Romane & Erzählungen
Der Urlaub - Kapitel 9

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"Mystery - zwei Frauen - zwei Phänomene "
Veröffentlicht am 20. März 2016, 40 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

In meinem Garten steht kein Birnbaum - trotzdem unschwer zu erkennen wo mein Zuhause ist. Der Dichter, der dieses Land mit Leidenschaft beschrieb, muss damals schon gewusst haben, dass ich mich dort niederlassen würde. Das Schreiben habe ich - wie fast alle - mit dem ABC erlernt. Eigene Gedanken zu Papier zu bringen ... viel, viel später. Mich hat weder die Muse geküsst, noch fühle ich mich berufen meine Mitmenschen mit meinen literarischen ...
Mystery - zwei Frauen - zwei Phänomene

Der Urlaub - Kapitel 9

Der Urlaub

9. Kapitel



Nun war sie schon den zweiten Tag auf Bali. Die Entscheidung hier zu bleiben, die sie zu ihrer eigenen Verwunderung sehr schnell getroffen hatte, fiel ihr nicht schwer. Jetzt war sie froh, dass das Reisebüro keinen Direktflug von Singapur nach Lombok buchen konnte. Was hätte sie getan, wenn sie auf dem Changi International Airport in Singapur festgesessen hätte. Sie hatte ihre Eltern angerufen und ihnen alles berichtet. Natürlich waren sie zuerst beunruhigt, doch nachdem sie merkten, dass Carla mit der

neuen Situation zufrieden war, beruhigten sie sich wieder. Mit Simone hatte sie auch telefoniert. Deren Reaktion war für sie typisch.

  „Wunderbar“, sagte sie.

  „Bali hat für uns Europäer eine so fremde Kultur, die Menschen sind freundlich, die tropische Vegetation ist eine Freude für das Auge und sogar frei lebende Affen kannst du sehen. Pass auf, dass du nicht gebissen wirst.“

Simone war vor ihrer Heirat schon einmal auf Bali gewesen. Carla hatte überlegt, ob sie Gerlinde auch anrufen sollte, entschied aber dann, ihr eine Karte zu schreiben. Darüber würde diese sich freuen und die Neuigkeit würde sie sowieso von ihrer Mutter erfahren.

Wolfgang und seine Frau würden auch eine Karte bekommen - aber das hatte alles noch Zeit.

Carla war so in ihre Gedanken an den gestrigen Tag vertieft, dass der Rest Kaffee in ihrer Tasse inzwischen kalt geworden war. Sie schob die Kaffetasse zur Seite und verließ den Pavillon um in der Villa ihre Strandtasche zu packen. Jetzt wollte sie erst einmal an den Strand. Mit den Koglers und dem Professor hatte sie verabredet, dass sie sich nach dem Frühstück dort treffen wollten. Die Koglers und den Professor hatte sie gestern Abend im Hotelrestaurant getroffen. Als der Professor ihr mitteilte, dass er sich zum Bleiben entschlossen hatte, verwunderte Carla das sonderbarer Weise überhaupt

nicht.

  „Nachdem wir uns jetzt doch häufiger begegnen werden, möchte

ich mich auch offiziell vorstellen“, hatte der Professor gesagt. Ich heiße Imre Simon.“

  „Carla Bern“, hatte sie mit einem Lächeln geantwortet.

  „Ich habe Ihren Namen schon im Flughafengebäude auf dem Schild gelesen, das der Hotelangestellte hochhielt. Sie haben eben Ihren Titel unterschlagen.“

  „Nicht wichtig“, hatte er lachend erwidert.

Sie hatten beschlossen gemeinsam einen Tisch zu nehmen und waren bei der Suche nach einem hübschen Platz den Koglers begegnet. Die Freude der Koglers, dass Carla weiter im Hotel bleiben würde, war so

echt, dass Carla leicht gerührt war. Ihre eigene Reaktion hatte sie überrascht und etwas irritiert. Sie kannte die Koglers erst seit zwei Tagen. Es waren eigentlich Fremde für sie. Carla hatte alle einander vorgestellt und letztlich einigten sie sich, gemeinsam einen Tisch zu nehmen.

