Hermann ist genervt
Schon beim Aufwachen wusste Hermann, dass es nicht sein Tag werden würde.
Er tastete nach seiner Brille,die neben seinem Bett auf dem Nachttisch lag und
blinzelte zum Wecker hin – 6.45 Uhr - .Eine Viertelstunde zu früh.
Musste er sich das eigentlich im Rentenalter antun, um diese unchristliche Zeit aufzustehen? Vom Nebenbett her verrieten ihm leise Schnarchtöne, dass Birgit seine
derzeitige Partnerin, die er vor 9 Monaten kennen und schätzen gelernt hatte, noch tief und fest schlief.
Am Anfang hatten sie sich fast täglich getroffen, waren dann aber nach einigen unschönen Auseinandersetzungen überein gekommen, dass es besser wäre, die Treffen einzuschränken und sich nur noch am Wochenende zu sehen, was sich im Endeffekt auch als positiv heraus stellte. Jeder hatte doch zu hohe Erwartungen an den anderen gestellt.
Seine Blase machte sich bemerkbar und so erhob er sich seufzend und suchte die Toilette auf. Aus dem Spiegel guckte ihn ein etwas missmutiges Gesicht an. Gestern erst hatte ihm Birgit erzählt,
dass der Trainer ihres Sportvereins ihnen erzählt hätte, dass man sich selber öfter im Spiegel anlächeln sollte. Das würde die Endorphine frei setzen und man würde dann viel glücklicher und motivierter in den Tag sehen. Er versuchte zu lächeln, doch das misslang ganz kläglich. Ja das waren immer diese super schlauen Sprüche. Er streckte seinem Gesicht die Zunge heraus.
Ein Blick durch das Fenster verriet ihm, dass es die letzte Nacht wohl gefroren hatte. Die Scheiben seines Autos waren jedenfalls dicht.
Das hatte ihm gerade noch gefehlt, nun musste er auch noch kratzen!
In einem Anfall von Fürsorge hatte er
vorgestern Birgit vorgeschlagen, - ja er hatte es auch noch selbst vorgeschlagen, - sie zum Sport zu bringen, der um 9.00 begann. Sie hätte sonst mit dem Bus fahren müssen und dann noch einen 15 minütigen Fußmarsch gehabt. Birgit war ganz glücklich darüber gewesen, und das wiederum tat ihm doch gut.
Autsch, da war er doch mit seinem rechten Schienbein gegen den blöden Glastisch gestoßen. Das gab wieder einen blauen Fleck. Er hasste diesen Tisch, doch Birgit verstand das nicht, sie liebte ihn. Fluchend setzte er sich auf die Couch und rieb sein Bein.
Da erschien Birgit im Zimmer und fragte,
wie es ihm schien scheinheilig: „Was ist passiert, Hermann? Hast du dir weh getan?“
Was sollte er wohl noch daraufhin sagen? Sch......tisch! Birgit verschwand im Bad und er begab sich in die Küche um das Frühstück vorzubereiten. Es war mit der Zeit zu einem Ritual geworden, dass er schon das Frühstück machte und später dann ins Bad ging.
Nach dem Frühstück lasen sie noch gemeinsam die Zeitung und dann wurde es auch Zeit sich für die Abfahrt fertig zu machen.
Birgit fing auf einmal an, hektisch nach
irgend etwas zu suchen. Das kannte er schon an ihr. Es gab eigentlich keinen Tag, an dem sich nichts suchte. Sie war einfach eine Frau, die niemals ein Ordnungssystem in ihrem Leben hatte.
Er hatte noch nie so eine Frau gekannt. Überall in der Wohnung lagen kleine Blöcke herum, die sie mal von einem Kongress abgestaubt hatte. Und wenn ihr irgend etwas einfiel, was ihrer Meinung nach von Belang war, notierte sie es auf irgendeinem Block, der gerade in der Nähe lag. Er hatte sich mal die Mühe gemacht und diese Blöcke gezählt. Es waren genau 7 Stück.
Gestern erst hatte sie die Adresse einer Freundin aus einem Forum, in dem sie
ständig mit irgend welchen komischen Menschen kommunizierte, die sie überhaupt nicht kannte, verloren. Sie wollte ihr einen Stein aus Albanien, den sie in ihrem gemeinsamen Urlaub, oben in den Bergen extra für sie gesucht hatte, schicken. Den hatte sich diese gewünscht.
Hermann wunderte sich immer wieder, was Frauen doch für komische Ambitionen haben.
Birgit suchte und suchte und schimpfte dabei vor sich hin , wie schrecklich es doch sei, dass sie so unordentlich wäre. Das konnte er ihr nur bestätigen, aber er hielt wohlweislich den Mund. Er wollte sie nicht noch mehr verärgern.
Nachdem sie die Adresse in allen ihren 7 Blöcken nicht fand und immer unruhiger wurde schlug Hermann ihr vor, die genannte Person doch anzurufen. Birgit guckte ihn daraufhin verständnislos an und meinte, dass es doch ein schlechtes Licht auf sie werfen würde, weil sie die Adresse doch erst kürzlich bekommen hätte.
Doch irgendwann entschloss sie sich doch, das Vorgeschlagene zu tun und siehe da, diese Freundin hatte auch noch volles Verständnis für sie und sagte ihr, dass sie auch so eine Zetteltante wäre. Nun war Birgit wieder beruhigt und der Abend gerettet.
