Romane & Erzählungen
Der Urlaub - Kapitel 11

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"Mystery - zwei Frauen - zwei Phänomene"
Veröffentlicht am 28. März 2016, 36 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

In meinem Garten steht kein Birnbaum - trotzdem unschwer zu erkennen wo mein Zuhause ist. Der Dichter, der dieses Land mit Leidenschaft beschrieb, muss damals schon gewusst haben, dass ich mich dort niederlassen würde. Das Schreiben habe ich - wie fast alle - mit dem ABC erlernt. Eigene Gedanken zu Papier zu bringen ... viel, viel später. Mich hat weder die Muse geküsst, noch fühle ich mich berufen meine Mitmenschen mit meinen literarischen ...
Mystery - zwei Frauen - zwei Phänomene

Der Urlaub - Kapitel 11

Der Urlaub

11. Kapitel


Carla betrachtete sich im Spiegel und war zufrieden mit dem, was sie sah. Sie hatte ihr neues Kleid angezogen und da ihre Haut schon etwas gebräunt war, kamen dessen leuchtende Farben besonders gut zur Geltung. Sie wirkte beinahe etwas exotisch.

Ihr Haar hatte sie zu einem eleganten Knoten aufgesteckt und ein dezentes Make-up aufgelegt.

Obwohl sie nicht in der rechten Stimmung war, hatte sie sich doch entschlossen zu der Abendveranstaltung zu gehen. Sie schlüpfte in ihre silbernen Sandaletten und fragte sich,

ob der Professor wohl auch heute Abend kommen würde. Sie hatte ihn weder gestern noch heute gesehen.

In der Nähe des Swimmingpools würde heute ein Beachbuffet für die Gäste bereitet werden. Vor dessen Eröffnung sollte eine Tanzgruppe traditionelle balinesische Tänze darbieten. Als sie gestern vom Strand zurück gekommen war, hatte die Einladung in ihrem Zimmer gelegen. Achtlos hatte sie sie zur Seite gelegt. Nachdem sie vor etwa zwei Stunden von ihrem Ausflug vom Batursee zurückgekommen war, hatte sie beschlossen noch bis zum Einbruch der Dunkelheit an den Strand zu gehen. Die Koglers waren ebenfalls dort und wollten natürlich wissen, wie Carlas Tag war. Sie berichtete kurz und

erwähnte dann, dass sie nur eine Kleinigkeit im Hotelrestaurant essen und früh zu Bett gehen würde, denn am nächsten Tag wollte sie schon recht zeitig in den Affenwald fahren.

  „Da waren wir heute …“, sagte Herr Kogler.

Doch bevor er weitersprechen konnte, hatte seine Frau ihn unterbrochen und zu Carla gesagt: 

  „Ach, kommen Sie doch heute zu der Veranstaltung. Es wird bestimmt ein interessanter und unterhaltsamer Abend.“

Frau Kogler hatte sie so bittend bei diesen Worten angesehen, dass Carla schon begann, ihre bereits getroffene Entscheidung zu überdenken.

  „Und außerdem sind die Affen zu jeder Tageszeit im Wald“, hatte Herr Kogler

hinzugefügt.

„Sie müssen nicht unbedingt morgens dort hinfahren. Wir waren heute Vormittag dort. Die Affen sind überhaupt nicht scheu und manchmal sogar aggressiv. Bringen Sie ihre Sonnenbrille in Sicherheit und tragen Sie keinen Schmuck. So schnell können Sie gar nicht reagieren, wie Ihre Brille gegriffen oder Ihre Kette vom Hals gerissen wird. Der Affe ist mit seiner Beute auf dem nächsten Baum und dort bleibt er auch. Ein Affe hat meiner Frau die Erdnusstüte aus der Hand gerissen. Aber vorher hat er versucht sie in den Oberschenkel zu beißen. Die Fütterung ging ihm wohl nicht schnell genug. Passen Sie also morgen auf.“

