatten sie den Berg am Ende einmal durchquert?
Abran jedenfalls sagte nichts dazu,
sondern bedeutete ihnen lediglich, dicht bei ihm zu bleiben, während sie hinaus ins Licht traten.
Einen Moment wurde Naria von der unerwarteten Helligkeit geblendet, als sie und die anderen ins Freie traten. Zumindest hatte sie das zuerst gedacht. Doch sie befanden sich keinesfalls bereits draußen. Auf allen Seiten umgaben sie nach wie vor hohe Felswände, die sich zu einem fast perfekten Kreis zusammenschlossen. Von oben jedoch fiel Licht in das steinerne Rund hinein und sorgte dafür, dass es fast Taghell wurde und sogar einige Pflanzen sich hier angesiedelt hatten. Kleine Bäume, Gräser und Blumen
wuchsen um Quellen mit warmen, dampfenden Wasser herum…
Dieser Ort kam Naria fast wie ein Garten vor, während sie Abran weiter folgte. Der Mann schien selber nicht mehr genau zu wissen, wohin es ging, denn er führte sie auf einem wahllosen Pfad durch ein kleines Wäldchen hindurch. Einzelne Wassertropfen fielen von oben herab und perlten an den Blättern der Bäume ab, die sich über ihnen nun fast wie ein Dach zusammenschlossen. Tatsächlich regnete es und ab und an fand sogar eine Schneeflocke ihren Weg bis zum Boden der Höhle. Sie mussten direkt unter dem Gipfel sein, dachte die Gejarn fasziniert und der Schnee stammte irgendwo von
dort oben…
,, Was sucht ihr hier ?“ Die Stimme, die aus dem nichts zu kommen schien, hallte von den Felswänden wieder. Ein fragender, forschender Ton, der Naria die Haare zu Berge stehen ließ. Oder vielleicht war es auch das, was sich dahinter verbergen mochte, das ihr Angst machte. ,, Wieso kommt ihr ungeladen an diesen Ort ? Ihr betretet heiligen Boden, Menschen.“
Das Gefühl des Friedens das Naria schon in der Höhle gespürt hatte, war nach wie vor da, doch nun war es deutlicher, spürbar fast… Und es schien sich zu bewegen, zu verschieben. Abran und Sine sanken rasch auf die Knie, während
sie immer noch versuchte herauszufinden, woher die Stimme kam.
,, Kareth… wir sind gekommen, weil wir euren Rat suchen.“ , erklärte der Whaid rasch.
,, Und doch habe ich nicht nach euch gerufen.“ Der Sprecher war scheinbar überall und nirgendwo, seine Worte hallten von den Felsen wieder., verzerrten sich, wurden zu einem Chor. Trotzdem hatte Naria das Gefühl, das der Drache nicht weit sein konnte. Und dann öffnete sich ein einzelnes, goldenes Auge, direkt vor ihnen. Ein eigenes Feuer schien darin zu brennen, ein Mahlstrom aus, schwarz und Gold und einem eisigen Blau. ,, Noch habe ich
danach verlangt, dass ihr auf die Knie sinkt. Steht auf Mädchen. Wir sind keine Fremden, nicht wie eure Begleiter…“
Sine erhob sich zögernd und nun kam auch Bewegung in die Gestalt des Drachen. Er hatte anscheinend hinter den Bäumen gelegen, im Schatten der Steinwände, wo er kaum zu sehen gewesen war. Nun jedoch erhob er sich und Narai wich unwillkürlich einige Schritte zurück. Die Bäume wirkten plötzlich unvorstellbar klein, während die Kreatur sich zu voller Größe aufrichtete. Doch trotz seiner Größe bewegte sich der Drache mit einer Anmut, die beinahe an einen Tänzer erinnerte. Ohne auch nur eine Blume
oder einen Baum zu zertreten trat Kareth auf sie zu. Seine Augen blieben dabei fast die ganze Zeit auf Sine fokussiert. Weiße Schuppen bedeckten den Körper des Drachen vom dornenbewehrten Schweif über die vier Krallenbewehrten Füßen, von denen jeder so groß wie eine der Säulen in der inneren Stadt war, bis hin zum gehörnten Schädel, dessen Kiefer mit dutzenden schwertlanger Reißzähne besetzt waren. Selbst die Schwingen waren durchscheinende, weiße Membranen , durch die sich glänzende Adern zogen, als wäre es flüssiges Gold und nicht Blut, das in den Adern der gewaltigen Echse rann. Oder besser, eine der schwingen war es. Die
andere fehlte. Dort wo der linke Flügel aus dem Körper des Drachen hervortrat, war nur noch ein Stumpf übrig. Narben zogen sich die gesamte Flanke entlang, tiefe Furchen, die der wilden Schönheit dieses Wesens jedoch wenig nahmen. Mit jeder Bewegung des Drachen irisierten seine Schuppen wie Perlmutt.