Die beiden Männer hatten sofort Gesprächsthemen, die ganz offensichtlich für beide von Interesse waren und die sie sicher gern noch ausführlicher erörtert hätten, wenn Frau Kogler nicht mit feinem Humor darauf hingewiesen hätte, dass sie gerade heute noch nicht dazu gekommen war, das Kapitel über den Bau der Peterskirche in Rom zu lesen, und sie sich leider nicht an dem Gespräch beteiligen könne. Ein wenig peinlich

berührt hatten sich die Männer wortreich entschuldigt und die darauf folgende Unterhaltung war für alle so interessant und kurzweilig gewesen, dass der Abend ein schönes Ende gefunden hatte.



Als Carla zum Strand kam, waren die Koglers schon da. Sie belegte die Liege neben ihnen und ging zu ihnen hinüber, um sie zu begrüßen. Herr Kogler legte das Buch, in dem er gelesen hatte, zu Seite und meinte:

  „Das Meer ist heute wieder so unruhig. Ob die Wetterverhältnisse auf Lombok vielleicht Einfluss darauf haben?“

  „Du hättest die richtigen Bücher mitnehmen sollen“, erwiderte seine Frau,

„dann wüsstest du es vielleicht.“

Sie lächelte ihn schelmisch an und reichte ihm ein Glas Mineralwasser vom Tisch, der zwischen ihren Liegen stand. Carla unterdrückte ihr Lachen, denn die Bemerkung von Frau Kogler war unmissverständlich ein Warnschuss, nicht wieder in Fachsimpeleien, wie am Vorabend, zu verfallen. Carla blickte auf die bewegte See und beschloss sich ein bisschen mit den Besonderheiten und sehenswerten Orten Balis vertraut zu machen. Sie nahm das Informationsmaterial des Reisebüros aus ihrer Strandtasche und streckte sich auf ihrer Liege aus. Wie sie vermutet hatte, war es nicht viel, was sie nachlesen konnte. Ihr eigentliches Ziel war ja Lombok gewesen; und

dementsprechend war auch ihr Informationsmaterial zusammengestellt worden. Keine fünf Minuten später brachte eine zierliche Balinesin vom Strandservice eine Flasche eisgekühltes Mineralwasser und ein Glas auf einem Holztablett. Als Dekoration lag eine leuchtendrote Hibiskusblüte neben dem Glas. Carla blätterte in einem schmalen Büchlein und fand eine interessante Beschreibung der Region Ubud. Die Entscheidung, ob sie am nächsten Tag in eines der Dörfer in dieser Region, die als Zentrum der Künstler beschrieben wurde, oder lieber in den Affenwald fahren sollte, verschob sie auf später.

Sie würde sich ein Taxi nehmen, vielleicht

auch einen privaten Fahrer, mit dem sie handeln konnte. Beide Varianten waren hier außerordentlich preiswert. Das hatten die Koglers erzählt, die am Vortag schon erste Erfahrungen gemacht hatten. Der Professor hatte ihnen zugestimmt, jedoch davon abgeraten, mit einem Bemo, dem hier üblichen öffentlichen Verkehrsmittel, weitere Strecken zu fahren. Er hatte einige Besonderheiten erwähnt, die beim Besuch von Kultstätten beachtet werden sollten und über Riten und Bräuche der Hindus auf Bali berichtet, die immerhin neunzig Prozent der Bevölkerung ausmachten.

  „Sie lieben und verehren ihre Götter, aber sie fürchten sie auch, genauso wie ihre Dämonen“, hatte er gesagt.

„Auf jeden Fall sollte man darauf achten die Gefühle der Balinesen nicht zu verletzen. Sie sollten niemals das Empfinden haben, dass sie ihr ´Gesicht verloren` hätten“, hatte er sehr eindringlich gesagt.

Carla und auch die Koglers hatten ihm interessiert zugehört. Aus den gezielten Fragen von Herrn Kogler schloss Carla, dass er schon einiges darüber gelesen hatte. Sie hatte den Professor gefragt, woher er so viel über Bali wusste und erfuhr, dass er Ethnologe sei und schon einige Male auf Java war, wo er einen befreundeten Kollegen in Jakarta besucht hatte. Seine Kenntnisse hatten also einen beruflichen Hintergrund. Er würde auch nach seinem Aufenthalt auf Bali nach Jakarta fliegen.