Die Koglers hatten noch einige Anekdoten

von ihrer Begegnung mit den Affen zum Besten gegeben, sodass Carla herzhaft lachen musste. Als die beiden erneut auf Carla eingewirkt hatten, an der Abendveranstaltung teilzunehmen, hatte sie schließlich zugesagt. Carla ging zum Pavillon und schaute über die Mauer zum Swimmingpool. Der Bereich um den Pool wurde von vielen Fackeln und kleinen Lampen beleuchtet. Außerdem war nicht nur der Hauptweg, wie sonst üblich, beidseitig von Fackeln gesäumt; auch die kleinen von ihm abzweigenden Wege wurden von Fackeln erhellt. Carla beschlich ein eigenartiges Gefühl. Zuviel Feuer, schoss es ihr durch den Kopf. Zu ihrer inneren Unruhe gesellte sich eine massive Ablehnung, die

Veranstaltung zu besuchen. Sie verließ den Pavillon und ging auf die Terrasse. Am Nachmittag war das Meer für hiesige Verhältnisse recht ruhig gewesen, aber jetzt hörte sie sein Tosen und das Geräusch der Wellen, wenn sie mit lautem Klatschen ans Ufer rollten. So laut, beinahe drohend, hatte sie es noch nie gehört. Und trotzdem wirkte es, wie immer, beruhigend auf sie. Sie blickte in die Dunkelheit und sah schemenhafte Bewegungen am Strand. Inzwischen wusste sie, dass abends und nachts Hunde ihren Spaziergang am Strand machten und neugierig versuchten in ein vielleicht geöffnetes Haus zu gelangen. Sie waren jedoch ungefährlich und meist überaus zutraulich.

Carla dachte an ihren Ausflug zum Batursee, der ohne verwirrende Ereignisse oder Besonderheiten verlaufen war. Sie hatte ihn um einen Tag verschoben, da sie gestern einfach das Bedürfnis nach Ruhe hatte und einen Tag am Strand zubringen wollte. Sie hatte den ganzen Tag allein verbracht. Der Professor war, wie angekündigt, beschäftigt gewesen, und die Koglers hatten sich auch nicht sehen lassen. Wie sie heute erfahren hatte, waren sie auf Erkundungstour gegangen und hatten den Wasserfall Sidanggila besucht. Sie konnte ungestört ihren Gedanken nachhängen. Ab und zu hatte sie nach ihrem Buch gegriffen, das sie eigentlich im Urlaub lesen wollte, es aber nach kurzer Zeit wieder aus der Hand gelegt,

da sie sich nicht konzentrieren konnte. Immer wieder war die Frage des Professors durch ihren Kopf gegeistert, ob ihr Erlebnis in der Holzschnitzerei die erste merkwürdige Begebenheit in letzter Zeit gewesen war. Er hatte so eindringlich gefragt und sie besorgt angesehen, dass Carla den Eindruck hatte, dass er mehr wusste als er gegenwärtig bereit war zuzugeben. Aber was sollte er wissen, grübelte sie. Allerdings war er ein guter Beobachter. Das hatte sie bereits gemerkt. Sie war oft im Wasser gewesen und konnte sogar eine kurze Strecke schwimmen, da das Meer ruhiger als an den vergangenen Tagen war. Sie hatte ihre Mutter angerufen, die schon auf eine Nachricht von ihr gewartet hatte. Die sonderbaren Begebenheiten

erwähnte sie mit keinem Wort. Sie wollte ihre Mutter auf keinen Fall beunruhigen und sie hätte auch nicht gewusst, wie sie ihr diese erklären sollte. Bevor sie zum Abendessen gegangen war, hatte sie noch Ansichtskarten an Gerlinde und Wolfgang geschrieben - und so war der gestrige Tag ruhig und ereignislos verlaufen.                       

