Der Urlaub
8. Kapitel
Carla wurde durch das Läuten an der Pforte geweckt. Sie sprang aus dem Bett, zog schnell den Morgenmantel an und eilte auf nackten Füßen durch den Innenhof um die Pforte zu öffnen. Der Zimmerservice brachte das Frühstück. Während im Pavillon der Tisch gedeckt wurde, ging Carla zurück in die Villa und öffnete die Terrassentür. Weder die Hibiskussträucher noch mehrere Agaven, die auf dem Rasen wuchsen, behinderten die Aussicht. Zwischen den Stämmen hoher Palmen konnte sie das Meer sehen. Es war
genauso unruhig wie gestern. Die Wellen bäumten sich hoch auf, brachen dann und schwappten mit lautem Klatschen an den Strand. Außer zwei herrenlosen Hunden, die am Wasser entlang liefen, und dem Personal, das schon dicke Matten auf den Liegen verteilte, war noch niemand am Strand. Sie ging zurück in den Innenhof und blickte auf den Frangipanibaum, dessen Blüten einen betörenden Duft verströmten. Die herabgefallenen Blüten, die auf dem Rasen lagen, würde sie nach dem Frühstück aufsammeln und zu den anderen Blüten in die Schalen legen, die im Ankleideraum standen. Carla stieg die Stufen zu dem überdachten Pavillon hinauf und setzte sich an den hübsch gedeckten Tisch. Am
Vorabend hatte sie ihre Frühstücks-bestellung an die Außenklinke der Pforte gehängt und noch Zweifel gehabt, ob ihre Wünsche erfüllt werden konnten. Ihre Zweifel waren vollkommen unbegründet, wie sie jetzt sah. Von ihrem erhöhten Platz hatte sie einen freien Blick über die Mauer, die den Innenhof begrenzte, auf ihre Umgebung. Während sie ihren Kaffee trank galt ihre Aufmerksamkeit dem etwas entfernt liegenden Swimmingpool. Ein einsamer Schwimmer zog ruhig seine Bahnen. Durch Palmen und Sträucher konnte sie auch von hier einen Teil des Meeres sehen. Sie drehte sich um und blickte in den üppig bewachsenen Park, in dem halb versteckt hinter Sträuchern und Hecken, Bungalows aus Natursteinen, deren
Dächer aus Palmenblättern bestanden, zu sehen waren. Sie wusste inzwischen, dass diese aus vier Wohneinheiten, Lanais, wie man sie hier nannte, bestanden. Jedes dieser Lanais hatte eine kleine Terrasse und war architektonisch so gebaut, dass die Gäste einander nicht störten. Größere Villen mit eigenem Swimmingpool standen versteckt im Park und konnten von dem Platz, an dem sie saß, nicht gesehen werden. Einige Elektrokarren, die das Frühstück zu den Gästen brachten, verursachten das einzige Geräusch, das die morgendliche Stille unterbrach. Carla goss sich noch etwas heiße Milch in ihren Kaffee und blickte versonnen auf den Brunnen, aus dem das Wasser plätschernd in ein Becken lief. Mein
eigener Garten, dachte sie. Die Stufen des Pavillons führten auf eine Rasenfläche hinunter, die nur vom Weg zum Eingang der Villa unterbrochen wurde. Zwei Liegen, überdacht von einem Sonnenschirm, standen unweit des Frangipanibaumes. Zwei steinerne Götter - oder waren es Dämonen? - blickten von ihrem Standort an der Mauer grimmig auf den Betrachter.
Carla dachte an den gestrigen Tag, der einige Überraschungen für sie bereitgehalten hatte.