Carla legte den Reiseführer, in dem sie nur noch recht oberflächlich geblättert hatte, auf den Tisch und dachte an die Unterhaltung, die sie gestern Abend im Hotelrestaurant mit dem Professor geführt hatte. Nachdem die Koglers sich verabschiedet hatten, hatte der Professor sie noch zu einem Glas Wein eingeladen. Gern hatte sie das Angebot angenommen, denn sie musste sich eingestehen, dass sie gern in seiner Gesellschaft war. Er hatte von seinen Reisen erzählt, seinen Erfahrungen mit fremden Kulturen und hatte auch Kurioses berichtet, das ihm widerfahren war. Sie hatte erfahren, dass seine Eltern Ungarn waren und dass er in Wien aufgewachsen ist und auch dort studiert hatte. Gegenwärtig sei er Gastdozent

an der Freien Universität in Berlin.

„Aber ich halte nur noch selten Vorlesungen“, hatte er lächelnd erwähnt.

  „In meinem Alter tritt man schon etwas kürzer“.

Beim Abschied hatte er sich entschuldigt, dass er nur über sich gesprochen hatte, und sie gar nicht zu Wort habe kommen lassen. Aber Carla hatte ihn beruhigt und ihm versichert, dass sie sich ausgezeichnet unterhalten habe. Sie hätte nichts Spannendes zu erzählen. Ihr Leben sei ohne Besonderheiten, so wie das von Millionen anderer Menschen. Jetzt im Nachhinein fiel ihr auf, dass er über sein privates Umfeld gar nichts erzählt hatte. Er ist sicher verheiratet und hat eine Familie, dachte sie. Aber in

Berlin lebt er nicht. Da war sie sich sicher. Er hatte interessiert zugehört als sie vom Gendarmenmarkt und den dort stattfindenden Open Air Konzerten berichtete oder dem Verkehrschaos, das meistens am Potsdamer Platz herrschte, hatte auch öfter zustimmend genickt und über ähnliche Erfahrungen, die den Verkehr Berlins betrafen, berichtet. Und trotzdem hatte sie den Eindruck, dass er dort nicht zu Hause war. Er wohnt bestimmt in einer Ortschaft außerhalb Berlins, dachte sie. Er wohnt überhaupt nicht in Deutschland schoss es ihr durch den Kopf. Carla wurde aus ihren Gedanken gerissen als sie Frau Kogler sagen hörte:

  „Da kommt der Professor. Er hat wohl

etwas länger geschlafen.“

Der Professor war bei den Liegen angekommen und nachdem er alle begrüßt hatte meinte er, bezogen auf sein spätes Erscheinen:

  „Ältere Leute haben morgens ihre Anlaufschwierigkeiten.“

Herr Kogler schaute ihn über seine Brille an, die ihm beim Lesen etwas auf die Nasenspitze gerutscht war, und erwiderte:

„Die kenne ich.“

Dann wandte er sich wieder seinem Buch zu. Unmerklich schüttelte Carla den Kopf. Da war sie nun auf Bali in einem schönen Hotel, hatte noch fast zwei Wochen Urlaub vor sich und schloss Urlaubsbekanntschaften mit Menschen, die älter als ihre Eltern waren. Sie

blickte sich um und hielt Ausschau nach Gästen, die vielleicht in ihrem Alter waren. Sie konnte nur ein Paar entdecken, das ihrem Alter etwas näher kam. Es war gerade dabei seine Liegen auf den Rasen zu ziehen. Auch der Professor versuchte seine Liege unter eine Palme zu ziehen, erhielt jedoch sofort Hilfe vom Strandpersonal.

Carla beschloss ins Wasser zu gehen und fragte Frau Kogler, ob sie mitkommen würde. Etwas zögernd stimmte diese zu, denn die hohen Wellen machten ihr etwas Angst. Während Carla sich immer wieder in die Wellen warf, tauchte Frau Kogler nur kurz ins Wasser, winkte prustend ab und ging zu ihrer Liege zurück. Erfrischt und zufrieden kam Carla aus dem Wasser und wollte gerade

nach ihrem Handtuch greifen, als sie sah, dass das Glas auf dem Tablett zerbrochen war. Exakt in zwei Teile. Verständnislos blickte sie auf die Scherben. Beim Aufstehen von der Liege war sie weder an das Glas noch an den Tisch gestoßen. Es konnte auch nichts von oben herabgefallen sein. Der Sonnenschirm überdachte die Liege und den Tisch. Sie blickte zu den Koglers, die beide nicht den Eindruck machten, als wenn sie etwas gesehen hätten. Der Professor blickte zu ihr herüber. Offenbar hatte er ihre Verwirrung bemerkt.