Mit Bedauern verließ Carla die Terrasse, auf der sie gern noch einige Zeit geblieben wäre, verschloss die Terrassentür ordentlich und ging noch einmal ins Bad. Prüfend blickte sie in den Spiegel, steckte schnell noch einen Lippenstift in ihre Tasche und wandte sich zum Gehen. Als sie den Innenhof durchquerte dachte sie, dass heute auch ein ruhiger Tag war - sogar ein schöner Tag. Sie

hatte einige Dörfer besucht, die am Ufer des Batursees lagen. Vom Fahrer ihres Wagens hatte sie erfahren, dass der See die Fruchtbarkeit der Reisfelder in dieser Region garantierte und aus Dankbarkeit die Dorfbewohner ihm jährlich einen Wasserbüffel opferten. Der Fahrer hatte ihr eine einstündige Bootsfahrt über den See nach Trunyan empfohlen. Er hatte angeboten sie zu begleiten, denn die Bewohner dieses Dorfes wären ganz besonders alten Riten verhaftet und verhielten sich Fremden gegenüber nicht immer sehr freundlich. Doch als er ihr erzählt hatte, dass die in Trunyan lebenden Balinesen ihre Toten nicht wie üblich verbrennen, sondern unter einen heiligen

Waringinbaum setzen, lehnte sie den Vorschlag des Fahrers ab. Sie fürchtete auf ausgeblichene Gebeine zu stoßen. Die Toten dienen Vögeln und anderen Tieren zum Fraß, erfuhr sie weiterhin. Die Bewohner des Dorfes glauben, dass die Vögel, die Seelen der Toten in den Himmel tragen, erzählte der Fahrer. Er hatte noch einige Besonderheiten der Trunyan-Bewohner erwähnt und Carla war froh gewesen, dass sie auf den Vorschlag des Fahrers nicht eingegangen war. Aber sie würde auf jeden Fall dem Professor und den Koglers von diesem Dorf erzählen. Herrn Kogler traute sie zu, schon etwas darüber gelesen zu haben. Der Professor wusste vielleicht sogar noch mehr über diese Dorfbewohner. Carla hatte den

Fahrer gebeten, sie nach zwei Stunden an dem Platz, an dem sie sich gerade befanden, wieder abzuholen. Sie hatte sich an das Ufer des Sees gesetzt und die Aussicht auf die Umgebung und den Vulkan Gunung Batur genossen. Der Vulkan hatte in früheren Zeiten immer wieder kleinere Ausbrüche und somit entstanden einige Nebenkrater. Auch diese Information hatte sie dem Fahrer zu verdanken. Die Zeit am See war so beschaulich gewesen, dass Carla sehr entspannt ins Hotel zurückgekehrt war. Doch jetzt war von diesem Gefühl der Ruhe nichts mehr zu spüren. Widerwillig verließ sie den Innenhof und schloss die Pforte hinter sich.

Selbst der kleine Weg zur Pforte wurde durch Fackeln erhellt. Vorsichtig lief sie genau in der

Mitte des Weges und achtete darauf den flackernden Flammen nicht zu nahe zu kommen. Ihre Hand war erstaunlich schnell abgeheilt und sie wollte eine erneute böse Überraschung vermeiden. Als sie auf den Hauptweg einbog, wurde dieser gerade von zwei Frauen betreten, die ebenfalls von einem Nebenweg kamen. Carla hielt sich dicht hinter ihnen. Sie näherte sich den Tischen, die um eine halbkreisförmige gepflasterte Freifläche angeordnet waren. An den am weitesten auseinanderliegenden Punkten des Halbkreises stand jeweils eine steinerne Götterstatue. Der Bogen des Halbkreises wurde von einer ungefähr halben Meter hohen Balustrade aus Natursteinen begrenzt. Ihr war dieses Areal schon

aufgefallen. Es sah aus wie ein Amphitheater. Die abendliche Vorführung würde dort stattfinden. Auf der Balustrade standen Glasgefäße, die mit Wasser gefüllt waren, auf dem Schwimmkerzen schwammen.

