Wahre Schönheit
ein Märchen
Ein leuchtend warmer Sommertag ging seinem Ende entgegen. Die Luft flirrte noch von der aufgestauten Wärme in dem lichtwarmen Tag. Der Himmel schimmerte in schwachem Blau von weißen Wölkchen durchzogen. Aus der Kräuterecke duftete es würzig nach Minze, Rosmarin und Kresse.
Blassblaue Vergissmeinnicht setzten wundersame Farbtupfer in das große Blumenbeet. Bunte Levkojen verströmten einen süßlichen Duft.
Schon wurden die Schatten etwas länger
und eine kühle Brise läutete den Abend ein. Ab und zu schwirrte ein Insekt durch die Luft um sich eine Bettstatt für die Nacht zu suchen. Eine dicke Hummel machte sich besitzergreifend auf einer großen Glockenblume breit. Diese öffnete bereitwillig ihre Blüte, um den Gast freundlich aufzunehmen.
Auch Fridolin der Schmetterling wurde langsam müde, war er doch den ganzen Tag von Blüte zu Blüte geflattert, um sich an dem vielfachen, köstlichen, ihm dargebotenen Nektar zu laben. Deshalb beschloss er, die kommende Nacht auf einer tiefroten, samtigen Rose zu verbringen, deren Farbe im verschwindenden Tageslicht wundersam
leuchtete.
Er ließ sich auf ihr nieder und ließ streichelnd seine Fühler über sie gleiten.
„Hallo Rose, du Schönste aller Blumen“ flüsterte er ihr zu.
Doch die Rose tat, als ob sie ihn nicht gehört hätte. Hochmütig schielte sie auf ihn herab. Denn sie war eine ganz besondere Züchtung und bildete sich darauf etwas ein. Das machte Fridolin doch sehr traurig.
„Rose, ich will in deinen Armen schlafen, -Rose“ flüsterte er leise
Die Rose erstarrte und ihre Stacheln wurden gleich noch aggressiver.
Was bildete sich dieser kleine unscheinbare Wicht wohl
ein?
Unwillig schüttelte sie ihr Blütenhaupt und Fridolin segelte geradewegs in eine Brennessel hinein. „Autsch“ schrie er, denn die feinen Nesselhaare hatten ihm doch sehr weh getan.
„Kann ich dir helfen?“ hörte er da ein feines Stimmchen flüstern.
Während er sich nach der Stimme umdrehte, umfingen ihn schmerzlindernd die zarten kühlen Blätter eines Veilchens, was so ganz unscheinbar in einer Ecke dahin dämmerte.
Fridolin war ganz fasziniert von der Wärme ihrer Stimme und nahm sie blinzelnd erst einmal in Augenschein.
Tiefdunkle, blaue Augen guckten ihn mitfühlend an. Er versuchte , sich aufzurichten und bemerkte voll Schreck, dass ein Flügel durch den Sturz angebrochen war.
„Bleib' ganz ruhig liegen“ flüsterte das Veilchen mit feinem Stimmchen “dein Flügel braucht erst einmal ein paar Tage Ruhe“.
Mit viel Geschick baute es aus seinem unteren Blättern ein kleines Nestchen, worin sich Fridolin dann mit einem wohligen Seufzer einkuschelte. Von dem Tau ihrer Blätter kühlte es den Flügel und vom Nektar ihrer Blüte gab es ihm zu essen.
Durch so viel Fürsorge war Fridolin ganz
schnell wieder gesund. Der Flügel war wieder wie vorher zusammen gewachsen. Überglücklich bedankte er sich bei seinem Veilchen. „Du musst mir nicht danken“ sagte das Veilchen: „ich habe dich in diesen drei Tagen wirklich sehr lieb gewonnen, kann es dir aber nicht verdenken, dass du jetzt lieber wieder zu den schöneren Blumen möchtest.
Denn das, was die haben, kann ich dir leider nicht bieten.“
Das Herz wurde Fridolin ganz weit bei diesen Worten, hatte er sich doch in dieser Zeit ebenfalls in das Veilchen verliebt.
Ihm war in dieser Zeit aufgegangen ,
dass wahre Schönheit von innen her kommt und wertvoller ist als die leuchtendsten Farben einer Rose.
„Darf ich bei dir bleiben“ wisperte er leise und streichelte sie sacht mit seinem Flügel. „Auch ich liebe dich und würde dich nie gegen die schönste Rose der Welt eintauschen“.
Da schlossen sich die Blütenblätter des Veilchens wie eine zärtliche Umarmung um ihn. Es schien, als ob auf einmal alle Blumen rings herum noch einmal so schön leuchteten, so gerührt waren sie von den Beiden.
Als eine Nachtigall dann noch eine Liebesweise anstimmte, war ihr Glück
vollkommen.
Als die Rose dieses sah, wurde sie ganz blass vor Neid, verlor ihre Blätter und war nach vier Tagen verwelkt.
Fridolin und sein Veilchen aber lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende zusammen.