,, Kareth…“ Sine senkte den Kopf. ,, Ich bitte um Verzeihung. Wir wollten euch nicht stören.“ Auch wenn sie sich mittlerweile erhoben hatte, wich sie dem direkten Blickkontakt mit dem Drachen aus. Dieser war mittlerweile vor der kleinen Gruppe zum Stehen gekommen und setzte sich ihnen in den Weg. Der gesunde Flügel überschattete die Bäume
und blockte fast das Sonnenlicht aus, das von oben durch den Schlund fiel, der den Berggipfle formte. Unter der abgetrennten Schwinge jedoch spiegelte sich das Licht auf etwas, das Naria nur zu bekannt vorkam. Knochen, aus bläulichem Kristall, die dort im Moose zwischen den Baumwurzeln verteilt lagen. Und nicht willkürlich, wie ihr klar wurde. Die größeren und kleinen Überreste formten tatsächlich die Umrisse eines Drachenflügels. Nur einige Lücken klafften noch hier und dort. Konnte es sein, das Sine genau danach gesucht hatte?
Sie konnte dem Mädchen ansehen, das es kurz davor stand, das Weite zu suchen.
Besonders als sich die Schnauze des Drachen langsam ihren Kopf näherte. Dieses Wesen konnte sie alle mit einem einzigen Zuschnappen seiner Kiefer töten… Stattdessen jedoch stupste es Sine nur gegen die Stirn um dann im Gegenzug den Kopf vor ihr zu senken.
,, Ich fürchte ich bin es, der um Verzeihung bitten muss.“ Nach wie vor schien die Stimme des Drachen von überall und nirgends zu kommen. ,, Ich habe euch auf einen schweren Weg geschickt Kind. Und es wird nicht leichter werden, ihn weiterhin zu gehen.“
,,Warum ? Wozu die Knochen was…“ Sine sah endlich auf und nun schimmerte
nicht mehr Unsicherheit in ihren Augen, sondern lange unterdrückte Wut. ,, Wozu das alles ? Antwortete mir !“
Sie hielt den Beutle mit der Ausbeute der letzten Tage hoch und schleuderte sie vor der Gestalt des Drachen zu Boden. Kristallknochen verteilten sich im niedrigen Gras vor Kareths Krallen.
,, Ich habe befürchtet, das ihr so reagieren würdet.“ Das große Wesen schloss einen Moment die Augen und der Garten um sie herum schien dabei tatsächlich düsterer zu werden. Als würden hinter diesen Liedern tatsächlich zweigoldene Feuer leuchten. Mit einem Seufzen packte der Drache die Knochen. Die Klauen dieser Kreatur schiene fast
so beweglich und Geschickt, wie die eines Menschen, den zielsicher legte er nun die Überreste an ihrem Platz in dem großen Mosaik des Flügels, dann trat er beiseite und sah noch einmal in Sines Richtung.
,, Ich verstehe nach wie vor nicht.“ , erklärte das Mädchen zögerlich. Naria jedoch spürte, wie sie etwas veränderte. Es war nicht sofort wahrnehmbar, doch sobald der letzte Knochen an seinem Platz war, schien die Luft im inneren des Kraters plötzlich schwerer zu werden. Lichtfunken zuckten zwischen den einzelnen Segmenten hin und her, zuerst kaum sichtbar, dann jedoch beständig
heller.
