Das Horoskop
Meine Holde ist leider unverbesserlich. Sie verschlingt in diversen Zeitschriften immer die Horoskope. Das saugt sie auf, wie ein Badewannenabfluss das Badewasser.
Immer wieder weist sie mich darauf hin, dass ausgerechnet mein Sternzeichen schwierig wäre.
Der Zwilling.
Zwei Wesen würden unter meiner Haut herumgeistern. Das ist natürlich Quark! Wenn ich in den Spiegel schaue, dann fühle ich mich als Zwilling nur insoweit bestätigt, dass ich nämlich doppelt so schön bin, wie „Normalos“.
Meine Holde bricht nun auf, zum Friseur, wie sie sagt. In Wirklichkeit hat sie dann unter der
Trockenhaube genügend Muße in den angebotenen Trivialblättchen Horoskope zu verschlingen.
Und noch im Weggehen raunt sie mir zu, dass es gerade heute für mich nicht gut aussähe, wegen Venus und Merkur.
Sie faselt.
Als sie weg ist, widme ich mich der Tageszeitung. Aktuelles, Wirtschaft, Politik überblättere ich, weil ich zum Sportteil kommen muss. Ich interessiere mich eben für Fakten. Doch halt, da gibt es eine ausführliche Seite:
Ihr persönliches Horoskop.
Man kann ja mal reinschauen, bevor ich mich erkundige, ob Jogi Löw seine Blase an der großen Zehe endlich auskuriert hat.
Einige Zeichnungen gibt es, die irgendwelche Sternkonstellationen beschreiben und irgendwo entdecke ich „Heutiger Problemfall – Zwilling“.
Liebe: Sie strahlen von innen heraus. Das zieht andere Menschen magisch an.
Na, also! Ich will gegen Horoskope nichts mehr gesagt haben.
Geld und Beruf: Jupiter blockt. Bitte keine Transaktionen durchführen.
Habe eh' kein Geld, ist also Wurst.
Gesundheit: Heute droht echte Gefahr. Vermeiden sie außer Haus zu gehen. Heute sollten sie vor allem nach oben sehen. Es könnte eine unliebsame Überraschung auf sie einwirken. Es muss nicht sein, aber ein Unfall ist durch ihre mangelnde Lebenskraft nicht unwahrscheinlich. Sie sind stressgeplagt. Versuchen sie sich
innerlich zu ordnen.
Was für ein Geschmier.
Bevor ich mich mit Jogi Löw befasse, gehe ich in die Küche und gieße mir einen Tee auf. Hopsala, da hätte ich mich beinahe verbrüht! Aufpassen, Günter!
Zurück im Wohnzimmer höre ich gerade aus dem Radio:
"Wetterwarnung. Es wurde Sturmwarnung ausgerufen und zwar auf..."
Ich würge den Ton ab.
Unkenrufe!
Irgendwie fühle ich mich nicht so wohl.
Was ist, wenn die große Kastanie hinter dem Haus durch den Sturm abknickt und auf unser Flachdach stürzt? Und was würde dann mit mir
passieren?
Ach herrje! Sagte das Horoskop nicht etwas über Gefahr von oben?
Ich rufe bei einem Baumspezialisten an. "Nach ihrer Beschreibung über den Zustand der Kastanie brauchen sie sich keinerlei Sorgen machen", labert er.
"Ich mache mir keine Sorgen", schreie ich erregt zurück.
"Hier geht es nur um eine Info. Schließlich ist Sturm angesagt."
"Das laue Lüftchen hält der locker aus."
Ich werfe das Handy zu. Stiernackiger Blödmann!
Es droht Gefahr!
Ich kann doch nicht einfach rumsitzen und auf das Schicksal warten.
Denke daran, Du bist selbst deines Glückes Koch, oder so.
Was ist, wenn ein furioser Glassplitter aus dem sturmzerfetzten Fenster direkt von oben in mein Hirn dringt?
Zweieinhalb Stunden später klingelt es an der Haustüre. Ängstlich frage ich über die Sprechanlage:
"Sind die Verwüstungen durch den Sturm schlimm? Ich kann nicht rauskommen, zu gefährlich!"
Da lacht der Andere.
„Welche Verwüstungen? Schönster Sonnenschein! Nein, hier ist nur die Post. Ich habe einen Brief von der Lotterie, sie Glücklicher! Und außerdem habe ich die Stehlampe dabei,
auf die ihre Frau schon sehnlichst wartet.“
„Ach so.“
„Ich wollte schon gar nicht klingeln, weil ich dachte sie wären im Urlaub, so wie am Haus alle Fenster mit Brettern vernagelt sind. Wenn das mit der Lotterie nicht gewesen wäre…“
„Einen Moment, ich komme gleich. Einen Augenblick bitte!“
Schnell habe ich den Hammer und Brecheisen zur Hand. Damit reiße ich mühsam die eingedübelten Bretter heraus, die quer über die Türfasche den Eingangsbereich verstärkt hatten.
Es dauerte etwas. Schließlich laufe ich nach draußen.
„Danke, vielmals, vielmals, dass sie gewartet haben“, entschuldige ich
mich.
Ich nehme das Schreiben entgegen, packe die Kiste und greife die Stange der Stehlampe irgendwie unter den Arm.
Jetzt aber schnell wieder rein.
Im meiner Hast stolpere ich am Absatz zur Eingangstüre über den Sandsack, der das Hochwasser abhalten sollte. Ich segle zu Boden. Mit dem Kinn schlage ich auf die Paketkante. Durch den Aufprall hatte die Stange dabei Schwung bekommen und zieht mir buchstäblich von oben eins über den Schädel.
Kurz und gut, als meine bessere Hälfte wieder eintrudelt, bin ich mit einem Kopfverband verziert und liege ziemlich erledigt auf der Couch. Den blöden Lottobrief hatte ich auch schon hinter
mir.
„Du und deine Horoskope, vielen Dank auch“, presse ich wütend hervor, als sie ins Blickfeld meines blauen Auges geriet.
„Wieso denn das?“
„Na hier“, ich klopfe mit dem Zeigefinger auf die Tageszeitung.
Sie hebt das Blatt auf und starrt mich ungläubig an. „Und?“
„Grauen, Sturm, Unglück! Da steht’s!“
„Das ist doch die Zeitung von gestern, du Heimkind“, lacht sie. „Aber der Wetterbericht!“
„Das war für die Skifahrer wegen der Abfahrten von der Zugspitze. Alpenwetterlage!
Armer Günter, was Du nur immer anstellst!
Aber heute“, spitzt sie süffisant die Lippen, „heute
sollst du es ruhig angehen, weil es sonst nicht so gut für Dich aussieht. Ich habe Dich doch schon beim Weggehen gewarnt, wegen Venus und Merkur.
Tröste Dich, zumindest geschäftlich geht es Dir heute prächtig, sagt zumindest die Konjugation des Mars.“
„Ich weiß“, murmle ich unter Kopfschmerzen und schaue auf den Brief.
"Wir haben 20 € im Lotto gewonnen.“