Im Hintergrund konnte sie den Swimmingpool sehen, der heute mit buntem indirektem Licht beleuchtet wurde. Die Tische für die Gäste, die entlang der Balustrade angeordnet waren, schmückten ebenfalls Kerzen in hübschen Gefäßen.

Außerdem lagen auf allen Tischen Hibiskus- und Frangipaniblüten. Entlang der Wege waren große Tische aufgestellt, auf denen das Buffet angerichtet war. Die Teller, Platten, Tiegel und Schüsseln waren noch mit Folie und schützenden Hauben bedeckt. Einige

standen auf Warmhalteplatten und an einem pyramidenförmigen Gestell war das Personal noch damit beschäftigt Desserts anzuordnen. Etwas entfernt von den Gästetischen und dem Buffet stand ein großer Grill auf einer Steinplatte, die im Rasen eingelassen war. Ungefähr drei Meter von ihm entfernt befand sich eine ebenfalls große Kühlbox, an der sich gerade zwei Köche zu schaffen machten. Alles machte einen so einladenden und festlichen Eindruck, dass ihre Bedenken, diese Veranstaltung zu besuchen, verblassten.  

Die Koglers und der Professor saßen schon an einem Tisch, der zentral zur Naturbühne stand und von dem sie einen guten Blick auf die Aufführung haben würden. Sie hatten

Carla entdeckt und winkten ihr zu. Wieder einmal war sie froh, dass sie so angenehme und sympathische Menschen kennengelernt hatte.

Als ihr Blick auf den Professor fiel, durchströmte sie ein so warmes Gefühl, dass sie selbst überrascht war. Sie hatte ihn zwei Tage nicht gesehen und freute sich, dass er heute Abend hier war. Nachdem sie sich gesetzt hatte, schaute sie sich um und war doch etwas verwundert, dass sich nicht mehr Gäste eingefunden hatten. Sie schätzte deren Anzahl auf etwa siebzig bis achtzig. Räumte aber innerlich ein, dass das Hotel ja nicht groß war.

  „Sie haben Aufmerksamkeit erregt“, flüsterte ihr Frau Kogler zu.

„Sie sehen aber auch zu hübsch heute aus.“

Carla freute sich über das Kompliment und betrachtete Frau Kogler, die einen cremefarbenen Rock mit passender kurzärmeliger Jacke aus einem sehr leichten Material trug. Die Farbe steht ihr nicht sehr gut, dachte Carla. Trotzdem fand sie nette Worte, mit denen sie das Ensemble von Frau Kogler lobte. Der Professor schenkte allen Wein ein, der schon in einem Weinkühler bereit stand. Er hatte ihn in Absprache mit den Koglers schon vor Carlas Eintreffen bestellt. Carla sah, dass das Paar, das mit den Koglers und dem Professor das Abschlagen der Kokosnüsse beobachtet hatte, sich ihrem Tisch näherte. Ein sehr

attraktives Paar, dachte sie. Die Frau trug einen leuchtendroten schulterfreien Overall. Silberne Schuhe und die passende Abendtasche vervollständigten dieses glamouröse Outfit. Dafür würde noch nicht einmal mein Monatsgehalt reichen, dachte Carla.

Das blonde Haar war zu einem perfekten Bob geschnitten. Ihr Partner hatte sich für eine schwarze Hose und ein weißes Sakko entschieden. Am blütenweißen Hemd waren nach Carlas Geschmack einige Knöpfe zu viel geöffnet. Grüßend traten sie an den Tisch und wechselten ein paar Worte mit den Koglers und dem Professor. Carla fiel sofort auf, dass sich ein abweisender Zug auf dem Gesicht von Frau Kogler ausbreitete. Die

Frau blickte prüfend auf die nebenstehenden Tische, die jedoch schon alle besetzt waren. Mit einem leutseligen „einen schönen Abend noch“ machten sich die beiden auf die Suche nach einem freien Tisch.