  „In letzter Zeit habe ich zu Glas kein gutes Verhältnis“, murmelte sie, nahm die Scherben und hielt Ausschau nach einem Abfallbehälter. Als sie beim Professor

vorbeiging sagte sie:

„Ich muss wohl vorhin beim Aufstehen dagegen gestoßen sein.“

Aber sie wusste es besser.  Sie ging über den Rasen und hinter einem Hibiskusstrauch fand sie einen Abfallbehälter. Etwas unschlüssig, was sie jetzt tun sollte, überlegte sie, ob sie wieder an den Strand gehen oder sich den Hotelpark ansehen sollte. Da es unter den hohen Bäumen jedoch schön schattig war, entschloss sie sich zu einem Spaziergang. Sie betrat schmale von blühenden Büschen gesäumte Wege, von denen sie wiederum auf noch schmaleren Wegen zu den versteckt liegenden Lanais kam. Überall waren entweder kleine Brunnen oder künstliche Wasserteiche angelegt.

Palmen von unterschiedlicher Größe und Frangipanibäume standen auf gepflegten Rasenflächen. Jetzt sah sie den kleinen Haustempel, der kaum größer als sie selbst war. An seinem Fuß war er mit einem schwarz-weiß karierten Tuch umwickelt. Das Muster ähnelte einem Schachbrett. In dem Korb, der im Tempel stand, lagen Früchte, Reis und Blumen. Die Räucherstäbchen waren fast abgebrannt und verbreiteten den ihr inzwischen schon fast vertrauten Geruch. Welchem Gott brachte man diese Gaben wohl dar, fragte sich Carla. Sie würde den Professor fragen. Der Teil des Parks, in den sie dann gelangte, war recht urwüchsig und weckte ihre Neugier. An einer Wegbiegung entdeckte sie ein Schild mit der Aufschrift

´Personal`. Dieser Bereich war also nicht für Hotelgäste gedacht. Trotzdem ging sie weiter und sah an einer Mauer - offenbar die Eingrenzung des Parks - kleine Gebäude stehen, die wahrscheinlich Verwaltungs- oder Lagerräume des Hotels waren. An einigen Fenstern hingen Vorhänge, und so vermutete sie, dass es vielleicht sogar Unterkünfte für das Hotelpersonal sein könnten. Sie wollte gerade umkehren als sie ein Rascheln hörte. Suchend blickte sie sich um und sah gerade noch eine Gestalt hinter einem großen Strauch verschwinden. Auf dem Rückweg begegneten Carla nur wenige Leute. Einige Gäste mit Handtüchern über dem Arm strebten zum Strand und ein Gärtner harkte die wenigen welken Blüten, die

auf dem Weg lagen, zusammen. Das alles nahm Carla aber kaum wahr. Auch die Blütenpracht rechts und links des Weges fand nicht mehr ihr Interesse.

Vielmehr beschäftigte sie der Gedanke ob ihr ihre Phantasie einen Streich gespielt hatte oder ob sie wirklich bei der hinter dem Strauch verschwindenden Person langes blondes Haar erkannt katte. Sie kannte diese langen blonden Haare. Vielleicht war es aber auch ein Hotelgast, der, genau wie sie selbst, sich diesen Bereich des Parks anschauen und dabei nicht entdeckt werden wollte, beruhigte sie sich selbst. Wie schon einmal, verspürte sie dieses unerklärliche Gefühl. Angst. Sie hatte ihre Schritte beschleunigt und kam etwas außer Atem bei den anderen

am Strand an. Die Koglers standen neben der Liege des Professors und blickten ihr schon erwartungsvoll entgegen.

  „Wir wollen heute am frühen Abend nach Kuta fahren, ein bisschen durch die Straßen bummeln und dort in einem netten Restaurant einheimische Spezialitäten probieren“, sagte Frau Kogler.

„Möchten Sie nicht mit uns kommen, Frau Bern?“

Carla hätte sich Kuta in den nächsten Tagen sowieso angesehen. Warum also nicht heute? Also stimmte sie zu und löste damit nicht nur Freude bei den Koglers aus, sie lernte nunmehr auch das Geschick von Frau Kogler kennen, mit dem es dieser gelang den Professor zu überreden, sie alle zu begleiten.