Die Nacht nach ihrer Ankunft hatte Carla tief und traumlos geschlafen, fast ein Erschöpfungsschlaf. Ein Umstand, der ihr seit
mehreren Wochen selten zuteil geworden war. Einmal glaubte sie durch ein Geräusch geweckt worden zu sein, hörte dann aber trotz der geschlossenen Terrassentür leise das Meer rauschen und schlief beruhigt wieder ein. Am Morgen wurde sie durch ein Klopfen an der Tür zum Innenhof geweckt. Sie hatte die Klingel an der Pforte nicht gehört und da sie nicht verschlossen war, kam das Personal ungehindert in den Innenhof. Ein sehr dunkelhäutiger Balinese stand mit einem großen Tablett vor der Tür und wollte wissen, ob er auf der Terrasse oder im Pavillon den Frühstückstisch decken sollte. Inzwischen wusste sie, dass die Pforte von innen verriegelt werden konnte, so dass niemand nachts den Innenhof betreten
konnte. Der Kellner hatte auf Carlas Wunsch in dem erhöhten Pavillon den Tisch gedeckt und entfernte sich mit den üblichen Verbeugungen. Bevor sie sich in einen der bequem anmutenden Sessel setzte, schaute sie sich erst einmal um. Sie blickte über die Mauer und betrachtete die Blüten eines Baumes, den sie nicht kannte - noch nie gesehen hatte, noch nicht einmal auf Abbildungen. Als sie sich umwandte und ihr Blick zu den steinernen Götterstatuen schweifte, die innen an der Mauer standen und recht furchteinflößend aussahen, hörte sie eine bekannte Stimme.
„Frau Bern, was machen Sie denn hier? Na, das ist ja eine Überraschung.“
Carla hatte die Stimme sofort erkannt. Frau
Kogler stand keine zehn Meter entfernt außerhalb der Innenhofmauer und winkte.
„Markus, komm´ doch ´mal“, rief sie und blickte suchend in die Runde. Ihr Mann kam hinter einem großen Strauch hervor, der offenbar sein Interesse geweckt hatte, und blickte verblüfft auf Carla, die ihren Platz verlassen hatte und gerade durch die Pforte trat, um Frau Kogler entgegen zu gehen.
„So schnell sieht man sich wieder“, sagte sie und erzählte den beiden kurz was geschehen war. Auch, dass ein weiterer Gast in der gleichen Situation wie sie sei, erwähnte sie.
„Sie können bestimmt heute noch nach Lombok fliegen“, meinte Herr Kogler.
„So ein sintflutartiger Regen kann ja nicht
ewig dauern.“
Frau Kogler berichtete kurz, dass sie nicht weit von Carlas Villa ebenfalls in einer Villa direkt am Strand wohnten und wie gut es ihnen hier gefiel. Sie hatten schon einen Rundgang durch den Park gemacht und die fremde Vegetation bewundert.
„Und wir haben schon den Haustempel besucht“, unterbrach Herr Kogler seine Frau.
„Es stand schon ein Korb mit frischen Früchten, Reis und Hibiskusblüten dort. Auch Räucherstäbchen waren schon angezündet.“
Jetzt wusste Carla, woher der eigenartige Geruch herrührte, der ihr schon beim Verlassen des Flughafengebäudes aufgefallen war.
„Ich habe mich schon gefragt, woher dieser
Geruch kommt“, wandte Carla sich an Herrn Kogler.
„Auf Räucherstäbchen bin ich nicht gekommen.“
„Nein, nein, das sind nicht nur die Räucherstäbchen“, antwortete er.
„Die Zigaretten enthalten hier das Pulver von Gewürznelken. Schon bei der Herstellung wird dieser Duft verbreitet. Und nun stellen Sie sich noch die Raucher vor, die uns mit diesem Duft einnebeln.“
Als Carla das hörte, beschloss sie,
eine Schachtel dieser doch recht ungewöhnlichen Zigaretten für Simone zu kaufen.
Der Blick von Frau Kogler ging zu Carlas Hand, die sie immer noch mit einem feuchten
Tuch umwickelt hatte.
„Haben Sie sich verletzt?“, erkundigte sie sich mitfühlend.
Carla wickelte das Tuch ab und zeigte eine inzwischen unschöne Brandblase. Ihre Erklärung, wie sie sich diese zugezogen hatte, war etwas verworren, aber das schien Frau Kogler nicht aufzufallen.
„Gehen Sie im Meer baden“, riet sie ihr.
„Das Salzwasser öffnet die Brandblase und heilt gleichzeitig“.