  „Ich mag solche Leute nicht“, sagte Frau Kogler.

  „Es sind Holländer. Der Mann hat geschäftlich oft in Singapur zu tun. Seine Frau reist ihm nach einer Woche nach, damit sie dort einkaufen gehen kann. Nach ihrer Ansicht kann man das überhaupt nur in Singapur. Anschließend machen sie dann gemeinsam immer eine Woche Urlaub. Hier in diesem Hotel sind sie schon das dritte Mal. Sie sind aber von Singapur auch schon nach Hongkong und nach Perth geflogen. Das alles

hat uns die Frau in fünf Minuten erzählt.“

Herr Kogler legte seine Hand beruhigend auf den Unterarm seiner Frau und machte sie darauf aufmerksam, dass das Gamelanorchester inzwischen Platz genommen hatte.

  „Und außerdem“, empörte sich Frau Kogler, „hat sich die Frau recht abfällig über den jungen Mann, der die Kokosnüsse abgeschlagen hat, geäußert.“

  „Ärgern Sie sich nicht“, erwiderte der Professor.

„Solche Leute gibt es überall auf der Welt. Übrigens habe ich heute die Hotelmanagerin getroffen“, lenkte er ab.

„Der Flugverkehr auf Lombok wurde gestern Abend wieder aufgenommen. Viele

Touristen sind in den vergangenen Tagen mit der Fähre von Lombok nach Bali gekommen, um von Denpasar weiterzufliegen. Die Passagiere, die am Nachmittag einen Platz auf der Fähre bekommen hatten, kamen jedoch zu spät auf dem Flughafen an, um noch für einen Flug einen Platz buchen zu können. Entweder die letzte Maschine war schon gestartet oder ausgebucht. Die Fähre benötigt immerhin sechs Stunden für die Überfahrt. Die Mehrzahl der Touristen hatte sich offenbar nicht ausreichend genug informiert oder wurde schlecht beraten. Auf dem hiesigen Flughafen herrscht gegenwärtig ein kleines Chaos.“

  „Hoffentlich normalisiert sich das bald“, bemerkte Herr Kogler.

Der Professor berichtete noch, dass der Regen auf Lombok aufgehört hat, aber viele Aufräumungsarbeiten notwendig seien, um Straßen wieder passierbar zu machen. Außerdem waren Flüsse über die Ufer getreten und da diese oftmals verunreinigt waren, drohe die Gefahr von Krankheiten. Carla hörte interessiert zu und konnte für eine kurze Zeit ihre wieder aufgetretene innere Unruhe verdrängen. Sie erinnerte sich in ihrer Reiselektüre gelesen zu haben, dass davon abgeraten wurde in Flüssen zu baden, da die Einwohner sich in ihnen wuschen, teilweise ihre Kleidung darin reinigten und manchmal sogar ihren Unrat dort entsorgten. Das barg natürlich eine Gefahr für die Gesundheit. Sie wollte gerade eine Frage

dazu an den Professor richten als ein Gong ertönte. Das Stimmengewirr verebbte langsam und alle blickten erwartungsvoll auf die kleine Naturbühne. Die lauten Klänge des Gamelanorchesters, das aus zwanzig Musikern bestand, ließen Carla zusammenzucken. Die Töne der gongähnlichen Instrumente und der Trommeln aus Bambus und Metall reizten Carlas Nerven nach wie vor. Aber als die Tänzerinnen auftraten verfolgte Carla beeindruckt deren Darbietung. Getanzt wurde der Legong. Damit die Gäste sich mit der Bedeutung dieses Tanzes vertraut machen konnten, hatte das Personal auf allen Tischen Erklärungen bereitgelegt.

Das erleichterte Carla die Bedeutung

einzelner Tanzfiguren zu verstehen.