Und nun heute auch wieder ! . Birgit
suchte immer noch. Eine Zeitlang guckte er sich das an und fragte vorsichtig, was es denn diesmal sei, das sie suchte.
Schuldbewusst schaute sie ihn an und sagte kläglich: „Du weißt doch, der Stein im Briefumschlag, den ich gleich mit zur Post nehmen wollte – hast du gesehen, wo ich ihn hin getan habe?“ Hermann verstand die Welt nicht mehr, wie konnte man nur so schusselig sein. Doch irgendwie tat sie ihm auch wieder leid zumal die Zeiger der Uhr sich bedrohlich auf die 8.30 näherten, und er suchte mit.
Gott sei Dank wurde der Briefumschlag dann auch schnell gefunden und Birgit
zog ihre Jacke an. Eine Jacke mit 4 tiefen unergründlichen Taschen, in denen sie alles, was sie brauchte verstaute.
Hermann verstand nicht, dass sie keine Handtasche trug. Seine verstorbene Frau hatte mindestens 20 verschiedene Taschen. Doch Birgit sagte, dass ein Tasche sie nur belasten würde, und ihre Jacke ja groß genug sei, um alles aufzunehmen, was sie benötigte. Noch einmal ein Griff in die Taschen, - Geldbörse , Ausweis, Scheckkarte, Brief mit Stein, Tempotücher – Hermann stand da und war kurz vorm Platzen.
Endlich konnte es los gehen. Die Scheiben waren schnell frei gekratzt und
für den Weg dorthin brauchte Hermann normal 15 Minuten, wenn nicht diese blöden Ampeln wären. Heute hatte sich wohl alles gegen ihn verschworen. Was war das nur für ein Tag? Immer nur rot, nein da war eine Ampel die Grün zeigte. Das musste er noch schaffen. Er drückte auf das Gaspedal . Doch musste er den Fuß schnell wieder herunter nehmen. . Der Wagen vor ihm bremste abrupt ab, weil der Fahrer mit seinem Beifahrer heftig diskutierte und wohl nicht so recht wusste, wo er sich einordnen sollte.
„Sabbel nicht so viel und fahr endlich“ knirschte Hermann mit zusammen gebissenen Zähnen. „Der hört dich doch
nicht“ wagte nun auch noch Birgit zu sagen.
Ein Stoßseufzer entrang sich Hermanns Brust: „Mein Gott, warum muss man denn auch mit so vielen blöden Leuten auf dieser Erde zusammen leben !.“
Birgit brach daraufhin in lautes Gelächter aus, guckte ihn unschuldig an und meinte
„Du meinst ja wohl nicht mich?“ Was sollte er nun auch dazu sagen?
Eigentlich mochte er sie ja und sie brachte auch ein bisschen Leben in sein jetzt doch etwas eintöniges Dasein.
Sie waren nun auch endlich angekommen und Birgit streichelte seine Hand und
flötete
„ Danke, das ist so nett, dass du mich her gebracht hast.“
Hermann war ganz gerührt über ihre Dankesbezeugung. Er verabschiedete sich mit einem kleinen Küsschen von ihr und versprach sogar sie wieder abzuholen. Er wollte die kommende Stunde in einem kleinen benachbarten Cafe verbringen und sich an einem leckeren Cappuccino erfreuen.
Die junge attraktive Bedienung erkannte ihn sofort wieder, weil er doch öfter hier war und fragte: „Wie immer?“ Na, das versöhnte ihn doch mit diesem chaotischen Tag.
Es schmeichelte ihm schon, dass sie von
ihm Notiz genommen hatte, denn er war schließlich schon ein etwas gereifterer Herr und hatte stolze 74 Jahre auf dem Buckel. Doch, wenn er sich so mit anderen Männern seines Alters verglich, fand er sich schon attraktiv und durch sein Fitnessstudio, was er regelmäßig zwei mal die Woche besuchte, hatte er auch die entsprechende Figur.
Er setzte sich etwas in Positur.
„Ist hier noch Platz, Darf ich mich zu ihnen setzen?“ ertönte da eine Stimme neben ihm. Erschrocken schaute er hoch.
Eine etwas füllige, stark geschminkte ältere Dame mit hoch toupiertem Haar
und unzähligen Ringen an den Händen guckte ihn mit hoch gezogenen Augenbrauen an.
Er konnte ja schlecht „Nein“ sagen und so nickte er nur in der Hoffnung, dass sie ihn weiterhin in Ruhe lassen würde. Aber nein, sie fing zwanglos an über das Wetter und ihre Krankheiten zu plaudern.
Hermann hielt die Luft an. Er fühlte plötzlich Zorn in sich herauf steigen.
Was hatte er verbrochen, dass er heute mit so vielen unleidlichen Dingen konfrontiert wurde. Er wollte doch nur in Ruhe seinen Cappuccino trinken.
Rasch trank er diesen nun aus und verließ wie gehetzt das Cafe. Für heute
war sein Bedarf an unleidlichen Dingen nun gedeckt und er freute sich schon wieder auf sein Zuhause, Da war keiner, der ihn mit irgend etwas nervte.
Dort hatte er endlich Ruhe ! Himmlische Ruhe !