Er reagierte zunächst etwas ausweichend und machte seine Entscheidung von einigen Umständen abhängig. Aber schließlich stimmte er lachend zu, wenn, schränkte er ein, das Telefongespräch, das er unbedingt am Abend noch führen müsse, bis zu ihrem gemeinsamen Aufbruch, erledigt sein würde. Bevor jeder wieder zu seiner Liege ging, einigten sie sich auf eine Zeit, zu der sie aufbrechen wollten.

„Er kann doch sein Handy mitnehmen“, sagte Frau Kogler auf dem Weg zur Liege zu Carla.

  „Aber vielleicht ist es ein längeres Gespräch und er will das Haustelefon benutzen“, erwiderte Carla.

Carla wollte noch einmal ins Wasser gehen,

denn nur dort - das wusste sie - würde sie ihre Unruhe, die sie seit ihrem merkwürdigen Erlebnis im Park befallen hatte, überwinden können. Frau Kogler hatte es sich auf ihrer Liege bequem gemacht und die beiden Männer hatten sich wieder ihrer Lektüre zugewandt. Somit war Carla der Frage enthoben, ob sie jemand begleiten wolle. Wieder und wieder ließ sie sich in die Wellen fallen, tauchte unter ihnen hindurch oder ließ sich von ihnen fast bis an den Strand tragen. Als sie aus dem Wasser kam, fiel ihr auf, dass einige Leute sie beobachtet hatten.

Ein dunkelhäutiger Mann, der am Strand spazieren ging, lüftete seinen Strohhut und rief ihr zu:

  „Das Meer liebt Sie.“

Als sie zurück auf das Wasser blickte, war sie doch etwas erschrocken, wie hoch die Wellen waren, mit welcher Gewalt sie umschlugen und dann mit lautem Klatschen ans Ufer rollten, um sich nach dem Sog zurück ins Meer, erneut aufzubauen. Carla war hungrig geworden und beschloss eine kleine Zwischenmahlzeit im Pavillon einzunehmen. Sie griff nach ihrer Strandtasche - die Handtücher legte sie auf die Liege, da sie später zurückkommen würde - und meldete sich bei den anderen ab.

In der Villa war es angenehm kühl. Das Zimmermädchen hatte schon aufgeräumt und die Klimaanlage eingeschaltet. Als sie in den Innenhof blickte, entdeckte sie keine einzige Frangipaniblüte auf dem Rasen. Sie ging ins

Bad, um ihren nassen Badeanzug auszuziehen und erblickte eine weitere Schale mit diesen duftenden Blüten auf dem Fußboden neben der Badewanne. Offenbar hatte das Personal ihre Vorliebe für diese Blüten bemerkt. Bei nächster Gelegenheit würde sie sich für diese Aufmerksamkeit bedanken. Sie duschte schnell, wickelte sich in ein großes Badetuch und bestellte telefonisch ein Sandwiches mit Schinken und Käse. Dazu nahm sie ein Kännchen Kaffee. Innerhalb kürzester Zeit brachte der Zimmerservice das Gewünschte und stellte das Tablett auf den Tisch im Pavillon. Entgegen ihrer Absicht ihren Imbiss dort einzunehmen, griff sie nach dem Tablett und ging damit auf die Terrasse. Nachdenklich

blickte sie auf das unruhige Meer. Seitdem sie diese Reise angetreten hatte, ereigneten sich merkwürdige Dinge. Sie versuchte sich jetzt nicht mehr einzureden, dass es nur Zufälle waren, und rief sich alle Begebenheiten bewusst ins Gedächtnis zurück. Die zerbrochenen Gläser, das eigenartige Gefühl der Hitze im Flugzeug, aber vor allem ihre Begegnungen mit dem blonden Mädchen. Und sie erinnerte sich an das kurze Gefühl der Angst, als sie das Flughafengebäude auf Bali verlassen hatte. Sie blickte auf die Wunde auf ihrer Hand, von der sich das Pflaster beim Baden gelöst hatte. Sie heilte überraschend schnell. Trotzdem würde sie ein neues Pflaster auflegen. Carla dachte an die Worte ihrer