Rot, gelb und pink waren die vorherrschenden Farben der traditionellen Kostüme der Tänzerinnen. Alle trugen einen goldglänzenden Kopfschmuck. Die Geschichte wurde weniger durch tänzerische Bewegungen erzählt, vielmehr durch die Mimik der Gesichter und das Bewegen des Kopfes. Stark geschminkt wirkten die Gesichter fast maskenhaft, bekamen aber Leben durch die Bewegung der Augen. Sie blickten nach oben, nach unten, nach rechts und links, sie wurden gerollt oder weit aufgerissen und vermittelten so den Eindruck ein vollkommen selbständiges Leben zu führen. Mit einem Blütenregen endete die Darbietung.

Carla ging langsam an den reich gedeckten Tischen entlang. Die Fülle der exotischen Speisen machte ihr die Entscheidung für eine der Köstlichkeiten schwer. Letztendlich entschied sie sich für die Chilisuppe und einen Salat.

„Die Suppe ist sehr scharf“, warnte sie die Holländerin. Sie stand mit einem Teller, der mit Muscheln gefüllt war, die in einer roten Soße schwammen, direkt hinter ihr.

  „Für unseren europäischen Magen nicht so geeignet“, bemerkte sie weiter. Carla bedankte sich für den Hinweis und erwiderte, dass ihr Magen einiges gewöhnt sei.

  „Wir kennen das hier alles schon. Mein Mann und ich sind schon das dritte Mal hier.“

Meine Güte, dachte Carla. Frau Kogler hatte

recht. Jetzt würde sie ebenfalls einen ausführlichen Bericht über Einkaufsmöglichkeiten in Singapur und Reisen zu weit entfernten Zielen bekommen. Mit verbindlichen Worten versuchte sie sich dem Gespräch zu entziehen, was ihr wahrscheinlich nicht so schnell gelungen wäre, wenn ihr der Professor nicht zu Hilfe gekommen wäre. An die Holländerin gewandt bemerkte er mit einem höflichen Nicken des Kopfes und gleichzeitigem bedauernden Hochziehen der Schultern, dass Carla am Tisch erwartet wurde.

  „Na, Frau Bern, wissen Sie etwas, das wir noch nicht wissen?“, fragte Frau Kogler.

  „Noch fünf Minuten länger in Gesellschaft dieser Dame, und ich könnte Ihnen viel

erzählen“, antwortete Carla.

„Aber der Professor hat mich gerettet.“

Bei diesen Worten legte sie ihre Hand schmunzelnd auf den Arm des Professors. Carla kostete ihre Suppe. Deren Schärfe trieb ihr die Tränen in die Augen.

  „Aber ihre Warnung bezüglich der Suppe war gerechtfertigt“, murmelte sie vor sich hin, nachdem sie mehrmals tief ein- und ausgeatmet hatte.

  „Holen Sie sich doch etwas vom Grill“, empfahl Herr Kogler.

  „Sie können sich aus der Kühlbox aussuchen, was sie gerne hätten. Nach der Zubereitung bringt man es ihnen an den Tisch. Ich habe mich für ein Thunfischfilet entschieden. Es ist köstlich.“

„Ich werde mir etwas später auf jeden Fall gegrillten Fisch holen“, bemerkte der Professor und schob seinen Salatteller, der nur zur Hälfte geleert war, zur Seite.

Das Gespräch drehte sich natürlich um die eben gesehene Tanzdarbietung. Während Carla und die Koglers beeindruckt waren, zeigte sich der Professor etwas enttäuscht.