Die Koglers hatten ihren Rundgang fortgesetzt und Carla war zurück in den Pavillon gegangen. Sie hatte überlegt, ob sie wirklich ihren Badeanzug aus dem Koffer nehmen und ein Bad im Meer nehmen sollte. Bekäme sie eine Nachricht, dass sie in Kürze
zum Flughafen gebracht werden würde, hätte sie mit großer Wahrscheinlichkeit nasse Haare, mit Sicherheit aber einen nassen Badeanzug, den sie verstauen musste. Trotz dieser Bedenken hatte sie nach ihrem Frühstück doch kurzentschlossen ihren Badeanzug ausgepackt, ihn schnell angezogen, und war über eine ungefähr sechzig Meter breite Rasenfläche zum Strand gelaufen. Ihre nackten Füße hatten sich in den warmen Sand gegraben und wurden dann von den ersten Wellen, die ans Ufer schwappten, umspült. Das Meer war unruhig aber Carla hatte keine Angst vor bewegtem Wasser. Es war wunderbar warm und sie hatte sich immer wieder in die Wellen geworfen. Obwohl sie wegen der Wellen kaum
schwimmen konnte, hatte sie dieses Bad genossen und blieb länger im Wasser, als sie es vorgehabt hatte. Wieder hatte sie Ruhe, fast Geborgenheit gefühlt - beinahe als würde das Wasser eine schützende Hülle um sie bilden. Als sie aus dem Wasser gekommen war, hatte sie den Professor bemerkt, der entfernt an einer Palme stand. Er blickte zu ihr herüber und hob grüßend die Hand. Sie hatte ebenfalls mit einer Handbewegung gegrüßt und war schnell in ihre Villa gegangen um ihre Haare zu trocknen und sich anzukleiden. Die Brandblase auf ihrer Haut hatte sich tatsächlich geöffnet und die Wunde schmerzte nicht mehr wie zuvor, so dass sie das größte Pflaster, das sie in ihrer
Reiseapotheke hatte, auflegen konnte. Das Frühstücksgeschirr war inzwischen weggeräumt worden und auf dem Tisch im Zimmer hatte eine Mitteilung des Hotelmanagements gelegen. Man bat sie um zwölf Uhr im Foyer zu einem Informationsgespräch zu erscheinen. Sie hatte noch ausreichend Zeit ihre Haare zu trocknen und die wenigen Sachen, die sie gebraucht hatte, wieder im Koffer zu verstauen. Den nassen Badeanzug hatte sie auf das Geländer des Pavillons gelegt. Die Sonne würde ihn hoffentlich schnell trocknen. Beim Zusammenpacken ihrer Toiletten- und Kosmetikutensilien war ihr Blick auf
die Blumengirlande gefallen, die sie am Vorabend an den Spiegel im Ankleideraum
gehangen hatte.
Die Blüten schienen noch recht frisch und am liebsten hätte sie die auch eingepackt. Ihr Blick war zu dem großen Durchgang geschweift, der in den Badbereich führte.
Die im Marmorfußboden abgesenkte Badewanne nahm einen großen Teil dieses Bereiches ein. Begrenzt wurde diese auf ihrer Längsseite von einer überdimensionalen Glasscheibe, die vom Boden bis an die Decke reichte. Sie gab den Blick frei auf einen kleinen Rundgang im Außenbereich, der von einer Mauer umgeben war, die vor fremden Blicken schützte. In der Mitte des Rundgangs stand eine große Götterstatue, die weniger grimmig schaute, als die Statuen im Innenhof.
Flankiert wurde sie von tropischen Gewächsen, die von saftigem Grün waren. Toilette und Dusche waren vom Bad durch undurchsichtige Glastüren getrennt. Sowohl von der Toilette als auch vom Duschraum konnte man durch eine zweite Tür den Rundgang betreten. Ihr gefiel es hier. Vor allem die Ruhe auf dem Hotelgelände und am Strand entsprach so ganz ihrem Geschmack. Sie hatte sich noch einmal umgeblickt ob sie etwas vergessen hatte und sich dann auf die Terrasse gesetzt, um noch ein wenig den Blick auf das Meer zu genießen. Auch zu dieser Zeit waren nur wenige Gäste am Strand. Zwei Liegen, zwischen denen ein kleiner Tisch stand, und ein bunter Sonnenschirm mit Fransen an
seinen Rändern bildeten jeweils eine Einheit. Der Abstand zwischen diesen Einheiten betrug ungefähr zehn Meter, so dass sich kein Gast gestört fühlen musste. Gerade waren zwei Liegen vom Strandpersonal unter eine große Palme gezogen worden, die mit ihren ausladenden Wedeln mehr Schatten spendete, als einer der Sonnenschirme. Das Meer schien ihr noch unruhiger als vor einer Stunde. Niemand war im Wasser gewesen. Nur eine etwas füllige Balinesin mit bunten Pareos, die sie verkaufen wollte, war durch das an den Strand schwappende Wasser gelaufen. Sie hatte sich jedoch weder den Hotelgästen, die gerade zum Wasser gingen, noch den Liegen, die schon von Hotelgästen belegt waren, genähert. Offenbar musste man
zu ihr gehen, wenn man etwas kaufen wollte. Ob es an der Zurückhaltung der Balinesin lag oder ob Maßgaben des Hotels für dieses Verhalten verantwortlich waren, wusste sie nicht. Auf jeden Fall hatte Carla es als angenehm empfunden. Sie hatte es ein wenig bedauert, als sie nach einem Blick auf ihre Armbanduhr feststellte, dass sie gehen musste. Auf dem Weg zum Foyer war sie dem Professor begegnet, der aus einem Seitenweg in den Hauptweg eingebogen war.