Mutter, die öfter ihre vorausschauenden Fähigkeiten erwähnte. Es berührte sie immer unangenehm, wenn ihre Mutter sie darauf ansprach. Und einige Male hatte sie sogar recht ungehalten reagiert. Sie war der Ansicht, dass jeder, der einigermaßen logisch denken konnte, eine gute Menschenkenntnis besaß und sensibel mit den Gefühlen anderer umging, bestimmte Dinge voraussehen konnte. Sie wusste jedoch auch, dass das Vorhandensein dieser Eigenschaften, das eine oder andere Missgeschick abwenden konnte - einen Einfluss auf das Schicksal hatten sie nicht. Was hatte das alles zu bedeuten? Waren es Warnungen? Wovor? Was sollte ihr hier auf dieser schönen Insel passieren? Carla

wünschte mit jemandem darüber reden zu können. Sie überlegte ob sie Simone anrufen sollte. Aber schnell verwarf sie den Gedanken wieder. Simone würde ihr wie immer aufmerksam zuhören, aber dann alles auf ihre überreizten Nerven zurückführen und darauf, dass sie zu viel in die Dinge hineininterpretierte. Ein dumpfer Ton riss Carla aus ihren Gedanken. Als sie suchend um sich blickte sah sie einen Balinesen, der barfüßig auf eine Palme geklettert war und mit einer Machete Kokosnüsse abschlug. Der Aufprall der Kokosnüsse verursachte dieses dumpfe Geräusch. Ein anderer Balinese sicherte diesen Bereich ab, damit kein Hotelgast Gefahr lief, eine schmerzhafte Bekanntschaft mit den fallenden

Kokosnüssen zu machen. Einige Hotelgäste hatten sich genähert, hielten aber gebührenden Abstand, und beobachteten das waghalsig anmutende Schauspiel. Es wirkte allerdings auch sehr gefährlich, den jungen Mann oben auf der Palme arbeiten zu sehen. Auch die Koglers und der Professor hatten sich zu den Schaulustigen gesellt. Zu ihnen trat gerade das Paar, das Carla schon vorhin bemerkt hatte, als es seine Liegen auf den Rasen zog. Sie sah, dass die beiden mit den Koglers ins Gespräch kamen, während der Professor sich etwas zurückhielt. Die Frau war vielleicht etwas älter als Carla und wirkte - obwohl sie nur mit einem fast durchsichtigen Strandanzug über ihrem Bikini bekleidet war - sehr elegant. Ihren Partner

konnte Carla nicht richtig sehen, da er einerseits von Herrn Kogler halb verdeckt wurde und er außerdem mit dem Rücken zu ihr stand. Inzwischen war eines der auf dem Hotelgelände üblichen Elektrofahrzeuge herangefahren, um die Kokosnüsse abzutransportieren. Der Baumkünstler war mit seiner Arbeit auch fertig und begann den Abstieg. Die Machete hatte er in die Schärpe gesteckt, die um seine Taille gewunden war. Die Zuschauer zerstreuten sich wieder und auch Carla verließ ihren Platz auf der Terrasse um sich wieder auf ihre Liege am Strand zu legen. Zuvor brachte sie das Tablett mit dem Geschirr zurück in den Pavillon und zog dann ihren Badeanzug wieder an, der inzwischen getrocknet war. Die

Villa verschloss sie ordentlich. Als Carla sich dem Strand näherte - es waren ja nur wenige Meter von ihrer Terrasse - sah sie, dass der Professor und Herr Kogler mit den Füßen im Wasser standen und in ein Gespräch vertieft waren. Frau Kogler sah ihr lächelnd entgegen und rief:

  „Ich dachte Sie kommen gar nicht mehr wieder.“

Carla blickte auf ihre Uhr und war überrascht, dass es schon so spät war. Sie hatte fast zwei Stunden auf der Terrasse gesessen - und über vieles nachgedacht. Zu Frau Kogler jedoch sagte sie freundlich:

  „Ich habe die Kokosnussernte beobachtet, genauso wie Sie.“

Carla nahm sich ein Handtuch, das sie neben

die Liege von Frau Kogler auf den heißen Sand legte. Eine viertel Stunde intensive Sonne würde ihr nicht schaden. Frau Kogler wandte sich Carla zu und machte ein paar scherzhafte Bemerkungen über die beiden Männer, die offenbar nur den Mut hatten ihre Zehen im Wasser zu baden. Sie lächelte etwas verlegen und bekannte, dass ihr diese hohen Wellen auch Angst bereiteten. Beide Frauen beobachteten den wenig belebten Strand als Frau Kogler erfreut sagte:

“Da kommt die Frau mit den Pareos. Ich werde zu ihr ans Wasser gehen und für meine Tochter einen aussuchen.“

Als sie zurück kam, breitete sie vor Carla einen wunderschönen gelben Pareo, der mit braunen Ornamenten bestickt war, aus.