  „In Java wird der gleiche Tanz aufgeführt“, berichtete er. Aber die Javanesinnen sind von einer tänzerischen Geschmeidigkeit und einer Eleganz, die ich hier vermisst habe. Auf mich wirkte das alles etwas zu eckig und zu posenhaft. Möglicherweise weiß ich aber auch zu wenig über den Aussagegehalt balinesischer Tänze“, schwächte er seine Kritik dann etwas ab. Carla wollte gerade

erwidern, wie sehr sie von der Gesichtsmimik beeindruckt war, als sie das Gefühl hatte, jemand würde eine Fackel in die Nähe ihres Rückens halten. Ein glühendheißer Schmerz durchzuckte sie. Nur mit Mühe unterdrückte sie einen Aufschrei und drehte sich erschrocken um. Nichts Ungewöhnliches war zu sehen. Am hinter ihr stehenden Tisch saßen Gäste, die in eine angeregte Unterhaltung vertieft waren und das Personal, das zwischen den Tischen hin und her huschte, trug alles mögliche, aber keine Fackeln. Verwirrt wendete sie sich wieder ihrem Teller zu. Den forschenden kurzen Blick des Professors übersah sie geflissentlich. Die Koglers schienen von Carlas schreckhafter Reaktion nichts bemerkt

zu haben. Der Schmerz war verschwunden, aber ihre Unruhe, die sie recht gut unter Kontrolle bekommen hatte, kroch wieder in ihr hoch. Unkonzentriert folgte sie dem weiteren Gespräch und war recht froh als der Professor ankündigte, dass er sich jetzt seinen Fisch holen würde. Sofort entschied sie, ebenfalls zum Grill zu gehen und schloss sich dem Professor an. Carla nahm an, dass der Professor jetzt die Gelegenheit nutzen würde, sie auf ihr Erlebnis in der Holzschnitzerei anzusprechen. Aber er erwähnte die Begebenheit mit keinem Wort. Sie gingen über den Rasen und näherten sich langsam der Kühlbox. Offenbar hatten sie den richtigen Zeitpunkt gewählt, denn kein Gast hielt sich gegenwärtig dort auf. Nur

der Koch war damit beschäftigt die Auslagen in der Kühlbox zu sortieren und inzwischen leere Tabletts zu entfernen. Der zweite Koch hatte wahrscheinlich andere Aufgaben übernommen. Carla entschied sich sehr schnell für ein Thunfischfilet, welches der Koch sofort mit einem kleinen Fähnchen, auf dem eine Nummer aufgedruckt war, versah. Nachdem er nach ihrem Tisch gefragt hatte, wendete er sich dem Professor zu. Die Palette der angebotenen Fische war jedoch so groß, dass der Professor mit seiner Entscheidung zögerte und so schlenderte Carla zum Grill, nicht ohne gebührenden Abstand von diesem zu halten. Sie blickte auf die rot glühende Holzkohle und ging sicherheitshalber noch einen Schritt zurück.

Der Grill strahlte eine intensive Hitze aus. Ihr war heiß. Sehr heiß. Und wieder spürte sie Angst in sich aufsteigen. Sie hatte dieses Gefühl schon einmal empfunden, als sie bei ihrer Ankunft auf Bali das Flughafengebäude verlassen hatte. Carla hob den Kopf und sah auf die von Fackeln erhellte Rasenfläche hinter dem Grill. Da stand es. Zum ersten Mal sah Carla es aus so geringer Entfernung. Das Mädchen hatte das Gesicht eines Engels. Die langen blonden Haare fielen wie ein Schleier in leichten Wellen bis weit über die Schultern. Das Kleid, das es trug wirkte etwas befremdlich, weil es nicht dem entsprach, was Kinder heutzutage trugen. Obwohl die Füße fast vollständig im Gras versanken, konnte Carla erkennen, dass es

keine Schuhe trug. Carla blickte dem Kind in die Augen und erstarrte. Kalter Hass schlug ihr entgegen. Und dann spürte sie den Sog. Er erfasste sie mit immenser Kraft und wurde immer stärker. Trotz ihres Widerstandes zog er sie unaufhaltsam an den Grill. Verzweifelt versuchte sie sich abzuwenden, stattdessen hoben sich ihre Arme und ihre Hände näherten sich unaufhaltsam dem glühendheißen Grillrost. Sie wollte schreien, brachte aber nur ein Krächzen zustanden. Entsetzt versuchte sie erneut zurückzuweichen. Doch ihre Hände hatten ein Eigenleben entwickelt und senkten sich, sodass ihre Handflächen unweigerlich den Grillrost berühren würden, wenn es ihr nicht gelang sich dagegen zu wehren. Sie spürte