„Hat man Sie auch in die Lobby gebeten?“, hatte er gefragt.
Sie hatte mit dem Kopf genickt.
„Sie hätten bestimmt noch etwas länger im Meer baden wollen.“
Sie hatte gelacht und erwidert:
„Ja, ich bin ein Kind des Wassers.“
„Das ist gut so“, hatte sie den Professor murmeln hören.
Sie war etwas verwundert gewesen, hatte dann aber geglaubt, dass sie sich verhört hätte. Im Foyer wurden sie von einer großen schlanken Frau, die sich als Hotelmanagerin vorstellte, und dem netten Hotelangestellten, der sie am Vorabend begrüßt hatte, schon erwartet. Man hatte ihnen mitgeteilt, dass erste Maschinen aus Birma und Java schon auf Lombok gelandet seien. Gerade vor einer halben Stunde hätten sie jedoch die Nachricht erhalten, dass der Flugverkehr möglicherweise erneut eingestellt werden muss, da der Wetterdienst weitere starke Regenfälle vorhergesagt hatte. Mit neuen
Informationen rechnete die Hotelleitung erst am frühen Abend. Sie hatten weiter berichtet, dass Schlamm und Wassermassen viele Straßen auf Lombok unpassierbar gemacht hätten und einige Ortschaften von der Außenwelt abgeschnitten sind.
„Wir möchten Ihnen ein Angebot machen“, hatte die Hotelmanagerin gesagt, und verbindlich gelächelt.
„Sie sind beide Gäste unserer Hotelgruppe allerdings auf der Nachbarinsel. Wir können zwar nichts für die augenblickliche Wettersituation; aber wir können Ihnen den weiteren Aufenthalt in unserem Hotel anbieten. Sie haben gegenwärtig schon die Wohnmöglichkeit, die Sie - gemäß Ihrer Buchung in der Reiseagentur - auf Lombok
gehabt hätten. Ihr Anspruch auf alle Leistungen besteht in unserem Hotel ebenfalls. Wir würden uns um alle Formalitäten kümmern, wie Flugstornierung nach Mataram und Rückflugbuchung von Denpasar nach Frankfurt.“
An den Professor gewandt hatte sie gesagt:
„Ihr Flug von Mataram nach Jakarta lässt sich problemlos umbuchen, sodass Sie von Denpasar nach Java fliegen können.“
„Mit unserem Hotel auf Lombok gibt es selbstverständlich keine Probleme für Sie. Die Kosten für den schon von ihnen bezahlten Flug von Denpasar nach Mataram können wir Ihnen jedoch nicht erstatten. Vielleicht hilft Ihnen Ihre Reiseagentur, wenn wir Ihnen ein amtliches Schreiben über die
Wettersituation und den Ausfall des Flugverkehrs mitgeben.“
Carla hatte sprachlos den Professor angeschaut, auf dessen Gesicht sich Überraschung, und wie ihr schien, eine leichte Besorgnis abzeichnete.
„Denken Sie in Ruhe darüber nach und teilen Sie uns dann so gegen siebzehn Uhr Ihre Entscheidung mit.“
Mit diesen Worten hatte sich die Hotelmanagerin höflich mit einer leichten Verbeugung und indem sie ihre Handflächen aneinanderlegte verabschiedet.
„Sollte sich der Flugverkehr bis dahin normalisiert haben“, hatte der Empfangschef ergänzt, „was jedoch nicht anzunehmen ist, bleibt unser Angebot trotzdem bestehen.
© KaraList
Erstveröffentlichung der Gesamtausgabe
09/2013