Naria und die anderen wichen instinktiv zurück, während der Drache blieb wo er war und seine verkrüppelten Schwingen ausstreckte, bis der Krater erneut in Dunkelheit verschwand. Diesmal jedoch war die Finsternis nicht vollkommen. Die Knochen glühten jetzt buchstäblich von innen heraus und erfüllten die Höhle mit einem bläulichen Schimmer. Zitternd bewegten sich die ersten Überreste , bevor sie schließlich , einer nach dem anderen in die Höhe stiegen, genau dorthin wo der verletzte Drachenflügel gewesen wäre. Erneut leuchteten die Knochen auf, während sich kurzerhand Gewebe und dünne Membranen neu
formten und um sie legten. Muskeln und Adern zogen sich durch die neu entstehenden Flügel, bis die letzten Lichtfunken schließlich verloschen und nur noch Kareth zurück blieb, diesmal jedoch mit zwei Schwingen die ihre Schatten über die kleine Gruppe warfen.
,, Ich habe euch ausgesandt, meinen Flügel zu suchen, Kind. Und ich hatte nicht gedacht, das ihr es auch schaffen würdet.“
,, Aber… Ihr hättet jeden anderen darum bitten können. Ihr hättet Abran darum bitten können.“ Das Mädchen sah entsetzt zu dem Drachen auf.
,, Das hätte ich. Und doch war das Risiko zu groß. Ich verlange nicht, das
ihr mir verzeihen könnte, ich habe lange versucht, diese Knochen wieder zu bekommen. Schon seit der Zeit, als wir aus Helike vertrieben wurden.“
,, Wer hat euch den verletzt ?“ , wollte Naria wissen. Jetzt wo sie einmal vor Kareth stand konnte sie sich nicht wirklich vorstellen, was einen Drachen jemals gefährlich werden könnte.
,, Der alte Widersacher des Laos.“
,, Ihr meint den letzten Drachenkönig… warum sollte er einem anderen Drachen so etwas antun ?“ Abran sah ebenfalls irritiert zu der gewaltigen Kreatur auf.
,, Wenn ihr glaubt, es hätte unter den Drachenherrschern keine Meinungsverschiedenheiten und keine
Intrigen gegeben, kleiner Mensch, dann fürchte ich , kennt ihr unsere Art nicht wirklich. Ich habe mich in den letzten Tagen gegen ihn gestellt, habe darauf gedrängt, dass er seinen Zorn auf den Drachentöter besänftigt und eine gütliche Lösung sucht. Doch vergebens. Und am Ende war es diese Blindheit und diese Wut, die ihn vernichtet haben. Nicht jedoch, bevor er mir als Strafe für meinen Wiederspruch einen Flügel ausriss und die Knoche über den Friedhof unserer Ahnen verteilte auf das ich sie nie zurückerlangen würde.“
,, Und als ihr sie zurückhattet, konntet ihr sie wiederherstellen.“ , stellte Naria fest. ,, Warum nur so
?“
,,Ein Drache kann vieles überleben und sich von Wunden erholen, die andere Wesen das Leben kosten würden, doch unsere Magie wird in unseren Knochen gebunden und fokussiert. So wie ein Magier sie wiederum nutzen kann um seine eigene Macht zu steigern. Ohne sie, war ich geschwächt. Stellt es euch so vor, als würde man euch eure Schreibhand hinter den Rücken binden. Ihr würdet sicher noch schreiben können, aber es würde euch sehr viel mehr Mühe bereiten. Und ehrlich gesagt… ich brauchte eine ganze Weile um mich davon zu erholen. Und sie dann auch zu finden. Doch in meinem Zustand wagte
ich es nicht, mich selber auf die Suche danach zu machen. Es gibt auch unter den wenigen Überlebenden Drachen noch jene, die ihren König nicht als das sehen was er war. Ich konnte nicht riskieren, dass sie irgendwie davon erfahren. Es tut mir leid, dass ich euch dafür benutzen musste, aber mir blieb kaum eine andere Wahl. Nun sagt mir, was ihr begehrt… und sofern es in meiner Macht steht, werde ich euren Wunsch auch erfüllen.“