„Das sind die Farben, die meine Tochter mag“, meinte sie.

„Beim Handeln stelle ich mich doch sehr ungeschickt an“, sagte sie lachend.

  „Außerdem spreche ich nicht gut Englisch. Beim nächsten Einkauf nehme ich meinen Mann mit.“

Im weiteren Gespräch erfuhr Carla, dass die Koglers eine kleine Gärtnerei gehabt hatten und die Tochter diese vor fünf Jahren übernommen hatte.

  „Inzwischen hat sich viel verändert“, erzählte Frau Kogler.

  „Das Angebot wurde erweitert, der Blumenladen vergrößert und sie bietet einen Service für Blumendekorationen zu festlichen Anlässen oder Veranstaltungen an. Mein

Mann und ich haben die Gärtnerei immer allein bewirtschaftet. Ab und an hatten wir eine Aushilfe, die uns bei der Pflanzenanzucht zur Hand ging, manchmal auch vor Feiertagen im Laden bediente. Deshalb konnten wir nie einen längeren Zeitraum verreisen. Reich sind wir nicht geworden. Aber wir konnten unseren drei Kindern eine ordentliche Ausbildung ermöglichen. Unser jüngerer Sohn ist Tischlermeister und betreibt mit zwei Freunden eine kleine Tischlerei, die recht ordentlich läuft. Nur unser ältester Sohn tanzt aus der Reihe. Er hat ein Musikstudium in Frankfurt absolviert und spielt jetzt in einem Symphonieorchester.“

Carla musste bei den letzten Worten von Frau

Kogler schmunzeln. Wie stolz sie jedoch gerade auf diesen Sohn war zeigten ihre nächsten Worte.

  „Er ist schon auf vielen Tourneen im Ausland gewesen und es war seine Idee, meinen Mann und mich auf diese Reise zu schicken.“

Carla hatte interessiert zugehört und fühlte sich in ihrer Meinung erneut bestätigt, dass die Koglers nette und bodenständige Menschen waren und sie keine bessere Urlaubsbekanntschaft hätte schließen können. Da Frau Kogler weder einen Schwiegersohn noch Schwiegertöchter erwähnte, nahm Carla an, dass keines ihrer Kinder verheiratet war. Die nächsten Worte von Frau Kogler bestätigten ihre Vermutung.

„Nur auf Enkelkinder werden mein Mann und ich wohl noch warten müssen. Die lockeren Beziehungen, die meine Tochter und auch mein Ältester haben, sind keine Grundlage, um eine Familie zu gründen. Und mein Jüngster meint, er hätte jetzt keine Zeit für Frau und Kind.“

Seufzend wies sie auf ihren Mann, der gerade mit dem Professor vom Wasser zurückkam und auf seine Liege zusteuerte.

„Mit seinen Enkelkindern würde er viel Zeit verbringen.“ Carla stand auf, griff nach ihrem Handtuch und wollte zurück zu ihrem Platz gehen. Als sie sich umdrehte, machte Frau Kogler sie darauf aufmerksam, dass die Sonne es mit ihrem Rücken sehr gut gemeint hatte und bot ihr ein kühlendes Gel an, das

sie sofort aus ihrer Villa holen wollte. Schnell war sie wieder zurück und trug das Gel gleich auf Carlas Rücken auf. 

  „Frau Bern, Sie sollten ihre Terrassentür schließen, wenn Sie die Villa verlassen. Als ich eben kam, habe ich gesehen, dass sie offen ist.“

Carla sah zur Villa hinüber. Die Tür stand offen. Sie wusste genau, dass sie die Tür geschlossen hatte.

„Das muss ich vergessen haben“, sagte sie wider besseres Wissen.