die unerträgliche Hitze an ihren Handflächen. Rote Funken stoben aus der Glut und fielen nicht nur auf Carlas Arme sondern brannten auch kleine Löcher in ihr Kleid. Wieder wollte sie schreien, aber kein Laut kam aus ihrer Kehle. Ein kräftiger Ruck riss sie zurück. Sie strauchelte und hätten der Professor und der Koch sie nicht gehalten, wäre sie gestürzt.






© KaraList

Erstveröffentlichung der Gesamtausgabe 09/2013

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Hörbuch

Über den Autor

KaraList
In meinem Garten steht kein Birnbaum - trotzdem unschwer zu erkennen wo mein Zuhause ist. Der Dichter, der dieses Land mit Leidenschaft beschrieb, muss damals schon gewusst haben, dass ich mich dort niederlassen würde.
Das Schreiben habe ich - wie fast alle - mit dem ABC erlernt. Eigene Gedanken zu Papier zu bringen ... viel, viel später. Mich hat weder die Muse geküsst, noch fühle ich mich berufen meine Mitmenschen mit meinen literarischen Ergüssen zu überschütten.
Nach gefühlten 20 000 gelesenen Büchern, habe ich mir gesagt, eine Geschichte oder ein Gedicht schreiben, das kannst du vielleicht auch. Und wenn der geneigte Leser nach der letzten Zeile das Buch mit dem Gedanken zuschlägt ´schade, dass es zu Ende ist` - dann war die Mühe nicht umsonst. Denn, Schreiben ist Arbeit.

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trixi1303 Und wieder dieses Mädchen, und dann noch das unerklärliche Empfinden von Feuer. Sehr spannend
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Wow, das wird ja immer misteriöser......
Liebe Grüße
Bärbel (heute zu faul zum Schreiben,)
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Hach, ich war auch gerade bei Dir zu Besuch. :-)
Herzlichen Dank für Deine Lesezeit und den Favo.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Magnolie Ach du meine Güte!! Wie gefährlich. Da muss sie aber ganz schnell eine Widerstandskraft entwickeln. Fragt sich nur wie.
Herzlichst
Manu
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Mit Deiner Frage hast Du recht. Wird sie das schaffen? :-)
Schön, dass Du noch dabei bist. Ich freue mich!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 O, mein Gott! Aber ich kann mich da auch gut rein versetzen. Mir geht es immer so auf hohen Brücken, an hohen Balkongeländern usw. Es zieht mich magisch nach vorn. Bis jetzt habe ichs ja immer geschafft, an der anderen Seite vorbei zu schleichen. Aber das Gefühl ist schrecklich!
LG Christine
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KaraList Huch, hast Du Höhenangst? Mein Schwiegersohn hat dieses Problem auch. Immer schön festhalten und nicht nach unten gucken. Diesen Rat hast Du wahrscheinlich schon zig ´mal bekommen.:-)
Vielen herzlichen Dank für den Favo. Freu.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
gela556 Es ist schrecklich, wenn man versucht von einer Gefahrenquelle weg zu kommen und es geht nicht.
Ich konnte mich ganz gut da reinversetzen.
Klasse, Danke dafür
Schönen Abend noch und LG Angelika
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Ich freue mich über Deinen Besuch bei mir. Du bist ja ein Quereinsteiger. :-) Es ist ja schon das 11. Kapitel. Schön, dass Du bei mir gelesen hast und vielen herzlichen Dank für den Favo.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
gela556 Ich weiß und habe es trotzdem verstanden und hole nun am Abend alles nach. Zumindest versuche ich es.
Vielen Dank für deine nette Antwort
LG, Angelika Hier an der Ostsee regnet es... ;-)))
Vor langer Zeit - Antworten
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