„Ich wollte sowieso gehen und mich noch ein bisschen auf die Liege im Innenhof legen. Wir sehen uns dann heute Abend am Eingang des Hotels.“

Carla packte ihre Sachen zusammen und

winkte noch den beiden Männern zu, die ebenfalls zu erkennen gaben, dass sie aufbrechen wollten.

Wenn die Glasscherbe nicht in allen Regenbogenfarben gefunkelt hätte, weil das Sonnenlicht auf sie fiel, wäre Carla sicher mit nackten Füßen darauf getreten. Sie lag im Zimmer, unmittelbar hinter der offenen Terrassentür.










© KaraList

Erstveröffentlichung der Gesamtausgabe

09/2013

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Hörbuch

Über den Autor

KaraList
In meinem Garten steht kein Birnbaum - trotzdem unschwer zu erkennen wo mein Zuhause ist. Der Dichter, der dieses Land mit Leidenschaft beschrieb, muss damals schon gewusst haben, dass ich mich dort niederlassen würde.
Das Schreiben habe ich - wie fast alle - mit dem ABC erlernt. Eigene Gedanken zu Papier zu bringen ... viel, viel später. Mich hat weder die Muse geküsst, noch fühle ich mich berufen meine Mitmenschen mit meinen literarischen Ergüssen zu überschütten.
Nach gefühlten 20 000 gelesenen Büchern, habe ich mir gesagt, eine Geschichte oder ein Gedicht schreiben, das kannst du vielleicht auch. Und wenn der geneigte Leser nach der letzten Zeile das Buch mit dem Gedanken zuschlägt ´schade, dass es zu Ende ist` - dann war die Mühe nicht umsonst. Denn, Schreiben ist Arbeit.

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trixi1303 Mysteriös. Ich frage mich, was es immer mit diesem zerbrochenen Glas auf sich hat. Und vor allem mit dem Mädchen oder der jungen Frau mit langen blonden Haaren.
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Wie geht das denn, liebe Christine? Die Bücher können doch nicht weg sein. Dann fehlen Dir ja einige Details, die später an Bedeutung gewinnen.
Auf jeden Fall, freue ich mich, dass Du dabei bist und bedanke mich herzlich für den Favo.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 O, Mann, wird das spannend, aber leider konnte ich ab Kapitel 2 nicht weiterlesen, es ging erst ab 8 weiter, die anderen waren plötzlich weg. Na, umso spannender.
LG Christine
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Ich habe in meinem Profil nachgeschaut und war auch erschrocken, dass die Bücher nicht auf Anhieb gezeigt wurden. Sie sind aber da, nur nach unten gerutscht. Also alles im grünen Bereich. :-)
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Mir geht es wie Fliegengitter.....Aber Deine Bildbeschreibungen sind wirklich erstklassig. Man fühlt sich, als wäre man mit auf diesm wunderschönen Fleckchen Erde.
(S 29 schenke ich Dir ein "S" bei ".Sie sah, dasS die beiden...")
LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Ich freue mich über Dein Lob und den Favo, liebe Bärbel. Vielen herzlichen Dank.
Für Dein ´Geschenk` habe ich sofort den richtigen Platz gefunden. Passt! :-) Dankeschön!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Man schwankt permanent zwischen grenzenlosen Neid auf diesen schönen Urlaub und dem leichen Grusel, der einen unweigerlich immer wieder beschleicht.
Das ist ganz schön mysteriös, aber mir gefällt der Urlaub immer noch.
Wieder ein klasse Kapitel.
Liebe Grüße
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList ... schauen wir ´mal, wie lange Carla der Urlaub noch gefällt. :-))
Ich danke Dir herzlich für Dein Lob und den Kommi, liebe Sabine.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Moscito Wieder ein sehr spannendes und interessant erzähltes Kapitel. Zerbrochenes Glas, lange blonde Haare hinter Büschen und eine Terrassentür, die mir nichts dir nicht offen steht, obwohl sie abgeschlossen war ... nun mal sehen, was da noch alles auf Carla darauf zukommt.
Ich bin weiter mit Spannung dabei.
Lieben Gruß in deinen Sonntagnachmittag
Silke
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Lass´ Dich überraschen, liebe Silke.
Vielen herzlichen Dank für den Favo. Freu!
Liebe Grüße in Deinen Sonntagabend.
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
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